Ansprache zum Gedankanlass „Schweizer Helden während des Holocaust“ Marianne Streiff, Nationalrätin, Präsidentin EVP Schweiz Sie hiessen Lutz, Grüninger, Häfliger, Vogt und Kurz. Vergessene Schweizerhelden. Fünf Namen aus einer Reihe von unzähligen Schweizerinnen und Schweizer, die grosse Fragezeichen setzten hinter die damalige offizielle Flüchtlingspolitik der Schweiz. Fünf Persönlichkeiten, die sich wahrhaft herausragend und eben heldenhaft einsetzten für Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Frieden und gegen die Ausgrenzung und Auslieferung verfolgter Menschen jüdischen Glaubens. Sie waren überzeugt, dass das Boot nicht voll war, wie es von höchster politischer Stelle hiess und von Heinrich Rothmund, dem damaligen Chef der eidgenössischen Polizeiabteilung dominant verfügt und bis ins Extreme angewendet wurde. Was waren die Motive der offiziellen Stellen und massgebenden Akteure der damaligen Flüchtlingspolitik? Es war eine panische, von heimlichem Antisemitismus getragene Angst, die Schweiz falle einer Überfremdung und wie es Rothmund formulierte: „Verjudung“ zum Opfer. Diese Angst wurde geschürt, bis sie in der Schweiz tatsächlich vorhanden war. Wie wir heute alle wissen, war sie jedoch völlig unbegründet, denn niemals war die Eidgenossenschaft so überfremdet, so „verjudet“, dass sich auch nur eine Ausweisung hätte rechtfertigen lassen. Auf der Landesausstellung in Zürich (notabene!) im Jahre 1939, war auf einer Inschrift der stolze Satz zu lesen gewesen: „Die Schweiz als Zufluchtsort Vertriebener, das ist unsere edle Tradition. Das ist nicht nur unser Dank an die Welt für den jahrhundertelangen Frieden, sondern auch besonderes Anerkennen der großen Werte, die uns der heimatlose Flüchtling von jeher gebracht hat.“ Erlauben Sie mir die Kritische Frage, was von dieser edlen Tradition heute übriggeblieben ist. Darüber nachzudenken tut Not und sollte in gewissen Kreisen auch ein Umdenken bewirken. Wir schulden den heute Geehrten Gertrud Kunz, Paul Vogt, Louis Häfliger, Paul Grüninger und Carl Lutz nicht nur immensen Dank, wir haben von Ihnen auch ganz viel zu lernen! Ich erwähne nur zwei Beispiele: Carl Lutz, Vizekonsul in Budapest der ungarischen Hauptstadt. Er hat alleine ca. 62‘000 Juden vor dem Vernichtungstod bewahrt, durch kluges und listiges Taktieren und Agieren in seinem exzellenten Beziehungs-Netzwerk. Der „Dank“ der offiziellen Eidgenossenschaft war eine Rüge wegen Kompetenzüberschreitung. Von ihm lernen wir wie es geht, mutig, unerschrocken, klug und mit innerem Überzeugungsfeuer selbstlos Netzwerke zu knüpfen und sie in den Dienst der Mitmenschlichkeit, der Gerechtigkeit und der Menschenwürde zu stellen, sie zu aktivieren und zu nutzen. Gertrud Kurz, die dem damaligen Bundesrat von Steiger kurzerhand in sein Feriendomizil am Mont Pélerin nachfolgte und ihn in einem dreistündigen Tête-à-tête dazu bewegen konnte, die geschlossenen Schweizergrenzen für Flüchtlinge wieder zu öffnen. Später gründete sie den christlichen Friedensdienst! Von ihr lernen wir, wie es aussieht, wenn mutigen Worten, die ungehört zu verhallen scheinen, noch mutigere unkonventionelle Taten folgen. Dazu braucht es Frauen – natürlich auch Männer , die wie Gertud Kurz, hartnäckig ihren tiefsten Überzeugungen und Forderungen mit allen möglichen hilfreichen Mitteln Nachdruck verschaffen. Alle heute Geehrten waren sich in einem einig: DAS BOOT WAR NICHT VOLL, als die Schweiz Zehntausenden jüdischer Flüchtlingen die Grenze zusperrte. Zusperrte nicht nur aus Angst vor dem riesigen deutschen Nachbarn. Auch und vor allem vor der damals wie heute weitverbreiteten Furcht vor der Invasion „fremder Elemente“, die eines Tages den „Einheimischen“ Brot- und Arbeitsplatz streitig machen könnten. Ich wünsche Ihnen, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer und ich wünsche es unserem Land, dass der heutige Gedenktag uns sensibilisiert gegen immer wieder aufflammenden Antisemitismus aufzustehen und uns auch bewegt, alles zu unternehmen damit die Eidgenossenschaft auch weiterhin Vertriebenen zum sicheren Zufluchtsort wird und dass gelebte Menschenwürde, Gerechtigkeit und Schutz selbstverständlich bleibt. Dazu helfe uns Gott.
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