Florian Klug Sprache, Geist und Dogma Florian Klug Sprache, Geist und Dogma Über den Einbruch Gottes in die Wirklichkeit des Menschen und dessen sprachliche Aufarbeitung Ferdinand Schöningh Umschlagabbildung: Rembrandt Harmensz. van Rijn: Christus in Emmaus (Radierung, 1654) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2016 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-506-78417-9 INHALT VORWORT UND DANKSAGUNG................................................................... 7 0. ERKENNTNISLEITENDE FRAGESTELLUNG .......................................... 9 1. DER MENSCH UND DIE SPRACHE ....................................................... 11 1.1 Der Mensch als Sprechender ....................................................... 11 1.2 Möglichkeiten und Begrenzungen der menschlichen Sprache .... 13 DIE INITIATIVE GOTTES – DER EINBRUCH GOTTES IN DEN VERSTÄNDNISHORIZONT DES MENSCHEN ......................................... 19 2.1 Prolegomena zu einem Blick auf Gott im 21. Jahrhundert.......... 19 2.2 Der Einbruch Gottes in die Welt der Israeliten ........................... 23 2.3 Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus .......................... 34 2.4 Der menschliche Horizont und der Einbruch der absoluten Wirklichkeit ................................................................................. 47 DAS MENSCHLICHE SPRECHEN VON GOTT......................................... 5 3.1 Die Perspektive des Glaubens ..................................................... 5 2. 3. 3.2 Das Zeugnis im Glauben ............................................................. 68 a) Das subjektive Verhältnis zur Wahrheit – Paulus im zeitgenössischen Horizont ........................................................ 68 b) Die Bibel als die Hl. Schrift...................................................... 86 c) Dogmenhermeneutik in der Zeit ............................................... 101 4. ZUSAMMENFASSENDE SYNTHESE ...................................................... 135 6 5. INHALT LITERATURVERZEICHNIS ................................................................... 139 5.1 Abkürzungsverzeichnis ............................................................... 139 5.2 Einzelnachweise .......................................................................... 140 6. REGISTER ........................................................................................... 147 VORWORT UND DANKSAGUNG „Ich schreibe über Gott; ich rechne dabei auf wenige Leser und erwarte nur von einigen Zustimmung.“ Diderot Die Beschäftigung mit Gott ist für einen Theologen einerseits sein täglich Brot und andererseits stets ein heikles Unterfangen. Befragt man darüber hinaus auch noch die menschliche Wirklichkeit unter dem Aspekt des Einbrechens Gottes, kann es auch für die eigene Wirklichkeit kritisch werden, da ihre Fragilität immer präsenter erscheint. Aus diesem Grund möchte ich Worte des Dankes an diese Personen richten, die Hilfe, Halt und Ermunterung während der Abfassung dieser Arbeit gaben. Allen voran ist Prof. Dr. Otmar Meuffels zu danken, der nicht nur diese Lizentiatsdissertation zu jeder Zeit unterstützt und befürwortet hat, sondern darüber hinaus bei kritischen Punkten immer zur Diskussion zur Seite stand. Prof. Dr. Jürgen Bründl ist nicht nur dafür, Dank auszusprechen, dass er die Zweitkorrektur übernimmt, sondern dass er auch schon im Vorfeld dieser Arbeit zahlreiche Gedanken diskutierte, so dass sich einige gedankliche Knoten während der Abfassung leichter lösen ließen. Motivation und Zuspruch kam von vielerlei Seiten, wobei ich für jedes einzelne Wort dankbar bin. Im besonderen Maße bin ich Janina Schäfer und Christina Janotta zu Dank verpflichtet, da ihre Worte stets neu den eigenen Elan neu belebten. Veronika Zilker und Annemarie Frank möchte ich für ihre Korrekturarbeit und die Hilfe bei den Übersetzungen aufrichtig danken, da mir beide feinfühlig zeigten, dass es für einen Dogmatiker nicht unbedingt zum Nachteil ist, ein außer-fachliches Korrektiv beiseite gestellt zu bekommen. Für die Korrekturen und die mehrfachen Diskussionsabende zu dieser Arbeit gilt es, Tobias Janotta ein besonderes Lob auszusprechen. Kein Mensch ist eine Insel und so wäre es fatal, sich bei einer theologischen Fragestellung seine eigene Sicht immer wieder aufs Neue selbst zu bestätigen. Man würde zu einem Wissen gelangen, das man auch schon davor besaß, weshalb ich den Genannten nochmals von ganzem Herzen meinen Dank aussprechen möchte. Angemessen meinen Eltern an dieser Stelle zu danken, würde den Rahmen bei Weitem sprengen. Würzburg, im Oktober 2015 0. ERKENNTNISLEITENDE FRAGESTELLUNG Die Frage, die diese Arbeit zu untersuchen vornimmt, ist, welche Macht der Mensch über Gott hat: Inwiefern hat der Mensch eine Zugriffsmöglichkeit auf (den jüdisch-christlichen) Gott dadurch, dass er seinem Namen kennt und auch gebrauchen kann? Besitzt der Mensch eine Verfügungsgewalt über das göttliche Wesen dadurch, dass er Aussagesätze formulieren kann, die dadurch hervorstechen, dass sie Aussagen über das göttliche Wesen sind? Sind menschliche Sätze unmittelbar wahr und richtig, wenn sie Gott zum Inhalt haben, den Schöpfer des Seins und der Erde, denjenigen, von dem die Christen glauben, er habe sich ihnen selbst in Jesus Christus selbst offenbart (vgl. DV 2), von dem das Joh-Evangelium nichts Geringeres sagt: Er ist „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6). Werden dadurch nicht notwendig diese Sätze wahr und richtig, weil der Mensch hier durch den Namen Gottes diese von innen heraus mit einer göttlichen Qualität versehen kann? Oder begibt sich hier der Mensch vielmehr in eine prekäre Situation, weil er selbst keine Verfügungsgewalt über die Sprache hat und damit auch gleichzeitig in einer potenziellen Gefahr steht, zum Häretiker zu werden? Dass der Mensch überhaupt von Gott sprechen und über ihn Aussagen tätigen kann, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern prinzipiell in der Initiativbewegung Gottes auf den Menschen zu Grunde gelegt: Er wendet sich dem Menschen zu, gibt sich diesen zu erkennen und teilt ihnen seinen Namen mit, damit er überhaupt einen Zugang zu ihm hat (vgl. Ex 3,14). Dass der Mensch (im christlichen Sinne) ‚Gott‘ sagen kann bzw. das Tetragramm aus Ehrfurcht und Respekt vor Gott nicht ausspricht, ist keine menschlich-rationale Deduktion oder ein strenger syllogistischer Schluss, sondern ist in der Zuwendung Gottes an den Menschen eröffnet: Er offenbart sich ihm und gibt sich ihm zu erkennen. Doch hier setzt die Frage der Untersuchung an: Welche Gewalt ist dem Menschen dadurch gegeben, dass ihm der Name Gottes mitgeteilt wurde? Kommt der Mensch hier zu einem absoluten Sprechen, weil er über das Absolute spricht, das sich an ihn gewendet hat? Im Speziellen will sich die Untersuchung dem Thema des Dogmas widmen, weil an diesem Punkt das Wahrheitsverständnis des Christlichen und insbesondere des Katholischen in besonderer Weise virulent wird. Dass in der deutschen Alltagssprache der Begriff ‚dogmatisch‘ eine gewisse Konnotation in Richtung einer unreflektierten, starrsinnigen und unrevidierbaren Festlegung besitzt, soll hier zum besonderen Anlass genommen werden zu fragen, welche Autorität das kirchliche Lehramt in Hinblick auf die Wahrheit und Gültigkeit in Sachen Glaubensaussagen besitzt bzw. verliehen bekommen hat. 1. DER MENSCH UND DIE SPRACHE 1.1 Der Mensch als Sprechender Schaut man auf den Menschen und sucht das ihm Eigentümliche in Abgrenzung zu anderen Lebewesen – insbesondere gegenüber den Tieren –, so stößt man seit der Antike auf die (vernünftige) Sprache des Logos, die dem Menschen gegeben ist. Dies stellt ihn an die Spitze aller animalischen Wesen. 1 Die Sprache ist für den Menschen das Kommunikationsmittel par excellence, denn über die Sprache kann er in eine vermittelnde und vermittelte Beziehung zu einem Gegenüber, zu dem Anderen. Wie der Sprechende in einem Verhältnis zum Angesprochenen steht, so besteht auch das Verhältnis zwischen dem Sprechenden und der Sprache in ähnlicher Art durch eine unaufhebbare Alterität: Die Sprache wird von außen durch Erfahrung erworben und wendet sich in der Kommunikation von der eigenen Position an den Gesprächspartner. So bleibt die Sprache für den Menschen stets etwas Äußerliches, welches nicht der eigenen Person bzw. dem eigenen Horizont einverleibt werden kann, so dass das Subjekt wirkliche Verfügungsgewalt darüber haben könnte. Die Äußerlichkeit, die Unverfügbarkeit und die Alterität der Sprache sind konstitutiv dafür, dass sie überhaupt menschliche Sprache sein kann, denn, wenn sie diese Merkmale nicht besäße, wäre die Gefahr eines Verlustes von Dynamik, Entwicklung und Lebendigkeit hin zur Statik gegeben: Es gäbe so kein Verstehen mehr, sondern nur noch ein unmittelbares Wissen. Deshalb sind das Sagen und die Äußerung nicht die primären Ausgangspunkte für den Menschen, um sprechen zu können, denn vorgängig hierzu steht das Hören des Menschen, um überhaupt Worte zu haben: Das Hören auf … ist das existenzielle Offensein des Daseins als Mitsein für den Anderen. Das Hören konstituiert sogar die primäre und eigentliche Offenheit des Daseins für sein eigenes Seinkönnen, als Hören der Stimme des Freundes, den jedes Dasein bei sich trägt. 2 Als besonderes Merkmal des menschlichen Sprechens ist darüber hinaus an]XPHUNHQZDVDOOHLQHGLHHW\PRORJLVFKH9HUZDQGWVFKDIWYRQȜȠȖȠࢫXQG/R gik nahelegt, dass menschliches Sprechen und menschliches Denken nicht streng voneinander getrennt werden können und auch nicht getrennt werden 1 2 Vgl. Aristoteles: Politik. Übersetzt von Eugen Rolfes. In: Ders.: Philosophische Schriften in sechs Bänden. Bd. 4. Hamburg 1995, 1253a (S. 4): „Nun ist aber einzig der Mensch unter allen animalischen Wesen mit der Sprache begabt.“ Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen 192006, S. 163. 12 DER MENSCH UND DIE SPRACHE dürfen. Vielmehr besteht zwischen beiden Punkten ein irreduzibler Konnex, der beide in Verflechtung zueinander bestehen lässt, denn: Vielmehr ist die Sprache das universale Medium, in dem sich das Verstehen selber vollzieht. Die Vollzugsweise des Verstehens ist die Auslegung. […] Alles Verstehen ist Auslegen, und alles Auslegen entfaltet sich im Medium einer Sprache, die den Gegenstand zu Worte kommen lassen will und doch zugleich die eigene Sprache des Auslegers ist. 3 So muss von hier aus angemerkt werden, dass die Sprache des Menschen kein Instrument ist, 4 dass er unabhängig von seinem Denken objektiv gebrauchen kann, so dass die Sprache erst als sekundäres Moment hinzutritt bzw. gebraucht wird, um einen Gedanken lautlich zu artikulieren und ihn einem Mitmenschen zu kommunizieren. Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen, das in geschichtlichen Strukturen eingefasst ist, die er zwar erkennen, aber auch nicht überwinden kann. Dieser temporäre Horizont erhält seine besondere Manifestation darin, dass sich im jeweiligen Sprechen die Zeitbedingtheit des sprachlichen Zugriffs auf die Welt immer neu ausdrückt. Mit Hans-Georg Gadamer lässt sich damit sagen, dass der Mensch durch seine eigene Geschichtlichkeit immer unter einem sprachlichen Vorurteil steht, das offen ist, um revidiert oder korrigiert zu werden. 5 Ein apriorisches Jenseits dieses Vorurteils kann es nicht geben, da der Mensch auf die von außen zukommenden Erfahrungen angewiesen ist: Durch Erfahrung erwirbt er Sprache, Wissen und einen Horizont als ein strukturell-notwendiges Vorurteil und genau durch den gleichen Erfahrungseinbruch von außen kann ein Vorurteil, wenn der Mensch in Offenheit dies zulässt, revidiert oder korrigiert werden. 6 Eine objektive Position – ergo gegenständlich oder instrumentell – gegenüber der Sprache kann von dem Menschen nicht eingenommen werden. Walter Kasper kommt in Anschluss an Martin Heidegger und dessen Schüler Hans-Georg Gadamer zu dem Standpunkt, dass der Mensch auf die Sprache angewiesen ist, um überhaupt einen Zugang zum Hören der Wahrheit zu haben, wobei aber die gleiche Sprache durch ihre Eigenständigkeit gegenüber dem Menschen die Wahrheit nicht unmittelbar präsentieren kann, sondern vielmehr in einer dialektischen Bewegung des Erschließens-Verschließens der Wahrheit integriert ist. 7 Der Mensch ist in strengem Maße auf die Sprache angewiesen, um den3 4 5 6 7 Gadamer, Hans-Georg: Hermeneutik I. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (Gesammelte Werke; 1). Tübingen 61990, S. 392. Diese Sicht des objektiven Zugriffs auf die Sprache als Instrument taucht ausdrücklich zuerst bei Platon auf. Vgl. Platon: Kratylos. In: Eigler, Gunther (Hg.): Platon. Werke in acht Bänden. Bd. 3. Darmstadt 62011, 388a. b (S. 411-413). Vgl. Gadamer, Hermeneutik, S. 271f. 309. 392f. So plädiert Gadamer für die Rehabilitation des Begriffs des Vor-Urteils als notwendige Voraussetzung, um überhaupt die geschichtlichbedingte Perspektive eines jedes Menschen verstehbar aussagen zu können Vgl. ebd., S. 281. Vgl. Gadamer, Hermeneutik, S. 362f. Vgl. Kasper, Walter: Dogma unter dem Wort Gottes. Mainz 1965, S. 61-65. DER MENSCH UND DIE SPRACHE 13 ken zu können. Diese Abhängigkeit kann er nicht gewalttätig aufheben, um selbst Herr über die Sprache zu werden, weil er sich dann selbst jenseits der Welt und aller Geschichtlichkeit stellen würde. In anderen Worten: Ein Mensch, der die Sprache aus diesen Bedingungen löst und sich dann selbst absolut ihr gegenüber setzt, ist kein Mensch mehr. 8 Die (verstehbare) Welt des Menschen ist eine sprachliche, worin sein Horizont eine Stätte hat und sich erweitern kann. Durch die Sprache kann er Welterfahrung erleben, aber die Sprache ist nicht die unmittelbare Abbildung der Wirklichkeit, sondern die menschliche Möglichkeit einen Zugang zur Wirklichkeit zu haben: 9 Durch die Sprache hat der Mensch eine Perspektive. Diese ist endlich und begrenzt, weshalb auch Ludwig Wittgenstein über seine Perspektive auf die Welt durch die Sprache festhielt: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ 10 1.2 Möglichkeiten und Begrenzungen der menschlichen Sprache So sehr auch die Verfügungsgewalt des Menschen über seine Sprache eingeschränkt ist und er niemals wirklicher Herr über sie sein kann, eröffnet die Sprache ihm auch gleichzeitig Möglichkeiten, die nur mit der Sprache und niemals jenseits von ihr bestehen könnten. Dem Menschen wird durch die Sprache die Möglichkeit eröffnet, nicht nur im handwerklichen Sinne handeln zu können, sondern durch das Sprechen selbst (mit sog. performativen Aussagen) Wirklichkeitsgegebenheiten herzustellen. 11 Wie schon angeführt, ist die Sprache vor allem und in erster Linie ein zwischenmenschliches Geschehen, bei welchem der (sprechende) Mensch mit einem Gegenüber in Verbindung tritt. So gibt auch John R. Searle in seiner Arbeit zur Konstruktion der menschlichen Institutionen durch das menschliche 8 9 10 11 Was sich hier im Zugriff auf die Sprache zeigt, gilt gleichermaßen für die Erkenntnis des Menschen über sich selbst, weshalb Slavoj Žižek im Anschluss an Kant auch sagen kann: „Dieses Zwischen, weder phänomenal noch noumenal, sondern die Kluft, die beide voneinander trennt und ihnen auf bestimmte Weise vorausgeht, ‚ist‘ das Subjekt.“ (Ders.: Die Tücke des Subjekts. Aus dem Englischen übersetzt von Eva Gilma, Andreas Hofbauer, Hans Hildebrandt und Anne von der Heiden. Frankfurt a. M. 2001, S. 39). Vgl. Gadamer, Hermeneutik, S. 450f. Wittgenstein, Ludwig: Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logico-philosophicus. Kritische Edition. Hg. v. Brian McGuiness und Joachim Schulte. Frankfurt a. M. 1989, 5.6 (S. 134). Vgl. Austin, John Langshaw: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with words). Deutsche Bearbeitung von Eike von Savigny. Stuttgart 2002, S. 112-125. 14 DER MENSCH UND DIE SPRACHE Sprachhandeln an, dass die Sprache dem Menschen primär einen Funktionsmechanismus zur Verfügung stellt, mit dem der Mensch in kommunikativer Gemeinschaft miteinander leben kann. 12 Weil Sprache keine unmittelbare Abbildung der äußeren Wirklichkeit ist und auch nicht sein kann – denn sie hat als Medium der Kommunikation eine vermittelnde Position und nimmt daher die Mitte zwischen Ding und Gemeintem ein – kann es zu Differenzen bzw. Unstimmigkeiten zwischen Bezeichnetem (Signifikat) und Bezeichnendem/Bezeichnung (Signifikant) kommen. 13 Der Zusammenhang von Signifikat und Signifikant ist nicht naturwüchsig und unmittelbar gegeben, sondern: Das Band, welches das Bezeichnete mit der Bezeichnung verknüpft ist beliebig; und da wir unter Zeichen das durch die assoziative Verbindung einer Bezeichnung mit einem Bezeichneten erzeugte Ganze verstehen, so können wir dafür auch einfacher sagen: das sprachliche Zeichen ist beliebig. 14 Die Sprache und ihr sprachliches Zeichen sind keine identische Wirklichkeitsabbildung, sondern sie sind vielmehr durch eine Kluft getrennt, welche nicht vom Menschen mit logisch-rationellen Mitteln überwunden werden kann. Er kann diesen Spalt zwischen Signifikant und Signifikat erkennen und auch problematisieren, wie es unter anderem Jaques Derrida mit seinem Kunstwort der différance angeht. 15 Hier zeigt sich das irreduzible Geheimnis der menschlichen Sprache, wo sie einerseits Möglichkeiten der Benennung und Bezeichnung eröffnet, aber sich auch gleichzeitig wieder in der Kontingenz ihrer Zeichenfunktion der Beherrschung durch den Menschen verschließt und auch verweigert: Sie kann als Wunde oder als ein Etwas im Schwebezustand verstanden werden. 16 Auch das Thematisieren und Aussprechen des Geheimnisses entbirgt es nicht, noch führt es dieses in eine gelichtete Position, sondern fokussiert den Blick auf das Geheimnis in besonderem Maße, so dass der Mensch trotz aller Mühe und Anstrengung bei der Analyse der Sprache nicht umhin kann, die Unbeherrschbarkeit und den Schwebestatus der Sprache zu akzeptieren. Die Antwort über das Wesen der Sprache kann er nur in einer paradoxen Nicht-Antwort äußern. 17 12 13 14 15 16 17 Vgl. Searle, John R.: Wie wir die soziale Welt machen. Die Struktur der menschlichen Zivilisation. Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte. Berlin 2012, S. 122. Vgl. Saussure, Ferdinand de: Grundlagen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Mit einem Nachwort von Peter Ernst. Hg. v. Charles Bally und Albert Sechehaye. Unter Mitwirkung von Albert Riedlinger. Übersetzt von Herman Lommel. Berlin/New York 32001, S. 76-82. Vgl. Schönrich, Gerhard: Semiotik. In: Enzyklopädie Philosophie (1999) 2, S. 1460-1465; hier: S. 1463f. Saussure, Grundlagen, S. 79. Vgl. Derrida, Jaques: Die différance. In: Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Mit einer Einführung hg. von Peter Engelmann (RUB; 8668). Stuttgart 2007, S. 76-113; hier: S. 94f. Vgl. ders.: Über den Namen. Drei Essays. Aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek und Markus Sedlaczek. Wien 2000, S. 42f. Vgl. Derrida, Namen, S. 34f. DER MENSCH UND DIE SPRACHE 15 Das Problem, dass ein sprachliches Zeichen nicht unmittelbar den bezeichneten Gegenstand lautlich abbildet, sondern nur auf ihn als deklarative Aussage verweist und diesen benennt, wird nicht weniger schwierig, wenn man verschiedene Zeichen zueinander in Beziehung setzt, sie durch grammatische Strukturen funktionell verbindet und aus dem Ganzen eine Aussage formt. Doch so prekär sich diese Ausgangssituation für den Menschen auf den ersten (analytischen) Blick darstellt, wird dem Menschen auf der praktischen Ebene dadurch eine Möglichkeit eröffnet, nicht nur eine individuelle Position einzunehmen, sondern er kann hierdurch in eine kommunikative Gemeinschaft mit einem anderen Menschen eintreten, in der er ganz auf sich selbst als sprechendes Wesen verwiesen ist. Er setzt sich im Sprechen als Einzelner selbst aufs Spiel, indem er seine Aussagen mit einem „Ich“ kennzeichnet und diese so als seine individuelle Perspektive ausweist. 18 Dieser sprechende Mensch begibt sich in eine dialektische Situation, dadurch dass er über die Sprache keine Verfügungsgewalt besitzt, die Sprache bzw. die sprachliche Aussage von einer Zufälligkeit und Fragilität bestimmt ist, er aber auch gleichzeitig damit aus der sprachlosen Anonymität in die Öffentlichkeit hinaustritt und sich und seine Person zum Thema macht. 19 Seine Aussage kann zur Lüge werden, genauso wie sein Eid zum Meineid oder sein Versprechen zur Unwahrheit werden kann, weil eine Verfügungsgewalt für den Menschen nicht gegeben ist. In einer performativen Aussage, die sich par excellence im Eid oder im Versprechen präsentiert, kann aber eine zwischenmenschliche Wirklichkeit dadurch gestiftet werden, dass der Versprechende oder der Schwörende seine Aussage mit seiner Person fest verbindet und sich der Anerkennung des Anderen aussetzt. Damit eine solche neue durch Sprache gestiftete Realität aber auch eine Wirkmacht in der Wirklichkeit entfalten kann, braucht es die Akzeptanz des Angesprochenen (als Einzelner oder auch als Kollektiv, wie z.B. eine Nation oder Glaubensgemeinschaft) als Erfüllungsbedingung für die Performanz dieser jeweiligen Aussage. 20 So wenig, wie die Sprache die äußere Wirklichkeit unmittelbar abbilden kann, so wenig hat auch der Eid eine unmittelbare Wirkmacht in der zwischenmenschlichen Beziehung; er wird erst dadurch wirkmächtig, indem er von dem Gegenüber als auch glaubwürdig anerkannt wird: Dazu braucht es aber Vertrauen (lat. pistis) von der angesprochenen Seite in die Worte und die Handlung der 18 19 20 Vgl. Agamben, Giorgio: Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des Eides (Homo sacer; II. 3) (es; 2606). Aus dem Italienischen von Stefanie Günthner. Berlin 2008, S. 89f. Vgl. Searle, soziale Welt, S. 143. Auch wenn die Fragilität für die Sprache konstitutiv ist und die Handhabung nicht immer reibungslos für den Menschen ist, birgt sie doch ein enormes Potenzial, als ihn einzuengen und zu martern. An diesem Punkt scheint die Deutung Žižeks der Sprache zu exzessiv zu sein, wenn er vom „Folterhaus der Sprache“ spricht und deren produktiver Dimension kaum Beachtung schenkt. Siehe hier: Žižek, Slavoj: Weniger als nichts. Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus. Aus dem Englischen von Frank Born. Berlin 2014, S. 1182-1194. Vgl. Searle, soziale Welt, S. 130. 144-146.
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