Gerhard Schwarz, Avenir-Suisse-Direktor von November 2010 bis

Schlussrede von Gerhard Schwarz
Avenir Suisse, Annual Dinner, 5. April 2016
Sehr geehrter Herr Bundesrat,
geschätzte Förderinnen und Förderer,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,
der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten. Das Bonmot von Willy Brandt, sonst
nicht mein Kronzeuge, passt zu Avenir Suisse. Manchmal werden wir wegen des Namens für ein
Prognoseinstitut gehalten. Aber wir wollen als Denkwerkstatt etwas anderes: wir wollen mit Analysen
und Ideen die Zukunft gestalten, den geistigen Teppich weben, damit die Schweiz nicht nur eine
erfolgreiche Vergangenheit hat, sondern auch eine marktwirtschaftliche, prosperierende Zukunft. Das
haben wir in den letzten 5½ Jahren getan. Ich will jetzt weder auflisten, was wir, aufbauend auf der
institutionellen, personellen und intellektuellen Basis, die unter Thomas Held gelegt wurde,
weiterentwickelt haben, noch, was uns, neben einzelnen Misserfolgen, alles gelungen ist, an Breite
(etwa durch die Stärkung der Romandie) und Tiefe, an Resonanz und Wirkung. Ich habe in
Leitungsausschuss und Stiftungsrat regelmässig rapportiert, daher wäre eine solche Aufzählung nun
so langweilig wie prätentiös.
Lassen Sie mich stattdessen zwei Gratwanderungen, die ein Think Tank zu bewältigen hat,
ansprechen. Man darf auf diesen Gratwanderungen nicht auf die eine oder andere Seite kippen, muss
also in jedem Fall eine gute Balance bewahren. Trotzdem kann man sich auf dem Grat eher auf der
einen oder der anderen Seite halten – je nachdem, wo die Absturzgefahr geringer ist.
Eine für jeden Think Tank typische Gratwanderung ist jene zwischen Inhalt und Verpackung, zwischen
Wissenschaft und Vermittlung. Als ich zu Avenir Suisse stiess, mahnte mich ein Kollege, ich dürfe aus
dem Think Tank ja keinen Blick machen. Ich erinnerte ihn daran, dass ich nicht aus dem Haus Ringier
gekommen war, und begann trotz des Einwurfs häufiger, kürzer, schneller, verständlicher und
elektronischer zu kommunizieren. Aber je länger je mehr wurde mir klar, dass man der
Kommunikation noch mehr Sorge tragen sollte. Was wir erarbeiten, ist sehr fundiert. Aber beste Arbeit
nützt nichts, wenn sie nicht verstanden oder nicht beachtet wird, weil sie zu lang, zu langweilig, zu
kompliziert ist. Wir müssen daher - und ich glaube mich da mit Peter Grünenfelder einig - hier noch
mehr tun.
Die andere Gratwanderung ist jene zwischen Vision und Aktualität. Eine Denkwerkstatt muss eine
langfristige Perspektive einnehmen, Themen aufgreifen, bevor sie von der breiten Öffentlichkeit als
relevant erkannt werden, denn für die Bearbeitung dessen, was kurzfristig unter den Nägeln brennt,
gibt es Verbände, Parteien, Regierung und Verwaltung. Diese lange Frist kann einen Think Tank aber
schnell utopisch und irrelevant wirken lassen. Deshalb kommt man um die Ergänzung durch eine
kürzerfristige Perspektive nicht herum.
Erstens kann man bei Vorschlägen – wie den „Ideen für die Schweiz“ – Etappenziele, umsetzbare,
politisch machbare Massnahmen, neben die längerfristigen Visionen stellen. Zweitens soll man auf so
wichtige Ereignisse wie die Masseneinwanderungsinitiative mit auf den konkreten Fall
zugeschnittenen, aktualisierten Vorschlägen reagieren, die auf früheren Studien basieren. Drittens und auch das hat eine kurzfristige Dimension - müssen wir vermehrt den sense of urgency schaffen
und verhindern, dass wir vor lauter wohliger Selbstzufriedenheit nicht erkennen, dass wir, wenn wir
morgen weiterhin zu den Besten gehören wollen, heute mit Reformen beginnen müssen. Es braucht
also diesen Mix bei Avenir Suisse: langfristig, konsequent, radikal (im ursprünglichen Sinn des
Wortes) einerseits, kürzerfristig, drängend, etwas pragmatisch anderseits.
Keine Gratwanderung war für mich die Rolle von Avenir Suisse als „opiniated think tank“, als
Institution mit einer klaren Werthaltung. Die Pfeiler dieser Werthaltung sind Wettbewerb,
Privateigentum und Eigenverantwortung. Eine etatistische Politik, auch wenn sie vordergründig
wohlstandsdienlich scheint, ist für Avenir Suisse nicht unterstützungswürdig. Der Think Tank hat hier
eine wichtige Orientierungsfunktion in der bürgerlichen geistigen Unordnung zu leisten. Deswegen ist
in unserem Motto „Unabhängig, aber nicht neutral“ der zweite Teil nicht minder wichtig als der erste.
Wir leisten seriöse Arbeit, wissen, wovon wir reden, kennen die Fakten, aber wir stochern nicht
ergebnisoffen im Nebel, sondern kämpfen für die Sache des Marktes und der Freiheit.
Sie, geschätzte Förderinnen und Förderer, ermöglichen dies. Sie unterstützen Avenir Suisse auf
grosszügige Weise und gewähren dem Direktor und seinem Team grösste Unabhängigkeit. Diese
Unabhängigkeit ist unser wichtigstes Kapital. Sie verschafft uns Gehör, Respekt und Glaubwürdigkeit.
Das ist eine zentrale Erfahrung der letzten Jahre. Ich habe es stets als Privileg empfunden, so
arbeiten zu dürfen, und ich weiss: es ist nicht selbstverständlich. Empfangen Sie daher dafür neben
dem Dank der Institution vor allem meinen ganz persönlichen Dank. Ich bitte Sie sehr, das Vertrauen,
das darin zum Ausdruck kommt, nun auf Peter Grünenfelder zu übertragen. Er wird Avenir Suisse
anders führen, nach seiner Façon, so soll es sein. Aber er wird sicher versuchen, den Geist dieser
Institution, die es aufgrund der Zeitenläufe in Zukunft leider noch mehr brauchen wird als heute, zu
wahren und zu stärken.
Trotz aller Unabhängigkeit darf die wohlwollend-kritische Begleitung durch die Gremien nicht fehlen.
Mein Dank gilt stellvertretend für viele Rémy Best, Olivier Steimer und Thomas Knecht, Markus
Neuhaus, Marius Brülhart und Thomas Hammer. In noch ausgeprägterem Masse gilt mein Dank aber
selbstverständlich "meinen" beiden Präsidenten, Rolf Soiron und Andreas Schmid. Ich habe nie
bereut, Rolf Soirons Ruf gefolgt zu sein und Andreas Schmids Angebot für eine Verlängerung
angenommen zu haben, gewiss wegen der faszinierenden Aufgabe, aber nicht zuletzt, weil die
Zusammenarbeit mit Ihnen so menschlich war.
Last but not at all least gilt mein ganz besonderer Dank natürlich meinen Kolleginnen und Kollegen.
Einige von ihnen arbeiten heute anderswo; sie haben Avenir Suisse als Sprungbrett genutzt. Andere,
all die Studentinnen und Studenten, die jungen Rechercheassistenten und Grafikerinnen, ohne die
Avenir Suisse einen völlig anderen Charakter bekäme, wirken auch heute, wie so oft, sympathisch
und engagiert mehr im Hintergrund. Und dann sind da die Kadermitarbeiterinnen und -mitarbeiter
sowie unsere "Senioren". Sie machen natürlich Avenir Suisse in besonderem Masse aus, sie sorgen
dafür, dass der Laden läuft, halten die Website in Schwung, organisieren Anlässe, betreuen die
Förderer, schreiben - dies vor allem - unsere Studien und vertreten sie mit viel Einsatz und Mut in der
Öffentlichkeit. Sie bringen Kreativität, Kompetenz und Kommunikation unter einen Hut. Das ist nicht
wenig. Euch allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ganz grosses Dankeschön.
Ich hoffe, dass es Avenir Suisse weiterhin, ja noch mehr als bisher, gelingt, zur Lösung der
hausgemachten Probleme der Schweiz einen Beitrag zu leisten. Dass es gelingt, das Land, das so
sehr von seiner Offenheit profitiert hat, auf vernünftige Weise offen zu halten. Und dass es gelingt,
Alleinstellungsmerkmale der Schweiz wie direkte Demokratie, Föderalismus, Bürgernähe, aber auch
duale Bildung, Stabilität, Rechtssicherheit und - ja, auch dies - anständigen Umgang mit
Andersdenkenden wieder zu stärken, nicht durch rückwärtsgewandte Bewahrung, sondern durch
zukunftsorientierte Weiterentwicklung. Nur mit mehr Mut zum Markt und mehr Mut zur Zukunft wird die
Schweiz lebens- und liebenswert bleiben. Avenir Suisse muss diesen Mut leben – und damit den
politischen Diskurs in unserem Land beleben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.