DIE ZEIT - Jonathan Plucker

CHANCEN
28. J A N U A R 2 0 1 6
BBILDUNG
ILDUNG W
I S S E N S C H A F T B EBERUF
RU F
WISSENSCHAFT
D I E Z E I T No 5
Nicht nur Exzellenz:
Die drei wichtigsten
Aufgaben der
Hochschulen in
Deutschland Seite 66
SPEZIAL
MBA,
Management &
Weiterbildung
63
UNIVERSUM
Ein Lehrer für
mich allein
»Das wird ein
schwieriger Weg«
Der Jurist Ulrich Battis über den
Schulverweis für AfD-Lehrer
Das Lernen wird sich
dramatisch verändern.
Maßgeschneiderte
Computer­programme
ersetzen den
herkömmlichen Unterricht.
Großartig, oder? VON FRITZ BREITHAUPT
W
ie wäre es mit Mathe? Ich
sehe an deinem Blick und
an deinem Blutdruck, dass
du gerade sehr fokussiert
bist.
Die letzte Aufgabe
war aber so hart!
Trotzdem geben wir nicht auf. Ich zeige dir ein
Video dazu. Die meisten User mit ähnlichen Lern­
eigen­schaf­ten wie du konnten es danach lösen.
Okay, was bekomme ich, wenn ich es löse?
Wenn du das Problem in 17 Minuten meisterst,
steigst du eine Kategorie auf.
Das ist nicht Science-Fiction. Das ist Deutschland
2036. In spätestens zwanzig Jahren wird Bildung so
ablaufen – der Einzelne im Gespräch mit seinem
virtuellen Lehrer. Der ist eine App, die Zugriff auf
gewaltige Datenmengen hat. Vielleicht hat er ein
Gesicht, das einen von intelligenten Oberflächen
aus anschaut. Der virtuelle Lehrer straft nicht,
wenn ein Schüler nicht genügend lernt. Er regt an.
Wenn sein Schüler gerade nicht kann oder will,
stellt der Lehrer sich ab. 2036 werden Eltern schon
für ihre fünf Jahre alten Kinder einen virtuellen
Lehrer abonnieren. Die Stimme des Computers
wird uns durchs Leben begleiten. Vom Kindergarten über Schule und Universität bis zur beruf­lichen
Weiterbildung. Das Computerprogramm erkennt,
was sein Schüler schon kann, wo er Nachholbedarf
hat, wie er zum Lernen gekitzelt wird. Wir werden
uns als der lernende Mensch neu erfinden. Dabei
wird der zu bewältigende Stoff vollkommen auf
den Einzelnen zugeschnitten sein.
Ein diabolischer maschinengesteuerter Lern­
terror, der uns keine ruhige Sekunde gönnt, w
­ erden
die einen sagen. Die Erlösung von der alten
Gleichmacherei, die anderen. Wer hat recht?
Ich glaube: Die Individualerziehung wird den
größten Fortschritt in der Bildung seit 250 Jahren bringen – ironischerweise aber auch gleichzeitig einen Rückschritt bedeuten. Warum, dazu
später mehr.
Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt haben an
dieser Stelle die sogenannten Moocs als größte Re­
vo­lu­tion seit 500 Jahren gefeiert (ZEIT Nr. 39/15).
Sicher, diese Mas­sive Open On­line Cour­ses machen die Bildung weltweit gerechter – jetzt kann
jeder eine Harvard-Vorlesung hören und nicht nur
eine kleine Elite. Doch die frei zugänglichen­
Onlinekurse sind oft nichts anderes als schlecht
abgefilmte Vorlesungen, also ein Seminarraum mit
unbegrenzt vielen Plätzen. Jeder bekommt Einheitskost und wird am Ende mit einem Ankreuztest oder gar einer vom Computer bewerteten
Klausur entlassen. Im Zweifelsfall sind Universi-
tätskurse im heruntergekommenen Vorlesungssaal
besser – dort redet man mit seinen Mitstudenten,
manchmal auch mit seinem Professor. Bislang ist
der Einzug der Digitalisierung in Bildung und
Weiterbildung also nur ein Revolutiönchen.
Die Individualerziehung dagegen wird alles verändern – die Komponenten dieser technisierten
Lern­revo­lu­tion existieren bereits. Computer verstehen mittels Sprach­
erken­
nung bereits nach­
wenigen Minuten verschiedene Sprecher, in den
meisten großen Technologiefirmen haben die Mitarbeiter schon persönliche Assistenten mit künstlicher Intelligenz. Und die Algorithmen hinter
Programmen von Amazon, Spotify oder Pandora
werten die Vorlieben ihrer Nutzer mit raffinierten
Mus­ter­erken­nun­gen aus, um ihnen Passendes zu
liefern. Was fehlt, ist, dass diese Komponenten für
die Bildung zusammengebracht werden.
Zuerst müssten Zigtausende von Lehrern und
Schülern, Professoren und Studenten Lerndialoge
aufnehmen. Dialoge, die ja zu Millionen täglich
stattfinden. Diese »menschlichen« Dia­log­ele­men­te
können dann maschinell verglichen und nach ihrem Erfolg bewertet werden. Zu den Kriterien gehört etwa, dass sich der Lernende später an die
Antworten er­
innert, dass er den Dialog lange­
fortführt, er komplexe Vokabeln benutzt und den­
Dialog als hilfreich bewertet.
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Die Re­vo­lu­tion liegt in der Mischung aus Algorithmen und computerisierter Sprach­erken­nung.
Die meisten von uns kennen dies unter dem Namen Siri (Speech Interpretation and Recognition
In­ter­face), also die Computerstimme, die sich etwa
auf dem ­iPhone an den Nutzer wendet. Um diese
Stimme als intelligenten persönlichen Assistenten
für die Bildung anzuwenden, fehlt nur noch der
große Freilandversuch, in dem das System sich
selbst verbessern kann.
Dazu muss es große Datenmengen sammeln und
seine Strategien durch Algorithmen verfeinern. Das
Computersystem kann jede Frage-­Ant­wort-­Situa­tion
und jede Wenn-­dann-­Kon­stel­la­tion speichern und
zugleich bewerten, wie schnell und unter welchen
Umständen sie zu den gewünschten Lern­erfol­gen
führt. Dabei vergibt der Computer nicht einfach
Noten wie ein Schulmeister des 20. Jahrhunderts,
sondern erkennt individuelle Lern- und Motivationsmuster; gleichzeitig speichert das System die Daten
aller Nutzer, es erkennt Parallelen zwischen Kira in
Indianapolis und Jonathan in Berlin, zwischen dem
19-jährigen Studieneinsteiger in Dakar und dem
42-jährigen Executive-MBA-Anwärter in Mannheim.
Paradoxerweise ermöglicht die Masse der Daten die
stärkste Form der Individualisierung. Jeder wird
Fortsetzung auf S. 64
Illustration: Sébastien Thibault für DIE ZEIT; kl. Foto: Maria Dorner/plainpicture
Wird uns demnächst künstliche Intelligenz
sagen, wann wir uns schlau machen müssen?
DIE ZEIT: Bevor der Thüringer AfD-Chef
Björn Höcke im Landtag saß, arbeitete er als
Lehrer in Hessen. Der dortige CDU-Kultusminister Alexander Lorz will nun verhindern, dass Höcke je wieder zurück in den
Schuldienst kommt. Grund dafür sind dessen rassistische Äußerungen.
Ulrich Battis: Ich war sehr überrascht, als ich
davon gehört habe. Alexander Lorz will
rechtlich prüfen lassen, ob es möglich ist,
Björn Höcke zu entlassen. Ich glaube nicht,
dass es so weit kommt. Höcke ist Beamter,
den können Sie nur entlassen, wenn ein Disziplinargericht das entschieden hat.
ZEIT: Und wann könnte man gegen Höcke
ein Disziplinarverfahren einleiten?
Battis: Man müsste ihm nachweisen, dass er
gegen die Verfassungstreuepflicht verstoßen
hat. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn er
im Dienst oder außerhalb zur Revolution
aufgerufen hätte.
ZEIT: Hat denn schon mal ein Beamter wegen seiner Äußerungen den Job verloren?
Battis: Vor Jahren entschied das Bundes­
verfassungsgericht, dass eine Lehrerin wegen
ihrer DKP-Mitgliedschaft aus dem Dienst
entfernt werden könnte. Aber der Europä­
ische Gerichtshof für Menschenrechte sagte:
Das geht nicht, da es im öffentlichen Dienst
zu ihrem freien Status gehört, dass sie in der
DKP sein kann. Soll heißen: Das wird ein
schwieriger Weg, selbst wenn man Höcke
nur in eine Schulbehörde versetzen wollte.
ZEIT: An der Hochschule für Gestaltung in
Karlsruhe fordern Studenten, dass der Philosophiedozent Marc Jongen abgesetzt wird. Er
ist der stellvertretende Sprecher der AfD in
Baden-Württemberg. Ist es an der Uni leichter, jemanden abzusetzen, als in einer Schule?
Battis: Im Gegenteil. Bei Lehrern kann man
etwas machen, wenn der Schulfriede be­
einträchtigt ist. Einen Uni-Frieden gibt es
nicht. Hochschullehrer werden zwar nicht
von der Verfassungstreue befreit, aber sie
haben mehr Meinungsfreiheit.
ZEIT: Und wie sieht es in der Privat­wirtschaft
aus?
Battis: In Unternehmen kann AfD-Anhängern einfach gekündigt werden. Aber die
wären ja dumm, wenn sie ihre Mitgliedschaft zum Thema machen würden.
Das Gespräch führte Leonie Seifert
Ulrich Battis ist Verwaltungsrechtler und war
Professor an der HU Berlin
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