Seite 24 · 20. September 2015 · Sonntags-Zeitung Fast zehn Jahre lang hat Pfarrerin Vera Eichner-Fischer in Wackernheim gewirkt. Segensreich, wie die Gemeindemitglieder finden. Aber alles Gute geht auch einmal zu Ende. GEMEINDEREPORT Je sechs Nachbarn am Sarg Die Wackernheimer Protestanten sind stolz auf die Ökumene im Ort • Von Hilke Wiegers E Kaffee, Kuchen und knallharte Themen Stolz sind die Protestanten in dem kleinen rheinhessischen Ort, von dessen Kirchhof man einen schönen Blick auf das Rheintal und den Rheingau hat, auf ihre Aktivitäten, Treffs und Gruppen – insbesondere auf das von Eichner-Fischer ins Leben gerufene »Erzählcafé 65±«. Einmal im Monat füllen dabei rund 40 Frauen und Männer den Saal des schmucken Gemeindehauses im Ortskern mit viel Leben. »Bei unserem Erzählcafé gibt es für jeden Einzelnen die Möglichkeit, sich einzubringen«, berichtet die Seelsorgerin. »Erst sitzen wir etwa eine Stunde lang bei Kaffee und Kuchen gemütlich beisammen, dann gibt es ein vom ErzählcaféTeam organisiertes Referat, zum Beispiel zu historischen, psychologischen oder medizinischen Themen.« Fünf Mal im Jahr findet außerdem donnerstagabends eine ökumenische Frauenzeit statt. Neben Kinder- und Familiengottesdiensten bietet die Gemeinde der Jugend auch einen Nachkonfitreff an – mit gutem Echo. »Das liegt vielleicht daran«, vermutet die Pfarrerin, »dass in so einem klei- WACKERNHEIM ■ Kirchengemeinde Wackernheim Pfarrerin Vera Eichner-Fischer Neustraße 1 55263 Wackernheim Telefon: 0 61 32/65 76 61 E-Mail: ev.pfarramt.wackernheim @t-online.de DREI FRAGEN AN ... ... Pfarrerin Vera EichnerFischer: ? Die dem Heiligen Martin geweihte Pfarrkirche Wackernheims ist urkundlich bereits 788 erwähnt und war im Mittelalter Ziel von Wallfahrten (Bild rechts). Das nach dem Gotteshaus benannte Streicherquartett bereichert seit kurzem das Musikangebot der Gemeinde. nen Ort wie dem unseren der Zusammenhalt der Jugendlichen noch recht groß ist.« Eichner-Fischer erinnert sich schmunzelnd daran, dass bei einem dieser Treffs im vergangenen Sommer ein Trommler den Jugendlichen im Innenhof des Gemeindehauses die Grundbegriffe der Perkussion beibrachte: »Da kam dann das ganze Dorf zusammen und schaute zu.« Auf musikalischem Gebiet erfuhr die Kirchengemeinde vor kurzem eine besondere Bereicherung in Gestalt des Sankt-MartinQuartetts. Diese nach der Wackernheimer Kirche benannte Streichergruppe probt zum Beispiel Vertonungen des Vaterunser. Im Dezember gibt es nämlich eine Ausstellung von Holzschnitten des Expressionisten Max Pechstein zum Grundgebet der Christenheit. Bei der Vernissage im Wackernheimer Gotteshaus wird das Sankt-MartinQuartett dabei sein. Aber nicht nur auf ihr neues musikalisches Angebot, das dank der Akustik der Wackernheimer Kirche Hörgenuss verspricht, sind die Wackernheimer stolz – auch die seit langem gepflegte und lebendige Ökumene ist eine Bereicherung für den Ort. Beim kirchlichen Sommerfest, bei der Frauenzeit, der Einschulung, dem Weltgebetstag oder beim Aus- Was wünschen Sie sich für Ihre Gemeinde? Dass die halbe Pfarrstelle noch eine Weile erhalten werden kann und wir die mittlere Generation stärker erreichen. ? Wo ist Ihr Lieblingsplatz in der Gemeinde? Im seelsorgerlichen Gespräch, im »Erzählcafé 65±« und in der Frauenzeit. ? Fotos: Hilke Wiegers; privat/Gemeinde s hat sich viel in den fast zehn Jahren verändert, in denen Pfarrerin EichnerFischer hier ist«, erinnert sich Anne-Dore Harzer, seit sechs Jahren Kirchenvorsteherin in der kleinen, westlich von Mainz gelegenen Kirchengemeinde Wackernheim. »Als ich unsere neue Pfarrerin im Vorstellungsgottesdienst erlebt habe, dachte ich: Die ist ja optimistisch, und sie hat tolle Ideen. Und dann lief das tatsächlich an – gut an.« Aber alles endet einmal, leider auch Gutes. Anfang 2016 wird Vera Eichner-Fischer von ihrer Gemeinde, in der sie eine halbe Pfarrstelle innehat, in den verdienten Ruhestand verabschiedet. »Wir bedauern, dass Frau Eichner-Fischer geht«, stimmt der Vorsitzende des Kirchenvorstandes, Birger Beck, seiner Kollegin Harzer zu. Gleichzeitig hofft er, dass sich für die halbe Stelle der 800 Seelen zählenden Kirchengemeinde eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger findet. Sie oder er würde eine traditionsreiche Stelle antreten, denn die Wurzeln der Gemeinde reichen bis ins siebte Jahrhundert, die Kirche war während des Mittelalters sogar das Ziel von Wallfahrten. tausch zwischen evangelischem Kirchenvorstand und katholischem Pfarrgemeinderat funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Protestanten und Katholiken gut – auch bei der Pflege alten Brauchtums, wie zum Beispiel der »Sargträgerinitiative«. Diese aus zwölf Mitgliedern bestehende ökumenische Gemeinschaft setzt die alte Sitte fort, nach der Nachbarn eines Verstorbenen ihm das letzte Geleit bis zum Grab gaben, indem sie zu sechst den Sarg trugen. »Das ist eine gute Sache«, findet Kirchenvorstandsvorsitzender Beck, »dass wir als Menschen aus dem Ort, die die Leute kennen, ihnen einen letzten Dienst erweisen.« Auch der Volkstrauer- tag ist in Wackernheim zu einer ökumenischen Veranstaltung geworden. »Er ist nun nicht mehr rein kommunalpolitisch geprägt, nun weniger ein Gedenken nur an die gefallenen Soldaten, sondern vielmehr eine Mahnung, den Frieden zu wahren«, sagt Beck. Was wiederum den Kreis der Teilnehmer erweitert hat, auch die Wackernheimer Konfirmanden wirken mit. Für die Pfarrerin ist die Beteiligung der Kirche auch an derartigen Veranstaltungen besonders wichtig: »Denn Kirche hat für mich immer die Aufgabe, zu gesellschaftlichen und politischen Themen Stellung zu nehmen. Zu sagen, was zu sagen ist. Eben für Wo holen Sie sich Anregungen für Ihre Gemeindearbeit? Bei Retraite-Aufenthalten im Kloster Kirchberg oder im Stift Urach, im kollegialen Gespräch und durch entsprechende Lektüre. das Widerständige zu stehen, wie es auch der Theologe Martin Niemöller verkörpert hat. Denkprozesse in die Gesellschaft tragen, die von Glaubensfragen und von religiösen Traditionen getragen sind.« Die Wackernheimer Gemeinde hofft nun, dass mit der Nachfolgerin oder dem Nachfolger, der für ihre Pfarrerin im kommenden Jahr gefunden werden muss, auch diese Traditionen fortgesetzt werden: »Wir wären froh«, sagt Harzer, »wenn die Aktivitäten, die Frau Eichner-Fischer angestoßen hat, weitergeführt werden, damit die Samenkörner, die unsere Pfarrerin ausgebracht hat, weiter aufgehen können.«
© Copyright 2024 ExpyDoc