Schlussrede von Gerhard Schwarz Avenir Suisse, Annual Dinner, 5. April 2016 Sehr geehrter Herr Bundesrat, geschätzte Förderinnen und Förderer, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten. Das Bonmot von Willy Brandt, sonst nicht mein Kronzeuge, passt zu Avenir Suisse. Manchmal werden wir wegen des Namens für ein Prognoseinstitut gehalten. Aber wir wollen als Denkwerkstatt etwas anderes: wir wollen mit Analysen und Ideen die Zukunft gestalten, den geistigen Teppich weben, damit die Schweiz nicht nur eine erfolgreiche Vergangenheit hat, sondern auch eine marktwirtschaftliche, prosperierende Zukunft. Das haben wir in den letzten 5½ Jahren getan. Ich will jetzt weder auflisten, was wir, aufbauend auf der institutionellen, personellen und intellektuellen Basis, die unter Thomas Held gelegt wurde, weiterentwickelt haben, noch, was uns, neben einzelnen Misserfolgen, alles gelungen ist, an Breite (etwa durch die Stärkung der Romandie) und Tiefe, an Resonanz und Wirkung. Ich habe in Leitungsausschuss und Stiftungsrat regelmässig rapportiert, daher wäre eine solche Aufzählung nun so langweilig wie prätentiös. Lassen Sie mich stattdessen zwei Gratwanderungen, die ein Think Tank zu bewältigen hat, ansprechen. Man darf auf diesen Gratwanderungen nicht auf die eine oder andere Seite kippen, muss also in jedem Fall eine gute Balance bewahren. Trotzdem kann man sich auf dem Grat eher auf der einen oder der anderen Seite halten – je nachdem, wo die Absturzgefahr geringer ist. Eine für jeden Think Tank typische Gratwanderung ist jene zwischen Inhalt und Verpackung, zwischen Wissenschaft und Vermittlung. Als ich zu Avenir Suisse stiess, mahnte mich ein Kollege, ich dürfe aus dem Think Tank ja keinen Blick machen. Ich erinnerte ihn daran, dass ich nicht aus dem Haus Ringier gekommen war, und begann trotz des Einwurfs häufiger, kürzer, schneller, verständlicher und elektronischer zu kommunizieren. Aber je länger je mehr wurde mir klar, dass man der Kommunikation noch mehr Sorge tragen sollte. Was wir erarbeiten, ist sehr fundiert. Aber beste Arbeit nützt nichts, wenn sie nicht verstanden oder nicht beachtet wird, weil sie zu lang, zu langweilig, zu kompliziert ist. Wir müssen daher - und ich glaube mich da mit Peter Grünenfelder einig - hier noch mehr tun. Die andere Gratwanderung ist jene zwischen Vision und Aktualität. Eine Denkwerkstatt muss eine langfristige Perspektive einnehmen, Themen aufgreifen, bevor sie von der breiten Öffentlichkeit als relevant erkannt werden, denn für die Bearbeitung dessen, was kurzfristig unter den Nägeln brennt, gibt es Verbände, Parteien, Regierung und Verwaltung. Diese lange Frist kann einen Think Tank aber schnell utopisch und irrelevant wirken lassen. Deshalb kommt man um die Ergänzung durch eine kürzerfristige Perspektive nicht herum. Erstens kann man bei Vorschlägen – wie den „Ideen für die Schweiz“ – Etappenziele, umsetzbare, politisch machbare Massnahmen, neben die längerfristigen Visionen stellen. Zweitens soll man auf so wichtige Ereignisse wie die Masseneinwanderungsinitiative mit auf den konkreten Fall zugeschnittenen, aktualisierten Vorschlägen reagieren, die auf früheren Studien basieren. Drittens und auch das hat eine kurzfristige Dimension - müssen wir vermehrt den sense of urgency schaffen und verhindern, dass wir vor lauter wohliger Selbstzufriedenheit nicht erkennen, dass wir, wenn wir morgen weiterhin zu den Besten gehören wollen, heute mit Reformen beginnen müssen. Es braucht also diesen Mix bei Avenir Suisse: langfristig, konsequent, radikal (im ursprünglichen Sinn des Wortes) einerseits, kürzerfristig, drängend, etwas pragmatisch anderseits. Keine Gratwanderung war für mich die Rolle von Avenir Suisse als „opiniated think tank“, als Institution mit einer klaren Werthaltung. Die Pfeiler dieser Werthaltung sind Wettbewerb, Privateigentum und Eigenverantwortung. Eine etatistische Politik, auch wenn sie vordergründig wohlstandsdienlich scheint, ist für Avenir Suisse nicht unterstützungswürdig. Der Think Tank hat hier eine wichtige Orientierungsfunktion in der bürgerlichen geistigen Unordnung zu leisten. Deswegen ist in unserem Motto „Unabhängig, aber nicht neutral“ der zweite Teil nicht minder wichtig als der erste. Wir leisten seriöse Arbeit, wissen, wovon wir reden, kennen die Fakten, aber wir stochern nicht ergebnisoffen im Nebel, sondern kämpfen für die Sache des Marktes und der Freiheit. Sie, geschätzte Förderinnen und Förderer, ermöglichen dies. Sie unterstützen Avenir Suisse auf grosszügige Weise und gewähren dem Direktor und seinem Team grösste Unabhängigkeit. Diese Unabhängigkeit ist unser wichtigstes Kapital. Sie verschafft uns Gehör, Respekt und Glaubwürdigkeit. Das ist eine zentrale Erfahrung der letzten Jahre. Ich habe es stets als Privileg empfunden, so arbeiten zu dürfen, und ich weiss: es ist nicht selbstverständlich. Empfangen Sie daher dafür neben dem Dank der Institution vor allem meinen ganz persönlichen Dank. Ich bitte Sie sehr, das Vertrauen, das darin zum Ausdruck kommt, nun auf Peter Grünenfelder zu übertragen. Er wird Avenir Suisse anders führen, nach seiner Façon, so soll es sein. Aber er wird sicher versuchen, den Geist dieser Institution, die es aufgrund der Zeitenläufe in Zukunft leider noch mehr brauchen wird als heute, zu wahren und zu stärken. Trotz aller Unabhängigkeit darf die wohlwollend-kritische Begleitung durch die Gremien nicht fehlen. Mein Dank gilt stellvertretend für viele Rémy Best, Olivier Steimer und Thomas Knecht, Markus Neuhaus, Marius Brülhart und Thomas Hammer. In noch ausgeprägterem Masse gilt mein Dank aber selbstverständlich "meinen" beiden Präsidenten, Rolf Soiron und Andreas Schmid. Ich habe nie bereut, Rolf Soirons Ruf gefolgt zu sein und Andreas Schmids Angebot für eine Verlängerung angenommen zu haben, gewiss wegen der faszinierenden Aufgabe, aber nicht zuletzt, weil die Zusammenarbeit mit Ihnen so menschlich war. Last but not at all least gilt mein ganz besonderer Dank natürlich meinen Kolleginnen und Kollegen. Einige von ihnen arbeiten heute anderswo; sie haben Avenir Suisse als Sprungbrett genutzt. Andere, all die Studentinnen und Studenten, die jungen Rechercheassistenten und Grafikerinnen, ohne die Avenir Suisse einen völlig anderen Charakter bekäme, wirken auch heute, wie so oft, sympathisch und engagiert mehr im Hintergrund. Und dann sind da die Kadermitarbeiterinnen und -mitarbeiter sowie unsere "Senioren". Sie machen natürlich Avenir Suisse in besonderem Masse aus, sie sorgen dafür, dass der Laden läuft, halten die Website in Schwung, organisieren Anlässe, betreuen die Förderer, schreiben - dies vor allem - unsere Studien und vertreten sie mit viel Einsatz und Mut in der Öffentlichkeit. Sie bringen Kreativität, Kompetenz und Kommunikation unter einen Hut. Das ist nicht wenig. Euch allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ganz grosses Dankeschön. Ich hoffe, dass es Avenir Suisse weiterhin, ja noch mehr als bisher, gelingt, zur Lösung der hausgemachten Probleme der Schweiz einen Beitrag zu leisten. Dass es gelingt, das Land, das so sehr von seiner Offenheit profitiert hat, auf vernünftige Weise offen zu halten. Und dass es gelingt, Alleinstellungsmerkmale der Schweiz wie direkte Demokratie, Föderalismus, Bürgernähe, aber auch duale Bildung, Stabilität, Rechtssicherheit und - ja, auch dies - anständigen Umgang mit Andersdenkenden wieder zu stärken, nicht durch rückwärtsgewandte Bewahrung, sondern durch zukunftsorientierte Weiterentwicklung. Nur mit mehr Mut zum Markt und mehr Mut zur Zukunft wird die Schweiz lebens- und liebenswert bleiben. Avenir Suisse muss diesen Mut leben – und damit den politischen Diskurs in unserem Land beleben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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