Newsletter - UKSH Universitätsklinikum Schleswig

Universitätsklinikum
Schleswig-Holstein
11/2015
Pflegeforschung
Ne w s le t t e r
Kiel und Lübeck im November 2015
>Für Euch gelesen
Liebe KollegenInnen,
viel Spaß beim Lesen unseres gar nicht trüben November-Newsletters. Beste Grüße S. Krotsetis und P. Nydahl
Delir mit zwei Fragen testen
Fick et al (2015) haben bei 201 medizinischen Pat. über 75 Jahren überprüft, mit welchen zwei Fragen am ehesten ein Delir
feststellbar ist. Im Ergebnis zeigten die Fragen „können Sie die Monate rückwärts aufzählen?“ sowie „welcher Wochentag ist heute?“ eine Sensitivität von 93%, d.h. 9 von 10 deliranten Patienten können damit erfasst werden. Die Spezifität
betrug 64%, d.h. 6 von 10 nicht-deliranten Patienten können erkannt werden. Kommentar: Einschränkend muss erwähnt
werden, dass dieses Vorgehen noch bei anderen Patientengruppen überprüft werden muss, dennoch scheint das Vorgehen vielversprechend zu sein. (PN).
Quelle: Fick DM, Inouye SK, Guess J, Ngo LH, Jones RN, Saczynski JS, Marcantonio ER. Preliminary development of an ultrabrief two-item
bedside test for delirium. J Hosp Med. 2015 Oct;10(10):645-50.
Belastung von Angehörigen, die in Entscheidungen am Lebensende involviert wurden
Mitunter werden nahe Angehörige befragt, wenn es um die Bestimmung des mutmaßlichen Patientenwillens und um Entscheidungen von therapiebegrenzenden Maßnahmen geht. Schenker et al. (2012) haben in den USA hierzu 30 Angehörige
qualitativ befragt. Im Ergebnis zeigte sich, dass sich Angehörige hin- und hergerissen fühlen und die Situation widersprüchlich erleben. Sie möchten einerseits in Übereinstimmung mit den Werten des Patienten entscheiden, andererseits
wollen sie nicht für den Tod verantwortlich sein („Ich möchte nicht diejenige sein, die sagt: lasst ihn sterben“), gleichzeitig
hoffen sie auf eine unerwartete Besserung des Gesundheitszustands und sorgen sich darüberhinaus um das Wohlbefinden
der Familie. Nunez et al. (2015) aus den USA haben hierzu eine weitere qualitative Studie mit 23 Angehörigen durchgeführt. Im Ergebnis gaben die Angehörigen an, dass die Unsicherheit und das Mit-Leiden des Patienten die größten Probleme ausmachten. Die Einbindung in Entscheidungsprozesse änderte ihre Rolle, sie wurden aktiver und fühlten sich nicht
mehr hilflos. Kommentar: Beide Studien zeigen, dass das Erleben von Angehörigen, die in lebensbeendende Entscheidungsprozesse eingebunden werden, sehr komplex ist. Hierbei scheint wichtig zu sein, ihnen einen aktiven Anteil zu geben, sie aber
nicht nach ihrem Willen zu fragen, sondern lediglich Aussagen über den Patientenwillen zu äußern (PN).
Quellen: Schenker Y, Crowley-Matoka M, Dohan D et al. I don‘t want to be the one saying ‚we should just let him die‘: intrapersonal tensions
experienced by surrogate decision makers in the ICU. J Gen Intern Med. 2012 Dec;27(12):1657-65. Nunez ER, Schenker Y, Joel ID et al. Acutely Bereaved Surrogates‘ Stories About the Decision to Limit Life Support in the ICU. Crit Care Med. 2015 Nov;43(11):2387-93.
Australische Leitlinie zur Sauerstoffgabe
Die Thoraxgesellschaft aus Australien und Neuseeland hat eine Leitlinie zur Sauerstoffgabe herausgegeben. Die Leitlinie
empfiehlt, hohe Sauerstoffkonzentrationen aufgrund der Nebenwirkungen zu vermeiden, außerdem können klinische
Verschlechterungen erst viel später erkannt werden, wenn ein Patient mit Sauerstoff übersättigt ist. Sauerstoff hilft nicht
bei Atemnot, sondern nur bei Hypoxämie – wobei Atemnot irgendwann zur Hypoxämie führen kann. Die Empfehlungen für allg. Intensivpatienten sind: O2-Gabe erst, wenn die SaO2 unter 92 % fällt, dann soviel O2 titrieren, bis SaO2 bei
92-96 % ist. Bei COPD: O2-Gabe erst, wenn die SaO2 unter 88 % fällt, dann soviel O2 titrieren, bis SaO2 bei 88-92 % ist.
Kommentar: mit Sauerstoff ist man im pflegerischen Alltag schnell bei der Hand. Sauerstoffgabe erfordert einen reflektierten
Umgang und sorgfältige Abwägung (PN).
Quelle: Beasley R, Chien J, Douglas J et al. Thoracic Society of Australia and New Zealand oxygen guidelines for acute oxygen use in adults:
‚Swimming between the flags‘. Respirology. 2015 Nov;20(8):1182-91.
Seite 1
Pflegeforschung
Warum Patienten (nicht) mobilisiert werden
Frühmobilisierung von Intensivpatienten ist höchst effektiv und sicher, wird im Alltag aber nur wenig umgesetzt. Holdsworth et al. (2015) aus Australien haben 22 Mitarbeiter von Intensivstationen zu ihren Vorstellungen und Annahmen
befragt. Die Befragten gaben an, dass die größten Vorteile die Verbesserung der Atemfunktion, die Reduktion von körperlicher Beeinträchtigung und Verlust von Muskelkraft sei. Die größten Nachteile seien Zeitaufwand, Risiko der Entfernung
des Tubus und von Zu- und Ableitungen. Die Befragten gaben an, dass Mobilisierung eher möglich ist, wenn die Kollegen
der Physiotherapie und/oder Pflege flexibel und engagiert sind. Kollegen, die unkooperativ und nur wenig engagiert sind,
hemmen die Entscheidung zur Mobilisierung. Kommentar: dies ist die erste Studie, die auch die Zusammenarbeit mit den
unmittelbaren Kollegen diskutiert. Die Stimmung und Haltung der Kollegen können einen wichtigen Faktor in der Umsetzung
der Frühmobilisierung darstellen (PN).
Quelle: Holdsworth C, Haines KJ, Francis JJ et al. Mobilization of ventilated patients in the intensive care unit: An elicitation study using the
theory of planned behavior. J Crit Care. 2015 Dec;30(6):1243-50.
Augenpflege bei kritisch Kranken
Eine Literaturübersicht einschließlich der Empfehlungen von Maßnahmen erstellten Alansari et al. (2015) hinsichtlich
der Augenpflege bei kritisch Kranken. Augenpflege wird nach Aussagen der Autoren häufig als zweitrangig angesehen und
weniger Beachtung, als z.B. Maßnahmen zur Prävention einer Ventilatiorassoziierten Pneumonie geschenkt, dabei liegt die
Inzidenz von ophthalmologischen Komplikation (Augenschäden entwickeln sich vornehmlich in den ersten 1-2 Tagen
des Intensivaufenthaltes) von kritisch Kranken zwischen 3,6 und 60%. Diese führen häufig zur Schädigung des Auges bzw.
des Sehvermögens über den Intensivaufenthalt hinaus. Als signifikante Risikofaktoren werden Intubation, Glasgow Coma
Scale ≤ 7 oder ein Intensivaufenthalt ≥ 7 Tage gewertet. Weiterhin gelten reduzierter Lidschlag, hohe Gabe von Sedativa/
Muskelrelaxantien, PEEP ≥ 5, Bauchlage, Bindehautödeme und renales oder kardiales Organversagen als Risikofaktoren.
Eine hohe Keimbesiedlung der Lunge kann vermutlich durch den Vorgang des endotrachealen Absaugens zu einer Kreuzinfektion im Auge führen. Die Autoren halten die Einführung eines Augenpflegeprotokolls mit regelmäßiger Erhebung des
Lidschlusses, Beschreibung von Veränderung des inneren und äußeren Auges, ableitenden Maßnahmen und die frühzeitige Einbindung von Fachärzten der Augenheilkunde für absolut notwendig. Kommentar: Augenpflege hat bei näherer
Betrachtung einen hohen Stellenwert für den Patienten und die Qualität der Pflege. Die Übersichtsarbeit von Alansari et al.
(2015) ist hoch interessant und verweist auf viele Fehler, die uns in der täglichen Arbeit passieren können. Teile der von den
Autoren formulierten Maßnahmenbündel werden sich auch im aktuellen Intensivpflegestandard Augenpflege wiederfinden,
der gerade in Überarbeitung ist. Wissenschaft trifft Praxis! Danke an Frau Dr. Knipfer für die Literatur (SK).
Quelle: Alansari, M. et al. (2015). Making a Difference in Eye Care of the Critically Ill Patients. Journal of Intensive Care Medicine. 30 (6). 311-317.
Neu: Die aktuellen Leitlinien 2015 zur Reanimation für Europa der European Resuscitation Council (ERC) auf Deutsch
Unter dieser Adresse können die aktuellen Leitlinien zu den Maßnahmen der kardiopulmonalen Wiederbelebung, Postreanimationsbehandlung, Maßnahmen bei Kinder und Neugeborenen u.a. heruntergeladen werden. (SK).
www.grc-org.de/leitlinien2015/cat_view/6-wissenschaft/1-leitlinien/43-leitlinien-2015/45-leitlinien-2015-vorabversion
Fragen und Anmerkungen: Lübeck: [email protected], Kiel: [email protected]
www.uksh.de/Pflege/Pflegeforschung
Seite 2