Die bösen Geister der Kindheit

NZZ-ArtikelvonSimonHehliüberdenbischöflichenBerichtzudenVergewaltigungenundMisshandlungenimkatholischenPensionatMarini,Montet,Fribourg
NZZ-online,26.Januar2015,mit14Kommentaren
URL:http://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/die-boesen-geister-der-kindheitld.4495#kommentare
(Abgerufenam27.Januar2016)
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KatholischesInstitutMarini
DiebösenGeisterderKindheit
ImfreiburgischenKinderheimMarinimissbrauchtenGeistlicheüberJahre
hinwegsystematischJugendliche.Wersichdagegenwehrte,pralltegegen
eineMauerdesSchweigens.
von Simon Hehli
26.1.2016, 11:00 Uhr
14 Kommentare
Im Institut Marini herrschte Zucht und Ordnung – und ein Klima, das den sexuellen
Missbrauch beförderte. (Bild: Bibliothèque cantonale et universitaire Fribourg)
DieAufarbeitungvonsexuellenMisshandlungenanKindernbeschäftigtdie
katholischeKircheseitJahren.EinHistorikerberichthatnunimBistum
Lausanne,GenfundFreiburgeineweitereschmerzlicheGeschichte
ausgeleuchtet,diesichvorlängererZeitabspielte.ImZentrumstehtdas
WaisenhausundPensionatMariniimFreiburgerBroyebezirk.Dieseswarvon
1929bis1955derdirektenVerantwortungdesBistumsunterstellt.DasInstitut
istzwarseit1979geschlossen.AberweilfrühereBewohnerdenheutigen
BischofCharlesMorerodüberihretraumatischenErfahrungenberichteten,
veranlasstediesereinedetaillierteUntersuchungderVorfälle.
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DieHistorikerhabensichdurchdieArchivbeständegearbeitetundmitvierzehn
Zeitzeugengesprochen.IhrRésumélautet:«DieÜbereinstimmungderZeugnisse
unddieEnthüllungenderArchivebestätigen,dasssichMisshandlungensowie
schwerwiegendeundwiederholtesexuelleMissbräuchewährendder
untersuchtenPeriodeimInstitutMariniereignethaben,unddassdieHauptsorge
derVerantwortlichendarinbestand,diesezuvertuschen.»
Uneheliche «Kinder der Sünde»
ImHeimlebtenzumuntersuchtenZeitraumüberhundertKinderund
Jugendliche.Siestammtenvorwiegendauseinemschwierigenfamiliären
Umfeld.RunddieHälftekamvonausserhalbdesKantonsFreiburg;Gefühleder
Angst,derHilflosigkeitunddesTrennungsschmerzesseienweitverbreitet
gewesen,schreibendieForscher.VielederKinderlittenuntereinerdoppelten
Stigmatisierung:Siewarennichtnurarm,sondernauchnochunehelichzurWelt
gekommen,alsosogenannte«KinderderSünde».FürdasWohlergehendieser
KinderinteressiertesichdieGesellschaftkaum.
Luftaufnahme des Schlosses Montet, das über zwanzig Jahre lang als katholisches
Waisenheim diente. (Bild: Bibliothèque cantonale et universitaire Fribourg)
DieHeimbewohnermusstenimlandwirtschaftlichenBetriebhartekörperliche
Arbeitleisten–auchweildasInstitutproKindnureinengeringen
Unterhaltsbetragbekam.ZudemwarensieeinemrigidenDisziplin-und
Strafsystemunterworfen.«DieKinderfürchtetenvorallemdieBrutalität
gewisserAufseher,welchedemütigendeöffentlicheSitzungenorganisierten,wo
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dieentblösstenKindermitderPeitschegeschlagenwurden»,stehtimBericht.
DasEssenwarkarg,derAlltagmonotonundvonreligiösemGehorsamgeprägt.
DieÜberwachungdurchdasBistumwarnachlässigundweilimInstitutvor
allemBerufsanfängertätigwaren,dieeinenraschenJobwechselanstrebten,gab
eseinehoheFluktuation.DaswarfürdieBetreuungderKindernichtförderlich.
Missbrauch durch die Direktoren
IndiesemMikrokosmoskonntesicheineKulturausbreiten,diedensexuellen
Missbrauchbeförderte.DieHistorikerhabenfürdieJahrevon1932bis195521
FällevonsexuellmissbrauchtenKindernundJugendlichendokumentieren
können–undelfnachweisbareTäter,darunterzweiaufeinanderfolgende
Priester-DirektorenundzweiInstitutsgeistliche.Schondamalsgabes
BeschwerdenundAnzeigen,dochlediglichzweiPersonenmusstensichinden
50erJahrenvorGerichtverantworten:einKlerikerundeinLaienaufseher.
FürdieOpferwarendieFolgenderMisshandlungengravierend.«FürKinder,die
übersexuelleFragennichtswissen,sinddieerstenErfahrungenvonMissbrauch
äusserstdestabilisierend,diesumsomehralsdiereligiöseErziehunghäufigeine
immerwiederkehrendeSichtweisevonReinheitundAbscheudesKörpers
vermittelt»,schreibendieStudienautoren.DieGefühlekönntensoweitgehen,
dassdieBetroffenen«inSchande,SchmerzundmittotalemVerlustvon
Selbstvertrauen»glaubten,ihremPeinigeranzugehören.DieZeugenberichteten
vonihrereigenenMachtlosigkeitunddamiteinertotalenAsymmetrieder
Beziehungen,weshalbdieHistorikerkonstatieren:«DiePeinigerprofitierenvon
ihrerMachtalsAufseher,ihrerAutoritätalsLehrerodervomRespektund
Gehorsam,dieeinemMannderKirchegebührt.»
Alles unter den Teppich kehren
IndererstenHälftedes20.JahrhundertswardieSexualitätnochweitgehend
tabuisiert.DieOpferschwiegenmeistausScham–undwennsiedochdie
Missetatenanprangerten,stiessensieaufUnglauben.Gleichzeitigverfolgteauch
diekatholischeKirchedieStrategie,allesunterdenTeppichzukehren.Wenn
sichdieGerüchtenichtmehreinfachignorierenliessen,wurdederfehlbare
Priesterversetzt,jedochnichtweiterbestraft.DasobersteZielwares,den
Skandalzuvertuschen.
EinTeilderOpferhatimZusammenhangmitderAufarbeitungzumerstenMal
überihreweitzurückliegendenErlebnisseberichtet.DieHistorikerschreiben
leichtpathetisch,einigeZeugenhättendankihremMutundihremLebenswillen
undmanchmalauchdankihrerRevoltevermocht,dieseinderKindheiterlebten
SchwierigkeitenineinenGewinnfürihrLebenzuverwandeln.Anderehätten
sichaneinigekurzeMomentedesGlücksindiesergestörtenKindheit
geklammert,umeinLebensprojektzuentdeckenundzuverwirklichen.«Andere
schliesslichringenimmernoch,umsichvondenbösenGeisternihrer
Vergangenheitzubefreien.»
14 Kommentare
Kevin Keller • vor 10 Stunden
Da zeigt es sich einmal mehr: Der säkulare Staat ist den Kirchen in moralischem
Verhalten um Längen überlegen. Offenbar braucht nicht der Staat die Kirche
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(Böckenfördsches Diktum), sondern umgekehrt. Die Kirchen haben - nicht nur, aber
auch wegen den Missbrauchs-Skandalen - jede Legitimation für Privilegien
selbstverschuldet eingebüsst. Sie sollten mit Unternehmen gleichgestellt und deshalb
genauso besteuert werden, d.h. Abschaffung der Kirchenprivilegien und
Kirchenreprivatisierung.
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Peter Risi • vor 15 Stunden
"Die Opfer schwiegen meist aus Scham – und wenn sie doch die Missetaten
anprangerten, stiessen sie auf Unglauben. Gleichzeitig verfolgte auch die
(hier Partei-, Politiker-, Polizei- oder Zeitungsname einsezten) die Strategie, alles
unter den Teppich zu kehren." Fast wie in Köln. Nur dass wir uns nicht mehr in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befinden. Auf der Katholischen Kirche rumhauen,
hat halt schon immer mehr Spass gemacht. Nicht dass ich die Geschehnisse gutheisse
- im Gegenteil. Bin selber ein scharfer Kritiker der Kath. Kirche. Aber interessant ist
es alleweil.
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Kevin Keller Peter Risi • vor 10 Stunden
Die katholische Kirche "haute" Jahrhunderte lang auf den Menschen "rum".
Sie ging ungleich weiter: Inquisition mit Folter, Enteignung und
Scheiterhaufen. Wenn die Kirche jetzt zu spüren bekommt, wie sich
"rumhauen" anfühlt, wird ihr das hoffentlich eine Lehre sein, sich zukünftig
besser zu benehmen.
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Max Bruellhardt • vor 17 Stunden
Einfach nicht mehr zu glauben; skandal reiht sich an skandal in der Kirche und alles
was passiert ist sind mehr oder weniger ernst gemeinte entschuldigungen. Es braucht
ein starkes zeichen einer starken regierung die es leider in diesem land nicht gibt. Wie
lange muss ich mich noch schämen schweizer zu sein?
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Kevin Keller Max Bruellhardt • vor 10 Stunden
Wir können selbst ein starkes Zeichen setzen: Kirchenaustritt.
Irgendwann passt der Staat die Gesetzgebung an die veränderten
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RKM • vor 19 Stunden
Ich bin ein uneheliches Kind mit Jg. Ende 60er. Dass ich eine Sünde sein soll, habe
ich beinahe täglich von meiner Kindergärtnerin, einer Nonne, zu hören bekommen.
Unter anderem hat sich mich im Keller des Kindergartens mehr oder weniger
regelmässig gefoltert. Weil ich ein uneheliches Kind bin. Ich sei eine Sünde, eine
Schande für den Herrn und Jesus und eigentlich würde sich mich am Liebsten
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ersäufen, erwürgen oder sonstwie töten usw. aber das dürfe man heutzutage nicht
mehr. usw. usf. "Misshandelt" ist ein verharmlosender Ausdruck für "gefoltert".
In der Parallelklasse des Kindergartens hatten wir eine Jüdin. Von deren Vater wurde
ich auch regelmässig gefoltert, weil ich ein uneheliches Kind bin. Während der
Unterrichtszeit im Kindergarten, wenn wir draussen waren, und weder die Lehrerin
der Parallelklasse noch die Nonne zugegen waren, ist er über den Haag gesprungen zu
mir gekommen und hat mich geohrfeigt, mit den Fäusten traktiert, getreten, mich an
den Haaren gerissen, oder mir den Kopf in den Sand gesteckt oder mir den Mund mit
Sand gefüllt. Do. das ganze auch ausserhalb der Unterrichtszeit. Dann hat er mich
jeweils noch auf hebräisch beschimpft. Wenn ich diese Sprache höre, drehe ich durch.
Meine Grossmutter war Sozialistin, bei ihr bin ich die ersten 10 Jahre aufgewachsen.
Gemäss ihrer Logik machen Nonnen so etwas nicht und Juden dürfen es. Wenn
irgendwo im Quartier etwas wegkam oder kaputt war, war es der Uneheliche. Auch
wenn er zu wenig alt dafür war, dann hat ihm einfach der Teufel geholfen. Gruss aus
dem christlichen Mittelalter aus der Mitte der 70er des 20. Jahrhunderts. Aufklärung?
An der Schweiz vorbeigegangen.
Da ich das Ergebnis einer Vergewaltigung bin, habe ich auch keinen Vater. Obwohl
er bekannt ist. Seinerzeit musst ein Mann die Vaterschaft explizit anerkennen. In
meinem Fall hat er das "verständlicherweise" nicht getan. In einem Familienschein
von 1991 ist kein Vater aufgeführt. Bei einer Halbschwester mit einem anderen Vater
steht "Legitimiert durch die Ehe ihrer Eltern" D.h. uneheliche Kinder sind ilegitim. Im
Personenstandsausweis von mir von 2008 sind bei "Vater" nur Striche. Es gibt Kinder
ohne Vater. Ist das die unbefleckte Empfängnis?
Dann habe ich noch viele andere Geschichten auf Lager betreffend des willkürlichen
Versagens der Ämter und Behörden.
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David Brunner • vor 20 Stunden
Gut, dass wenigstens zurückliegende Kindsmisshandlungen und Menschenverbrechen
als solche erkannt und moniert werden. Allerdings, wenn Historiker leicht pathetisch
schreiben, einige hätten ihr Schicksal in Gewinn zu wandeln vermocht ? Mir erscheint
das nicht pathetisch, sondern verachtend und zynisch. Auch der Titel des Artikels, ein
Hohn: "Die bösen Geister der Kindheit". Böse Geister ?!
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P. Kuhn • vor einem Tag
Man ist nun wirklich mehr als entrüstet und mit einer gewissen Wut beladen. Es sind
keine Einzelfälle, sondern tausende von Fällen auf der ganzen Welt. Skrupellos haben
da scheinheilige, heuchlerische, perverse Schwarzröcke, ja sogar hohe
"Würdenträger", ihnen zur guten Pflege übergebene Kinder missbraucht! Priester,
denen man eigentlich Vertrauen schenken sollte, als weltumspannender UnzüchtlerVerein? Da versteht man mehr als genug, dass eine zunehmende Zahl von
vernünftigen Bürgern und Bürgerinnen nichts mehr von Religion wissen wollen. Im
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Kanton Zürich sind es ca. 6'000 Austritte pa, bisher ca. 20%. Religion, falsche
Propheten und Ungebildetheit scheinen das wahre Problem auf dieser Welt zu sein.
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Kevin Keller P. Kuhn • vor 10 Stunden
Höchstwahrscheinlich ist Jesus auch schon aus der Kirche ausgetreten.
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hamu66 P. Kuhn • vor 12 Stunden
Als würde solches nur der Vergangenheit und nur in religiösen Kreisen
passieren. Die Religion spielt hier insofern eine negative Rolle, als es sich
z.T. um "unehelichen" Kindern gehandelt hat. Viele wurden jedoch auch
vom Staat den Eltern gestohlen, genauso wie es noch heute geschieht, s.
Kesb.
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Hannes Deetlefs • vor einem Tag
Man versucht jetzt viel zu spät, mit menschlichen, irdischen Mitteln eine hilflose Art
von Trost zu spenden, vergisst aber, dass der Glaubende nach seinem Tod gemäss
seinem Glauben und Taten beurteilt werden wird. Dieses gilt übrigens für Täter und
Opfer. Wäre ich ein solcher Priester, möchte ich jedenfalls nicht nach meinem Tod so
vor meinem Herrgott stehen, dies im Wissen, dass ich so was getan habe. Und,
umgekehrt, kann das Opfer wieder mit sehr viel Gnade rechnen. So steht es jedenfalls
in vielen Stellen der Bibel, und zwar mit grossem Nachdruck. Immerhin haben
damals schon beide Beteiligten, Täter wie Opfer, die Bibel mehrmals am Tag in der
Hand gehabt.
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RKM Hannes Deetlefs • vor 19 Stunden
WWnn ich das Christentum richtig verstanden haben, können Sie tun und
lassen was sie wollen. Solange sie an Jesus und den Herrn glauben, kommen
sie auch in den Himmel.
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Hannes Deetlefs RKM • vor 16 Stunden
Nun, da gibt es ja die unglaublich schwierige Stelle am Kreuz: Der
eine Verbrecher lästerte über Jesus, und der zweite Verbrecher sagte
zu ihm sinngemäss: "Wir zwei haben es verdient, gekreuzigt zu
werden. Dieser zwischen uns aber nicht." Worauf Jesus geantwortet
haben soll: "Du hast es erkannt, du wirst mit mir im Paradies sein".
Unglaublich schwierig: Ein nach menschlichem ermessen Schuldiger
wird im aller letzten Moment freigesprochen. Nun, das ist halt das
Problem mit dem Glauben. Abseits vom Glauben ist jedoch, dass wir
mit unseren begrenzten Mitteln solche Taten wie geschehen niemals
sühnen werden oder sühnen können. Wir sehen es beim Mord: Wie
wollen wir mit Mördern umgehen, die zwei, drei oder hundert
Menschen umgebracht haben? Alle mehr oder weniger die gleiche
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Strafe, die gleiche "Sühne"? Ungerecht dem Mörder gegenüber, der
"nur" eine Person getötet hat. Und, wichtig: Die Ermordeten haben
nichts davon. Sie sind tot.
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RKM Hannes Deetlefs • vor 3 Stunden
Man kann tun und lassen, was man will. Es genügt, zu
glauben, und man wird reingewaschen und kommt in den
Himmel.
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