clarino.test >>> extra gewöhnungsbedürftig, aber gut ergonomic systems »FreeNeck«-saxofontragesystem Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sind einfach so wie sie sind. Dinge, die immer schon so waren und darum kaum hinterfragt werden, auch wenn es möglicherweise Gesprächsbedarf gibt. Saxofontragegurte sind so ein Thema. Im Prinzip schauen sie alle gleich aus, und alle Saxofonisten der Welt tragen sie mehr oder weniger klaglos, auch wenn viele der Trage»hilfen« ihren Namen nur aus Tradition tragen. Denn beim Tragen helfen nicht alle. Die Folge: Verspannungen nach längerem Spiel, gesundheitliche Beschwerden bis hin zu Fehlhaltungen und eventuell sogar Spielunfähigkeit. Musikinvalidität? Klingt komisch, könnte aber durchaus passieren. Ekkehard Gorski von Ergonomic Systems aus München hat sich seine ganz eigenen Gedanken über das Tragen von Saxofonen gemacht. Mit Erfolg. Wenn das Paket ankommt, glaubt man als »FreeNeck«-Novize erst mal, man ist im falschen Film gelandet. Das Teil, das in der frisch geöffneten Schachtel liegt, ist doch zu weit entfernt von dem, was man bisher mit einem Saxofon in Verbindung gebracht hat. Ein Saxofon-Tragegurt, das war bisher ein Nackengurt, maximal ein Rucksack-Trägersystem mit über Kreuz geführten Trägern im Rücken. Das ist »FreeNeck« nicht. Zugegeben, auch der »FreeNeck« hat einen Tragegurt, der auch dem »herkömmlichen« Nackengurt gar nicht so unähnlich ist. Das Trageprinzip indes ist wirklich revolutionär. Trageprinzip Beim Nackengurt hatte – wie der Name schon verrät – der Nacken die gesamte Last des Instruments zu tragen. Die um den Hals gelegte Schlaufe war im allerbesten Fall gepolstert. Je nach körperlicher Konstitution war ein schmerzbedingtes Spielende nach wenig mehr als einer Stunde vorprogrammiert. Eine Alternative ist für viele Saxofonisten das Spielen im Sitzen mit auf dem Stuhl aufgestelltem Saxofon, aber das wird bei Tenor- oder Baritoninstrumenten schon ziemlich schwierig. Der »FreeNeck« nimmt ganz einfach die Last des Instruments vom Nacken des Spielers. Und zwar auf eine überraschend einfache Weise: Ein Metallbügel hält den Nackengurt, der wiederum per Karabiner das Instrument hält. Der Metallbügel steckt seinerseits in einem Hüftgürtel. Der Druck, den das Instrument üblicherweise im Nacken ausübt, wird auf den Rücken des Spielers verlagert, genauer gesagt zwischen die Schulterblätter. Dort wird der Druck mit dem optional erhältlichen Polster so verteilt, dass der Spieler angeblich nichts oder nur sehr wenig merken soll. Das Ergebnis ist ein ermüdungsfreies Spiel, keine Reue am »Tag danach« und die Möglichkeit für wirklich jeden interessierten Musiker, auch schwerere Saxofone zu spielen. Handhabung gewöhnungsbedürftig So weit zur Theorie. Der Anspruch, den »FreeNeck« an sich selbst stellt, ist enorm. Die praktische Anwendung hingegen ist oft ein anderes Paar Stiefel. Schon das Anlegen des Gurtes gestaltet sich schwierig – allerdings nur beim ersten Mal, das sei hinzugefügt. Die Handhabung des Bügels muss kurze Zeit geübt werden, bevor ein erster flüssiger Versuch mit Instrument unternommen werden kann. Es empfiehlt sich, sich mit der Grundeinstellung des Bügels viel Zeit zu lassen. Diese Investition zahlt sich später aus, wenn die Vorrichtung wirklich perfekt eingestellt ist und dann (zumindest unter einem Jackett) so gut wie unsichtbar und vor allem nicht zu spüren ist. Die beigelegte Anleitung gibt leider nur sehr vage Auskünfte über die Einstellung des »FreeNeck«. Die Längeneinstellung des Bügels, die mittels Gewindestangen vorgenommen wird, kann laut Anleitung anhand der Körpergröße vorgenommen >>> clarino.factbox Hersteller: Ergonomic Systems München Material: Aluminium, Nylongurt Optionales Zubehör: Rückenpolster (ca. 29,– Euro) Besonderheit: Normalgröße geeignet für Spieler von 158 bis 205 Zentimeter Körpergröße, Größe XS für Spieler von 129 bis 158 Zentimeter Körpergröße Unverbindliche Preisempfehlung: 95,– Euro werden. Bei der Testperson, die 184 Zentimeter misst, würde das eine Bügellänge von 45 Zentimetern bedeuten. Mit dieser Einstellung kann der Tester aber nicht wirklich gut spielen, darum wurde der Bügel nach Gefühl eingestellt. Die Position des »FreeNeck«-Gurtes ist am Ende beinahe identisch mit der eines handelsüblichen Nackengurtes; allein das gefühlte Gewicht des Saxofons ist plötzlich nicht mehr vorhanden. Nur an der Oberseite des Brustkorbes ist der Gurt leicht spürbar, aber um das abzustellen, müsste das Saxofon wohl an der Decke aufgehängt werden. Das Gewicht des Instruments wirkt in der Hauptsache auf den Rücken des Spielers, der sich daran erst einmal gewöhnen muss. Der Rückenpolster, der optional zum »FreeNeck« erhältlich ist, ist eine sinnvolle Investition für den Musiker, da er die beiden Metallrohre gut abpolstert und dafür sorgt, dass sie beinahe nicht mehr zu spüren sind. Ohne Polster machen sich die beiden Rohre als deutliche Druckpunkte am Rücken bemerkbar. Die Bewegungsfreiheit des Spielers ist in vollem Umfang gegeben. Mehr noch – dadurch, dass das Instrument nicht am Hals hängt, ist der Kopf wesentlich beweglicher. Zudem gibt es auch nach längerem Spielen keine Probleme mit juckenden Stellen am Hals, wo der Schweiß unter dem Nackengurt nicht von der Haut weggeleitet werden kann. Braucht man das wirklich? Nein. Zumindest nicht für Sopran- oder Altsaxofon. Aber auch hier muss einschränkend gesagt werden: Spieler mit Rückenproblemen oder Jugendliche können auch stark vom »FreeNeck« profitieren, wenn sie die »leichten« Saxofone spielen. Spieler von Tenor- oder Baritonsaxofonen sowieso. In diesem Bereich haben sich Rucksackgurte längst etabliert, aber für jeden »schweren« Saxofonisten ist der »FreeNeck« auf jeden Fall einen Versuch wert. Der Preis von 95 Euro ist zwar nicht von Pappe, aber dafür erhält der Musiker ein neues Spielgefühl und er tut etwas für seine Wirbelsäule. Apropos Versuch: Der »FreeNeck« ist aufgrund seiner Konstruktion nichts zum »mal eben schnell Probieren«. Die Einstellung und Personalisierung ist ein relativ langwieriger Prozess, will man ein perfektes Resultat erzielen. Das perfekte Resultat eines Tragesystems zeigt sich in weitgehender Unsicht- und Unspürbarkeit; beides kann mit dem »FreeNeck« erreicht werden. Es lohnt sich also durchaus, sich über einen gewissen Zeitraum mit der Tragehilfe zu beschäftigen. Infos und Bezugsquelle: Münchner Blech Gebsattelstraße 11 81541 München Telefon 0 89 / 55 05 68 80 Mail: [email protected] www.freeneck.de Haltungsfehler quasi ausgeschlossen Der »FreeNeck« hat übrigens noch einen gewaltigen Vorteil für das Spiel: Im Sitzen ist der Musiker gezwungen, sich einigermaßen aufrecht zu halten. Ein »Lümmeln« auf dem Stuhl ist mit dem Tragesystem nicht möglich, es sei denn, man will den »FreeNeck« in seiner vollen Länge spüren. Tenor- und Baritonsaxofonisten tendieren aber aufgrund der Bauweise ihrer Instrumente ohnehin zu einer recht aufrechten Sitzhaltung. Der »FreeNeck« ist neben Saxofon auch für Bassklarinette und Fagott bestens geeignet. Denkbar wäre theoretisch auch ein Einsatz mit »normalen« Klarinetten oder auch Sopransaxofonen, aber – wie eine Testperson scherzhaft bemerkte – wer dafür einen Gurt braucht, sollte doch lieber angeln gehen. Dabei hilft der »FreeNeck« allerdings nicht. ■
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