Großer Gott, ich mache mich auf den Weg zu dir, Gott. Ich weiß von

Großer Gott,
Gewürm und irgendwo ein heißer Erdball. Nein, da brauche
ich dich auch nicht zu suchen. Oben? Ein Himmel. Wolken.
ich mache mich auf den Weg zu dir, Gott. Ich weiß von
Sonne. Mond. Wetter. Ja, so viel Wetter.
vornherein: das wird kein leichter Weg, aber ich bin guter
Aber auch Grenzenlosigkeit. Ja, vielleicht grenzenlos, aber
Dinge bei dir anzukommen. Ich gehe los – doch schon mit
beängstigend. Zu viel Luft, tut mir nicht gut. Ich brauche
dem ersten Schritt habe ich so meine Probleme. Nach oben?
meine Grenzen. Ein Himmel ohne Horizont, ist mir
Oder nach unten? Nach links – nach rechts? Wo soll ich
unheimlich. Da will ich dich nicht suchen, Gott.
dich suchen? Vor mir? Hinter mir?
Und hinter mir? Ruinen. Meine Geschichte. Mein Leben.
Neben mir steht jemand. Mein Nächster. Mit mürrischem
Geplatzt Träume und Erlebnisse. Fertig. So wie es eben
Blick. Scheinbar schlecht gelaunt, zumindest aber
war. Abgeschlossene Geschichte. Nicht mehr zu
distanziert. Doch da stehen noch viel mehr: mein
wiederholen. Ein bis hierhin abgeschlossenes Leben. Da
Übernächster, mein Überübernächster… Nein, da brauche
will ich dich auch nicht suchen. Das wär mir zu starr und zu
ich dich nicht zu suchen. Ein Blick zur anderen Seite? Ein
schwach. Ich will dich nicht in den Ruinen meines Lebens
ähnliches Bild. Griesgrämige Schatten. Bringt also auch
suchen, nicht nach Spuren suchen, die du in meinem Leben
nichts. Da wirst du nicht sein.
hinterlassen hast. Ich will dich ganz!
Ich blicke nach unten. Aber ich weiß, was da ist. Dinge, die
Also blicke ich nach vorn. Erwarte getrost, was kommen
kleiner sind als ich. Dinge, denen ich im Großen und
mag. Ein Weg bis zum Horizont. Weiter kann ich nicht
Ganzen gewachsen bin. Und unter den Dingen, denen ich
gucken. Gut so. Ich setze den ersten Schritt in deine
gewachsen bin – das Erdreich. Schotter, Erde, Getier,
Richtung Gott. Und den zweiten und den dritten. Ich
komme voran. Euphorie und Fröhlichkeit. Ein paar Schritte
Ein Blick zurück. Ein Schrecken. Ein Blick zur Seite. Die
geht das gut, doch etwas hält mich. Die Schritte werden
Schatten meinef Nächsten.
schwerer. Irgendetwas hält mich. Etwas lässt mich nicht los.
Ich schaffe das nicht. Ich finde dich nicht. Ich bin müde…
Etwas will, dass ich stehen bleibe. Ich will doch zu dir Gott.
Ein Gebet. Ein Gedanke. Mehr nicht…
Doch meine Vergangenheit hängt an mir, macht es mir
Gib mir etwas, dass mich hoffen lässt. Zwischen der Angst
schwer. Die Schuld hängt an meinen Füßen. Es gibt da noch
vor der Unendlichkeit und der Angst davor, eingeschlossen
ein paar Dinge zu regeln, bevor ich zu dir kommen kann,
zu sein, begrenzt, beschränkt, gefesselt zu sein. Gib mir
glaube ich. Da sind noch ein paar Konflikte ungeklärt, ein
etwas, doch es kommt nichts…
paar Rechnungen offen. Ein paar Rechnungen, die ich noch
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Mein
bezahlen muss. Ein Blick zur Seite. Meine Nächsten; auch
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Das ist
sie gehen langsamer. Ich gehe weiter. Ich komme dir
nicht meine Stimme, die da spricht. Es ist mein Herz. Es
entgegen. Hoffentlich. Denke ich. Ich laufe und laufe und
ruft: zu dir!
laufe. Bald werde ich bei dir sein. Schritt für Schritt mit der
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich nicht
Schuld am Bein. Doch –ich komme nicht voran. Du
losgelassen? Warum hältst du an mir fest? Warum gelingt
kommst einfach nicht in Sicht. Du bleibst außerhalb meines
es mir nicht, dich loszulassen? Wieso kann ich diesen Satz
Blickfeldes und ich laufe. Aber ich laufe doch in die richtige
nicht ohne dich denken? Es ist nicht mein Satz. Es ist dein
Richtung, oder? Plötzlich bin ich mir gar nicht mehr so
Satz und du hast ihn in diese Welt geworfen. Geschleudert.
sicher. Ein leiser Zweifel. Ein lauter Zweifel. Verzweiflung.
Du hast ihn uns am Karfreitag vor die Füße geknallt. Jesus
losgelassen?“ Die anderen scheinen dasselbe zu denken. Ich
uns näher
als haut
oder halsschlagader
kleiner als herzmuskel
zwerchfell oft:
zu nahe
zu klein – wozu
dich suchen?
wir:
deine verstecke
spüre das. Da ist etwas, das uns verbindet. Wir sind
du: leicht
Weggefährten. Nur der Weg – ja den Weg kennen wir nicht.
du: ins zellengewebe
enthöht
gott
des lebendigen atems
im fleisch
durchreisest
uns
leicht1
sagt ihn. Wir hören ihn. Aber ich könnte ihn auch sprechen.
Denken tue ich – manchmal…
Ich blicke nach links und rechts. Und all die zweifelnden
Gesichter sind nicht mehr da. Alle murmeln diesen Satz.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich nicht
Aber aus dem „ich“ wird ein „wir“. „Warum hast du uns
nicht losgelassen?“
Und er stimmt ein. Vom Kreuz aus hören wir seine Stimme.
Wir bleiben stehen. Alle gemeinsam. Halten an. Kein
Schritt mehr. Wir sind in die falsche Richtung gelaufen.
Gott. Wir sind in die falsche Richtung gelaufen. Der Weg
führt zwar zum Ziel. Aber nicht zu dir. Wir schließen die
Augen. Wir schließen die Augen und schauen dorthin, wo
wir noch nicht gesucht haben: nach innen. In uns hinein.
Und da wartest du.
großer gott:
Ein Weggefährte sagt diese Zeilen. Auch er auf dem Weg
zu dir. Kurt Marti, Pfarrer und Dichter. Wir haben dich
gefunden Gott. Du in uns! Wir sind deine Verstecke!
Das ist die Gnade. Die Gnade, dass du uns nicht loslässt.
Dass wir Frieden mit dir haben. Wir wissen das, weil du
1
Marti, Kurt: Gedichte, S. 99f.
Jesus nicht losgelassen hast, weil du uns nicht losgelassen
Amen.
hast, weil du mich nicht losgelassen hast. Er rief zu dir.
Jesus rief zu dir. Und du öffnest das Himmelreich. Das ist
die Gnade. Unser Glaube daran, dass es einen Zugang gibt
zu dir. In uns. Du glaubt an uns, wenn wir es selbst nicht
schaffen.
1Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben
wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus;
2durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade,
in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen
Herrlichkeit, die Gott geben wird.
3Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der
Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt,
4Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung,
5Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe
Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist,
der uns gegeben ist.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft
bewahre eure Herzen und Sinn in Christus Jesus.
Amen.