Landraub: Schüsse im Sojafeld In Brasilien baut die mächtige Agrarindustrie Futter auch für deutsche Schweine und Hühner an. Dafür zahlen Tausende von Kleinbauern. Manche mit ihrem Leben. Von Thomas Fischermann 17. März 2016, 4:36 Uhr / Editiert am 19. März 2016, 16:07 Uhr DIE ZEIT Nr. 11/2016, Sehnsüchtig: Vertriebener Bauer schaut auf die Araúna-Farm. ©Giorgio Palmera für Die ZEIT Am Abend, als Antônio Bento von der goldenen Zukunft spricht, als er einen Braten zerschneidet und die Streifen "zur Stärkung meiner Krieger" über dem Feuer brät, weiß er noch nichts von der Gewaltexplosion der nächsten Tage. Er malt sich nicht aus, dass man ihn wie ein Tier durch den Wald hetzen wird, dass die Wächter des nahen Großfarmers mit Revolvern und Halbautomatikwaffen um sich schießen werden. "Ich gehe davon aus, dass alles ruhig ablaufen wird", sagt der kurz gewachsene, stämmige Mann an der Feuerstelle. "Und wir werden nicht weichen." Antônio blickt in ernste, entschlossene Gesichter, eine Gruppe aus Bauern und Landarbeitern, die im Morgengrauen eine benachbarte Großfarm besetzen wollen. "Ich kann nicht länger wie ein Hund an der Straße leben", sagt der 45-Jährige und blinzelt in die improvisierte Laterne des Camps, eine Autobatterie mit einer Leuchtstofflampe an einem Holzpfahl. Gegenüber nicken einige kräftige Männer. Aber die meisten sind Alte, Frauen und Kinder. Seit Monaten kampieren sie am Rand einer Straße, in Hängematten unter Plastikplanen, die jeden Nachmittag ein tropischer Regenfall auf die Probe stellt. Morgen soll sich ihr Leben ändern. "Wir werden stark sein, weil wir nichts zu verlieren haben", sagt ein massiger schwarzer Mann, wendet sich ab und geht schlafen. Was gebe es auch sonst noch zu besprechen? Antônio Bento kämpft um ein Stück Land, das ihm nach brasilianischem Recht längst gehören müsste – ihm und den knapp 100 Familien im Übergangslager, das sie das "Camp der Guten Hoffnung" nennen. Das sattgrüne Acker- und Weideland in dieser Gegend des brasilianischen Kernlandes ist überwiegend Staatseigentum, und es ist seit Jahrzehnten vorgesehen, dass darauf mittelgroße Bauernbetriebe bis zu 100 Hektar entstehen. Die Parzellen sind zur Verteilung an Kleinbauern und landlose Landarbeiter wie Antônio und seine Mitstreiter gedacht, zur Gründung einer Existenz. Die Gruppe um Antônio hatte sogar schon mal auf diesem Land gewohnt. Zwischen 2013 und 2015 hatten sie eine bäuerliche Idylle aufgebaut. Da wohnten 100 Familien in Häuschen aus Holz und Faserzement, zwischen Beeten voller Salat und Ställen voller Hühner und Schweine. Einige von ihnen holen nun Handys und Papierabzüge hervor, erinnern sich an die glückliche Zeit. Auf den Fotos stehen sie mit Farmerhemden auf ihrer Scholle. Sie richteten Dorffeste mit rosafarbenen Kuchen aus. Der Schulbus kam, um die Kinder abzuholen. Doch dies ist auch das Kernland der brasilianischen Agrarproduktion: ein Bundesstaat namens Mato Grosso, zweieinhalbmal so groß wie Deutschland und einer der weltgrößten Produzenten von Mais, Soja und Rindfleisch. Es ist das Herzstück des brasilianischen Agrobusiness mit seinen riesenhaften Ländereien, die sich von Jahr zu Jahr weiter ausdehnen – in die Wälder, in die Reservate von Indianern, in Naturschutzgebiete und die Äcker kleinerer Bauern. Die Landwirtschaft von Mato Grosso macht Millionäre und Milliardäre – was auch ruchlose Geschäftsleute anzieht, die wenig Rücksicht nehmen auf Recht und Gesetz, auf Umweltschutz oder die Menschen im Camp der Guten Hoffnung. Ein Großbauer mit Betrieben in mehreren Gegenden Brasiliens, Marcelo Bassan, firmiert heute als Besitzer der nahe dem Camp gelegenen Araúna-Farm. Gegen Antônio und seine Leute führt er einen bitteren Kampf um Land, das ihm juristisch gesehen gar nicht gehört. Angestellte der Großfarm haben die Familien mehrfach verscheucht, das letzte Mal im vergangenen Jahr. Die Männer haben Häuser in Brand gesteckt, Hunde und Milchkühe getötet, mit Revolvern in die Luft und vor die Füße der Bauern geschossen. Sie haben das Land mit einem schweren Zaun umgeben und mit bewaffneten Sicherheitskräften besetzt, an die zwanzig finster blickende "Pistoleiros", über die man in der Gegend flüstert: alles ehemalige Sträflinge, alle wegen Kapitalverbrechen vorbestraft! Bassan, der Großfarmer, wohnt, wenn er in der Gegend ist, in einem Hotel mit Schwimmbad in einer nahen Stadt. Das Schicksal der Menschen im Camp der Guten Hoffnung ist bloß einer von vielen solcher Landkonflikte: Nach Auskunft der Landpastorale, einer Organisation der katholischen Kirche, sind in den vergangenen 15 Jahren mindestens 20.000 Familien in Mato Grosso vertrieben worden, und die Zahl nimmt zu. Die "Anzahl der Hinrichtungen" im Rahmen solcher Konflikte liegt in Brasilien bei 30 bis 40 pro Jahr, in Mato Grosso allein ist es eine Handvoll. Auf der einen Seite stehen: Bauern, die jeweils bis zu 100 Hektar in familiärer Landwirtschaft auf staatlichem Boden bewirtschaften dürfen. Das sind keine riesigen Ländereien, aber klein sind sie auch nicht – ein deutscher Bauernhof hat im Durchschnitt rund 60 Hektar. Auf der anderen Seite steht das Agrobusiness: gigantische Rinderweiden, Monokulturen aus Mais und Soja bis an den Horizont, chemisch gedüngt und von Schädlingen befreit. Mit Deutschland hat das direkt zu tun. Sojaprodukte, die vor allem aus Brasilien kommen, werden in deutschen Ställen zunehmend an Schweine und Geflügel verfüttert, in geringerem Umfang auch an Rinder. 6,4 Millionen Tonnen Sojabohnen und Sojaschrot brachten Importfirmen wie ADM, BayWa und Agravis zuletzt nach Deutschland, zum größten Teil aus Brasilien, und eine Auswahl nach sozialen oder ökologischen Kriterien spielt nur eine Nebenrolle. Chemiefirmen wie Bayer und BASF beziehen erhebliche Gewinne aus dem Verkauf von Düngemitteln und Schädlingsgiften in Brasilien. Die Umweltschutzorganisation World Wide Fund For Nature hat vor einigen Jahren berechnet: Die 17 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in Deutschland würden sich durch die Importe sozusagen um sieben Millionen Hektar im Ausland erweitern. Allein Deutschlands Sojaimporte aus Brasilien beanspruchen demnach eine Fläche von 1,6 Millionen Hektar in dem südamerikanischen Land – ein Acker so groß wie SchleswigHolstein. Es führt also ein direkter Weg von Brasilien zum Schnitzel im deutschen Supermarkt. Landlose Menschen sind Gesindel Die Rückeroberung der Araúna-Farm sollte im Morgengrauen beginnen. Doch kurz nach neun, die Tropensonne brennt gefühlt fast senkrecht herab, kochen die Leute noch Kaffee, schnüren Hängematten und Matratzen auf die Dächer klappriger Autos, fassen sich in einem Kreis an den Händen und beten das Vaterunser. Ein Baby weint auf dem Arm seiner Mutter. Dann schwingt ein muskulöser Landarbeiter mit einer roten Kappe auf dem Kopf eine Axt und zertrümmert das Vorhängeschloss am Tor zur Farm. Der Trek aus Autos, Motorrädern und Fußgängern, Hunden und Gänsen zieht los, die Anführer winken nervös, schnell soll es gehen. Ab und zu sieht man zwischen den Bäumen den weißen Hut und das strahlend blaue Hemd einer Sicherheitskraft, hoch zu Pferde, doch sie verschwinden wieder. "Heute bleibt alles ruhig", beruhigt ein Vertreter der Landpastorale die Nerven, ein schlaksiger Mann mit hoher Stirn und imposanter Hakennase. "Die Probleme beginnen in den nächsten Tagen, falls die Pistoleiros einen Gegenschlag unternehmen oder mit der Polizei gemeinsame Sache machen." Der Mann ist sozusagen als Besetzungsberater dabei, und er hilft zupackend beim Transport. Dann parliert er noch über die jüngste Besetzung auf der Nachbarfarm. Da wurden seinerzeit acht Leute erschossen. Er erzählt Geschichten von einem Großfarmer am Ort, der Sklavenarbeiter wie Tiere hielt, der mal eine Miliz mit 200 bewaffneten Männern unter sich hatte und sogar die Bundespolizei in die Flucht jagen konnte. "Und wissen Sie, was das Beste ist? Der ist für seine Verbrechen nie wirklich belangt worden, der lebt heute ganz friedlich in der Stadt." Die Araúna-Farm ist 14.000 Hektar groß, 230-mal so groß wie ein durchschnittlicher deutscher Bauernhof. Antônios Leute wollen davon 9000 Hektar für sich zurück. Die brasilianischen Umweltschutzregeln sehen vor, dass sie dann 1.800 Hektar beackern dürfen, der Rest muss Wildnis bleiben. Antônio hat schon genaue Pläne, er will Landwirtschaft betreiben, genauso wie beim letzten Mal: Reis und Bohnen, Kürbisse und Okra, Bananenstauden und Maniokwurzeln, dazwischen Hühner und Schweine. Kein Soja und keine riesigen Rinderweiden, "die diesen Planeten eines Tages noch zugrunde richten". Ohne gewaltige Apparate, ohne riesige Mengen von Agrochemie, die mit Flugzeugen versprüht werden. Kampfbereit: Fernando Fernandes Cruz kurz vor der Besetzung. ©Giorgio Palmera für Die ZEIT Es gibt einen offiziellen Rechtsweg für das Anliegen Antônios: Nachdem sie ihren Antrag auf das Land vor Jahren fristgerecht gestellt haben, müssten sie vom Staat ihre Parzellen zugewiesen bekommen. Dafür gibt es Gesetze, Behörden, Polizeivorschriften. In der Praxis läuft es aber nicht so – nicht in Mato Grosso. Obwohl kein Jurist ernsthaft das Anrecht der Leute aus dem Camp der Guten Hoffnung anzweifelt, ist ihr Anliegen im "Zu erledigen"Stapel örtlicher Gerichte gelandet – so wie Hunderte andere. Die zuständige Bundesbehörde und sogar der Chef der örtlichen Polizeistation bestätigen, dass unrechtmäßige, gewaltsame Landbesetzungen durch Agrarunternehmer ein großes Problem in der Gegend sind. Trotzdem reagiert die Polizei oft spät oder gar nicht auf brutale Übergriffe durch Großfarmer und ihre Pistoleiros. Manchmal drangsalieren sogar die Beamten landlose Bauern im Wartestand, beschimpfen sie als "Vagabunden". Die Landpastorale vermutet, dass manche Polizisten und Richter bestochen worden sind, in einigen Fällen konnte das nachgewiesen werden. Allerdings hat in diesen Breiten auch eine Grundüberzeugung aus feudalen Zeiten überlebt: Ein fazendeiro, ein Großgrundbesitzer, hat der Herr über das Land zu sein, und landlose Menschen sind Gesindel. "Diese erneute Besetzung durch die Bauern ist streng genommen nicht legal", gibt ein örtlicher Vertreter der Landpastorale zu. Vor Jahren hätte eine Richterin sogar ausdrücklich angeordnet, dass die Bauern auf das Land nicht zurückkehren dürften, weil erst mal der Behördengang abgeschlossen werden solle. "Aber wenn die nicht kämpfen, sitzen sie in zehn Jahren noch hier am Straßenrand. Sie müssen die Behörden zwingen, dass sie ihren Job erledigen." Um zwanzig vor zehn erreichen die Farmbesetzer den schattigen Platz unter Bäumen, wo sie ihr Basislager errichten wollen. Ringsherum standen einst ihre Häuser, jetzt ahnt man das bloß noch, weil überall verkohltes Holz auf dem Boden liegt. Die Männer und Frauen legen nicht mal eine Pause ein. Sie räumen den Boden frei, töten Giftschlangen mit Hacken, holen Äste für neue Baracken aus dem Wald. Ein alter Mann schleppt eine Riesenmelone aus dem nahen Gestrüpp und legt sie stolz auf den Boden, sein Gesicht verzerrt von Glück. "Sehen Sie, wie fruchtbar dieser Boden ist? Hier ist das beste Stück Land von Mato Grosso!" Binnen weniger Jahre sind in der Region auch neue Städte aus dem Nichts gewachsen, Kreationen aus Asphalt und Beton. Sorriso ist eine der wichtigsten von ihnen, eine Ortschaft mit 80.000 Einwohnern und extrabreiten Durchfahrtstraßen für die Landmaschinen und Laster. Das Wirtschaftswachstum hat sich in zehn Jahren verfünffacht, die Zuwanderung ist hoch und die Arbeitslosigkeit gering. "An keinem anderen Ort in Brasilien wird so viel Mais und Soja produziert, behauptet Dirceu Rossato, seit 2013 der Bürgermeister. "Richten Sie doch bitte den deutschen Unternehmern aus: Wir sind bereit für weitere Investitionen!" Rossato ist ein Zahlengenie, ohne Notizen rasselt er die Kennziffern der Landnutzungsstatistik herunter. 65.000 Hektar Sojafläche, mehr als 350.000 Hektar Mais, 15.000 Hektar Baumwolle. Er erklärt, dass Sorriso auf Portugiesisch "das Lächeln" heißt. Er, Rossato, sei also der Bürgermeister in der Stadt des Lächelns. Im Hauptberuf ist Rossato Großfarmer für Soja und Mais. Ihm gehören fünf gigantische Silos aus Stahl und Beton, und seine Unternehmen machen auch in Handel und Logistik. Rossato hat keine Zweifel daran, dass dies die Zukunft ist. Eine hoch technologische, blitzsaubere und sagenhaft effiziente Form des Landbaus. "Alle Straßen in meiner Stadt sind asphaltiert", bemerkt der Bürgermeister, keine Ackerkrume klebt an seinem Schuh. Forschungszentren, Saatgut-Produktionsstätten und Vertriebsbüros von Chemieunternehmen säumen die Zufahrtsstraßen, man liest Namen wie Monsanto, Bayer und Dow. "Hochleistungs-Saatgut" verspricht eine Werbetafel. Im Radio warnen sie vor einer Gruppe landloser Menschen, die sich im Stadtgebiet herumtreibt. Die Leute sollten die Augen aufhalten. Es klingt wie der Aufruf zur Hatz. "Ist da ein Grüner bei?" Der Bürgermeister ist herzlich und hilfsbereit, doch es ist schwierig, ein Interview zu führen. Über Industrieansiedlungen und neue Straßen, Bahntrassen und Wasserwege kann man mit ihm prima reden. Über Themen wie Bauernvertreibungen, den Gesundheitsschutz und die Natur eher nicht. Man kann ihn mit anerkannten Studien konfrontieren, nach denen wegen der Monokultur-Wirtschaft jedes Jahr ein Giftregen von 136 Litern pro Einwohner um Sorriso niedergeht, dass Rückstände sich bis in die Muttermilch nachweisen lassen. Dann antwortet Rossato nur: "Alles Legende." Umweltschutz? Gesundheitsprobleme der Landarbeiter in der Stadt? Da wechselt der Bürgermeister schnell das Thema und hält eine Grundsatzrede: Die Agrarunternehmer hätten das Wohl der Menschen am besten im Blick. Der Staat und seine Aufseher sollten sich raushalten aus seiner Stadt. So ähnlich reden auch andere Agrarunternehmer. Viele sind zugleich Bürgermeister und Gouverneure, Parlamentsabgeordnete und Senatoren in der Hauptstadt Brasilia, wo die Agrarlobby aus dem Herzen des Landes zunehmend Einfluss gewinnt. "Das Agrobusiness ist die Berufung dieses Staates", erklärt der stellvertretende Gouverneur von Mato Grosso, der Großfarmer Carlos Fávaro. Alternativen könne man sich dazu nicht vorstellen. "Sollen wir hier etwa eine Autofabrik eröffnen?" Umweltschutz- und Menschenrechtsgruppen werfen den politisch Verantwortlichen vor, dass sie in Mato Grosso eine Welt geschaffen hätten, in der Rechte und Gesetze nichts wert sind. Regionale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben buchdicke Sammlungen von Fällen zusammengetragen, in denen Politiker willkürlich Rechtsbestimmungen zugunsten der Agrarunternehmer geändert haben sollen. Und andere Fälle, in denen Druck auf Richter und Polizeichefs, Journalisten und Schulleiter ausgeübt worden sei, damit bloß nichts herauskomme über die Realitäten im brasilianischen Agrobusiness. Den NGOs geht es dabei um einen ganzen Strauß an Problemen: Landkonflikte und Umweltgifte, Sklavenhaltung und Regenwald-Abholzung, Indianer-Vertreibungen und Gentechnik. Ihre Stimmen sind leise, und ihre Bekanntmachungen werden in der Lokalpresse nicht gerne zitiert, manche NGO-Vertreter haben sogar Morddrohungen erhalten. Ein Arzt erzählt im Vertrauen, dass es in Mato Grosso "viel sicherer" sei, ein Virus als die Ursache einer Durchfallerkrankung zu diagnostizieren – auch wenn man als Mediziner wisse, dass es ein Agrargiftstoff gewesen sei. Im vergangenen Oktober reiste der Fraktionschef der Grünen, Anton Hofreiter, ins Herkunftsland der deutschen Futtermittel. Er sprach mit lokalen Politikern und erklärte danach entsetzt: "Ich fühle mich ein wenig an Mafiafilme erinnert." Dämmerstimmung: Radfahrerin in der Agrarstadt Sorriso. ©Giorgio Palmera für Die ZEIT Den brasilianischen Gastgebern kann solche Kritik weitgehend egal sein: Häufiger noch als die Deutschen kaufen Chinesen und US-Amerikaner brasilianische Erzeugnisse. Zugleich stehen auch deutsche Firmen und ihre Interessenvertreter dem Agrobusiness nah: Die Handelskammer-Vertreterin und Honorarkonsulin vor Ort, Tania Kramm da Costa, ließ trotz mehrerer Nachfragen kein Gespräch mit der ZEIT zum Thema zustande kommen. Ihr Vater ist selber ein Großfarmer und nach eigenem Bekunden ein guter Bekannter des brasilianischen "Sojakönigs" Blairo Maggi. Der teilte telefonisch mit, wie verärgert seine Geschäftspartner über manche Besucher aus Deutschland seien. "Die fragen vorher schon immer: Ist da ein Grüner bei?" Der Traum von Antônio Bento und den 100 Familien ohne Land ist zwei Tage nach der Besetzung erneut zerstoben. Im Morgengrauen kamen die Pistoleiros zurück: Sie überfielen das Lager, sie trugen Masken über den Köpfen und 12er- und 38er-Waffen in den Händen. Sie schossen um sich, bis eine Panik die Leute ergriff. Sie traten Jugendliche zusammen und übergossen die Baracke, in der die Kinder schliefen, mit Benzin. Dann drohten sie damit, sie anzuzünden – da war der Widerstand gebrochen. "Ich habe um das Leben meiner Kinder gefleht", berichtet ein Vater unter Schock. Autos, Motorräder und die neue Baracke gingen in Flammen auf. Antônio und vier weitere Anführer wurden in einer stundenlangen Verfolgungsjagd mit Schüssen in den Wald gejagt. Antônio hat die Hetzjagd überlebt, ein paar Tage nach der Besetzung telefoniert er aus einem Versteck und berichtet, dass er "um ein Haar entkommen" sei. Er dürfe sich aber nirgendwo sehen lassen, "ich werde mit dem Tod bedroht", und nach Todesdrohungen gegen seine Verwandten sei die ganze Familie untergetaucht. Vier weitere Kleinbauern aus dem Camp der Guten Hoffnung wurden tagelang vermisst, ein Sondereinsatzkommando der Polizei – das Stunden nach Berichten von einem möglichen Massaker am Tatort erschien – suchte nach Leichen, fand aber keine. Die ZEIT hat dem Farmbesitzer eine schriftliche und wiederholte telefonische Interviewanfragen zugeleitet, die er nach Zeugenaussagen bekommen hat, doch ein Gespräch kam nicht zustande. Bei der Regierung und bei den Polizeibehörden in der Hauptstadt von Mato Grosso, Cuiabá, ist seit den Ereignissen Aktionismus ausgebrochen: Kundschafter sind in die Region gereist, sie haben die Gründung einer "Kommission" in Aussicht gestellt, im Gouverneurspalast erwägt man die Entsendung eines "besonderen Polizeidelegierten aus der Hauptstadt, um die örtliche Polizei von dem Fall zu entlasten". Bis Redaktionsschluss war er nicht benannt. Die Bauern in spe campieren jetzt wieder am Rand derselben Straße – sie besitzen noch weniger als zuvor. Die Pistoleiros haben sämtliches Hab und Gut verbrannt. Die Zahl der bewaffneten Angestellten auf der Araúna-Farm hat sich laut Berichten aus dem Camp der Guten Hoffnung deutlich erhöht, und angeblich ballern sie nachts mit Pistolen in der Nähe der improvisierten Schlafplätze herum und drohen mit neuen Überfällen. Ein Landloser aus einem Camp an einer Nachbarfarm ist am Wochenende am helllichten Tag erschossen worden. Mitarbeit: Shanna Hanbury UPDATE: "Meine ganze Familie ist mit dem Tod bedroht" Update: Wie es weiterging. Ein Nachtrag zum Artikel für ZEIT ONLINE. (tf) Es ist interessant, Wochen nach der ersten Recherche noch mal nachzufragen: Hat sich etwas Neues ergeben? Wie geht es den Menschen im Camp von Boa Esperança? Haben die Polizei oder das Gouverneursbüro in Mato Grosso irgendetwas unternommen? Immerhin hatte man uns das ja angekündigt, den ausländischen Journalisten, als wir nach unserer Recherche wieder abreisten: Da werde nun eine Kommission gegründet. Der Gouverneur sei persönlich informiert über die Sache. Nun würden alle Seiten angehört und dann entschieden. Es werde ein spezieller Super-Polizeidelegierter zum Schutz der Menschen vor Ort geschickt. Der Redaktionsschluss dieses Nachtrags liegt drei Wochen nach dem Abschluss unserer Recherchen. Ein Polizeidelegierter ist immer noch nicht ernannt, geschweige denn vor Ort erschienen. Die bis an die Zähne bewaffnete Sonderpolizeieinheit BOPE, immerhin, patrouilliert die Gegend, und nach Informationen vor Ort "halten sich die Pistoleiros seither etwas zurück". In einem Landkonflikt auf einer Nachbarfarm hat es weitere Tote gegeben. Antônio Bento muss sich immer noch versteckt halten, einige seiner Kampfgenossen und einige Familienmitglieder ebenfalls, und er fürchtet um weitere Angehörige: "Meine ganze Familie ist mit dem Tod bedroht." Immerhin hat die Regierung von Mato Grosso ein paar Lebensmittelhilfen in die Camps der Landlosen entsandt. Sie schickt auch einen "Mediator" dorthin, der angeblich mit allen Seiten spricht – doch das dürfte kaum etwas nützen. Im Fall der Leute in Boa Esperança und in den Hunderten ähnlich gelagerten Fällen müsste ja ein definitiver Rechtsspruch her. Statt dessen campieren die Familien weiter am Rand der Straße, in notdürftigen Baracken, wo die Erinnerung an ihre Zeit als stolze Bauern weiter verblasst. Nachts hören sie manchmal die Pistoleiros, die nebenan auf der Großfarm Knallkörper zünden und in die Luft ballern. Aus einer dem Fall nahestehenden Polizeiquelle heißt es, allerdings unbestätigt, dass es keine offizielle Vernehmung des Großfarmers Marcelo Bassan gegeben habe. (Wir bleiben weiter dran: Neuigkeiten dann auf Twitter unter @strandreporter). Die deutschen Interessenvertreter vor Ort in Mato Grosso kamen weiterhin nicht auf unsere Anfrage zurück. Importunternehmen, die maßgeblich Agrarprodukte aus Mato Grosso nach Deutschland und Europa importieren, antworteten teilweise freundlich-informativ ("nur ein geringer Anteil der Importe stammt aus Mato Grosso…"). Der in Mato Grosso gut vertretene Branchenriese ADM schickte uns eine Mail mit dem Verweis auf eine Website, die gar keine spezifischen Antworten enthielt, und verstummte auf weitere Nachfragen ganz. Stattdessen erreichte uns nach der Veröffentlichung das Schreiben eines Landwirts, der sich als "Pionier der landwirtschaftlichen Erschließung von Mato Grosso" bezeichnet und als "bestens bekannt" mit den handelnden Personen des Artikels: Unsere Informationen stammten offensichtlich von einer "linksradikal mit terroristischen Tendenzen beurteilten Gruppe". Der Autor solle sich "fragen, warum das seriöse Brasilien (Governador Maggi, deutsche Konsulin u.v.a.) … gewisse grünlastig-gutmenschliche Journalisten nicht empfängt". Vielleicht, weil alle sehr beschäftigt sind? Das Business in Mato Grosso blüht auch für deutsche Firmen wie nie. Anfang März meldete der Wirtschaftsdienst Bloomberg, dass Bayer und BASF jetzt deutlich in diesem Teil der Welt expandieren wollen. Mit Pflanzenschutzmitteln, die in Mato Grosso so großzügig versprüht werden, und mit speziellem Saatgut, das ganz alleine diesen giftigen Regen überlebt.
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