Dokumentation Transferveranstaltung Greiz und Reichenbach

DOKUMENTATION
Exkursion und Transferveranstaltung
der Bundestransferstelle Stadtumbau Ost
Viel passiert – viel zu tun: Stadtumbau in
schrumpfenden Klein- und Mittelstädten
am 28. und 29. April 2015 in Greiz und Reichenbach
Exkursionsgruppe in Greiz (links) und Reichenbach (rechts)
DOKUMENTATION │Veranstaltung „Stadtumbau in schrumpfenden Klein- und Mittelstädten“
Am 28. April 2015 führte die Bundestransferstelle Stadtumbau Ost im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) in Greiz (Thüringen) und Reichenbach
(Sachsen) eine Exkursion durch, der am 29. April eine Transferveranstaltung zum Thema
„Viel passiert – viel zu tun: Stadtumbau in schrumpfenden Klein- und Mittelstädten“ folgte.
An der Exkursion nahmen ca. 40 und an der Veranstaltung ca. 70 Stadtumbauexpertinnen
und -experten aus Kommunen, Forschungseinrichtungen, von Sanierungs- und Beratungsunternehmen, aus dem Bereich der Wohnungswirtschaft sowie Landes- und Bundeseinrichtungen teil.
Exkursion durch Greiz und Reichenbach am 28. April 2015
Dieter Obenauf (Leiter des Sachgebiets Stadtplanung im Bauamt
der Stadt Greiz) und seine Kollegin
Katja Lux führten die Exkursionsteilnehmer/innen zunächst vom
Bahnhof durch die gründerzeitlich
geprägte Neustadt zur Vogtlandhalle. Der Neubau des Veranstaltungshauses konnte einen positiven Impuls für die Wiederbelebung des Stadtteils setzen. Nach
einem kurzen Vortrag im Foyer
erhielten die Exkursionsteilnehmer Einblicke in die bereits bewältigten Herausforderungen in der
Neustadt und der Altstadt. Dazu Exkursionsgruppe vor der Vogtlandhalle in Greiz
gehören u.a. der Bau der Stadtkernumgehung für eine Bundesstraße, die Umgestaltung von Industriebrachen zu einem
Freiraum entlang der Weißen Elster und die Herstellung des Schlossgartens. Die noch bevorstehenden Stadtumbauaufgaben wurden u.a. am Leerstand und akuten Sanierungsbedarf
zahlreicher Altbauten in der Innenstadt sichtbar. Neben leerstehenden Gebäuden, führte der
Rundgang auch an sanierten Altbauten vorbei, die von einer Bürgerinitiative mit der Plakette
„Neustadtperle“ ausgezeichnet wurden. Die Stadt hat
für Baulücken und sanierungsbedürftige Altbauten mittels einer Vermarktungsstrategie und in Zusammenarbeit mit ortsansässigen Architekturbüros Bebauungsbzw. Instandsetzungsideen entwickelt. Obgleich Herr
Obenauf darauf hinwies, dass eine Kausalität nicht direkt nachweisbar sei, ist es doch gelungen, zwischenzeitlich für die Hälfte der beworbenen Gebäude einen
neuen Eigentümer zu finden.
Plakette "Neustadtperle" Greiz
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Veranstaltung „Stadtumbau in schrumpfenden Klein- und Mittelstädten“│ DOKUMENTATION
Führung durch Greiz
Links: Entlang der Weißen Elster wurden die Industriebrachen beräumt, u.a. ist ein Kindergarten dort
entstanden; rechts: Altbau mit Tafel, die Umbauideen für einen sanierungsbedürftigen Altbau zeigt
Fortgesetzt wurde die Exkursion als Busfahrt durch das oberhalb der Stadt gelegene DDRNeubaugebiet Pohlitz, das sich gemäß der Entstehungszeit in die drei Teile Dr.-OttoNuschke-Straße, Reißberg und Zaschberg gliedert. Im Rahmen der Stadtumbaumaßnahmen
wurden in Pohlitz insgesamt fast 1.000 Wohnungen abgebrochen. Herr Obenauf erläuterte,
dass die Stadt vermeidet, in den Gebieten Entwicklungsimpulse zu setzen. So werden die
Straßen bspw. nicht ausgebaut bzw. saniert.
An der Landesgrenze übernahm Sven Hörning, Leiter des Fachbereichs Bau und Stadtentwicklung der Stadt Reichenbach (Sachsen) das Mikrofon von seinem thüringischen Kollegen.
Nach einem touristischen Zwischenstopp an der Göltzschtalbrücke passierte der Bus die
Gemeinde Mylau, deren Eingemeindung in die Stadt Reichenbach bereits beschlossen ist.
Obwohl Reichenbach damit statistisch einen Einwohnerzuwachs erhält, bedeutet die Eingemeindung, sich gemeinsam dann auch mit den beträchtlichen Leerständen in diesem
Ort(steil) auseinanderzusetzen.
Der erste Teil der Bustour durch Reichenbach führte durch das Tal, das
südlich des Stadtzentrums verläuft.
Dieser Stadtteil entlang des Flusses
Raumbach war nach dem Zusammenbruch der Reichenbacher Textilindustrie in den 1990er Jahren von zahlreichen Industriebrachen geprägt. Die
Ausrichtung der sächsischen Landesgartenschau 2009 wurde dazu genutzt,
die Industriebrachen in einen langgestreckten Grünbereich zu verwandeln Auf drei Etagen abgezonter Plattenbau in Reichenbach West
der bis heute als „Park der Generationen“ sehr gut angenommen wird. Die Fahrt führte weiter durch das Neubaugebiet West, wo
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DOKUMENTATION │Veranstaltung „Stadtumbau in schrumpfenden Klein‐ und Mittelstädten“ die Wohnungsunternehmen teilweise eine Abzonung der Bestände durchgeführt haben. Die Plattenbauten sind in deutlich geringerem Umfang vom Leerstand betroffen als die Altbau‐
bestände Reichenbachs. Dies wurde beim anschließenden Rundgang durch die Innenstadt sehr deutlich. Herr Hörning und Frau Kerstin Lenk (Abteilungsleiterin Stadtplanung, Bauord‐
nung, Bauverwaltung) führten die Teilnehmer/innen in zwei Gruppen durch die von ihrer Hanglage geprägte Innenstadt und berichteten über Sanierungserfolge und Rückschläge. Reichenbach setzt den Programmteil Sanierung und Sicherung von Altbauten für besonders stadtbildprägende Gebäude ein. Unterstützt durch Fördermittel, wurde die Sanierung von historischen Schulgebäuden angeschoben. Besondere Entwicklungsimpulse konnten zudem durch die Investitionen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) gesetzt werden, die sowohl in die Sa‐
nierung von Altbauten als auch in den Abriss und Ersatzneubau (Kindergarten und Pflege‐
heim) investierte. Führung durch Reichenbach, Quartier Obere Dunkelgasse, wo die AWO einen Kindergarten sowie betreutes Wohnen und ein Pflegeheim in Neu‐ und sanierten Altbauten eingerichtet hat. Links: umgebaute Automobilfabrik Horch, davor Freifläche der Kita; rechts: saniertes Eckgebäude „Robert‐
Wilke‐Haus“ und angrenzender Neubau. D
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Veranstaltung „Stadtumbau in schrumpfenden Klein- und Mittelstädten“│ DOKUMENTATION
Transferveranstaltung am 29. April 2015 im Rathaus der Stadt Reichenbach
Begrüßung und Einführung
Das erste Grußwort richtete Dieter Kießling, Oberbürgermeister der gastgebenden Stadt
Reichenbach, an die Teilnehmer. Er betonte, dass es Aufgabe der Stadt sei, Rahmenbedingungen für die Stadtentwicklung zu schaffen und dass Reichenbach nicht zuletzt dank der
Städtebauförderung bereits viel erreicht habe. Gleichwohl seien der Schaffung von Rahmenbedingungen auch Grenzen gesetzt, bspw. wenn eine Firma als Voraussetzung für Investitionen von der Stadt verlangt, zu garantieren, dass ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stünden. Er betonte, dass die demographische Entwicklung Reichenbach auch zukünftig vor große Herausforderungen stellen werde.
Thomas Hartmann, Referatsleiter Stadtumbau Ost und West im Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) stellte heraus, dass die Exkursion
am Vortag deutlich gezeigt habe, dass in den Innenstädten bereits viel passiert sei, aber dass
der Umgang mit Leerständen im Altbau sowie mit Lücken, die durch den Zusammenbruch
von Altbauten entstanden sind, weiterhin ein Handlungsfeld für den Stadtumbau darstellten.
Herr Hartmann berichtete, dass die Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung 2015 inzwischen nicht nur vom Bund sondern auch von allen Ländern unterzeichnet sei, und dass
für den Stadtumbau Ost wie bisher 105 Mio. Euro zur Verfügung stehen. Er erklärte, dass die
laufende Evaluierung Grundlage für die im Koalitionsvertrag festgelegte Zusammenlegung
der Programme Stadtumbau Ost und West ist. Anhand eines zusätzlichen Gutachtens wird
geprüft, wie die Themen Klimaschutz und Klimaanpassung im Stadtumbau gestärkt werden
können. Entsprechend dem in Reichenbach und Greiz deutlich gewordenen weiteren Handlungsbedarf ist das Programm Stadtumbau Ost überzeichnet. Für die laufende Evaluierung
ist dies eine wichtige Erkenntnis, auch im Hinblick auf die zukünftige Mittelausstattung für
den Stadtumbau.
Michael Köppl, Referatsleiter Städtebau- und EU-Förderung im Sächsischen Staatsministerium des Innern (SMI) stellte heraus, dass der Freistaat Sachsen bereits vor der Einführung des
Bund-Länder-Programms Stadtumbau Ost ein Landesrückbauprogramm aufgelegt hatte und
dass der Stadtumbau bis heute ein Schwerpunkt der Städtebauförderung in Sachsen sei.
Dass die Menschen weniger und älter würden bedeute veränderte Nutzungsstrukturen, an
welche die Städte angepasst werden müssten. Nicht zuletzt wegen der hohen Binnenwanderung in Sachsen sei es Hauptaufgabe des Stadtumbaus, Ankerstädte zu stärken, die eine flächendeckende Versorgung im Raum gewährleisten könnten. Dafür solle das Stadtumbauprogramm genutzt werden.
Dr. Anja Nelle begrüßte die Teilnehmenden im Namen der Bundestransferstelle Stadtumbau
Ost und stimmte die Anwesenden mit einer Präsentation unter dem Titel „Perspektiven der
zukünftigen Nachfrageentwicklung in schrumpfenden Klein- und Mittelstädten“ auf die Veranstaltung ein. Sie verwies darauf, dass über 80% der Gemeinden Ostdeutschlands schrumpfen und dass schrumpfende Klein- und Mittelstädte die Hauptzielgruppe des Programms
Stadtumbau Ost sind. In diesen Städten seien sichtbare Erfolge in der Aufwertung öffentlicher Räume, der Sanierung von Gebäuden und der Formierung stabiler Netzwerke zu verzeichnen. Gleichwohl seien Funktionsverluste deutlich sichtbar – u.a. am Leerstand. Da die
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DOKUMENTATION │Veranstaltung „Stadtumbau in schrumpfenden Klein- und Mittelstädten“
Funktionsverluste Prognosen zufolge beträchtlich ansteigen werden, könnten Versorgungsdefizite entstehen. Frau Nelle erläuterte, dass die Nachfrage nach Wohnungen, Dienstleistungen und Waren mit sinkenden Haushaltszahlen aber nicht nur abnimmt sondern, dass sie
sich ausdifferenziert: Zum einen nach Zielgruppen (bspw. durch das steigende Alter der Einwohner) und zum anderen nach Quartieren (u.a. durch Verlegung von sozialer Infrastruktur).
Für die Veranstaltung gab sie drei Fragenkomplexe aus: Wie kann mit Funktionsverlusten
umgegangen werden? Welche Potenziale bietet die Ausdifferenzierung von Nachfrage? Wie
kann Nachfrage und Funktionsvielfalt gesichert werden?
Stadtumbau Ost in Reichenbach: Herausforderungen, Potenziale, Perspektiven
Aufbauend auf die Exkursion am Vortag skizzierte Sven Hörning, Fachgebietsleiter Bau und
Stadtentwicklung der Stadt Reichenbach, die konzeptionelle Grundlage der Stadtentwicklung
in Reichenbach und ging dabei sowohl auf die Entwicklung der Bevölkerung und des Wohnungsleerstandes ein, als auch auf die Einteilung der Stadt in Bereiche, die eine Priorisierung
des Handlungsbedarfs ermöglichen sollen. Reichenbach verfolgt das Anliegen, der Innenentwicklung Priorität vor der Außenentwicklung zu geben und einen Rückbau von außen
nach innen durchzuführen. Als Hemmnis bei der Umsetzung wirkt sich aus, dass das Neubaugebiet West mit weniger als 10% Leerstand deutlich geringer von Funktionsverlusten
betroffen ist als die Innenstadt, wo der Wohnungsleerstand im Altbaubestand ca. 30% beträgt. Auch für stadtbildprägende innerstädtische Gebäude wie die große Post muss noch
eine Nachnutzung gefunden werden. Diverse leerstehende Altbauten sind in baulich sehr
schlechtem Zustand. Einige wurden abgerissen und ihr Verlust beeinträchtigt bereits das
Stadtgefüge, einige (wie bspw. das Robert-Wilke-Haus) konnten aber auch erhalten werden.
Herr Hörning präsentierte, dass in Reichenbach aus Betriebsschließungen entstandene Gewerbebrachen ein wichtiges Handlungsfeld darstellen. Von über 50 Gewerbebrachen konnten insbesondere im Rahmen der Landesgartenschau 2009 viele beseitigt werden. Der Umbau der Horchfabrik und der ehemaligen Tapisserie in der Oberen Dunkelgasse durch die
Arbeiterwohlfahrt (AWO) trug zur Stärkung der sozialen Infrastruktur in der Innenstadt bei.
Zu den großen Sorgen für die Stadtentwicklung zählt, dass der Hochschulstandort (Textildesign und Architektur) geschlossen werden soll.
Umgang mit städtebaulichen Funktionsverlusten und Nachfragerückgängen
Als erster Referent dieses Vortragsblocks präsentierte Dieter Obenauf, Leiter des Sachgebiets Stadtplanung im Bauamt der Stadt Greiz zunächst die Hintergründe für Funktionsverluste (u.a. Einwohnerentwicklung, Altersaufbau, Erwerbsstatus) in Greiz sowie vergleichend
in den Nachbarstädten Reichenbach, Werdau und Zeulenroda-Triebes. Im weiteren Verlauf
seines Vortrags zeigte er, dass bereits 2003 im Stadtentwicklungskonzept der Stadt Greiz als
Kernziel die Stabilisierung der Innenstadt festgelegt wurde. Deren Leerstandsquote lag Anfang des Jahrtausends bei über 40% und konnte inzwischen auf 22,6% gesenkt werden. Er
lobte die Initiative „Wohnstandort Innenstadt“, die zur Vermarktung von Altbauten beiträgt,
sowie den Verein Greizer Neustadt e.V. der jährlich ein saniertes Objekt mit einer Plakette
zur „Neustadtperle“ kürt. Anhand des Beispiels „Wohnen 55plus Greizer Neustadt“ veran6
Veranstaltung „Stadtumbau in schrumpfenden Klein‐ und Mittelstädten“│ DOKUMENTATION schaulichte Herr Obenauf, dass die Sanierung von Altbauten bisweilen mit dem Abriss nicht mehr sanierungsfähiger Gebäude Hand in Hand geht. In den letzten zehn Jahren habe es viele Gebäudeabgänge gegeben und die Gefahr bestehe, dass sich die Stadtstruktur auflöse. Der Stadtumbau‐Ost‐Programbereich Sanierung, Sicherung und Erwerb konnte bereits dazu beitragen, dass Sicherungsmaßnahmen an Gebäuden erfolgten. Für die Zukunft wünsche sich die Stadt, dass die Landesregierung den Einsatz der Mittel auch für Sanierungen gestat‐
te. Ähnlich wie in Reichenbach, war auch Greiz mit vielen Industriebrachen konfrontiert, die sich insbesondere im Osten der Neustadt entlang des Flusses befanden. Es ist der Stadt ge‐
lungen, die Gelände aufzukaufen, die Gebäude abzureißen und die Grundstücke zu Freiflä‐
chen umzugestalten. Es existieren jedoch weiterhin nicht angemessen genutzte bzw. gestal‐
tete Brachen in der Innenstadt, zu denen u.a. das Bahnhofsumfeld und das ehemalige Hotel Thüringer Hof gehören. Aus Perspektive der Wohnungswirtschaft erklärte Kerstin Hubeny, Leiterin der Wohnungs‐
wirtschaft der Wohnungsbaugesellschaft Zeitz (WBG Zeitz), dass ihr Unternehmen ausge‐
hend von einem Leerstand von 36% seine Wohnungsbestände in „Kernbestand“ und „Dispo‐
sitionsbestand“ klassifiziert habe, um Aufwertung und Rückbau im Einklang mit dem Stadt‐
entwicklungskonzept zu planen. Inzwischen konnte der Leerstand durch Abriss, Verkauf und Sanierungsaktivitäten auf ca. 7% gesenkt werden. Dass im Rahmen des Umzugsmanage‐
ments viele Mieter gehalten werden konnten und die WBG Zeitz ein gutes Image hat, führte Frau Hubeny u.a. darauf zurück, dass das Unternehmen durch eine externe Erhebung der Dienstleistungsqualität (sog. „Mystery Shopping“) auf Defizite in der Kundenberatung und Bestandsbewirtschaftung aufmerksam wurde. In einem 11‐geschossigen Objekt im Platten‐
baugebiet gelang es der WBG Zeitz, einen privaten Pflegedienstleister dafür zu gewinnen, ein betreutes Wohnen mit 26 Wohnungen in dem Gebäude zu betreiben. Inzwischen hat sich das „Haus Zeitzblick“ mit weiteren Funktionen wie Gästezimmer, Freizeiträumen und Liefer‐
service von Fleischerei und Bäckerei zu einem beliebten Wohnhaus etabliert. Frau Hubeny betonte, dass sich das Unternehmen auch außerhalb des Plattenbaugebiets engagiere. Al‐
lerdings sei nach ihrer Erfahrung die Entwicklung von Brachen sehr schwierig und die Ver‐
handlung mit den Eigentümern oft aufwändig. Dr. Christine Meißner, aus dem Regionalbüro Weimar des Sanierungsträgers DSK GmbH & Co. KG. berichtete zum einen von der erfolgreichen Renaturierung zweier Industriebrachen (VEB Plasta in Geisa und Papierfabrik Tannroda) und zum anderen vom Umgang mit diver‐
sen, leerstehenden und sanierungsbedürftigen Altbauten in der thüringischen Kleinstadt Geisa, deren Altstadt ein Denkmalensemble ist. Obgleich der Rückbau der vor 1919 errichte‐
ten, straßenbegleitenden Altbauten im Stadtumbau Ost nicht förderfähig ist, kaufte die Stadt Geisa mehrere solcher nicht mehr sanierungsfähiger Gebäude auf, um sie abzureißen. Die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich: Teilweise konnten attraktive Freiflächen oder Ersatz‐
neubauten realisiert werden, teilweise sind Zwischennutzungen oder gestalterisch defizitäre aber funktionale Lösungen (bspw. PKW‐Stellplätze) entstanden. In der anschließenden Diskussion mit allen vier Referenten, erläuterte Herr Obenauf, dass sa‐
nierte Altbauten in der Greizer Innenstadt gut vermietbar seien, es aber kein kleinräumiges Mo‐
nitoring gäbe, um zu erfassen, wer die Wohnungen mietet. Generell seien aber eher Zuzüge aus Ortsteilen und dem Umland zu verzeichnen als aus den DDR‐Neubaugebieten. Auf die Frage aus dem Publikum, ob die Ortsteile in den Entwicklungsstrategien vernachlässigt würden, erläuter‐
ten Herr Hörning und Herr Obenauf, dass es Ortsteilkonzepte gebe und auch mit Stadt‐Umland 7
DOKUMENTATION │Veranstaltung „Stadtumbau in schrumpfenden Klein- und Mittelstädten“
Projektgruppen diskutiert werde. Gleichwohl sei die Schrumpfungsintensität in den Ortsteilen
deutlich höher. Auf die Frage, wie die Gesamtaufgabe der Innenstadtstärkung mit den Akteuren
Verwaltung, Eigentümer und Zivilgesellschaft koordiniert werde, stellte Frau Meißner heraus,
dass in Kleinstädten oft der Bürgermeister selbst mit Einzeleigentümern das Gespräch suche, um
Eigentümerwechsel oder Investitionen zu verhandeln. In Zeitz schließen sich laut Frau Hubeny
der Sanierungsträger, das Wohnungsunternehmen und die Stadt kurz. Auch Herr Obenauf erklärte, dass die Stadt eng mit den Wohnungsunternehmen zusammengearbeitet habe. Er betonte zudem, dass es sehr gut sei, wenn es gelänge, die Zivilgesellschaft einzubeziehen.
Gruppendiskussion: Wohnen und Infrastruktur als Bausteine zur Sicherung
der Funktionsvielfalt
Nach der Mittagspause diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in zwei Gruppen,
die von Dr. Anja Nelle und Prof. Dr. Heike Liebmann moderiert wurden.
In der von Dr. Anja Nelle moderierten Gruppe, berichtete zunächst Christian Kloss von der
Bundestransferstelle Kleinere Städte und Gemeinden u.a. über die Sicherung von sozialer
Infrastruktur in der sächsischen Kleinstadt Colditz. Hier wurde ein Gebäude, das zur ehemaligen Porzellanfabrik gehörte, von der Stadt erworben und zur Bildungs- und Begegnungsstätte umgebaut. Heute sind eine Kindertagesstätte und ein Schulhort sowie eine Bibliothek
untergebracht. Zudem wird von einem privaten Investor ein leerstehendes Gebäudeensemble als medizinisches Versorgungszentrum umgebaut, das auch barrierefreie Wohnungen
erhält. Die ebenfalls in der Gruppe anwesende Sanierungsbeauftragte von Colditz verwies
darauf, dass die jetzt sichtbaren Erfolge einen langen Vorlauf gehabt hätten und Teil des Erfolgsrezeptes ein engagierter und starker Bürgermeister sei. Diese Beobachtungen wurden
von weiteren Diskutanten bekräftigt. So wurde auch aus Wittenberge (Brandenburg) berichtet, dass ein langer Vorlauf inzwischen zu einer Dynamik im gründerzeitlichen Jahrschulviertel geführt hätte. Die Ansiedlung sozialer Träger sei über bilaterale Gespräche des Bürgermeisters mit den Trägern zustande gekommen. Anhand des bereits von Frau Hubeny vorgestellten Projektes in Zeitz wurde aber auch deutlich, dass die Wohnungsunternehmen in
Verhandlung mit sozialen Trägern durchaus andere räumliche Akzente setzen können, die
stärker an ihren immobilienwirtschaftlichen Interessen ausgerichtet sind.
Diskussionsgruppe im grünen Saal des Rathauses Reichenbach, moderiert von Dr. Anja Nelle
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Veranstaltung „Stadtumbau in schrumpfenden Klein- und Mittelstädten“│ DOKUMENTATION
Einen Verlust an Funktionsvielfalt sahen die Gesprächsteilnehmer durch die Zusammenlegung von Verwaltungen, die Schließung von Banken/Sparkassen, Schulen und Gastronomie.
Kitas und Schulen wurden von den Beteiligten als besonders wichtige Einrichtungen eingeschätzt, da nur durch sie junge Familien für die Stadt bzw. das Quartier gewonnen werden
könnten. So versucht sich bspw. die Stadt Auerbach (Sachsen) ganz bewusst als „Schulstadt“
zu positionieren. Das Thema Handel wurde kontrovers diskutiert: Einerseits sei ein Geschäftsbesatz in den Stadtkernen wünschenswert, andererseits seien „Kolonialwarenläden“
und Boutiquen nicht konkurrenzfähig zu den Angeboten bei Discountern am Stadtrand oder
der Auswahl in der nächsten Mittel- oder Großstadt. Kontrovers wurde diskutiert, ob die
großen Ketten wie beispielsweise Drogeriemärkte, Frequenzbringer sein können oder durch
ihr umfangreiches Sortiment den ggf. noch vorhandene Geschenk-, Buch- und Bastelläden
Kaufkraft abziehen. Große Ketten stellten darüber hinaus Flächenanforderungen, die sich in
der kleinteiligen Bebauungsstruktur meist nicht anbieten ließen. Dem Nachteil der Randlage
begegneten viele Händler bereits durch Lieferservice-Angebote. In den Geschäftsstraßen
wurde von guten Erfahrungen mit engagierten Gewerbevereinen berichtet und auch Wohnungsunternehmen hätten sich schon an der Entwicklung von Kulturstandorten beteiligt,
wenn eine wirtschaftliche Grundstabilität vorhanden sei.
Bezüglich der Steigerung der Funktionsvielfalt durch neue, zivilgesellschaftlich organisierte
Infrastrukturen wie Bürgertreffs, Repair-Cafés, Umsonstläden o.ä. gab es keine Erfahrungen
in der Gruppe. Gleiches galt auch für die zeitliche Steuerung nach dem „Große-EmmaPrinzip“ (mehrere Funktionen nutzen an unterschiedlichen Tagen einen Raum).
In der von Prof. Dr. Heike Liebmann moderierten Gruppe, wurde ein Fokus darauf gelegt, wie
soziale Träger zu Quartiersentwicklern werden. Zunächst berichtete Steffan Günther, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Vogtland über die Investitionen der AWO in der
Innenstadt von Reichenbach. Die AWO hat in mehreren neu- oder umgebauten Gebäuden
sowie sanierten denkmalgeschützten Altbauten ein Pflegeheim, Angebote für betreutes Wohnen, eine Kindertagesstätte und ihren Geschäftssitz errichtet. Sie hat damit einem ganzen
Quartier in der Innenstadt ein neues Gesicht gegeben. Wesentlich bei der Entscheidung für
diesen Standort sei die Lage gewesen, berichtete Herr Günther. Daneben spielte aber auch die
gute Abstimmung mit der Stadt und die Bereitstellung von Fördermittel für die Sanierung der
Altbauten eine wichtige Rolle. Auch aus Eisenberg (Thüringen) wurde berichtet, dass sich die
AWO mit dem Neubau einer Kita in der Innenstadt engagiert hat, dort hat die Stadt Flächen im
Diskussionsgruppe im Rathaussaal Reichenbach, moderiert von Prof. Dr. Heike Liebmann
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DOKUMENTATION │Veranstaltung „Stadtumbau in schrumpfenden Klein- und Mittelstädten“
Erbbaurecht zur Verfügung gestellt. In der Diskussion wurde bestätigt, dass die Bereitstellung
hochwertiger und baukulturell anspruchsvoller Infrastruktur positiv auf die angrenzenden
Quartiere ausstrahlt und somit ein Impulsgeber für die Quartiersentwicklung sein kann.
Derartige Neuansiedlungen von Infrastrukturen betten sich immer in städtebauliche Planungen ein. In der Diskussion warb Herr Obenauf, Stadt Greiz, dafür, konzeptionelle Ansätze
stärker in die Öffentlichkeit zu tragen und der Bevölkerung Quartiersperspektiven zu vermitteln, damit Investitionen in zukunftsfähige Quartiere gelenkt werden.
Neben der Infrastrukturentwicklung wurde das Problem zunehmender Ladenleerstände in
den Innenstädten diskutiert. Mit der altersbedingten Geschäftsaufgabe von bisher inhabergeführten Läden wird es in vielen Innenstädten kleinerer Städte immer schwieriger, Nachnutzungen zu finden. Zugleich wurde am Beispiel von Greiz die Tendenz zur Konzentration
der Geschäfte im unmittelbaren Kernbereich dargestellt. Dies bedeutet, dass Nebenlagen
und Nebenzentren immer weniger funktionieren. Dauerhafte Umnutzungen bspw. von Ladenlokalen zu ebenerdigen Wohnungen scheinen teilweise unumgänglich.
Ein weiterer Aspekt in der Diskussion betraf den Umgang mit herrenlosen Grundstücken. Aus
Reichenbach wurde berichtet, dass es derzeit in der Stadt ca. 50 herrenlose Grundstücke
(bebaut und unbebaut) gibt. Vielfach fehlen den Städten derzeit Ansatzpunkte, mit diesen
Grundstücken umzugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie auch noch Belastungen in
den Grundbüchern aufweisen. Herr Hartmann, BMUB, verwies in diesem Kontext auf eine
aktuelle Studie des Bundes mit dem Titel „Leitfaden zum Einsatz von Rechtsinstrumenten
beim Umgang mit verwahrlosten Immobilien (‚Schrottimmobilien‘)“. Diese Broschüre zeigt
anhand von vielfältigen Beispielen Möglichkeiten auf, mit diesen Immobilien umzugehen.
Vorstellung des ExWoSt-Forschungsfeldes „Potenziale kleiner Städte in
peripheren Lagen“
Die Bundesregierung hat kürzlich im Rahmen des Forschungsprogramms Experimenteller
Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) ein Forschungsfeld gestartet, in dessen Verlauf ergründet werden soll, ob es Potenziale kleiner Städte in peripheren Lagen gibt, für die der Blick
bislang verstellt gewesen ist. Es ist zu erwarten, dass die Ergebnisse auch für einige Stadtumbaukommunen interessante Anregungen bereit halten werden. Lars Porsche Projektleiter dieses Forschungsfelds im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) ging
in seiner Präsentation zunächst auf die Ausgangslage für die Forschung ein und skizzierte,
dass die demographische Entwicklung von Städten stärker durch ihre Lage als durch ihre
Größe beeinflusst werde. Unterschätzt werde die Bedeutung kleiner Städte für Klimaschutz,
Energiewende und Daseinsvorsorge sowie ihre Funktionen als Träger der polyzentralen
Raumstruktur der Bundesrepublik und als Anker für das jeweilige Umland bzw. die Region.
Ziel des Forschungsfeldes ist die Entdeckung und Förderung von Potenzialen, die eine qualitativ hochwertige Stadtentwicklung ermöglichen. Herr Porsche unterstrich, dass Städte ihre
eigenen Potenziale kennen müssten, um erfolgreiche Kooperationen mit Nachbarkommunen
einzugehen. Die Potenziale sollen über Zukunftsprozesse und Szenarien ermittelt werden.
Die Auswahl der Modellvorhaben erfolgt im Juni 2015, das Forschungsfeld hat eine Laufzeit
bis Frühsommer 2018.
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Veranstaltung „Stadtumbau in schrumpfenden Klein- und Mittelstädten“│ DOKUMENTATION
Schlusswort
Anja Röding vom BMUB stellte anknüpfend an den Vortrag von Herrn Porsche heraus, dass
die ExWoSt-Forschungsfelder bereits in der Vergangenheit wichtige Anregungen für den
Stadtumbau geliefert hätten. Sie verwies auf das Forschungsfeld „Kooperation im Quartier
(KiQ)“ das gezeigt habe, wie durch die Einbeziehung von Netzwerken von privaten Eigentümern (bspw. Haus & Grund Vereinen) sichtbare Schritte in der „Rettung“ von sanierungsbedürftigen Altbauten und in der Aufwertung ganzer Quartiere gelungen seien. Sie regte alle
Teilnehmer an, sich noch stärker beim Zugehen auf private Eigentümer zu engagieren. Der
Bund werde auch künftig die notwendigen Aktivierungsprozesse durch Forschungsvorhaben
und Erfahrungstransfer unterstützen.
Frau Röding bedankte sich bei den Vertretern der Städte Greiz und Reichenbach für die
spannenden Stadtführungen sowie bei der Stadt Reichenbach und der Bundestransferstelle
Stadtumbau Ost für die Organisation der Veranstaltung.
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