25.02.2016, KANTONSSPITAL OLTEN GENETISCHE TESTS BEI KINDERN GENETISCHE TESTS BEI KINDERN Diskussionsveranstaltung zum Thema genetische Tests bei Kindern im Rahmen des Projekts «Mensch nach Mass» vom 25. Februar 2016 im Kantonsspital in Olten. Ein Kurzbericht. Autorin: Christine D’Anna-Huber, TA-SWISS Kinder sind die Zukunft. Auf ihnen ruhen die Hoffnungen und Erwartungen der Eltern, die sich deshalb die bestmöglichen Startbedingungen für ihren Nachwuchs wünschen. Angesichts der grossen Fortschritte der Pränataldiagnostik stellt sich vermehrt die Frage, ob dieses angestrebte Beste auch die verschiedenen inzwischen verfügbaren vorgeburtlichen Tests umfasst – und zwar insbesondere die neuen, im Gegensatz zu Fruchtwasseruntersuchung oder Mutterkuchenpunktion nicht invasiven und somit nicht mit dem Risiko einer Fehlgeburt verbundenen Bluttests. Doch was können, was wollen, was dürfen wir über unsere ungeborenen Kinder wissen und, vor allem, was tun wir mit diesem Wissen? Ist alles, was technisch machbar ist, auch wirklich wünsch- und aus ethischer Sicht verantwortbar? Welche Handlungsspielräume eröffnen die neuen Testmöglichkeiten, vor welche Entscheide stellen uns auffällige Ergebnisse und wie sieht die Sache aus juristischer Sicht aus? Dies die Fragestellung der fünften und letzten Veranstaltung in der Reihe «Mensch nach Mass», einem vom Collegium Helveticum, der Paulus Akademie und der Stiftung Science et Cité gemeinsam durchgeführten Projekt. Die Diskussionsrunde in Olten war vielleicht nicht ganz so gut besucht wie die vorangegangenen, der 1 25.02.2016, KANTONSSPITAL OLTEN GENETISCHE TESTS BEI KINDERN intime Rahmen ermöglichte dafür aber einen umso regeren Austausch zwischen den Podiumsteilnehmenden und dem Publikum. Unter der Leitung von Elvan Kut, Collegium Helveticum, diskutierten Andrea Büchler, Rechtswissenschaftlerin und Präsidentin der Nationalen Ethikkommission für Humanmedizin (NEK), und der Humangenetiker Peter Miny vom Universitätsspital Basel. Beide waren als Experten auch mitberatend an der Erarbeitung einer Studie zur Pränataldiagnostik beteiligt, welche das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung TA-SWISS demnächst publiziert. Ein Blick zurück Vorgeburtliche Test sind nicht neu: Bereits in den 70er Jahren wurden in grösserem Rahmen – und laut Peter Miny oft unnötigerweise – bei Schwangeren ab 35 Jahren Fruchtwasserpunktionen gemacht, um bestimmte Chromosomenanomalien auszuschliessen. Seit den 80er Jahren stehen mit Blutuntersuchungen, Ultraschall und Nackenhautmessungen Tests mit besserer Aussagekraft zur Verfügung. Die letzte Weiterentwicklung sind die sogenannten nicht-invasiven pränatalen Tests (NIPT), die anhand einer Blutprobe der schwangeren Frau relativ zuverlässige Voraussage darüber erlauben, ob eine Risikoschwangerschaft bzw. eine zahlenmässige Chromosomenstörung (Trisomie 21, 13 oder 18) vorliegt. Weil dank der NIPT die Anzahl der invasiven Tests zurückgegangen ist, sieht Peter Miny ihre Entwicklung grundsätzlich positiv. Gleichzeitig wies er allerdings auch darauf hin, dass die NIPT keine definitive Diagnose erlauben. Sie sind keine umfassende genetische Untersuchung, sondern messen als Screeningtests einzig die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Risiko vorliegen könnte; ein positiver Befund muss deshalb immer noch durch invasive Diagnostik bestätigt werden. Und ein unauffälliges Resultat bedeutet nicht, dass auch andere Chromosomenstörungen, körperliche Fehlbildungen oder Fehlentwicklungen ausgeschlossen werden können. Auf keinen Fall sollten die NIPT deshalb die bewährte Ultraschalluntersuchung ersetzen. Einen andere entscheidende Neuerung sieht Andrea Büchler in der Tatsache, dass die neuen nicht-invasiven Bluttests bereits einige Wochen vor dem Ablauf der Fristenregelung (12. Schwangerschaftswoche) durchgeführt werden können, zu einem Zeitpunkt also, wo jeder Frau ein Abbruch ohne Angabe von Gründen freigestellt ist. Das beinhaltet das Risiko, dass hier ein gewisser Zeitdruck aufgebaut wird und die NIPT zu einem Anstieg von frühen Schwangerschaftsabbrüchen führen könnten. Zudem können mit genetischen Tests im Prinzip auch nichtgesundheitsrelevante Eigenschaften untersucht werden. Für die Geschlechtsbestimmung ist dies bereits möglich. 2 25.02.2016, KANTONSSPITAL OLTEN GENETISCHE TESTS BEI KINDERN Die Pflicht zum perfekten Kind? Testen, nicht testen? Eine kurze Umfrage zu Beginn des Abends bekräftigte das Resultat der Mensch-nach-Mass-Umfrage von Juli 2015: Während die meisten Personen ohne langes Zögern auf eine Analyse ihres eigenen Genoms verzichten würden, wird die Entscheidung schon weitaus schwieriger, wenn es um das eigene ungeborene Kind geht. «Als werdende Eltern möchten wir doch nur das Beste für die Zukunft unserer Kinder», sagte eine junge Frau aus dem Publikum, «und da stellt sich dann eben die Frage, ob es nicht in seinem Interesse wäre, mögliche Behinderungen oder Erbkrankheiten möglichst frühzeitig abzuklären.» Im eigenen Fall lieber nicht zu viel von möglichen vererbten Krankheitsdispositionen wissen, das ungeborene eigene Kind aber darauf untersuchen lassen? Dieser Wiederspruch weist auf einen «Grundkonflikt» hin, den der Mediziner Peter Miny aus seiner Praxistätigkeit kennt. Er spiegelt sich, wie die Rechtswissenschaftlerin Andrea Büchler erklärte, auch in der Rechtslage wieder: Erst vom Moment seiner Geburt gilt das Kind juristisch gesehen als «rechtsfähige Person». Die Eltern, im Namen der reproduktiven Selbstbestimmung - insbesondere die Mutter - haben bis zur Geburt das Recht, das Genom ihres zukünftigen Kindes kennen zu wollen. Mit der Geburt entsteht eine neue Rechtssituation: Jetzt ist ein Test nur noch zulässig, wenn er einen unmittelbaren Nutzen bringt. Andernfalls ist das Recht auf Nichtwissen des Kindes zu bewahren. Gibt es ein Recht auf «Gesundheit» und «Normalität»? Gibt es eine Pflicht zum «bestmöglichen» Kind? Ist Behinderung eine Zumutung, die ein verantwortliches Elternpaar weder seinem Kind noch der Gesellschaft zumuten darf? Die Antwort ist sowohl für Miny als auch für Büchler in jedem Fall ein klares Nein. Trotzdem fürchtet insbesondere Andrea Büchler, dass die zunehmenden sicheren und risikolosen Testmöglichkeiten den gesellschaftlichen Druck auf schwangere Frauen erhöhen könnten, pränatale Diagnostik in Anspruch zu nehmen – und bei einem positiven Befund einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Für Miny und Büchler ist gleichermassen klar, dass die Entscheidung über das Fortführen oder Nichtfortführen einer Schwangerschaft allein den Eltern zusteht und sich niemand – weder Gesellschaft, noch Medizin, noch der Gesetzgeber – anmassen darf, zu definieren, welches Leben lebenswert ist. Einig waren sich am Ende des Abends alle Anwesenden zudem in einem weiteren Punkt: Bei so folgeschweren Entscheidungen, die unter Umständen nicht nur die direkt betroffenen Personen, sondern auch ihre Blutsverwandten betreffen, ist eine sachgerechte, umfassende, keinerlei Druck ausübende Beratung ungemein wichtig. Die diesbezüglichen Kompetenzen der Ärzte, meinte Peter Miny, seien durchaus verbesserungsfähig, weshalb zurzeit die Ausbildung von speziell geschulten «Genetic Counselors» in Betracht gezogen werde. Dies ist auch eine der zentralen Empfehlungen der TA-SWISS-Studie zur Pränataldiagnostik, die der Öffentlichkeit am 15. April 2016 in Bern vorgestellt wird. Mehr dazu unter: www.ta-swiss.ch 3 25.02.2016, KANTONSSPITAL OLTEN GENETISCHE TESTS BEI KINDERN Das war die letzte Dialogveranstaltung des ersten Projektteils. Die Dokumentationen aller Veranstaltungen sowie Details zum Projekt finden Sie unter menschnachmass/auf-ins-gespraech. Fragen und Bemerkungen vom Publikum an die Wissenschaft • Welche Eigenschaften von einem Embryo darf ich testen lassen? 4
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