Die umstrittene Erinnerung an die Oper der sowjetischen

Veranstaltungsbericht
Die umstrittene Erinnerung an die Oper der sowjetischen Speziallager in Deutschland
05. November 2015 |18.00 Uhr |Literaturhaus Berlin |Fasanenstraße 23 | 10719 Berlin
Bereits der Ankündigungstext der Einladungskarte hatte im Vorfeld der eigentlichen Diskussion eine Debatte
über das angemessene Erinnern an die Speziallager ausgelöst. Es wurde kritisiert, dass der Satz: „Insgesamt
wurden in der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) über 122.000 Deutsche interniert, die sich als NS-oder Kriegsverbrecher schuldig gemacht oder gegen die sowjetische Besatzungsordnung verstoßen hatten“ nicht ausreiche, da er all diejenigen Opfergruppen ausschließe, die aus völliger sowjetischer Willkür – ohne jede individuelle Schuld – in den Lagern landeten.
Im sehr gut besuchten Kaminzimmer des Literaturhauses Fasanenstraße begrüßte Moderator Dr. Jens Hüttmann von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Dr. Bettina Greiner vom Hamburger Institut
für Sozialforschung, die in das Thema einführte und Tendenzen und Ergebnisse der aktuellen Forschung zu den
Speziallagern skizzierte. Sie referierte, dass die Zahl der Inhaftierten zwischen 1945 und 1950 nach dem neuesten Stand der Forschung auf 154.000 geschätzt wird und dass bei den Inhaftierten zwischen NS-Verbrechern
und Verurteilten von Sowjetischen Militär-Tribunalen (SMT) unterschieden werde. In erinnerungspolitischer
Hinsicht verwies Sie außerdem auf die Problematik eines zeitgemäßen Toten- und Opfer-Gedenkens. „Alle
Opfer extremer Gewalt haben ein Anrecht auf Trauer und einen Ort der Erinnerung“, stellte Greiner klar, verwies jedoch darauf, dass sich dieser Grundsatz im Falle der Speziallager besonders schwierig gestalte, da Opferund Tätergeschichte kaum voneinander zu trennen seien.
Im Anschluss daran schilderte Horst Schüler, Ehrenvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistische
Gewaltherrschaft e.V., dass er zwar von den Speziallagern im Allgemeinen nichts wusste, wohl aber vom Lager
Sachsenhausen, da hier sein Vater als Sozialdemokrat unter den Nationalsozialisten im KZ umgebracht wurde.
Schüler selbst wurde 1951 aufgrund seiner Kontakte zu den Westmedien wegen Verbreitung von kritischen
Texten zu Fehlern des kommunistischen Systems in der DDR von einem SMT zu 25 Jahren Haft verurteilt, von
denen er vier Jahre in Workuta verbringen musste und sich 1953 am dortigen Häftlingsaufstand beteiligt hat.
Mit Blick auf die derzeitige Erinnerungskultur kritisierte er, dass sich die Speziallager-Opfer im Gegensatz zu
den Opfern des Nationalsozialismus als „Opfer zweiter Klasse“ fühlten und es auch unter NS- und StalinismusOpferverbänden keine Zusammenarbeit gäbe.
Angesprochen auf die alltägliche Arbeit in einer Gedenkstätte erläuterte Dr. Julia Landau von der Stiftung Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora, wie es zu dem Massensterben von bis zu einem Drittel der Inhaftierten gekommen war. Auch wenn sich keine explizite Tötungsabsicht der Lagerverwaltung feststellen ließe,
starben tausende Häftlinge an Mangelversorgung, Hunger und Krankheit. Einzelne wurden bei Fluchtversuchen
vom Wachpersonal erschossen.
Dr. Enrico Heitzer von der Gedenkstätte Sachsenhausen zeigte anhand des Lagers Sachsenhausen die Konjunkturen der Erinnerung an das Speziallager auf: In der DDR wurde die Existenz der Lager von offizieller Seite verschwiegen, sodass die Lager bereits kurz nach ihrer Schließung in Vergessenheit gerieten. Dazu trug auch bei,
dass die ehemaligen Lagergelände durch die Volkspolizei und später auch durch die Volksarmee neu genutzt
wurden. Im Rahmen von Baumaßnamen in den 1960er und 1980er Jahren aufgefundene Leichenteile wurden
dem KZ Sachsenhausen zugeordnet und unter Verschluss gehalten. In der westdeutschen Gesellschaft engagierten sich vor allem ehemalige Häftlinge, , die nach ihrer Entlassung in den Westen geflohen waren, für öffentliche Erinnerung an die Lager und wurden dabei von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) unterstützt. Ab 1961 setzte jedoch auch hier das Vergessen ein, da die nun gebaute Mauer in erinnerungskulturel-
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ler Hinsicht andere Symboliken als Ausdruck des Unrechtsregimes der DDR überlagerte. Erst nach ihrem Fall
1989 setzten eine Aufarbeitung und eine gesamtdeutsche, mediale Auseinandersetzung mit den Speziallagern
ein, hervorgerufen durch die Entdeckung einiger Gräberfelder und Exhumierungen der Toten.
Zum Abschluss der Diskussion mit den Podiumsteilnehmern stellten sowohl Landau als auch Heitzer die Arbeit
ihrer Gedenkstätten im Umgang mit den Opfern der Speziallager vor. Dabei ließen sich in der erinnerungspolitischen Umsetzung viele Parallelen, wie die Anlegung von Friedhöfen als Ort der Trauer und die Erstellung von
Totenbüchern als individuelle Form des Gedenkens, ausmachen. Schüler gab zu Bedenken, dass die bisherig
Form der Erinnerung zwar von anderen, aktuelleren Problemen überlagert wird, dass sich die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Speziallager und ihrer Opfer aber weiter ausgebaut werden müsse, da „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht selbstverständlich“ seien, sondern „dafür gekämpft werden muss.“
In der nachfolgenden Diskussion mit dem Publikum kamen weitere strittige Punkte zur Sprache. So wurde kritisiert, dass in der Gedenkstätte Sachsenhausen im Gegensatz zu anderen Orten ehemaliger Lager wie Mühlberg
oder Ketschendorf keine Grabsteine mit den Namen aller Opfer des Speziallagers aufgestellt werden. Dies geschehe aus dem Grund, dass man einer Verherrlichung von ehemaligen NS-Verbrechern, die Opfer der Speziallager wurden, verhindern möchte. So hätten bereits in den 1990er Jahren Neo-Nazis versucht, den Gedenkort
für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Auch gäbe es bis heute keinen Konsens darüber, ab wann man als NSVerbrecher einzustufen sei. Als Kompromiss zwischen der Vermeidung einer Instrumentalisierung bzw. einem
Martyrium ehemaliger NS-Verbrecher und einem individuellen Gedenken habe man sich auf die Erstellung von
Totenbüchern verständigt. Eine andere Frage bezog sich darauf, ob in Sachsenhausen eine angemessene Form
des Erinnerns an die Opfer der Speziallager stattfände, da hier ein deutliches Übergewicht an Erinnerungsformen an die Zeit des Nationalsozialismus stattfände. Heitzer entgegnete, dass die Speziallager in allen Ausstellungsräumen auch die Vergangenheit des Speziallagers thematisieren würden und darüber hinaus viele Workshops und Jugendcamps zu diesem Thema angeboten werden würden, die dem Anspruch der Gedenkstätte
Sachsenhausen folgten: „Das Gedenken an ein Opfer soll nicht das Gedenken an ein anderes Opfer überdecken.“
Mit Blick auf die Opferzahlen in Sachsenhausen errechnete ein ehemaliger Häftling des Lagers, der als Gast an
der Veranstaltung teilnahm, dass mindestens 12.000 Internierte noch verschollen seien, von denen er annahm,
dass diese zur Zeit des Lagers umgekommen seien. Die Podiumsgäste gaben zu bedenken, dass die Forschung
ihre Totenzahlen aus medizinischen Berichten russischer Provenienz hätten, deren Zahlenangaben durch
exemplarische Exhumierungen nach 1990 bestätigt worden seien. Außerdem habe es bis zum heutigen Tag
keine Anfrage über einen ehemaligen Inhaftierten gegeben, der nicht im Totenbuch aufzufinden wäre, sodass
nicht damit zu rechnen sei, dass weitere Opfer, zumal in dieser Größenordnung, zu finden seien.
Trotz aller Aufarbeitungsleistungen in den Gedenkstätten und seitens der Opferverbände fasste ein Publikumsgast die Stellung der Opfer der Speziallager heute folgendermaßen abschließend zusammen: „Wir sind abseits
der Gesellschaft.“ Dies unterstreicht, wie wichtig eine weitergehende Diskussion über den richtigen erinnerungspolitischen Umgang mit den Speziallagern ist.
Christopher Kirchberg, Morten Siebelist
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