Die Europäische Zentralbank: Retter des Euro? Jürgen Stark Eberhard-Karls-Universität Tübingen Studium Generale WS 2015/16 Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty In Verbindung mit der 05. November 2015 1. Rettung des Euro? Oder: war der Euro jemals in Gefahr? 2. EZB-Krisenmanagment: Whatever it takes - Von SMP über OMTs zu EAPP (QE) 3. Quantitative Easing: Ziele, Rechtfertigung und Effektivität 4. Wirtschaftsreformen: Fortschritte? 5. Die andere Währungsunion: „Maastricht“ Adieu? 6. Schlussfolgerung 1. RETTUNG DES EURO? ODER: WAR DER EURO JEMALS IN GEFAHR? Entscheidende Stunden Europas…. • • • • Mai 2010: August 2011: Juli 2012: August 2014: Transatlantische Panik (6. Mai: „flash crash“) Italienische Panik London Panik Beginn der Deflations-Panik … führten zu panischen Entscheidungen im Krisenmanagement War der Euro seit 2010 jemals in Gefahr? Rettung des Euro oder Rettung von Mitgliedsstaaten? • Druck zum raschen Handeln aus Panikmache und Panik • Politisches Klima geprägt von Angst, Unsicherheit und Schuldzuweisungen • Vermutete Spekulationsattacken gegen den Euro (PIGS – GIPSI) (Verschwörungstheorien) • vermutete Gefahr des Zerbrechens der Währungsunion und Ende des Euro wegen Griechenland und möglicher Ansteckungs-/spillover-Effekte Wie konnte es so weit kommen? WWU-immanente Gründe: • • • • • • • Start mit zu vielen Ländern (politische Gründe) „dauerhafte“ Konvergenz war eine „Illusion“ (Stark, 1998) Weigerung, sich an neues Politik-Regime anzupassen Zu laxe Handhabung der Regeln (Aufweichung) „One size fits all“ führte zu Exzessen und Ungleichgewichten (öffentliche und private Verschuldung, Leistungsbilanzen, Wettbewerbsfähigkeit) Unglaubwürdige no bail out-Klausel? Fehlende Politische Union Unvollständige Währungsunion? „Maastricht“ nie vollkommen umgesetzt Aber was war „Maastricht“? Das Maastricht-Konzept in Kürze (Prinzipien und Regeln= Zu naiv? Zu anspruchsvoll?) • Wirtschaftsunion: engere wirtschaftspolitische Koordinierung (Instrumente, Verfahren) • no bail out Klausel =Haftungsausschluss für die Verbindlichkeiten anderer Länder; WWU bedingt keine Transfers • Haushaltsregeln (Stabilitätspakt mit Sanktionen bei Regelverstoß) • Rolle der EU-Kom als Hüterin der Verträge! • Währungsunion: einheitliche Geldpolitik; Unabhängigkeit der Zentralbanken/EZB; Primäres Ziel Preisstabilität, Verbot der monetären Finanzierung. Mandat und Status der EZB Geldpolitische Verfassung (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) Preisniveaustabilität als prioritäres Ziel (Artikel 127 (1) Unabhängigkeit des ESZB von politischem Einfluss (Artikel 130) Banknotenmonopol (Artikel 128 (1) Verbot der monetären Finanzierung (Artikel 123 (1) In EZB-Verantwortung: Definition von Preisstabilität und geldpolitische Strategie 2. EZB-KRISENMANAGEMENT: „WHATEVER IT TAKES ….“ VON SMP ÜBER OMT ZU EAPP=QE Selbstverständnis der EZB im Krisenmanagement Als Krisenmanager Retter einzelner €-Länder (lender of last resort), Zusammenhalt des €-Gebiets EZB einzige funktionierende europäische föderale Institution mit - der notwendigen Flexibilität, - den finanziellen Ressourcen und - raschen Entscheidungsverfahren. „Within our mandate the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough.“ Mario Draghi, London 26. Juli 2012 CDS-Implied Default Probabilities 30% 25% Implied default probability = Observed CDS premium / 1 - ("usual" recovery rate of 0,4), Source: Reuters, own calculations. Draghi speech London DE IT IE FR ES CY 20% 3YLTRO 15% 10% 5% 0% 2011 2012 2013 2014 12% 10% 8% Euro Area Sovereigns - 10 Year Yields* DE PT IT IE ES FR 10% A_003_e02 * Since 25 July 2012 (day before Draghi speech); source: Bloomberg. 8% Euro Area Sovereigns - 2 Year Yields* DE FR IT ES IE PT A_003_e01 6% * Since 25 July 2012 (day before Draghi speech); source: Bloomberg. 6% 4% 4% 2% 2% 0% -2% 0% Sep 12 Jan 13 May 13 Sep 13 Jan 14 May 14 Sep 14 Jan 15 May 15 Sep 15 Sep 12 Jan 13 May 13 Sep 13 Jan 14 May 14 Sep 14 Jan 15 May 15 Sep 15 „…whatever it takes…“ OMTs = Outright Monetary Transactions Konditionen für Interventionen: • Beteiligung des ESM • Reformpolitik und Haushaltskonsolidierung • Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus …whatever it takes… OMTs=Outside the Mandate Transactions Denn 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Wesentliches Ziel, Refinanzierungskosten einzelner Mitgliedstaaten zu senken (impliziter Finanztransfer, Verringerung des „Marktdrucks“) Kein geldpolitisches Instrument für den gesamten €-Raum (selektiv) Im Konflikt mit Verbot monetärer Staatsfinanzierung Keine demokratische Legitimation zu (impliziten) Finanztransfers Kein Recht, über längere Frist den Marktmechanismus zu stören Unterminiert die Unabhängigkeit der EZB Erschwert Ausstieg aus nicht-konventionellen Maßnahmen Ergo: keine Geldpolitik sondern Wirtschaftspolitik/quasiFiskalpolitik „Game change“ im Herbst 2012 Marktberuhigung und positive Reaktion auf 2012-Entscheidungen (OMTs, ESM, SSM). Draghis operationale Garantie = Draghi put Maßnahmen des €-Systems von 2008 bis Herbst 2011 • • • • • • Leitzinssenkungen und Anpassung der Ständigen Fazilitäten Vollzuteilung bei festem Zinssatz („Fixed rate-full allotment-mode“) Längerfristige Liquidität Ausweitung des Sicherheitenrahmens Fremdwährungsliquidität durch Swap-Arrangements Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen (CBs) und Staatsanleihen – Covered Bond Purchase Programme I (CBPP I 07/2009-06/2010)) – Securities Markets Programme (SMP 05/2010-09/2012) • Gewährung von ELA durch nationale Zentralbanken (no objection-Erfordernis durch EZB-Rat) Leit-Zinsen in fortgeschrittenen Volkswirtschaften International key interest rates 8% ECB FED BOJ BOE Source: Bloomberg. 6% 4% 2% 0% 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Nicht-Standard-Maßnahmen des €Systems seit Ende 2011/2014 • • • • Senkung des Mindestreservesatzes (auf 1%) Langfristige Liquidität bis zu 36 Monaten Potenziell OMTs: „Monetäre Transaktionen“ Weitere Absenkung der Qualitätsstandards für Sicherheiten (u.a. Akzeptanz von Kreditforderungen auf nationaler Ebene) • Covered Bond Purchase Programme II (11/201110/2012). … ab Sommer 2014 Ankündigung neuer Maßnahmen (August2014/Jackson Hole) • TLTROs (Targeted Long Term Refinancing Operations) • Weitere Leitzinssenkung auf 0,05% und negativer Einlagensatz • Kauf/Reaktivierung von ABS sowie Kauf von Pfandbriefen (CBPP III) Ab Januar/März 2015 • PSPP: Kauf von Staatsanleihen Eurosystem-Operationen 3. QUANTITATIVE EASING: ZIELE, RECHTFERTIGUNG, EFFEKTIVITÄT Quantitative Easing (QE) „Whatever it takes…“ jetzt operativ… durch Expanded Asset Purchase Programme (EAPP) = QE ABSPP – CBPP III – PSPP 60 Mrd € p.m. 03/15-09/16) QE ein legitimes Instrument? Im Rahmen des Mandats? Effektivität, Risiken, negative Folgewirkungen ( EZB-Ziele des Quantitative Easing (zunächst unklar und Vermengung mit Instrumenten) • • • • • Inflationsrate in die Nähe von 2 % bringen Verankerung der Inflationserwartungen Förderung nominalen BIP-Wachstums Kreditvergabe fördern Unterstützung der Bankensysteme (und öffentliche Haushalte) in der Peripherie • Schwächung des €-Wechselkurses • Bilanz des €-Systems auf ca. 3.000 Mrd. € bis 09/16 QE: Gerechtfertigt und effektiv? • • • • Deflationsrisiko? Gefahr für Inflationserwartungen? Kreditkanal behindert? Wechselkurspolitik? Zu berücksichtigen: - Wirksamkeit im Eurogebiet? - Erfahrungen in USA und Japan? QE - Wirkungskanäle QE und Finanzmärkte QE und Kreditvergabebedingungen Quelle: IWF Euro effektiver Wechselkurs und USD/EUR (1999Q1=100) USD/EUR (lhs) 1.50 EER - 38 (rhs) 120 1.40 116 1.30 112 1.20 108 1.10 104 1.00 2011 100 2012 Quelle: Bloomberg 2013 2014 2015 16/07 31/07 15/08 30/08 Ölpreis und Inflationserwartungen Quelle: EZB … damit Probleme gelöst? • Wiederherstellen des Vertrauens? • Solidität der Staatsfinanzen? • Solidität des Bankensektors? • Strukturreformen/Wettbewerbsfähigkeit? • Bilanzkorrekturen? • ……..? ODER: zu geringe Dosis? Europas multiple Krise • Krise nicht überwunden (unabhängig von Zukunft Griechenlands) • Ungelöste Schulden-, Struktur- und institutionelle Krise plus Flüchtlingsdrama überfordern Politik und drohen Europa zu spalten • Zentrale Rolle des EZB-Krisenmanagements: kurzfristige Rettung („Zeit gekauft“)oder Mithilfe bei Verschleppung notwendiger Reformen? (moral hazard) 4. WIRTSCHAFTSREFORMEN: FORTSCHRITTE? Fortschritte bei Wirtschaftsreformen…. Lage der öffentlichen Finanzen verbessert, aber weiterhin dramatisch Erste positive Effekte der Wirtschafts-Reformen, aber kritische Masse zur Stärkung des Wachstumspotenzials und zum nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit noch nicht erreicht. Derzeit wenig Fortschritt (F, It) und z.T. Rücknahme von Reform-Massnahmen (D) - mittelfristige Belastung Deleveraging und Abbau von Überkapazitäten noch nicht vollendet Sanierung des Bankensystems seit 2008 verzögert (Konsolidierung, NPLs, Rekapitalisierung) ….aber…. moral hazard angesichts der „backstops“ u.a. Europ. Stabilitätsmechanismus (ESM) und Quantitative Easing (QE) der EZB Realitätsverweigerung, Selbstzufriedenheit Reformmüdigkeit oder politische Unfähigkeit zu Reformen (Rhetorik statt Taten) Marktverzerrung (falsche Signale an die Politik) 5. Die andere Währungsunion: „Maastricht“ Adieu? Vom Krisenmodus zum Steady State? Von „no bail out“ (Eigenverantwortlichkeit für Staatsfinanzen) zu „bail in“ über temporäre EFSFazilität und dauerhaften Rettungsfonds (Europäischer Stabilitäts-Mechanismus) Neue fiscal governance (Reformierter Stabilitätspakt, Fiskalpakt: Verpflichtung zum Haushaltsausgleich, Stärkung der Excessive Deficit procedure, Benchmark für Schuldenabbau) Makro-ökonomische Überwachung (frühzeitige Identifikation und Adressieren makroökonomischer Ungleichgewichte) Neue Rolle der EZB (de facto Kreditgeber der letzten Instanz für Staaten; Finanzstabilität) Bankenunion (2014 EZB) (Single Supervisory Mechanism, Single Resolution Mechanism) Fünf-Präsidenten Bericht (Wirtschafts-, Finanz- und Fiskalunion….) …….. 6. Schlussfolgerung Politik der EZB: Rettung oder Gefahr für den Euro? „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. (Friedrich Hölderlin: Patmos) Ist das „Rettende“ dauerhaft oder nur Zeitgewinn und führt die kurzfristige „Rettung“ zu neuen Gefahren? 1. EZB hat nicht den Euro gerettet, sondern (kurzfristig) den Zusammenhalt des €-Gebiets gesichert, indem sie über ihr Mandat hinausgehend Zeit gekauft hat. Diese Zeit wurde nicht (überall) „weise“ genutzt (BIS), sondern hat notwendige Anpassungen in den Mitgliedstaaten verzögert. 2. EZB hat Funktionen übernommen für die die Politik verantwortlich ist. Sie suggerieren falsche Sicherheit, führen zu Ziel- und Interessenkonflikten und überfordern die Zentralbank. Sie ist zu einem „politischen Spieler“ geworden und hat an politischer Unabhängigkeit eingebüßt. Dies geht längerfristig zu Lasten ihres Kernmandats. 3. Die potenziellen längerfristigen Folgen kurzfristig ausgerichteter Zentralbank-Politik (nicht nur der EZB) bleiben unberücksichtigt. Sie führen zu erheblichen Marktverzerrungen sowie zu neuen Krisen.
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