Eine Verlagsbeilage in Zusammenarbeit mit TransFair e.V. der Freitag | Herbst 2015 Extra F O T O : T R A N S FA I R E .V. / S A N T I A G O E N G E L H A R D T Mit Fairtrade unterwegs Der Faire Handel ist längst keine unerreichbare Vision mehr: Weltweit unterstützen immer mehr Menschen Fairtrade, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu verändern. Jeder Einsatz zeigt Wirkung. Arbeiter und Bauern erhalten für ihre Erzeugnisse nicht nur stabile Preise, sondern finanzieren mit einer Prämie Projekte, die der Gemeinschaft zugute kommen. Die Erfolge von Fairtrade wurden auch von Wissenschaftlern belegt. Ihre Studien zeigen: Höhere Einkommen und mehr Sicherheit sind dank Fairtrade möglich. 2 Fairtrade der Freitag | Herbst 2015 Fairtrade der Freitag | Herbst 2015 Ein Vertrag für die Zukunft der Erde: Mehr als gute Vorsätze? E s ist eines ihrer ehrgeizigsten Vorhaben, das die Vereinten Nationen im September verabschieden. Bis 2030 wollen sie weltweit Armut und Hunger ausrotten, jedem Kind wird das Recht auf Schulbildung zugesichert, Frauen und Mädchen sollen nicht länger benachteiligt sein. Dies sind nur drei der 17 Ziele der sogenannten Sustainable Development Goals. Die neuen Nachhaltigkeitsziele könnten eine Chance sein, menschenwürdige Arbeit weltweit zu fördern. Der Aktionsplan soll den Ärmsten der Welt helfen und die Industrienationen stärker denn je in die Pflicht nehmen. Doch sind die 193 Staats- und Regierungschefs wirklich bereit, eine Kehrtwende zu vollziehen, um „niemanden zurückzulassen“ – wie es im bisherigen Entwurf des Aktionsplans heißt? Zweifel und Skepsis sind mehr als angebracht. Ein Blick auf internationale Lieferketten zeigt, dass nur wenige multinationale Handelsunternehmen die Branchen beherrschen. So kontrollieren beispielsweise vier Unternehmen 90 Prozent des Weltgetreidemarktes, nur fünf Konzerne teilen 50 Prozent des Kakaomarktes unter sich auf, und fünf Handelsketten dominieren die Hälfte des europäischen Lebensmittelhandels. Wie eine Studie des Fair Trade Advocacy Office in Brüssel zeigt, führt der Missbrauch dieser Marktmacht zu unlauteren Handelspraktiken. Die Leidtragenden sind diejenigen, die ganz am Anfang der Lieferketten stehen: Bauern und Arbeiter in den Produktionsländern. Die UN sprechen sich mit dem neuen Zielkatalog für ein “anhaltendes, integratives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum” aus. Für Harriett Lamb, Direktorin von Fairtrade International, ist klar, dass dieses Ziel nur dann erreicht werden kann, wenn den Erzeugern faire Preise bezahlt werden. Nachhaltige Produktion muss an erster Stelle stehen, nicht Profitmaximierung. Doch die extreme Machtkonzentration verhindert Wettbewerb und damit faire Bedingungen. „Um integratives Wachstum zu erreichen, müssen Bauern und Arbeiter, Konsumenten und Unternehmen gleichermaßen einbezogen werden. Und auch die Regierungen müssen zu ihrer Verantwortung stehen”, sagt Lamb. Ob diese dazu bereit sind, bleibt fraglich. Gefordert ist ein globales Engagement von Händlern und Handelsketten, um existenzsichernde Löhne und die Kosten für eine nachhaltige Produktion zahlen zu können. Nachhaltige Produktion, nicht Profitmaximierung Zwar fordern auch die UN ein gerechtes multilaterales Handelssystem. Doch den Auftrag dazu soll die Welthandelsorganisation (WTO) erhalten. Kritiker sehen in ihr die Organisation, die für Handelsliberalisierung steht und damit auch für die sich zuspitzende Lage der Kleinbauern. Handel muss den Armen zugutekommen. Die Liberalisierung des F O T O S : FA I R T R A D E I N T E R N AT I O NA L / S E A N H AW K E Y, U N T E N M I R I A M E R S C H Vision Ein Ende der Armut, mehr Bildung und weltweites Wachstum: Die UN setzen sich hohe Ziele für mehr Nachhaltigkeit. Doch der Weg zu einem fairen Handelssystem ist lang Handels darf kein Selbstzweck sein, denn sie garantiert nicht den Abbau der Armut, sondern fördert die Ungleichheit. Dies gilt insbesondere dann, wenn reiche Länder Zugang zu den Märkten der am wenigsten entwickelten Länder verlangen und erzwingen, während sie den Zugriff auf ihre eigenen Märkte gezielt begrenzen. Ein Beispiel ist die Liberalisierung in der Bananen- und Zuckerindustrie. Sie hat dazu geführt, dass viele Fairtrade-Kleinbauern und -Arbeiter ruiniert wurden oben: Kleinbauern sind im Fairtrade-System durch einen stabilen Mindestpreis gegen Börsenpreisschwankungen abgesichert unten: In der Generalversammlung von Fairtrade International haben die Produzentenvertreter 50 Prozent der Stimmen del, das Artensterben, extreme Naturereignisse wie Wirbelstürme oder Erdbeben bedrohen das Leben vieler Menschen. Der neue Aktionsplan sollte ökonomische, ökologische und soziale Dimensionen nachhaltiger Entwicklung berücksichtigen. Die Entwicklungsfachleute und Politiker aus den jeweiligen Ländern einigten sich darauf, dass die künftige Entwicklungsagenda auf alle Länder der Welt anwendbar sein soll. Damit werden mit den neuen Zielen nicht nur die armen Staaten des Südens adressiert, sondern die Weltgemeinschaft steht in der Verantwortung. Ihre Umsetzung ist freiwillig und jeder Staat entscheidet selbst über die Maßnahmen, um die Ziele zu erreichen. Geplant ist, die Umsetzung anhand fester Indikatoren regelmäßig zu überprüfen. Schon jetzt ist klar: Allein die Ankündigung von Nachhaltigkeitszielen wird an der Ausgrenzung und Ausbeutung von Kleinbauern und Arbeitern in Entwicklungsländern nichts ändern. Ihre Stimme muss gehört werden, wenn Worte in Taten umgesetzt werden. Nur wenn es gelingt, das Diktat von internationalen Handelsunternehmen entlang der Wertschöpfungsketten zu beenden, werden die UN-Nachhaltigkeitsziele tatsächlich etwas verändern können. Gefragt sind nicht verhandelbare Regelungen, um der Macht globaler Unternehmen Grenzen zu setzen. Nur wenn internationale Wertschöpfungsketten einer Aufsicht unterliegen, 3 sind die UN-Nachhaltigkeitsziele auch tatsächlich umsetzbar. Regierungen müssen das Wettbewerbsrecht aktualisieren und ihre bisher rein Verbraucherschutzorientierte Perspektive ändern und auf Wertschöpfungsketten ausdehnen. Nur dann kann es langfristige, nachhaltige Lösungen für alle geben, einschließlich existenzsichernder Einkommen und Löhne für Bauern und Arbeiter. Stimme der Kleinbauern und Arbeiter muss gehört werden Die Messlatte für die neuen Ziele liegt entsprechend hoch, das haben auch die politischen Entscheider erkannt. „Unsere Generation könnte die erste sein, die die Armut ausrottet, ebenso wie wir die Letzten sein könnten, die die Chance haben, den Planeten zu retten", zitierte UNGeneralsekretär Ban Ki-Moon aus dem Aktionsplan. Für Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wird von der Staatengemeinschaft nichts weniger als ein Vertrag für die Zukunft der Erde verabschiedet. Die Hoffnung ist groß, dass die nachhaltigen Entwicklungsziele ein Schritt zu einem gerechteren Handelssystem sein können. „Sie müssen zeigen, ob Gerechtigkeit die zentrale Säule ist, um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen.“, sagt Harriet Lamb von Fairtrade International. „Sonst bleibt es lediglich bei einer hochtrabenden Rhetorik.“ Der Vorschlag für die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung Der Aktionsplan der UN setzt die Weichen für die Entwicklungspolitik bis 2030 oder ihre Arbeitsplätze verloren haben. Der neue Aktionsplan soll die Millenniumsziele der Vereinten Nationen ablösen, die 2015 auslaufen. Vor 15 Jahren verabschiedeten Politiker aus aller Welt die sogenannten Millennium Development Goals der UN. Bis 2015 sollte die Zahl der Hungernden halbiert, jedes Kind eine Grundschulbildung bekommen, die Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesenkt und Frauen und Mädchen gleichberechtigt werden. Es gab zwar Verbesserungen, doch alle Ziele wurden bei Weitem nicht erreicht. Mit zu den größten Niederlagen zählt etwa, dass die Anzahl der ständig hungernden Menschen nicht annähernd wie gewollt reduziert werden konnte. Nur um 17 Prozent sankt die Zahl. Damit sind noch immer 842 Millionen Menschen chronisch unterernährt. Auch in der medizinischen Versorgung der Landbevölkerung konnte deutlich weniger erreicht werden als angestrebt. Erschreckende Defizite gibt es noch immer in der Schul- und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen in armen Staaten. Mädchen und Frauen sind nach wie vor deutlich stärker von Ausbeutung und Armut betroffen. Die Nachhaltigkeitsziele sollen nicht nur die Probleme angehen, die bisher nicht gelöst werden konnten. Der neue Aktionsplan der Vereinten Nationen ist viel mehr als eine Fortschreibung der Milleniumsziele, denn er setzt die Weichen für die Prioritäten, Konzepte und Strategien von Entwicklungspolitik für die kommenden 15 Jahre. Für die Entwicklung der neuen Ziele war die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Rio 2012 entscheidend. Jahrelang wurde über den Zielkatalog beraten und verhandelt. Schließlich sollte der Aktionsplan nicht nur hohen Ansprüchen, sondern auch den Veränderungen auf der Welt gerecht werden: Die Schwellenländer gewinnen an wirtschaftlicher und politischer Macht, Wirtschafts- und Finanzkrisen beeinflussen stärker denn je das globale Marktgeschehen. Hinzu kommen die noch unkalkulierbaren Folgen einer ökologischen Krise. Der Klimawan- 01. Armut in jeder Form und überall beenden. 02. Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern. 03. Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern. 04. Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern. 05. Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen. 06. Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten. 07. Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern. 08. Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern. 09. Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen. 10. Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten verringern. 11. Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen. 12. Für nachhaltige Konsumund Produktionsmuster sorgen. 13. Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen. 14. Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen. 15. Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung stoppen und umkehren und den Biodiversitätsverlust stoppen. 16. Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen. 17. Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung wiederbeleben. Fairtrade der Freitag | Herbst 2015 FOTO: YISHENG ORGANIC beziehen sich auf die Bereiche Ökonomie, Soziales und Umwelt. Sie schreiben für die meisten Rohstoffe einen stabilen Mindestpreis vor, der für die Kleinbauern bei Preisschwankungen nach unten ein Sicherheitsnetz bildet. Diese Regelung hilft den Kooperativen zu kalkulieren, welche Einkünfte sie haben – gerade dann, wenn die Preise für Bananen, Kaffee oder Kakao am Weltmarkt sinken. Steigt der Marktpreis, erhalten die Produzenten auch den höheren Preis. Ob die vereinbarten Summen gezahlt und die Standards eingehalten werden, überprüft ein unabhängiges Kontrollsystem. Das Verfahren der zuständigen FLOCERT GmbH entspricht durch die Akkreditierung nach ISO Norm 17065 einem weltweit gültigen Standard für Unabhängigkeit. Spielregeln für den Fairen Handel Wandel Fairtrade-Produkte gibt es längst in fast jedem Supermarkt. Doch was steht hinter dem Fairtrade-Siegel? Die Menschen in den Anbauländern des globalen Südens profitieren langfristig vom Fairen Handel nach Fairtrade-Standards gehandelt und hergestellt. Heute zählen 19 Initiativen zum Bündnis, 27 Länder werden darüber abgedeckt. Anders als im Biobereich gibt es für faire Produkte keine gesetzlichen Vorgaben. Die vier internationalen Dachverbände des Fairen Handels – kurz FINE genannt – einigten sich 2001 auf eine Definition von Fairem Handel. Für sie ist der Faire Handel „eine Handelspartnerschaft, die auf Dialog, Transparenz und Respekt beruht und nach mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel strebt“. F O T O S : O B E N FA I R T R A D E I N T E R N AT I O N A L / M I R I A M E R S C H , U N T E N T R A N S FA I R E .V. / NA B I L Z O R K O T K affee, Tee und Schokolade aus Fairem Handel gibt es schon lange nicht mehr nur im Weltladen. Längst sind auch Supermarktketten auf den Zug aufgesprungen und haben die Waren im Sortiment. Der Kauf eines Produkts mit dem FairtradeSiegel ist aber weit mehr als eine Beruhigungspille für das gute Gewissen. Fairtrade hat das Ziel, Ungleichgewicht im weltweiten Handel abzubauen, indem Bauern und Arbeiter gestärkt werden. Und das gemeinsam mit allen Beteiligten: den Produzenten im globalen Süden, der Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Das Fairtrade-System soll nichts weniger als einen Richtungswechsel bei den Handelsbedingungen einläuten. Vor über zwanzig Jahren entstand die Idee, den Fairen Handel zu vergrößern, indem fair gehandelte Produkte mit einem Siegel ausgezeichnet werden. Damit sollten sich diese Angebote im Supermarkt von herkömmlicher Ware unterscheiden. TransFair machte es sich gemeinsam mit dem internationalen Verbund Fairtrade International zur Aufgabe, Millionen Kleinbauern und ihren Familien zu besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verhelfen. Seit 2003 gibt es ein einheitliches Siegel, das den Konsumenten auf der ganzen Welt zeigt: Dieses Produkt wurde Transparente Spielregeln Aber wie lässt sich diese Definition umsetzen? Die Fairtrade Initiativen haben darauf ihre Antwort gefunden. Sie beteiligen die Produzenten nicht nur an den Entscheidungsprozessen, sondern machen sie zu Teilhabern des Systems. Die Vertreter der Produzentennetzwerke aus Lateinamerika, Afrika und Asien halten gleichberechtigt 50 Prozent der Stimmen in wichtigen Entscheidungsgremien und internationalen Komitees. Als Werkzeuge, um den Wandel der Handelsbedingungen zu erreichen, dienen strenge Standards. Sie sind die Spielregeln für den Fairen Handel. Die Standards Von der Ebene der Produzentenkooperative (unten) bis zur internationalen Generalversammlung (oben) sind die Produzenten die Entscheider im Fairtrade-System Fairtrade der Freitag | Herbst 2015 Strenge Kontrolle der Fairtrade-Vorgaben Zusätzlich zu den Verkaufseinnahmen bekommen die Produzenten eine Prämie. Die Mitglieder der Produzentenorganisation oder die Arbeitervertretung auf Plantagen entscheiden gemeinsam, wofür das Geld eingesetzt werden soll. In manchen Gemeinden werden damit Moskitonetze, Trinkwasserfilter oder Fahrräder angeschafft. In anderen Gebieten finanziert die Prämie den Bau von Kindertagesstätten, von Schulen oder Bildungsprojekten. Wieder andere investieren in die Gesundheitsversorgung, starten Informationskampagnen über Umwelt- oder Arbeitsschutz. Rund 1,5 Millionen Produzenten aus 74 Ländern des Globalen Südens sind Teil des Fairtrade-Systems. Die Anwendung der Standards soll den Menschen helfen, aus dem Teufelskreis der Armut auszubrechen und so selbst über ihr Leben bestimmen zu können. Dazu zählt nicht nur finanzielle Sicherheit. Die Fairtrade-Partner verpflichten sich, gegen Zwangsarbeit vorzugehen und ausbeuterische Kinderarbeit zu verbieten. Zudem werden deutlich weniger Pestizide und Chemikalien bei der Produktion eingesetzt, für biologisch angebaute Erzeugnisse gibt es einen Aufschlag. Es gibt nicht nur den einen Standard für den Fairen Handel. Die spezifischen Anforderungen für einzelne Produkte und Produktgruppen, für Händler, für Kooperativen und Plantagen werden in einzelnen Standards abgedeckt. Nur die Waren bekommen das Fairtrade-Siegel, bei deren Herstellung alle Vorgaben eingehalten wurden. Bundesweit bieten heute rund 42.000 Geschäfte und über 20.000 Cafés, Mensen oder Restaurants ihren Kunden fair gehandelte Waren an. Insgesamt tragen mehr als 3.000 Waren das Siegel. Forschung belegt nachhaltige Wirkung von Fairtrade Doch verbessert der Faire Handel tatsächlich die Lage der Menschen? Intern führt Fairtrade Workshops mit Produzentenorganisationen durch, um zu erfahren, welche Probleme sie beschäf- 5 Experten der Universität Göttingen die Auswirkungen des Zertifizierungssystems auf Kaffee-Kleinbauern in Uganda. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass Fairtrade den Lebensstandard der Bauern deutlich verbesserte, dank Mindestpreis, Prämie und der Möglichkeit, den eigenen Kaffee innerhalb der Kooperative weiterzuverarbeiten. Somit erwiesen sich die Standards als ein sinnvoller Baustein bei der Armutsbekämpfung. Die Forscher fanden verbesserte Lebensstandards bei den Kleinbauern F O T O : T R A N S FA I R E .V. / J Ö R G B Ö H T L I N G 4 Fairtrade stärkt die Arbeiterinnen auf Plantagen tigen und welche Rolle Fairtrade spielen kann, um diese zu bewältigen. Im Fokus stehen derzeit unter anderem verbesserte Haushaltseinkommen oder eine nachhaltige Ernährungssicherung. Ob Fairtrade zu einem Wandel beiträgt, wird regelmäßig mittels Datenerhebung untersucht, ausgewertet und überprüft. Alle Mitglieder bekommen Zugang zu Daten und Analysen. So profitieren sowohl die Produzenten in den Entwicklungsländern als auch das System weltweit von den Ergebnissen. Auch Wissenschaftler erforschen die Wirkung des Fairen Handels: Valerie Nelson und Barry Pound von der Universität Greenwich in Großbritannien haben in einer Studie belegt, dass sich die Einkommen der Kleinbauern dank Fairtrade stabilisieren und damit besser kalkulierbar sind. Von den regelmäßigen Einkünften profitieren ihre Familien, aber auch ganze Dörfer und Regionen. Zudem stärkt der Faire Handel langfristig demokratische Strukturen in den Betrieben. In einer Studie aus dem Jahr 2013 untersuchten Ein weltweit gerechteres Handelssystem ist ein ambitioniertes Ziel. Damit die Arbeitsbedingungen für beispielsweise die Arbeiter auf Plantagen langfristig verändert werden, muss noch viel getan werden. Ein Baustein sind existenzsichernde Löhne. Diese müssen anstelle der bisher festgeschriebenen gesetzlichen Mindestlöhne schneller erreicht werden. Eines der größten Probleme bleibt allerdings die Machtkonzentration einiger weniger Unternehmen in den Produktionsketten. Um hier einen Wandel einzuläuten, müssen Unternehmen, Regierungen und Organisationen stärker denn je zusammenarbeiten. Internationales FAIRTRADE-Netzwerk zertifizierte KleinbauernKooperative oder Plantage zertifizierter Exporteur aufende Entwicklung und Überprüfung L von FAIRTRADE-Standards eratung der Kleinbauernkooperativen B und Plantagen in Entwicklungsländern Mitbestimmung durch die Produzenten Fairtrade International (gemeinnütziger Dachverband aller Produzentennetzwerke und Fairtrade-Gütesiegel-Initiativen) zertifizierter Importeur Unabhängige Zertifizierungs organisation, ISO 17065 akkreditiert f ührt angekündigte und unangekündigte Audits auf Basis der Fairtrade-Standards bei Vertragspartnern durch FLOCERT GmbH zertifizierter Hersteller Vergabe von Lizenzen an Unternehmen Lebensmittelhandel, Fachgeschäfte, Gastronomie Beratung von Unternehmen, die im Fairen Handel aktiv werden möchten TransFair e.V. (Fairtrade Deutschland) Konsument und Konsumentin Informations arbeit über den fairen Handel Fairtrade Fairtrade der Freitag | Herbst 2015 der Freitag | Herbst 2015 7 Anschubhilfe für ein besseres Leben Der Mechanismus, Produzentennetzwerke aufzubauen, ist einmalig bei Fairtrade. Nationale Netzwerke für Kaffeekleinbauern konnten in drei von vier der untersuchten Länder etabliert werden. Über regionale Netzwerke wurden Weiterbildungen und internationale Beteiligungen organisiert. Fairtrade Coffee, Studie des NRI Studie Fairtrade verbessert die Einkommen und damit den Lebens standard von Kaffeebauern – das belegt eine aktuelle Untersuchung britischer Wissenschaftler. Besonders hohe Absätze erzielen Bio-Kaffees, die zu fairen Bedingungen produziert wurden. Doch Fairtrade allein reicht nicht aus, um Armut zu bekäm pfen. Ein Überblick über ausgewählte Ergebnisse der Studie M ehr Mitbestimmung und höhere Einkommen, weniger Risiko und Abhängigkeit – so lassen sich die wichtigsten Anliegen von Fairtrade zusammenfassen. Eine neue Studie des Natural Resources Institut (NRI) der Universität Greenwich in Großbritannien belegt, dass diese Anliegen in weiten Teilen für die Produzenten auch erreicht werden können. Im Zentrum der Studie standen repräsentativ ausgewählte Kaffeebauern-Organisationen mit und ohne Fairtrade-Zertifizierung in den 360 wichtigen Anbauländern Peru, Mexiko, Tansania und Indonesien. Der Fokus der 320 Wissenschaftler lag auf der Wirkung von Fairtrade auf die ökonomische und strukturelle Entwicklung der Kleinbau280 ernorganisationen. Untersucht wurde etwa die Entwicklung der Haushaltsein240 kommen, der Wissensstand der Produzenten oder Investitionen in neue Verfahrenstechniken. Im Kern kamen die Autoren der Studie zu dem Schluss, dass die Fairtrade-Produzenten profitabler wirtschaften und damit auch höhere Einkommen erzielen. Neben der Fairtrade-Prämie, die die zertifizierten Kaffeeproduzenten zum Teil in Verarbeitungsanlagen investieren konnten, profitieren die Kleinbauern auch von stabilen Mindestpreisen. Sie gewinnen die Sicherheit, dass auch in Zeiten niedriger Börsenkurse ein kostendeckender Preis für den Kaffee gezahlt wird. Die Zertifizierung hat noch einen weiteren Effekt: Fairtrade fördert durch Zahlung eines zusätzlichen Bio-Aufschlags den Anbau biologischer Erzeugnisse. Nach den Ergebnissen der Wis- 1989 Aufkündigung des internationalen Kaffeeabkommens 200 160 senschaftler zahlt sich die Verbindung aus Bio und Fairtrade für die Kaffeebauern besonders aus. Allerdings ist es gar nicht so einfach, eine hohe Bio-Qualität zu erreichen. Es bedarf eines starken Qualitätsbewusstseins, intensiver Anstrengungen im Anbau, Geduld und viel Zeit. Die Wissenschaftler setzen daher langfristig auf eine umfangreichere Unterstützung für die bio-faire Produktion. Aber: Was die Untersuchung auch zeigt, ist, dass nicht nur ein faires Handelssystem allein die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kaffeebauern verändert. Die nationale Gesetzgebung oder gar gewaltsame Konflikte in den Gebieten beeinflussen maßgeblich die Lage der Bauern. Fairtrade allein kann diese Gegebenheiten vor Ort nicht kompensieren. Außerdem hängt eine gute und stabile Struktur der Organisatio- nen von den Führungsqualitäten und dem Know-how einzelner Personen ab. Das wiederum kann nur durch regelmäßige Weiterbildung und Beratung verbessert werden – diesem Bedarf kann Fairtrade derzeit aber nur teilweise entsprechen. Weitere Beratungskapazitäten müssen aufgebaut werden. Probleme gibt es auch beim Thema Gleichberechtigung. Frauen kommen in allen Organisationen nur selten zu Wort. Ihre Beteiligung an verschiedensten Gremien ist nach wie vor gering, beklagen die Wissenschaftler. Zu etabliert sind kulturell verankerte Rollenteilungen. Generell gibt es Lücken, wenn es um die Mitsprache der Mitglieder bei internen Vo r g ä n g e n geht. Fairtrade ist also kein Allheilmittel. Aber es ist ein Baustein, um langfristig den Weg aus der Armut zu ebnen. Oktober 2001 30-Jahrestief von 45 US-Cents durch Überproduktion 120 0 Bio-Anbau Mexiko Qualitätskontrolle Bodenbewirtschaftung US cents/lb 40 % mit Fruchtfleisch-Entferner 100 September 1992 Oktober 1989 Kaffee-Weltmarktpreise und Dezember 1999 Januar 1996 Bio-Anbau November 2002 Mai 2007 Januar 2015 Fairtrade-Mindestpreis © FA I R T R A D E F O U N D AT I O N 80 60 40 20 Wirkung von Fairtrade auf die Entwicklung der Produzentenorganisation Haushaltseinkommen aus Kaffeeanbau in US-Dollar pro Hektar Düngung Einsatz von Kaffee-Verarbeitungsanlagen in Fairtrade- und Nicht-Fairtrade-Organisationen Mai 2011 – Dezember 2013: Kursabsturz von 65 Prozent aufgrund der Eurokrise und von Überproduktion Mai 1997 20-Jahreshoch durch hohe Nachfrage und aggressive Börsenspekulation 80 Anteil der Kaffeebauern, die Weiterbildungen erhalten haben In allen vier untersuchten Ländern wurde die Unterstützung durch Fairtrade International von den Fairtrade-Kaffeeproduzenten positiv bewertet. Dennoch wurde eine Intensivierung des Supports gefordert, um den zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können. Fairtrade Coffee, Studie des NRI 0 % mit Trocknungstischen Qualitätskontrolle 100 Peru Bodenbewirtschaftung Indonesien 2.400 Mexiko Peru 2.000 Bio-Anbau FairtradeKaffeeorganisationen Fairtrade- und Bio-Produzenten Fairtrade-Produzenten Nicht-Fairtrade 2.200 Düngung Tansania 2.288 1.800 Tansania Qualitätskontrolle Bodenbewirtschaftung 1.400 1.537 1.348 1.366 Bio-Anbau Bodenbewirtschaftung Indonesien Nicht Fairtrade Fairtrade 800 600 400 200 Düngung 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Mehr Weiterbildung für Fairtrade-Produzenten Fairtrade-Produzenten zeigen sich insgesamt zufrieden über die Weiterbildungen, die durch Fairtrade in ihrer jeweiligen Organisation angeboten und durchgeführt werden. Zudem stellte sich heraus: Diese Kaffeebauern erhalten deutlich mehr Angebote als die Produzenten, die ohne FairtradeZertifizierung arbeiten, und die Weiterbildungen sind thematisch breiter aufgestellt. Ähnlich wie in Tansania war das Ausgangsniveau allerdings teilweise niedrig. Es besteht daher noch viel Potenzial. Künftig sollten die Angebote zur Weiterbildung der Bauern deutlich ausgebaut werden. 766 670 738 40 Beispiel-Organisation 1 Indonesien 20 0 % mit Fermentierungstanks 100 80 60 Beispiel-Organisation 1 Mexiko 478 408 40 20 Beispiel-Organisation 2 Mexiko 346 182 0 Höhere Einkommen durch Fairtrade In drei der vier untersuchten Länder zeigen sich im Vergleich der Haushaltseinkommen positive Effekte durch Fairtrade. Kleinbauern von Fairtrade-Organisationen erwirtschaften vor allem dann höhere Einkommen, wenn sie zusätzlich bio-zertifiziert sind. Indonesien stellt hier eine Ausnahme dar: Die untersuchten Fairtrade-Produzentenorganisationen liegen im ehemaligen Konfliktgebiet. Als Folge von Vertreibung besitzen die Beispiel-Organisationen wenig Land, das teilweise an schwer zu bewirtschaftenden Hängen liegt. Von diesen Widrigkeiten waren die nicht-zertifizierten Vergleichs-Organisationen im selben Land nicht betroffen. Bewertung: 80 60 Beispiel-Organisation 1 Tansania Beispiel-Organisation 2 Peru 1.000 Qualitätskontrolle Demokratie in der Organisation Beispiel-Organisation 1 Peru 1.200 Düngung Infrastruktur der Organisation Beispiel-Organisation 2 Indonesien 1.634 1.600 Stabilität der Organisation 0 deutlich verbessert keine Veränderung etwas verbessert leicht verschlechtert Indonsien stark verschlechtert Demokratie mit Hindernissen Befragt man die Produzenten aus Fairtrade-Organisationen, ist ihre Antwort eindeutig: Fairtrade hat nicht nur ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verändert, sondern auch die Strukturen innerhalb der Organisationen gestärkt und verbessert. Die Mehrheit profitiert demnach von einem stabileren Aufbau und mehr Demokratie. Wie gut und demokratisch die Beteiligung der Kleinbauern an der Organisation ist, hängt jedoch stark von den Führungsqualitäten des jeweiligen Managements ab. Das Beispiel Indonesien zeigt, dass auch die nationale Gesetzgebung den Aufbau demokratischer Prozesse innerhalb einer Kooperative erschweren kann. Mexiko Fairtrade-Kaffeeorganisation, Beispiel 1 / Beispiel 2 Peru Tansania Nicht-Fairtrade-zertifizerte Produzenten Mehr Investitionen in bessere Anlagen Neben den Erlösen aus dem Verkauf der Ernte erhalten die Fairtrade-Produzenten zusätzlich eine Prämie. Mit diesem Geld konnten die zertifizierten Produzentenorganisationen verstärkt gemeinschaftlich in bessere Verarbeitungsanlagen investieren. Die Untersuchung zeigt, dass der Anteil produktiver Kaffeeverarbeitung damit deutlich höher liegt als bei den nicht-Fairtrade-zertifizierten Produzenten. Die Unterschiede zwischen den Ländern resultieren aus ungleichen Ausgangsbedingungen und Entwicklungsstadien. F O T O :T R A N S FA I R E .V. / S A N T I A G O E N G E L H A R D T, M AYA K O VA / F O T O L I A 6 8 Fairtrade der Freitag | Herbst 2015 Fairtrade der Freitag | Herbst 2015 Raus aus der Krise – mit Fairtrade Gute Geschäfte Mit Bio-Bohnen und fairen Arbeitsbedingungen behauptet sich eine Kleinbauernorganisation in Honduras am umkämpften Kaffeemarkt. Ihr Modell trotzt wirtschaftlichen Krisen und sogar dem hartnäckigen Kaffeepilz Auf dem Weg zum Erfolg Gegründet wurde die Initiative von vier Kleinbauern und fand schnell weitere Anhänger. Gemeinsam wollten sie einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere finden. COMSA kämpfte in den Anfangsjahren hart um das Überleben, denn als neue Organisation fehlten ihr Geschäftspartner. Der Zugang zu internationalen Märkten war alles andere als einfach. Außerdem war die Vorfinanzierung der Ernte für die mittlerweile 64 Mitglieder mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die 300 US-Dollar Startkapital waren schnell aufgebraucht. Die Mitglieder mussten die Verluste der ersten fünf Jahre mit großem persönlichem Verzicht überbrücken. 2006 gelang es dem damaligen und heutigen COMSA-Präsidenten Juan David Chaves Dominguez, erstmals die Kaffeemesse in Atlanta zu besuchen. Im Gepäck hatte er sieben Pfund Kaffeeproben. Die gute Qualität des Rohkaffees überzeugte einen ersten US-amerikanischen Käufer. Damit wendete sich das Blatt und verhalf COMSA zum Durchbruch. Noch im selben Jahr bekam die Initiative die Fairtrade-Zertifizierung. Heute zählt die Organisation rund 830 Mitglieder, die sich mit ganzem Herzen dem Bio-Anbau unter fairen Bedingungen verschrieben haben. Viele neue Kaffeebau- ern wollen Teil dieser Erfolgsgeschichte werden. Das Markenzeichen von COMSA – ein „Eichhörnchen“ – ist an immer mehr Orten zu finden. In der diesjährigen Ernte konnten täglich zwei Container der Kaffeebohnen verarbeitet werden. Zu Besuch bei Doña Sonia Auf dem Weg zur Finca von Sonia Alejandra Medina sieht man die zerstörerische Kraft des Kaffeepilzes. Doña Sonia gehört dem indigenen Volk der Lenca an und ist eine spirituelle Heilerin. Je tiefer wir in das Gebiet der Lencas kommen, umso schlechter werden die Straßen, umso ärmer die Hütten. Es ist nicht zu übersehen, dass Honduras die traditionellen Provinzen der Mayavölker vernachlässigt und in ihren Gebieten keine Infrastruktur aufbaut. Die Schotterpisten geizen nicht mit Schlaglöchern. Hügel um Hügel fährt man an grünen Kaffeesträuchern vorbei, teilweise unter Bananenstauden und Kiefern angebaut, dann säumen wieder unberührte Waldstücke den Weg. Plötzlich stoppt Doña Sonia und zeigt auf ein verwildertes Stück Land. „Vor zwei Jahren zerstörte der Kaffeepilz meine gesamte Ernte.“ Von ihrem verstorbenen Mann hat sie neun Hektar Land geerbt, auf dem sie acht Kinder großgezogen hat. Der Zugang zu internationalen Märkten war alles andere als einfach Befällt der Pilz die Pflanze, sterben die Blätter ab und die schwarze Kaffeekirsche ist unverkäuflich. Der Schaden im Kaffeesektor war vor zwei Jahren so groß, dass der honduranische Staat finanzielle Unterstützungsprogramme für Kleinbauern auflegte. Doña Sonia erreichte mit Hilfe ihrer Tochter, die bei COMSA das technische Beratungsteam leitet, eine staatliche Anschubfinanzierung. Damit konnten Mutter und Tochter drei Manzanas neu bepflanzen. F O T O S : T R A N S FA I R E .V. / S A N T I A G O E N G E L H A R D T M it seinen acht Millionen Einwohnern gehört Honduras zu den kleinsten Staaten Südamerikas. Die Gewaltbereitschaft ist hoch, die staatliche Souveränität wird oft missachtet, jeder Vierte muss mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. Viele Hondureños verlassen das Land, suchen verzweifelt ein besseres Leben in den USA. Doch es gibt auch ein anderes Gesicht des oft unterschätzten Landes: Fernab von den Küstengebieten in den Bergen liegt zwischen 1.200 und 1.600 Metern das traditionelle Kaffeegebiet Marcala. Schon vor über 100 Jahren haben deutsche Auswanderer hier Kaffee angebaut und ihr Wissen an die Nachkommen der Lencas weitergegeben. Um die Jahrtausendwende, als die Kaffeepreise nicht einmal die Hälfte der Produktionskosten abdeckten und die vorhandenen Kaffeekooperativen nahezu alle in Konkurs gingen, entstand hier die Organisation Café Orgánico Marcala Sociedad Anónima – kurz COMSA. „Wir haben nach den biologischen Erkenntnissen von COMSA die neue Finca angepflanzt“, sagt Doña Sonia stolz. Einige Kaffeepflanzen tragen nach weniger als zwei Jahren jetzt schon die ersten Fruchtstände. Doña Sonia ist eine beeindruckende Person, die mit ihren 68 Jahren eine ansteckende Fröhlichkeit und Zuversicht ausstrahlt. Die fairen Standards für den Kaffeeanbau lobt sie in höchsten Tönen. „Ich bin sehr zufrieden, dank Fairtrade erhalten wir einen höheren Preis, die Fairtrade-Prämie erreicht hier die Menschen und gemeinsam kommen wir voran. Ich freue mich, wenn wieder ein Kind eines Mitglieds ein Stipendium erhalten hat, denn die Kinder sind unsere Zukunft.“ Der Aufbau von Doña Sonias Farm beruht auf den Erkenntnissen der Finca Fortaleza. Auf der Versuchsfarm, die allen 830 Mitgliedern gemeinsam gehört, wird nach der anthroposophischen Lehre von Rudolf Steiner eines ganzheitlichen biodynamischen Anbaus gelebt und gelehrt. links: Kaffeebohnen in der manuellen Qualitätskontrolle oben: Mit Hilfe der Fairtrade-Prämie werden Schulen in der Gemeinschaft unterstützt rechts: Sonia Alejandra Medina, Kaffeebäuerin unten: COMSA-Geschäftsführer Luis Rodolfo Peñalba Sarmiento Eigener Dünger, mineralische Schädlingsbekämpfung, Diversifizierung wird auf dieser Musterfarm entwickelt und an die Mitglieder weitergegeben. Es werden eigene Kaffeesetzlinge gezogen, junge Kaffeesträucher wachsen unter Schattenbäumen. Für die eigene Düngerherstellung nutzt COMSA Ernteabfälle und organisches Material, angereichert mit Mineralien aus gemahlenen Steinen oder Muscheln. Es entstehen Tonnen und fässerweise flüssiges oder festes „Gold“. Mit Hilfe des Mondes und des Kosmos entwickeln diese Mittel eine ungeheure Kraft. Mit diesem Wundermittel hat COMSA auch den Kaffeepilz „La Roya“ in den Griff bekommen. Alle acht Tage werden die Kaffeesträucher mit einer Flüssigkeit aus Mineralien und biologischen Zutaten bespritzt, damit die Pflanze stark genug ist, um den Pilz abzuwehren. Auf dem lokalen Markt sorgt der Verkauf von Mandarinen, Pfirsichen sowie Gemüse und weiterem Obst aus der Musterfarm für ein zweites Einkommen. Trotz aller Er- folge ist das Kaffeegeschäft hoch kompliziert. Der schwankende Weltmarktpreis, Qualitätsunterschiede, verursacht durch den Klimawandel und die Vorfinanzierung, trieben COMSA während der letzten Ernte fast in den Konkurs. Doch dank langfristiger Handelspartnerschaften und neuer Kaufverträge konnte COMSA weitere Kredite aufnehmen, um ihr Tagesgeschäft zu finanzieren. Mit der Fairtrade-Prämie werden nicht nur Weiterbildungen für ihre Mitglieder ermöglicht, sondern auch zehn Dorfschulen unterstützt. Je nachdem was gebraucht wird, stellt COMSA Geld oder Arbeitskräfte zur Verfügung, hilft beim COMSA will den Bio-Anbau vorantreiben und mehr Schulungen anbieten Aufbau eines Schulgartens oder organisiert Unterrichtsstunden zu gesunder Ernährung. Die Kinder der Dorfschulen wissen jetzt schon, wie sie nachhaltig biologischen Mais, Radieschen, Salat oder Zwiebeln anbauen können. Dieses Jahr wird die Generalversammlung über ein Prämienvolumen von 1,5 Millionen US-Dollar entscheiden. Die 13-köpfige Directiva und der Geschäftsführer Luis Rodolfo Peñalba Sarmiento arbeiten derzeit intensiv an einem Investitionsplan. Und Pläne hat COMSA viele. Sie wollen den Bio-Anbau vorantreiben, mehr Schulungen anbieten oder die kindliche Früherziehung erweitern. Geplant ist auch, die eigene „Raiffeisenkasse“ auszubauen und mehr für die Gleichstellung der Frauen zu tun. Wichtig ist der Organisation, ihr Wissen an andere Initiativen weiterzugeben. „Wir leben wie die Eichhörnchen im Einklang mit der Natur, sind fleißig und schnell und bauen für schlechtere Zeiten vor“, sagt Geschäftsführer Don Rodolfo. 9 10 Fairtrade der Freitag | Herbst 2015 Fairtrade 11 der Freitag | Herbst 2015 „Keine Fairtrade-Textilien aus Ländern mit autoritären Regierungen“ Der lange Weg zum fairen Kleidungsstück Textilkette Vom Baumwollfeld bis zum Bügel sind viele Produktionsschritte notwendig. Faire Preise für die Baumwolle, existenzsichernde Löhne und gute Arbeitsbedingungen sollte es an jeder Stelle geben A ls vor über zwei Jahren die Textilfabrik in Rana Plaza in Bangladesch einstürzte und Hunderte Menschen starben, war das Entsetzen groß. Doch trotz weltweiter Betroffenheit hat sich für die Näherinnen und Näher in der Textilbranche, aber auch für die Kleinbauern auf den Baumwollfeldern die Lage kaum verändert. Nur ein Bruchteil der Beschäftigten ist Teil eines fairen Handelssystems, das ihre Arbeits- und Lebensbedingungen verbessert. Bereits 2005 hat Fairtrade einen Standard für den Anbau von Baumwolle entwickelt. Er bildet die Spielregeln für den fairen Handel mit diesem Rohstoff. Das Regelwerk konzentriert sich auf die Menschen ganz am Anfang der Produktionskette: die Bäuerinnen und Bauern, die die Baumwolle anbauen und ernten. Sie verdienen meist nicht einmal genug, um ihre eigenen Produktionskosten zu decken. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Preise für Baumwolle um insgesamt 45 Prozent gesunken. Die Konkurrenz am Markt ist groß. Kleinbauern in den Entwicklungsländern müssen mit Großfarmen in den USA konkurrieren. Schon leicht höhere Preise für die Baumwolle können die Lebensbedingungen der Kleinbauern in den Entwicklungsländern deutlich verbessern. Der Fairtrade-Standard schreibt stabile Mindestpreise vor, die die Bauern in Zeiten niedriger Marktpreise absichern. Er richtet sich nach den verschiedenen Baumwoll-Qualitäten und Anbauregionen. Wenn der lokale Marktpreis über dem Fairtrade-Mindestpreis liegt, muss der höhere Preis bezahlt werden. Zudem wird ein höherer Fairtrade-Mindestpreis für Bio-Baumwolle bezahlt als für konventionell angebaute Baumwolle. Zusätzlich zum Fairtrade-Mindestpreis muss der Käufer eine Prämie von fünf Eurocent pro Kilo Fairtrade-Baumwolle bezahlen. Die Prämien investieren die Produzenten in ihre Gemeinschaft. Finanziert werden etwa Bildungsprojekte, medizinische Versorgung oder auch die Umstellung auf biologischen Anbau oder andere Maßnahmen, um die Produktivität zu steigern. Wenn nötig, erhalten Bereits 2005 hat Fairtrade einen Standard für den Anbau von Baumwolle entwickelt die Produzenten eine Vorfinanzierung der Ernte von 60 Prozent des Vertragspreises. Der Standard macht zudem Vorgaben für die weitere Verarbeitung des Rohstoffs. Um den Absatz der Fairtrade-Baumwolle zu steigern und den Bauern die Möglichkeit zu bieten, größere Anteile ihrer Ernte unter Fairtrade-Bedingungen zu verkaufen, wurde ein Baumwoll-Programm entwickelt. Mit dem Angebot wird es auch für Firmen leichter, mehr Fairtrade-Baumwolle einzukaufen. Teilnehmende Unternehmen verpflichten sich, mindestens fünf Prozent ihrer insgesamt benötigten Baumwolle in Fairtrade-Qualität einzukaufen und diese Menge schrittweise zu steigern. Sie können die Fairtrade-Baumwolle mit anderer Baumwolle oder anderen Fasern mischen. Auf diese Weise können sie die von ihnen bezogene Baumwollmenge deutlich erhöhen. Die Partner im Programm verpflichten sich dabei, die Fairtrade-Standards einzuhalten und detaillierte Informationen über die Baumwoll-Lieferkette zur Verfügung zu stellen. Jedes Jahr finden Gespräche über den Stand der Wachstumsziele mit der Fairtrade-Organisation vor Ort – in Deutschland TransFair e. V. – statt. Erst wenn genau geprüft wurde, ob alle Vor- gaben eingehalten sind, darf auch die Partnerschaft mit Fairtrade öffentlich gemacht werden. Von dem Programm profitieren auf diese Weise sowohl die Unternehmen als auch die Kleinbauern. Und das langfristig und nachhaltig. Heute arbeitet Fairtrade mit rund 66.000 Baumwollproduzenten zusammen, vor allem in Westafrika oder Indien. Die Absätze nachhaltiger Baumwolle sollen in den kommenden Jahren deutlich steigen. Das ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass Millionen Kleinbauern weltweit künftig Teil des Fairtrade-Systems werden können. Ein fertiges Kleidungsstück ist die Summe vieler einzelner Schritte. Baumwolle wird gesponnen, verwebt und gefärbt. Die Stoffe werden zugeschnitten und schließlich zu T-Shirts, Hosen oder Hemden vernäht. Damit die gesamte Produktions- und Lieferkette vom Baumwollfeld bis zum Kleidungsstück im Verkaufsregal abgedeckt wird und alle Beschäftigen der Produktionskette vom gerechteren Handel profitieren, arbeitet Fairtrade International zurzeit an einem neuen Textilstandard, der etwa den Tausenden Näherinnen und Nähern in der Branche zu existenzsichernden Löhnen verhelfen soll (siehe Interview nächste Seite). Der Standard wird nicht in Ländern eingesetzt, in denen die Versammlungsfreiheit nicht garantiert ist. In diesem Fall hat Fairtrade keine Chance gegen eine autoritäre Regierung. Hier werden wir aber alternative Programme anbieten – allerdings ohne Fairtrade-Siegel. Beinhaltet der neue Standard, dass die Beschäftigten der Nähfabriken existenzsichernde Löhne erhalten? So soll es sein. Unternehmen, die das Siegel verwenden, müssen zusichern, Schritt für Schritt in einem Zeitfenster von sechs Jahren existenzsichernde Löhne zu zahlen. Das gilt auch für die Arbeitnehmer, die in der Fabrik keine Fairtrade-Produkte fertigen. Dieser hohe Maßstab unterscheidet uns von allen anderen Standards. Er ist uns wichtig, weil die Beschäftigten so bezahlt werden sollen, dass sie die Grundbedürfnisse ihrer Familien wie Ernährung, Kleidung, Wohnen und Mobilität decken können sowie außerdem Mittel für Bildung, Sozialversicherung und Altersvorsorge zur Verfügung haben. Warum sollen die Firmen den höheren Lohn erst nach sechs Jahren zahlen? Es muss schon im ersten Jahr eine erhebliche Verbesserung geben. Da aber die Arbeitskosten steigen, hängt es auch von der Nachfrage ab, ob und wie schnell die Firmen die besseren Gehälter zahlen können. Sie wollen ja weiterhin im Wettbewerb bestehen können. Wir überlegen, wie wir diesen Pro- Claudia Brück Claudia Brück ist geschäftsführender Vorstand von Fairtrade Deutschland. Sie ist dort zuständig für Kommunikation, Politik & Kampagnen zess der Annäherung an das Ziel gegenüber den Verbrauchern kommunizieren. Eventuell wird es zusätzliche Informationen an den Produkten geben, wenn die Unternehmen den Standard noch nicht komplett erfüllen. Müssen die Löhne auch in der Baumwollproduktion sowie den Färbereien und Spinnereien steigen? Alle Firmen in der Produktionskette eines T-Shirts, das das Fairtrade-Siegel trägt, sollen existenzsichernde Löhne zahlen. Für die Baumwolle gilt das jedoch nicht, denn dort arbeiten wir mit Kooperativen selbstständiger Landwirte zusammen. Diese profitieren vom höheren Fairtrade-Garantiepreis. So erhalten Kooperativen eine Prämie von 5 Eurocent pro Kilo Fairtrade-Baumwolle. Außerdem sind die meisten Fairtrade-zertifizierten Baumwollbauern auch Bio-zertifiziert und bekommen dadurch zusätzlich einen Bio-Zuschlag. Beschäftigen diese Bauern keine Landarbeiter, die ebenfalls in den Genuss ausreichender Bezahlung kommen sollten? Fairtrade bewegt sich Stück für Stück auf dieses Ziel zu. Seit Januar 2014 sind alle Fairtradezertifizierten Plantagen zur schrittweisen Einführung existenzsichernder Löhne verpflichtet. Auch für Arbeiter, die dauerhaft auf kleinbäuerlichen Kooperativen angestellt sind, haben wir das Ziel, existenzsichernde Löhne schrittweise einzuführen. Das wird dort allerdings viel schwieriger und langwieriger zu erreichen sein, wenn die Arbeitgeber selber in prekären Bedingungen leben. Wichtig ist, dass beide Gruppen gleichermaßen profitieren. Warum hat Fairtrade so lange gebraucht, bis sich die Organisation zu existenzsichernden Löhnen bekannte? Unter anderem, weil es eine langwierige, komplizierte Diskussion gibt, was ein existenzsichernder Lohn ist und wie man ihn berechnet. International existiert weder eine verbindliche Methode zur Ermittlung noch irgendeine zuständige oder allgemein akzeptierte Institution. Also muss Fairtrade F O T O : M A X H AV E L A A R - F O U N D AT I O N ( S W I T Z E R L A N D ) / S U Z A N N E L E E Der Fairtrade-Textilstandard soll dazu führen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Produktionsbetrieben ebenso wie die Bauernfamilien von Fairtrade profitieren Hannes Koch: Frau Brück, in Kürze gibt es einen neuen Sozial-und-Öko-Standard für Fairtrade-Textilien. Warum war der nötig? Claudia Brück: Früher hatten wir nur einen Standard für den Baumwollanbau. Und immer stand die Frage im Raum: Was ist mit den anderen Stufen der Textilherstellung, den Spinnereien, Färbereien, den Nähfabriken? Sollten dort nicht auch bessere Bedingungen herrschen? Der neue Fairtrade Textilstandard deckt deshalb die gesamte Produktionskette ab. Wann können Verbraucher die ersten Textilien kaufen, die den verbesserten Regeln entsprechen? Hoffentlich wird es nächstes Jahr so weit sein. Wir arbeiten jetzt daran, Firmen zu finden, die die strengeren Kriterien umsetzen wollen. Nehmen wir als Beispiel eine deutsche Firma, die T-Shirts oder Jeans mit dem FairtradeLabel anbietet. Diese lässt die Textilien in der Türkei oder Bangladesch nähen. Was muss das Unternehmen demnächst anders machen als bisher? Das Handelsunternehmen selbst und alle seine Lieferanten müssen sicherstellen, dass die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entlang der gesamten Handelskette eingehalten werden. Sie müssen beispielsweise nachweisen, dass Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten gewährleistet sind. In den Färbereien kann das bedeuten, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter Arbeitsschutzkleidung zur Verfügung gestellt bekommen und tragen, wenn sie mit Färbemitteln zu tun haben. In der Produktion müssen die Arbeitsplätze so gestaltet sein, dass Fluchtwege nicht verstellt sind. Und die Beschäftigten müssen das Recht und die Möglichkeit haben, über Arbeitsbedingungen und Löhne mit den Unternehmen zu verhandeln. Das schließt die Versammlungsfreiheit ein. Gibt es Länder, in denen Firmen nicht das Fairtrade-Siegel für ihre Textilien bekommen können? F O T O : T R A N S FA I R E .V. F O T O : T R A N S FA I R E .V. / A NA N D PA R M A R Nachgefragt Die Forderung nach existenzsichernden Löhnen in den internationalen Produktionsketten zieht allmählich Kreise. Claudia Brück von Fairtrade Deutschland erläutert den neuen Standard, der diese Art der Bezahlung bei Unternehmen des fairen Handels voranbringen soll. Bereits 2016 sollen diese Waren im Laden zu haben sein hier Pionierarbeit leisten und gleichzeitig den Konsens und die Akzeptanz anderer Akteure suchen. Das ist eine erhebliche Herausforderung und Investition. Wir wenden die derzeit beste Methode an. Wir entwickeln Benchmarks für den Textilstandard für jede Region eines Landes, um das richtige Lohnniveau zu ermitteln. Und natürlich ist es für viele unserer Partnerfirmen eine hohe Hürde, die Bezahlung zu verdoppeln oder zu verdreifachen. Wir müssen viel Überzeugungsarbeit leisten. Fairtrade war übrigens die erste Organisation überhaupt, die existenzsichernde Löhne in ihre Standardbestimmungen aufgenommen hat. Auch da sind wir Pionier. Steigen mit dem neuen Standard auch die Anforderungen an ökologische Nachhaltigkeit? Ja. In diesem Herbst überarbeiten wir beispielsweise die Liste der verbotenen Pestizide, die nicht mehr in der Baumwollproduktion eingesetzt werden dürfen. Fairtrade bedeutet aber nicht immer „biologisch hergestellt“? Nein, wir bieten aber einen hohen ökologischen Standard bei konventioneller Produktion. Bestimmte, als unproblematische geltende synthetische Pflanzenschutzmittel sind im Fairtrade-System jedoch erlaubt – anders als in der biologischen Produktion. Führt der höhere Standard dazu, dass Fairtrade-Textilien in den Geschäften teurer werden? Das wird in vielen Fällen die Folge sein. Denn stark erhöhte Löhne und kürzere Arbeitszeiten führen zu höheren Produktionskosten. Diese müssen die Unternehmen zum Teil an die Verbraucher und Verbraucherinnen weitergeben. Dass die Firmen in der Lieferkette den Standard einhalten, wollen sie von der Organisation Flocert kontrollieren lassen. Besuchen die Prüfer die Produktionsstätten unangemeldet? Sie kommen sowohl angemeldet als auch ohne Vorwarnung. Wenn es um eine Prüfung der Bücher und Lohnabrechnungen geht, muss man den Besuch ankündigen. Sonst verbringt man zu viel Zeit mit dem Suchen der Unterlagen. Wollen die Kontrolleure hingegen die Arbeitssicherheit und die Fluchtwege untersuchen, ist es ratsam, ohne Ansage zu erscheinen. Was passiert, wenn Sie Verstöße feststellen? In der Regel bekommt die jeweilige Firma eine gewisse Zeit, um die Missstände zu beheben. Kann sie das nicht nachweisen, verliert sie das Fairtrade-Siegel und damit die entsprechenden Aufträge. Das Gespräch führte Hannes Koch 12 Entwicklung braucht Zeit – Der Verbraucher entscheidet mit Ausblick Auch wenn Fairtrade eine insgesamt positive Entwicklung verbuchen kann und immer mehr Kleinbauern und Beschäftigte sich dem System anschließen, ist der Faire Handel noch immer fragil. Ernterückgänge durch den Klimawandel bedrohen die Produzenten ebenso wie global verankerte wirtschaftliche Benachteiligungen. Fairtrade versucht aus seiner Nische in der globalen Wirtschaft heraus mehr Kleinbauern und Arbeiter zu erreichen. Gemeinsam mit Produzenten, Industrie und der Zivilgesellschaft arbeitet Fairtrade Faire Sache statt krummes Ding – Nachhaltige Lieferkette für Bananen K aum eine Obstsorte ist in deutschen Supermärkten so preiswert zu haben wie die Banane. Selbst die Bio-Variante gehört im Sortiment zu den Preisknüllern. Worüber sich der deutsche Verbraucher freut, wird in vielen Fällen auf dem Rücken der Menschen am Anfang der Lieferkette ausgetragen. Trotz har ter Arb eit müssen sich viele verschulden, um den Leb ens u n te r halt an fairen Bedingungen in neuen Branchen. Diese drei Beispiele stehen für Produkte, bei denen Fairtrade auf dem Vormarsch ist und somit die Lebensbedingungen der Produzenten auf Farmen, Plantagen und in Minen verbessert. Die Nachfrage nach fair gehandelten und hergestellten Produkte war nie so hoch wie heute. Verbraucher suchen Alternativen zum konventionellen Produktangebot. R TO S: LI NK S CR ED JE W EL LE RY , O B EN TR AN SF AI R E .V . / SA N TI AG O EN GE LH AR DT , R EC HT S TR AN SF AI R E .V . ab. In der Schweiz kann faires Gold etwa über CHRIST Uhren & Schmuck gekauft werden. Auch in Deutschland können Goldschmiede, Juweliere und Schmuckmarken das Fairtrade-Edelmetall beziehen. FO W 2011 bekam die Gemeinschaft der Bergleute in Santa Filomena ihre Fairtrade-Zertifizierung. Die Beschäftigten sollen Schutzkleidung tragen, müssen Gesundheits- und Sicherheitstrainings absolvieren. Ausbeuterische Kinderarbeit ist in allen Fairtrade-zertifizierten Minen verboten. Auch der Einsatz von Chemikalien beim Goldschürfen wurde reduziert und über deren Gefahren informiert. Mit der Zertifizierung verbesserten sich nicht nur die Arbeitsbedingungen für die Bergleute, sondern auch die Lebensumstände für das gesamte Dorf. Über die Prämie finanziert die Belegschaft beispielsweise ein Gesundheitszentrum und bezahlt Zahnarztbesuche. Die Dorfschule konnte renoviert und weitere Stromleitungen verlegt werden. Auch die Transportwege und Zugänge zu den Minen wurden verbessert und sicherer gemacht. „Mit Fairtrade werden wir unser Gold zu einem gerechten Preis verkaufen können und somit mehr verdienen. Auch der Umwelt und unserer Gemeinschaft hilft das“, sagt Gina Davila von der Frauen-Vereinigung Sotrami in Santa Filomena. Noch gibt es nur wenige Minen mit Fairtrade-Zertifizierung. Ähnliche Projekte wie in Peru wurden in Kolumbien oder Ostafrika gestartet. Mehr Angebot hängt auch von einer größeren Nachfrage ihrer Familien zu sichern. Hinzu kommt: Um den Ertrag auf den Plantagen zu halten oder gar zu steigern, setzen viele Farmbesitzer auf Chemikalien und Monokulturen. Diese Anbauweisen schaden Mensch und Umwelt. Die meisten Bananen werden in Ecuador, Kolumbien oder Costa Rica angebaut. Damit sich die Arbeitsbedingungen für alle Menschen, die an der Produktion, der Verarbeitung und am Transport beteiligt sind, verbessern, gründete TransFair im September 2013 das Bananenforum. Gemeinsam arbeiten Importeure, Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an Ideen, wie die Bananen-Lieferkette nachhaltiger werden kann. Alle Akteure setzen auf soziale und umweltfreundliche Bedingungen in Südamerika. Die Kleinbauern sollen stärker gefördert werden. Das Forum hat aber auch die Verbraucher in Deutschland im Blick. Viele wissen gar nicht, unter welchen Konditionen die Banane an die Obsttheke im Supermarkt gelangt. Das soll sich ändern mit Informationskampagnen und Bildungsangeboten für die Verbraucher. Die Teilnehmer des Forums arbeiten derzeit an einer Charta der Verantwortung. Ziel ist kein weiteres Papier, das den guten Willen der Unternehmen bekunden soll. Vielmehr sollen sich alle Teilnehmer auf konkrete Maßnahmen einigen, die die deutsche Lebensmittelbranche bald umsetzen kann. Im Forum sitzen auch die Großen der Branche an einem Tisch. Handelsunternehmen zählen genauso dazu wie Supermarktketten. Hinzu kommen Umwelt- und Ent- wicklungsorganisationen. Vertreter der Organisationen, aus der Wirtschaft und der Wissenschaft sollen in den Beirat des Bananenforums berufen werden. Seine Aufgabe ist es, eine Verbindung zu den Produzenten vor Ort herzustellen und den Entwicklungsprozess zu überwachen. Nach Unterzeichnung der Charta der Verantwortung startet die Umsetzung der Maßnahmen. Nach 18 Monaten sollen erste Ergebnisse erzielt werden. Die Teilnehmer des Forums berichten regelmäßig, welchen Erfolg die einzelnen Akteure vorweisen können. Ohne Kontrollen wird es nur schleppend Verbesserungen für die Beschäftigten auf den Plantagen geben. Gefragt ist langfristig vor allem die Politik. Das Bananenforum setzt dabei auf die Hilfe des Entwicklungsministeriums. Ein fairer Weihnachtsstern für Deutschland Goldschürfen für Gesundheit und Bildung inzig wirken die glänzenden Goldkügelchen in seiner schwieligen Hand. Der Staub des Stollens klebt noch an Overall und Schuhen des Minenarbeiters. Die Suche nach dem begehrten Gold braucht Geduld, Ausdauer, Kraft und Geschick. Der Bergmann ist einer von rund 470 Männern und Frauen, die ihren Lebensunterhalt in der Mine Santa Filomena im Süden Perus verdienen. Die Arbeit unter Tage ist hart und gefährlich. Schätzungen zufolge leben rund 100 Millionen Menschen weltweit vom Goldschürfen. Die meisten arbeiten in kleinen Minen. Sie graben nach dem begehrten Edelmetall ohne Großmaschinen, sondern mit einfachen Werkzeugen und in viel Handarbeit. Staub, Schmutz und der Einsatz von Chemikalien machen die Bergleute krank und belasten die Umwelt. Doch das große Geschäft mit dem Gold machen internationale Konzerne. Fairtrade ermöglicht Kleinbergbaubetrieben den Weg aus der Illegalität: Sie schließen sich zu formalisierten Minenorganisationen zusammen und stärken so ihre Position. Außerdem schreiben die Standards einen Mindestpreis für fair gehandeltes Gold vor. Dieser liegt bei rund 95 Prozent des Preises, der von der London Bullion Market Association, einem der wichtigsten globalen Handelsplätze für Gold und Silber, festgelegt wurde. Ende 2014 waren dies rund 1.200 US-Dollar je Feinunze Gold. In der Regel verdienen die Gemeinschaften der Minenarbeiter im konventionellen Goldhandel deutlich weniger. Zusätzlich zum Mindestpreis bekommt die Belegschaft eine Fairtrade-Prämie in Höhe von 2.000 US-Dollar. 13 der Freitag | Herbst 2015 der Freitag | Herbst 2015 und 5.000 Kilometer trennen den jungen Weihnachtsstern von seinem künftigen Verkaufsregal in Deutschland. In Rift Valley, rund zwei Stunden von Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens entfernt, züchten Hunderte Arbeiter und Arbeiterinnen die Jungpflanzen heran. Bis zu 500.000 Mutterpflanzen sind in einem Gewächshaus untergebracht. „Cutter“ trennen die Stecklinge mit scharfen Messern von den Pflanzen ab. Zwei Stück, pro Pflanze, pro Woche. Sind die jungen Pflanzen rund vier Zentimeter groß, werden sie für den Transport ins Ausland fertig gemacht. Das gute Klima in der Region ist ideal für den Anbau von Weihnachtssternen oder Geranien. Die Stecklinge werden aus dem ostafrikanischen Land in alle Welt verschickt. Etliche Blumenläden in Europa haben bereits zertifizierte Fairtrade-Schnittblumen im Angebot. Doch für Palmen, Weihnachtssterne oder andere Pflanzenstecklinge fehlte bisher ein Standard, der den Arbeitern und Arbeiterinnen auf den Farmen zu besseren Arbeitsbedingungen verhilft. Denn bisher durften nur fertig kultivierte Fairtrade- Pflanzen aus dem globalen Süden importiert werden. Diese Lücke wurde nun geschlossen. Fairtrade hat den Standard für Blumen und Pflanzen um die Kategorie Jungpflanzen erweitert, was bedeutet, dass Pflanzen, die zu einem früheren Entwicklungsstand importiert werden – wie Stecklinge – von nun an eine Fairtrade-Zertifizierung erhalten können. Wie die Jungpflanzen des Weihnachtssterns kommen die meisten Stecklinge aus dem Osten Afrikas. Neben Äthiopien gehört Kenia zu den Hauptanbietern in Europa. In den heimischen Gewächshäusern werden die Stecklinge bis zu 70 Wochen vorgezüchtet, erst dann werden sie für den Export vorbereitet. In Europa kommen sie dann zu Jungpflanzenunternehmen oder Gartenbaubetrieben. Dort wachsen sie weitere 20 Wochen heran, bis sie für den Verkauf geeignet sind. Von der Aussaat in den Ursprungsländern bis zur Auslieferung an den Handel vergehen in der Regel knapp zwei Jahre. Dümmen Orange gehört zu den Jungpflanzenzüchtern, die auf Fairtrade setzen. Bereits in der nächsten Vorweihnachtszeit sollen Fairtrade-zertifizierte Weihnachtssterne in den Verkaufsregalen stehen. Der neue Standard wirkt sich direkt auf die Lebensbedingungen der Arbeiter in den Anbauländern aus. Sie haben nicht nur Anspruch auf einen Mindestlohn, geregelte Arbeitszeiten und mehr Sicherheit am Arbeitsplatz, sondern die Beschäftigten bekommen eine zusätzliche Fairtrade-Prämie. Damit können sie Stipendien für die Schule, Computerkurse oder Fortbildungen finanzieren. Was genau mit dem Geld passiert, entscheiden die Arbeiter selbst. Ob die Fairtrade-Zertifizierung für die Jungpflanzen auch bei den Kunden ankommt, wird sich noch zeigen. Bei fair produzierten Schnittblumen wurden bereits gute Umsätze erzielt. Allein 2014 wurden 340 Millionen Rosenstiele in Deutschland verkauft. Das sind rund fünf Prozent mehr als noch im Vorjahr. Was nach wenig klingt, hat enorme Auswirkungen auf die Beschäftigten in der Rosenproduktion. Etwa 1,9 Millionen Euro standen ihnen an Prämien zur Verfügung. Vor allem der Lebensmitteleinzelhandel hat sein Angebot an fairen Schnittblumen ausgebaut. Noch sind es vor allem Rosen, die aus dem Fairen Handel kommen. 14 Fairtrade Fairtrade 15 der Freitag | Herbst 2015 der Freitag | Herbst 2015 Kleiner Einsatz, große Wirkung „Solidarität hört nicht an nationalen Grenzen auf“ F O T O S : L I . T R A N S FA I R E .V. / S E L I NA P F R Ü N E R ; R E . M I R I A M E R S C H Mitmachen Städte, Unis und Schulen setzen ein Zeichen für mehr fairen Handel Porträt Joschka Knuth ist Kommunalpolitiker und half mehreren Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein, zur Fairtrade-Town zu werden. Für ihn hat Europa die Pflicht, die Kluft zwischen Armen und Reichen zu schließen A ls Joschka 17 Jahre alt war, hatte er im Rahmen seiner schulischen Ausbildung eine einjährige Projektarbeit anzufertigen. Am Ende dieser Projektarbeit präsentierte er seine Ergebnisse vor 400 Menschen und kündigte an, dass er versuchen würde, seine Heimatstadt Eckernförde zur Fairtrade-Town zu machen. „Nachdem ich es vor 400 Menschen angekündigt hatte, musste ich zumindest versuchen, dieses Projekt zu realisieren.“ Tatsächlich organisierte er einen Vortrag und lud einige interessierte Personen ein. Am Ende folgten dieser Einladung über 70 interessierte Personen, die seinen Ausführungen zum Fairen Handel folgten. Seitdem versucht er, das Bewusstsein aller Menschen für fairen Handel und eine globale Solidarität mit verschiedenen Aktivitäten und Projekten zu wecken. Für Joschka Knuth erzählt jedes Produkt eine Geschichte. In irgendeiner Form ist jedes Produkt, das wir kaufen aus mindestens einem Rohstoff hergestellt. Diese Rohstoffe haben eine ökologische Geschichte. Und es waren Menschen beteiligt, die dabei geholfen haben, diese Geschichte entstehen zu lassen. Diese Menschen haben ein Zuhause, Familien, Ziele und Träume. Genau so, wie jene Menschen, die dabei geholfen haben, aus den Rohstoffen Produkte werden zu lassen. Ein Produkt, das wir im Geschäft, auf Märkten oder im Internet kaufen können. Diese Geschichten können und dürfen wir nicht ignorieren: „Es geht hier um eine Einstellung zum Leben, um Bewusstsein und Solidarität.“ Knuth ist davon überzeugt, dass eine starke Entwicklungszusammenarbeit für das Meistern einiger der größten Herausforderungen unserer Zeit von grundlegender Bedeutung ist. „Eine intelligente Entwicklungszusammenarbeit kann dabei helfen, demokratische Strukturen in den Ländern des Globalen Südens zu stärken, sie kann dabei helfen, lokale und regionale Märkte aufzubauen und zu gestalten, ebenso wie sie bei der Entwicklung lokaler Infrastruktur helfen kann.“ Fairtrade ist Fairer Handel und Zivilgesellschaft. Aufklärung, Diskussion und Aktion bestimmen die Kampagnen von TransFair Kampagnen teil, informieren Verbraucher wie Unternehmen. Doch der Einsatz für den Fairen Handel ist längst keine Sache mehr, die in der Nische passiert. Immer mehr Städte wollen ein Zeichen für Fairtrade setzen. 2009 wurde Saarbrücken zur ersten Fairtrade-Town Deutschlands ernannt. Über 340 Städte bundesweit haben sich seither angeschlossen. Um den Titel können sich nicht nur Städte, sondern auch Gemeinden, Bezirke, Regionen oder auch Inseln bewerben. Sie alle müssen nachweisen, dass der Faire Handel in dem Gebiet keine bloße Worthülse ist, sondern gezielt gefördert und umgesetzt wird. Die Auszeichnung wird für zwei Jahre vergeben. Dann wird geprüft, ob alle Kriterien auch weiterhin erfüllt werden. Der Faire Handel lässt sich mit vielen kommunalen Anlässen verbinden: Auf dem Stadtfest, dem Weihnachtsmarkt oder auf offiziellen Empfängen werden fair gehandelter Kaffee, Süßigkeiten, Obst aufgetischt. Beim nächsten Turnier wird nur mit Fußbällen gegeneinander angetreten, die fair produziert wurden. Selbst der Karnevalsverein macht mit: mit „fairen Kamelle“. Woher kommt die Banane? Wie leben die Kakaobauern in Südamerika? Was für Erwachsene simpel klingt, eröffnet Kindern ganz neue Welten. Die Schule ist der beste Ort, um Fairtrade auch schon den Jüngsten nahezubringen. Der Weg der Kakaobohne vom Feld bis zum Schokoladen-Regal im Supermarkt ist Thema im Unterricht. Wenn die Schüler dann den fairen Schoko-Riegel an der Kasse der Schul-Cafeteria entdecken, schließt sich der Kreis. Bundesweit ist an zahlreichen Schulen Fairtrade kein Fremdwort mehr. Was an der Schule beginnt, setzt sich an den Universitäten fort. Seit Sommer 2014 können sich die Hochschulen für den Titel „Fairtrade-University“ bewerben. Mit gutem Beispiel gingen die Universität des Saarlandes und die Universität Rostock voran. Hier gibt es nicht nur fairen Kaffee in der Mensa, sondern auch regelmäßig Informationsveranstaltungen zum Fairen Handel. Ganz gleich ob Kommune, Schule oder Uni, Fairtrade funktioniert dann, wenn fair gehandelte Produkte fester Bestandteil im Alltag werden. Die eigene Entscheidung für nachhaltigen Konsum ist schließlich das beste Beispiel. Selbst der kleinste Einsatz hat große Wirkung. Impressum: Herausgeber der Freitag Mediengesellschaft mbH & Co. KG, Hegelplatz 1, 10117 Berlin, Tel.: (030) 250 087-0, [email protected], Geschäftsführung: Jakob Augstein, Dr. Christiane Düts, UStID Nr.: DE261359494, Dr. Christiane Düts (V.i.S.d.P.) Projektleitung Johann Plank (der Freitag), Redaktion Tanja Tricarico (der Freitag), Claudia Brück, Tobias Thiele (TransFair) Grafik Marco Rüscher Druck BVZ Berliner Zeitungsdruck Redaktionsschluss 3. 9. 15 TransFair hat mit Joschka Knuth über die Verantwortung und Chancen europäischer Politik für den Fairen Handel gesprochen. F O T O : P R I VAT D er Kaffeebauer verdient kaum Geld, Kinder schuften auf Baumwollplantagen, die Arbeiter in den Goldminen werden ohne Schutzkleidung krank. Das Bewusstsein dafür, dass Menschen in Afrika, Lateinamerika und Asien harte Arbeit leisten, um uns den morgendlichen Kaffee zu ermöglichen oder uns modisch zu kleiden, wächst beständig. Genauso wie die Nachfrage nach ökologisch und sozial nachhaltig hergestellten Produkten. Dies nicht zuletzt wegen der Vielzahl von Aktivitäten und Kampagnen. Rund 100.000 Menschen setzen sich in Deutschland für einen Fairen Handel ein. Kirchengemeinden, die Weltläden oder auch Entwicklungs- und Hilfsorganisationen nehmen seit Jahren an Fairtrade- Joschka Knuth (22) hat 2011 die Fairtrade-Kampagne für Eckernförde organisiert. Er ist Vorsitzender der Grünen in Eckernförde und studiert Geografie Wie kann der Faire Handel in der Europäischen Union verstärkt bekannt gemacht werden? Wir erkennen auch bei der Verbreitung des Fairen Handels in Europa ein großes Gefälle vom Nord-Westen zum Süden und Osten. Ein guter Indikator dafür ist auch die Verbreitung der Fairtrade-Towns. Hier gilt es, lokale und regionale Best-Practice Beispiele im intereuropäischen Austausch bekannt zu machen. Die Vernetzung zwischen allen EU-Staaten, die Förderung des Austauschs zum Fairen Handel zwischen Partnerstädten oder eine europaweite Initiative zur „Hauptstadt des Fairen Handels“ wären sinnvolle Ansätze, zumindest informell zur Bekanntmachung des Fairen Handels beizutragen. Wie kann der Faire Handel in der Europäischen Union praktisch gefördert werden? Während in vielen Ost- und Südeuropäischen Staaten nur wenige Fairtrade-Produkte auf dem Markt verfügbar sind – was mit Sicherheit in Teilen auch einer zu geringen Bekanntheit der Produkte geschuldet ist – steigt die Nachfrage in vielen Staaten ungebrochen. Ein Mechanismus zum Austausch über das Angebot der Fairtrade Produzenten und die Nachfrage europäischer Unternehmen könnte dazu beitragen, faire Produkte in den europäischen Markt zu bringen und ungedeckte Nachfragen sichtbar zu machen. Auch der Export Helpdesk des DG Trade als Schlüsselstelle im Warenexport für den Europäischen Markt enthält noch keine Informationen zum Fairen Handel. Was kann die EU darüber hinaus noch tun? Es ist bedauerlich, dass der Faire Handel insgesamt von der Kommission eher stiefmütterlich behandelt wird. Eine ernsthafte Berücksichtigung des Fairen Handels in der Europäischen Union könnte zum Beispiel gefördert und verankert werden über die Social Development Goals der Vereinten Nationen. Hier ist die Kommission am Entwicklungsprozess direkt beteiligt. Sie sollte ihr gewichtiges Wort nutzen, auch dem Fairen Han- del eine zentrale Berücksichtigung zukommen zu lassen. Nicht zuletzt die hohe Zahl geflüchteter Menschen, die derzeit Europa und damit auch Deutschland erreichen, zeigt doch, wie wichtig es ist, in den Herkunftsländern endlich stabile und sichere Verhältnisse zu fördern. Der Faire Handel kann dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen, Grund genug, ihn weiter und stärker zu fördern! TransFair ist über das Fair Trade Advocacy Office in Brüssel an einem europäischen Dialog mit Repräsentantinnen und Repräsentanten der Europäischen Kommission und des Europaparlaments beteiligt. 11. – 25. September 2015 Faire Woche Flashmobs, Kochshows, Ausstellungen und Schulprojekte: Zur Fairen Woche, der größten Aktionswoche zum Fairen Handel, vom 11. bis 25. September sind bundesweit rund 2.000 Aktionen geplant. Mitmachen können alle, Fairtrade Kaffee Kleine Bohne Grosse Wirkung Coffee Fairday am 25. 09.: Jede Bohne zählt! die mehr Bewusstsein für den Fairen Handel schaffen wollen. Kirchengemeinden und Weltläden sind genauso dabei wie Supermärkte, Kommunen, Restaurants oder Cafés. In diesem Jahr stehen die Aktionstage unter dem Motto „Fairer Handel schafft Transparenz“. Zu den Veranstaltungen während der 14. Fairen Woche werden Gäste aus aller Welt erwartet. Vertreter aus Indien, den Philippinen, Ecuador und Honduras touren zwei Wochen lang durch Deutschland und berichten über ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Fairen Handel. www.faire-woche.de Eine kleine Bohne mit großer Wirkung: Zum Coffee Fairday am 25. September fordert TransFair gerechte Lebens- und Arbeitsbedingungen im Kaffeeanbau. Jeder, der fair gehandelten Kaffee trinkt, kann die Lage der Kleinbauern in Lateinamerika, Afrika oder Asien verbessern. Mindestpreise, Beratung und Trainings stärken die Position der Kleinbauernkooperativen. Die Fairtrade-Prämie können sie in Gemeinschaftsprojekte investieren und Maßnahmen gegen den Klimawandel umsetzen oder die Schulbildung im Dorf fördern. Jeder Kaffee mit Fairtrade-Siegel, ist daher ein Baustein auf dem Weg zu mehr Lebensqualität. www.coffee-fairday.de Februar/März 2016 Sag̕s mit einer fairen Blume Egal ob zum Valentinstag oder Weltfrauentag: Durch den Kauf von fair gehandelten Blumen macht man zum einen den Beschenkten eine Freude Mai 2016: World Fairtrade Challenge 03. März 2016 Ein Preis für Fairen Handel und unterstützt zum anderen auch Arbeiterinnen und Arbeiter in den Produzentenländern. TransFair ruft bundesweit ab Februar zu Aktionen auf, um benachteiligte Arbeiterinnen auf Blumenplantagen im globalen Süden zu unterstützen und auf die dortigen Produktionsbedingungenaufmerksam zu machen. Fairtrade setzt sich für die Rechte der Arbeiterinnen ein. Die zertifizierten Blumen- und Pflanzenfarmen verpflichten sich, Maßnahmen zu Arbeits- und Umweltschutz umzusetzen sowie Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit. Die Beschäftigten erhalten Mindestlöhne und profitieren von der Fairtrade-Prämie, mit der sie Gemeinschaftsprojekte umsetzen. Für viele Unternehmen in Industrie, Handel oder Gastronomie in Deutschland ist Fairtrade längst mehr als ein Geschäftsmodell. Diesen Einsatz belohnt TransFair seit 2009 mit dem Fairtrade Award. Prämiert wird ein langfristiges und glaubwürdiges Engagement für den Fairen Handel. Bis zum 10. Dezember können sich Unternehmen bewerben. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen werden für ihr Engagement, ihre Projekte und ihre politische Arbeit ausgezeichnet. Erstmals werden auch Initiativen aus den Anbauländern prämiert, hierzu zählen Kooperativen und Plantagen sowie internationale FairtradeUnterstützer. Der fünfte Fairtrade Award wird am 3. März 2016 in Berlin vergeben. Moderiert wird die Gala von der Entertainerin Anke Engelke. www.fairtradedeutschland/award Fairtrade veranstaltet erstmals eine weltweite Kampagne. Unter dem Motto „Choose Fairtrade Coffee – Make good better“ kommen Kaffeeliebhaber auf der ganzen Welt zusammen und versuchen gemeinsam, 100 Millionen Becher Fairtrade-Kaffee zu trinken, um mehr Kaffeebauern bessere Arbeits- und Lebensbedingungen unter Fairtrade zu ermöglichen. Gerade jetzt brauchen Kaffeebauern Unterstützung im Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels. Von Alaska bis Australien: In über 20 Ländern werden die nationalen Fairtrade-Organisationen gemeinsam Städte, Schulen, Weltläden, gastronomische Betriebe, den Handel und die Politik aufrufen, an der ersten weltweiten Fairtrade Challenge teilzunehmen und Kaffee-Aktionen in ihrem jeweiligen Land zu veranstalten. Eine zentrale Webseite sammelt alle Einträge und gibt die Möglichkeit, andere zur Fairtrade Challenge herauszufordern. Mehr ab März 2016 unter fairtradechallenge.org F O T O S : L I N K S M I R I A M E R S C H , M I T T E S E L I NA P F R Ü N E R , R E C H T S M I R I A M E R S C H Fairtrade-Kampagnen 2015/2016 Du entscheidest mit jedem Einkauf, ob gute Arbeit gerecht bezahlt wird. Kauf gezielt Kaffee mit dem Siegel. Fairtrade-Kaffee ist immer zu 100 % fair gehandelt. Weniger kommt uns nicht in die Tüte. Informiere Dich, was Deine Entscheidung für Produkte aus dem Fairen Handel vor Ort bewirkt: www.fairtrade-deutschland.de FT_AZ_Kaffee_225x350_FREITAG_02.indd 1 02.09.15 11:00
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