EDITORIAL Stuttgarter Feinstaubalarm – vom grünen Tisch aus geht es nicht Dr. HansJürgen Reichardt Geschäftsführer Industrie und Verkehr der IHK Region Stuttgart Die Sonne scheint, wolkenloser blauer Himmel, es ist kalt -- herrliches Winterwetter. In Stuttgart herrscht dann Feinstaubalarm, weil wir eine austauscharme Wetterlage haben. Auf derzeit noch freiwilliger Basis heißt das dann: das Auto stehenlassen, den öffentlichen Nahverkehr nutzen, Rad fahren, laufen, im Homeoffice arbeiten, flexible Arbeitszeit in Anspruch nehmen – so stellen sich das Land, das Regierungspräsidium und die Stadt Stuttgart unsere Mitarbeit zur Luftverbesserung, insbesondere zur Reduktion der Stickoxidwerte vor. Sollten die freiwilligen Maßnahmen nicht die erhoffte Wirkung zeigen, würden ab 2018 wohl Fahrverbote folgen. Kapazität der SBahn ist längst erschöpft Werden die freiwilligen Maßnahmen wirken? Umsteigen auf den ÖPNV -- die S-Bahn erstickt bereits heute an ihrem eigenen Erfolg, die Kapazitätsgrenze des Systems ist längst überschritten. Mit dem Rad fahren? Im Winter? Vielleicht als älterer Mensch und dann noch die Einkäufe aus dem Supermarkt damit heimbringen? Kaum vorstellbar. Flexible Arbeitszeiten? Wo es betrieblich möglich ist, bieten die Unternehmen dies schon längst an, es ist heute Standard. Sieht man die Lösungsvorschläge mit realistischem Blick durch, bleibt nicht viel übrig, was zu einer Immissionsentlastung wirksam beitragen würde. Vor diesem Szenario dürften die ab 2018 vorgesehenen Fahrverbote von den Verantwortlichen so gut wie eingeplant sein. Es muss indes Klarheit darüber herrschen, dass dies zu erheblichen Problemen und großem Widerstand führen dürfte. Es geht nämlich keinesfalls nur um private PKW-Fahrten oder den Berufsverkehr. Vital sind die Versorgungsbelange der Stadt: Supermärkte und Geschäfte müssen mit Lebensmitteln und Waren beliefert, Post und Pakete müssen zugestellt werden, unternehmens- und haushaltsnahe Dienstleistungen müssen auch bei überschrittenen Grenzwerten zuver- MAGAZIN WIRTSCHAFT 02.16 lässig und schnell erbracht werden können. Auch die Verkehre zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftstätigkeit insgesamt müssen sichergestellt sein. Pläne für optimierten Lieferverkehr liegen auf dem Tisch Die Luft in Stuttgart entspricht nicht den vorgeschriebenen Werten, es besteht unstrittig Handlungsbedarf. Der Wirtschaftsverkehr in Stuttgart ist ein Mitverursacher der Immissionsbelastung und wird seinen Teil zur Lösung des Problems beitragen müssen. Die IHK hat bereits 2012 eine exakt auf die Stuttgarter Verhältnisse zugeschnittene Studie zur Verbesserung des innerstädtischen Lieferverkehrs vorgestellt, die von einem renommierten Verkehrsgutachter unter intensiver Einbindung der städtischen Behörden erarbeitet wurde. Ziel war auch, Wege aufzuzeigen, wie die innerstädtischen Fahrleistungen und damit die Emissionen reduziert werden können, beispielsweise durch eine Optimierung der Lieferzeitfenster. Die Ergebnisse wurden umgehend dem Gemeinderat vorgestellt. Leider wird erst jetzt, mehr als drei Jahre später, wenigstens ein kleines Pilotprojekt zur emissionsarmen Belieferung auf der „letzten Meile“ von der Stadt angegangen. Der Katalog möglicher Maßnahmen aus der Studie ist jedoch deutlich umfassender. Auch gegenüber dem Verkehrsministerium und dem Regierungspräsidium wurde die IHK mit Mitgliedern des IHK-Verkehrs- und des Handelsausschusses vorstellig. Es muss indes erst noch für Verständnis geworben werden, dass es nicht nur darum gehen kann, vom grünen Tisch aus ordnungsrechtliche Maßnahmen zu erlassen. Die in Politik und Verwaltung Zuständigen müssen sich der Verantwortung für eine funktionierende Innenstadt stellen. Es muss ein Versorgungs- und Logistikkonzept für Stuttgart zusammen mit der Wirtschaft entstehen, um die Funktionsfähigkeit dieser Großstadt für Bürger und Unternehmen im Falle überschrittener Grenzwerte zu erhalten. 3
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