Ein echter Herzenswunsch

OLDENBURGER LAND
SONNABEND, 17. OKTOBER 2015
NR.242 | NORDWEST-ZEITUNG | SEITE 11
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NWZ INTERN
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it einer 1000 PS starken Asphaltfräse ist Ð -Redakteur
Hans-Carl Bokelmann in der vergangenen Woche über die Landesstraße 862 in der Gemeinde Jade
(Landkreis Wesermarsch) gerollt.
Maschinenführer Benjamin Rittmann (links im Bild) ließ den Reporter für Foto- und Videoaufnahmen
für 15 Minuten in den Führerstand.
Auf
Autobahn
gewendet
WILHELMSHAVEN/BRW – Glimpflich ausgegangen ist am Freitag die „Geisterfahrt“ einer
67-jährigen Autofahrerin aus
Delmenhorst auf der A 29 bei
Wilhelmshaven. Die Frau hatte auf der A 29 in Richtung
Wilhelmshaven die Abfahrt
Wilhelmshaven-Coldewey
verpasst und gewendet.
Dabei kamen ihr zwei
Autofahrer entgegen, einer
davon auf der Überholspur.
Der Überholende konnte der
Frau nicht gänzlich ausweichen. Der Kleinwagen der
Frau streifte den Kleinwagen
des Wilhelmshaveners an der
Fahrerseite. Beide Fahrer wurden leicht verletzt, die Kleinwagen wurden total zerstört.
Der überholte Autofahrer
setzte seine Fahrt unbeirrt
fort, ohne sich zu kümmern.
Er wird als Zeuge gesucht (Tel.
04402/9330).
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ZU GUTER LETZT
Wissen und
Kapazitäten
nutzen
VON LARS LAUE
D
ie Apotheker aus der
Region bangen um ihre
Zukunft. Nun nagen Apotheker sicher nicht am Hungertuch, aber es ist ihnen
abzunehmen, dass die Zeiten durch Ärztemangel auf
dem Land und durch Internet-Apotheken härter geworden sind.
Insofern ist es legitim,
wenn sich die Kammer da-
Autor des Beitrages ist
Lars Laue,
Redakteur in
der Regionalredaktion
für einsetzt, neben Ärzten
auch Apotheker bei der Erstellung von Arzneimittelplänen mitwirken zu lassen.
Die Apotheker haben nicht
nur das Wissen, sondern
auch die Zeit – im Gegensatz zu vielen Ärzten. Und
wenn eine solche zusätzliches Einnahmequelle hilft,
Apotheken auf dem Land zu
erhalten, ist allen gedient.
@ Den Autor erreichen Sie unter
[email protected]
BILD: ANDREAS BARNICK
SO BERICHTETE DIE
Die Fahrt mit der gut 16 Meter
langen Maschine wird Bokelmann
nicht so schnell vergessen. Zwischen Jade und der Bundesstraße
437 wird die Landesstraße auf einer
Strecke von knapp vier Kilometern
saniert. Rittmann und sein Kollege
Andreas Barnick benötigen für ihre
Vorarbeiten nicht einmal zwei Tage:
eine starke Leistung.
Ü
ber einen
spektakulären Mordfall
hatte die Ð in
ihrer Ausgabe
vom 17. Oktober 1995, also genau vor 20 Jahren, berichtet. Im Prozess um den gewaltsamen Tod eines damals 51 Jahre alten Kaufmanns aus dem ostfriesischen Uplengen hatten sich die Angeklagten die Tat damals
HEUTE VOR 20 JAHREN
gegenseitig in
die Schuhe geschoben. Abscheuliches
Detail: Weil die
Leiche nicht in eine Öltonne gepasst habe, um
sie zu verbrennen, habe man sie mit einer
Motorsäge „passend gesägt“. Am 20. Januar
1996 waren die beiden Hauptangeklagten zu
lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden.
Ein echter Herzenswunsch
MEDIZIN
Thorben Frohne (38) hofft auf ein Spenderorgan, allerdings wohl vergeblich
Der Ammerländer lebt
mit einem Kunstherz.
Kann das eine Dauerlösung sein für ihn?
VON KARSTEN KROGMANN
APEN/HANNOVER – Wenn er
morgens aufwacht, sieht er als
Erstes das Schild, 26 Großbuchstaben in Kopfhöhe: ICH
WERDE WIEDER LAUFEN
KÖNNEN! Eine Pflegerin hat
es ihm gemalt.
Wo soll man anfangen?
„Bei der Geburt“, sagt
Thorben Frohne und grinst.
Er kommt im Rollstuhl ins
Wohnzimmer gefahren, auf
dem Schoß die Kunstherztasche, ein Kabel verschwindet
unter seinem T-Shirt. In seinem Hals steckt eine Kanüle,
er kann schlecht sprechen.
Die Geburt also: Thorben
kam 1977 mit einem Herzfehler zur Welt. Das Baby musste
operiert werden, die Ärzte
hatten schlimme Nachrichten
für seine Eltern: „Älter als 18
wird er nicht.“
Sie irrten.
„Ich hatte eine normale
Kindheit“, sagt Thorben Frohne, inzwischen 38 Jahre alt: Jugendfeuerwehr,
Fußball,
Kampfsport, Musik. Vor allem
Musik, am liebsten Heavy Metal: Thorben lernt Schlagzeug.
Er wird erwachsen, es geht
normal weiter: Er heiratet,
2010 wird seine Tochter geboren. Er arbeitet als Journalist,
er spielt weiter Schlagzeug.
Seine Band heißt Brainwayve.
Brainwayve, auch damit
könnte man anfangen: 2012,
ein Rockkonzert in Oldenburg. Brainwayve spielen
ihren ersten Song, „alles
cool“, schreibt Thorben sehr
viel später im Internet,
„noch“. Plötzlich funktioniert
sein rechter Arm nicht mehr,
jemand stülpt Watte über die
Musik, alles wird schwarz.
Stille. Der Kopf des Schlagzeugers kracht auf die Trommel.
„Ich habe wohl zu wenig gegessen heute“, sagt er, als er
wieder zu sich kommt.
Diesmal irrt er.
Er ist wieder da
Jetzt könnte man mit einer
langen Liste weitermachen;
man könnte vom eingebauten
Defibrillator erzählen, von
den Herzoperationen, von
den Reanimationen, vom
Koma, von der Reha.
Auf jeden Fall muss man
vom Schlaganfall erzählen:
Wenn das Herz nicht hinreichend Sauerstoff pumpt, nehmen auch andere Organe
Schaden, die Nieren zum Beispiel oder das Gehirn. Thorben Frohne erleidet einen Gehirnschlag. Als er aufwacht,
kann er kaum laufen, greifen,
sprechen. Er ist Pflegestufe 3,
berufsunfähig, er zieht wieder
zu seinen Eltern nach Apen.
Wer nicht sprechen kann,
schreibt lieber, bei Facebook,
im Blog „DeThobbe“. Im Dezember 2014 meldet sich
Frohne im Internet zurück,
Überschrift: „Er ist wieder
Zurück ins Leben: Thorben Frohne mit seiner Tochter, ein Besuch in der Seehundstation in
BILD: PRIVAT
Norddeich.
da!“ Mühsam tippt er diese
Sätze in seinen Rechner: „Wie
soll’s weitergehen? Ich weiß es
absolut nicht! Ich weiß nur:
Ich werde wieder laufen!“
In
der
Medizinischen
Hochschule Hannover (MHH)
haben sie ihm ein Kunstherz
eingesetzt. Ein Kunstherz ersetzt nicht etwa das echte
Herz, ein Kunstherz unterstützt es. Es ist eine mechanische Pumpe, die über eine
künstliche Ader mit der linken
Herzkammer verbunden wird.
In der MHH, fünfter Stock,
Station 15, stellt Dr. Jan
Schmitto (39), Bereichsleiter
Herzunterstützungssysteme
und Herztransplantationen,
zwei Kunstherzmodelle auf
seinen Schreibtisch. Eines ist
von 2004, das andere von
2014. Das von 2014 ist fünfbis sechsmal kleiner. „Da passiert wahnsinnig viel, was die
technische Entwicklung angeht“, schwärmt Schmitto.
Vor zweieinhalb Jahren
hatte er einen Pressetermin,
in Deutschland hatte der
1000. Patient ein Kunstherz
bekommen, großer Bahnhof.
Mittlerweile dürften es mehr
als doppelt so viele sein.
Thorben Frohne schreibt
im Internet: „Ich möchte wieder laufen. Möchte wieder lieben. Möchte wieder mit meiner Tochter toben. Möchte
wieder Schlagzeug spielen.
Möchte wieder Sport machen.
Möchte wieder raufen. Möchte wieder schwimmen.“
Mit dem Kunstherz kann er
nicht schwimmen. Er hat ein
Loch im Bauch, die Infektionsgefahr ist groß. Im Garten kurvt ein Mähroboter.
Wenn Thorben Frohne auf
den Rasen will, muss der Roboter vorher abgestellt werden. Das Kunstherz ist klein?
Stimmt, aber auf dem Schoß
trägt Frohne nun immer Akku
und Controller, zwei Kilogramm schwer. Er ist verkabelt, er darf nirgendwo hängenbleiben damit. „Ich sehe
aus wie ein Cyborg“, scherzt
Frohne. Dann wird er ernst:
„Das schränkt mich unheimlich ein.“ Kann er so richtig
laufen lernen?
Er hat im wahrsten Sinn
des Wortes einen Herzenswunsch: „Ich brauche ein
neues Herz!“
Das Problem ist nur: Es gibt
zu wenig Spenderherzen.
Drei Jahre Unterschied: Thorben Frohne 2015 zu Hause in
Apen und 2012 am Schlagzeug
BILDER: KROGMANN/PRIVAT
10 585 Menschen stehen
derzeit in Deutschland auf der
Warteliste für ein Spenderorgan. 3488 Organtransplantationen gab es 2014. Und die
Zahlen klaffen zunehmend
weiter auseinander, denn die
Spendebereitschaft der Deutschen sinkt. Schuld sind die
Berichte über die jüngsten Organspendeskandale, vermutet
Schmitto. Beispiel Herz: „Wir
haben in Deutschland sonst
400 bis 500 Herzen im Jahr
transplantiert“, sagt er. „2014
waren es 287.“
Erste Schritte
„Fünf Schritte gelaufen!“,
meldet Thorben Frohne im
Internet.
Ein Tag später: „Die nächsten sechs Schritte!“
Drei Wochen später: „300
Meter freies Laufen – und
mein Therapeut sagt, mein
Laufbild ändert sich vom
Zombie-Walk zum RoboterWalk!“
Es gibt auch schlechte Tage. Zum Beispiel, als seine
Tochter Fahrradfahren lernte,
ohne ihren Vater.
„Was für eine Zukunft hat
einer wie ich?“, tippt Frohne
in seinen Rechner. „Ein Krüppel! Behindert, auf ewig
arbeitsunfähig. An den Rollstuhl gefesselt. Kaum Geld.
Leben bei den Eltern!“
Am nächsten Tag wacht er
auf, sieht das Schild: ICH
WERDE WIEDER LAUFEN
KÖNNEN!
In Hannover haben sie ihm
gesagt: Auf die Warteliste für
ein Spenderherz kommen nur
Schwerstkranke. Menschen,
die ohne Transplantation sterben würden.
Thorben Frohne lebt, dank
Unterstützungssystem. Man
könnte sagen: Es geht ihm zu
Scannen Sie das Bild
und sehen Sie ein Video.
gut für ein Spenderherz.
„Paradox“ findet er das.
Dr. Schmitto, der Arzt, sieht
es so: „Die Herztransplantation ist der Goldstandard. Die
Frage lautet: Ist der Goldstandard für alle verfügbar? Die
Antwort lautet: Nein.“ Kunstherzen seien verfügbar, „zu jeder Tages- und Nachtzeit, am
Wochenende, an Feiertagen“.
Im November hat Schmitto
wieder einen Pressetermin,
ein Patient feiert Jubiläum:
Seit zehn Jahren lebt er mit
Kunstherz. „Europarekord“,
sagt Schmitto.
Natürlich wäre es schön,
wenn es mehr Spenderorgane
gäbe, sagt der Arzt. „Eine Widerspruchslösung wie in Österreich fände ich gut – alle
sind automatisch Spender, es
sei denn, sie sprechen sich dagegen aus.“ Soll Thorben
Frohne darauf warten? Soll er
auf Fortschritte bei der Xenotransplantation
hoffen
(Organtransplantation
von
Tier auf Mensch)? Beim Tissue-Engineering (künstliche
Herstellung biologischer Gewebe)? Oder darauf, dass die
Kunstherzen noch besser werden: kleiner und kabellos?
„Schluss“, schreibt er nach
einem schlechten Tag, „meine
Flennerei muss aufhören! Ich
trete mir selber in den Arsch!“
Unterschrift: „Der Kämpfer.“
Physiotherapie. Ergotherapie. Logopädie. Die Sprossenwand. Laufübungen.
Wo soll man weitermachen? Vielleicht hier: Er hat
sich jetzt ein Liegerad gekauft,
Dreirad, er nennt es „Trike“.
Neulich hat er damit zum
ersten Mal seine Tochter vom
Kindergarten abgeholt. Stolz
tippt er in seinen Rechner:
„Ihre Augen!“
P ÐTV zeigt einen Beitrag unter
www.nwzplay.de