ZU GAST BEI Birgit Vanderbeke Naturtalente im Languedoc Humor, Leichtigkeit und Ironie geben den Ton in Birgit Vanderbekes preisgekrönten Romanen an. In ihrer südfranzösichen Wahlheimat finden Sie und ihre Mixhündin Mimi auf gute Gesellschaft – und Trüffel FOTOS Sabrina Rothe TEXT Klaus Simon Der Lieblingsplatz von Birgit Vanderbeke und Mimmi ist die Promenade des Marronniers in Uzès. Frauchen hat ein Faible für die alten Bänke, ihre Hündin für die schattenspendenden Kastanienbäume. 78 2 /2015 dogs dogs 2 /2015 79 Die Frau mit dem Hund schlendert fast auf die Minute Stationen eines glücklich verbummelten Alltags: die Ufer der Eure, die Schiefertafel des Bistros „Estanquet“ in St-Maximin, der glasklare Gardon, die von Arkaden gesäumte Place aux Herbes in Uzès. Und Ruhe für Mimmi auf den Uferkieseln bei Collias. pünktlich über die Place aux Herbes. Wir sind am Brunnen in einer Ecke des zauberhaften Hauptplatzes von Uzès verabredet. Bögen, Türmchen, Gewölbe und Caféterrassen säumen die Weite des ungleichmäßigen Rechtecks, das bereits knapp einem Dutzend Kinofilmen als Kulisse gedient hat, darunter dem Mantel- und Degendrama „Cyrano de Bergerac“ mit Gérard Depardieu. Über mir rauschen die Platanen im Wind. Es ist der Mistral, der an über 200 Tagen im Jahr durch das Rhône-Tal in Richtung Mittelmeer faucht. Noch im Languedocstädtchen Uzès hat der Nordwind genug Kraft, um die Baumkronen kräftig durchzuschütteln. Birgit Vanderbekes Löwenmähne scheint er wenig anzuhaben Hanfdick rahmen die langen Haare ihr Gesicht, ein graumeliertes Vlies. Unter dem Mittelscheitel leuchtet ein Paar graugrüner Augen, mit dem die Schriftstellerin amüsiert bis spöttisch die Welt zu betrachten scheint. „Bonsoir, ich bin Birgit Vanderbeke und das ist Mimmi“ begrüßt mich die mit renommierten Literaturpreisen wie dem IngeborgBachmann-Preis oder dem Hans Fallada-Preis Geehrte. Die Stimme ist tief und rauchig, wie gemacht für Hörbücher und Lesungen. Ihre bislang ausgedehnten Lesetourneen aber will die gebürtige Brandenburgerin mit Wohnsitz in Südfrankeich künftig einschränken. Nicht zuletzt wegen Mimmi. Prompt wedelt die honiggelbe Mischlingshündin freudig mit dem Schwanz. Mimmi war vier Monate alt, als Birgit Vanderbeke sie aus dem Tierheim geholt hat. Dort war die Hündin nur 24 Stunden, zu kurz also, um die Freude am Leben zu verlieren. Schon als Welpe hatte Mimmi gelernt, sich allein durchs Hundeleben zu schlagen. Noch heute nutzt sie jeden Spaziergang durch die struppige Garrigue rund um Uzés, um mit kundiger Schnauze Wilderdbeeren aus dem Thymian,- Ginster,- Zistrosengestrüpp zu nesteln. Im Garten sind weder tiefhängende Kirschen noch Feigen vor ihr sicher. Mimmis Charakter beschrieb Vanderbeke in »Die Frau mit dem Hund«, ihrem vorletzten Roman. Eine der Hauptpersonen darin heißt Pola Nogueira. Steter Begleiter der jungen Frau ist Zsazsa, ein zärtliches Schlappohr, etwas scheu und mit honiggelbem Fell. „Mimmi ist Zsazsa“, bekräftigt Birgit Vanderbeke. Und ihr erster Hund. Vor Mimmi gab es nur Katzen im Haus. Katzen aber können keine Trüffel suchen. Mimmi schon. „Mimmi ist ein Naturtalent. Sie hat beim Testversuch im Haus jedes noch so winzige Trüffelstückchen gefunden“, erklärt ihr Frauchen stolz. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Für den Rest sorgte Monsieur Aguillio, eine Instanz in der lokalen Trüffelsuchergemeinde von Uzès und, wichtiger noch, ein begnadeter Trüffelhundtrainer. Soviel möchte Birgit Vanderbeke verraten: „Beim Training muss der Trüffel in einem Nylonstrumpf gewickelt werden, damit der Hund erst gar nicht auf den Geschmack kommt und den Pilz frisst“. So spricht eine, die mit Haut und Haaren im Languedoc zuhause ist. Seit über zwanzig Jahren lebt Vanderbeke mit Mann und Sohn in Südfrankreich. Eigentlich sollte es die Provence sein. Doch die horrenden Hauspreise und die mehr und mehr zu Touristenattraktionen aufgehübschten Dörfer ließen den Blick nach kurzer Suche über die Rhône nach Westen schweifen. In 80 2 /2015 dogs einem Dorf, einen Steinwurf von Uzès entfernt, wurde das Paar fündig. Im Gard, dem westlichsten Département des Languedoc, lagen nicht nur die Immobilienpreise deutlich niedriger. Die sanft gewellte Landschaft zwischen Mittelmeer und den Cevennen ist zudem deutlich grüner als die in der im Hochsommer verdorrte Provence. Das Haus, in dem sie heute leben, ist kein romantisches altes Natursteingemäuer, sondern ein zweckmäßiger Neubau mit großem Grundstück. Vor allem aber ist das Haus auch im Winter (doch, doch, den gibt es in Südfrankreich) trocken und beheizbar, kurzum bewohnbar. Näheres über das Für und Wider von Naturstein oder Beton kann man in der Gebrauchsanweisung für Südfrankreich nachlesen, einem der 17 Bücher, die Birgit Vanderbeke geschrieben hat. Die meisten davon schrieb sie im Winter in ihrer Wahlheimat, in ihrem Haus, das auch dann behaglich ist. Die Ideen zu Romanen wie »Ich sehe was, was Du nicht siehst« (1999), »Die sonderbare Karriere der Frau Choi« (2007) oder »Der Sommer der Wildschweine« (2013), die alle drei in ihrer südfranzösischen Wahlheimat spielen, entwickelt sie hingegen woanders, etwa am Ufer des Gardon. Auf Höhe des Dorfes Collias hat der Fluss Kieselbänke und Badebuchten freigespült. Eisvögel blitzen über das Wasser. Kanus torkeln vorbei. Eine Gruppe Jugendlicher hat in einer Bucht ihr Lager aufgeschlagen. Es ist ein Ort, den die Schriftstellerin magisch findet. Und an dem die dreijährige Mimmi frei nach Schnauze Rumtollen oder ins Wasser gehen darf. Etwas weiter flussabwärts spreizt sich der antike Pont du Gard über den Gardon. Die drei Arkadenreihen des von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Aquädukts zählen zu den monumentalsten Hinterlassenschaften der Römer in ganz Südfrankreich. Die Idylle gebiert jedoch keine literarischen Südfrankreichklischees. Vanderbekes Helden zeichnet eine Prise Anarchie aus, ihre Geschichten sind nicht harmlos. Frau Choi vergiftet in ihrem koreanischen Restaurant am Fuß der Cevennen die eher unangenehmen Vertreter des männlichen Geschlechts. Ihre Waffe ist Schöngelber Klumpfuß, ein Giftpilz, den man in der Küche nicht nachweisen kann, wie Hobbyköchin Vanderbeke weiß. Milan und Leo machen in »Der Sommer der Wildschweine« Urlaub im Languedoc – bis angesichts von Schiefergasbohrungen, Stichwort Fracking, an Erholung nicht mehr zu denken ist. Schwarzer Humor und ein kritischer Geist stehen bei fast allen Büchern Pate. Was auch für »Die Frau mit dem Hund« gilt. Der Roman spielt in einer fiktiven Welt von Morgen, in der Hunde als öffentliches Gesundheitsrisiko verteufelt werden und die Überwachung total ist. High Noon à la francaise am nächsten Tag in St-Maximin, wo wir zum Mittagessen im „Estanquet“ verabredet sind. Ein paar angestaubte Kastenwagen stehen in der Gasse. Vom schmiedeeisernen Capanile der Dorfkirche bimmelt das Arme Sünder-Glöckchen. Ein Mann schlurft mit dem Baguette unterm dem Arm vorbei. Restaurantchef Franck gibt Mimmi zur Begrüßung ein Leckerli. Seine tibetischen Lhasa Aspo-Hündin Lola ist so etwas wie Mimmis beste Freundin. Das keine fünf Kilo schwere Wollknäul macht mit einem kurzen Knurren dennoch klar, wer im „Estanquet“ das Hausrecht hat. Ganz die Klügere gibt Mimmi nach und hält still. Wir bestellen Tintenfischsalat à la plancha mit Auberginenpüree, dazu einen fruchtigen Rosé Costières de Nîmes, der die Würze der Garrigue ins Glas holt. Mimmi hat es sich derweil im Schatten bequem gemacht und Birgit Vanderbeke erzählt. Von ihrer Leidenschaft fürs Kochen, dem Fischhändler aus Le Grau-du-Roi, der Leidenschaft für die Trüffelsuche. Von ihren Araukana Hühnern, die grüne Eier legen, und die sie bei der Recherche zum Roman »Das lässt sich ändern« entdeckt hat. Und immer wieder von Mimmi, die brav dafür sorgt, dass die Katzen endlich nicht mehr ins Haus kommen und folglich allabendlich nicht mehr vor die Tür gesetzt werden müssen. Vor allem aber erzählt sie von ihrer Liebe für das Languedoc. Seit Jahrhunderten ist Frankreichs „anderer Süden“ die Heimat von Andersdenkenden und Querköpfen. Katharer und Protestanten haben hier Zuflucht gefunden. Später waren es 68er-Aussteiger und Vordenker von Frankreichs Ökobewegung. Nur eine gute halbe Stunde Autofahrt von Uzès entfernt lebt der amerikanische Anarcho-Comiczeichner Robert Crumb (Fritz the Cat) in Sauve, wo er mit Erfolg den Bau eines Billigsupermarkts am Dorfrand verhindert hat. Eine Geschichte, ganz nach dem Geschmack von Birgit Vanderbeke. Ein letzter Spaziergang mit Mimmi im Tal der L´Eure unterhalb von Uzès. „Der Weg ist schattig und Mimmi kann im Bach trinken“, hatte Birgit Vanderbeke angekündigt. Stimmt beides. Mimmi dreht ordentlich auf, stürmt auf andere Hunde zu, wälzt sich zufrieden im Gras, das nach Currykraut riecht. Dicke Platanen säumen das Ufer. Aus dem Schatten taucht die Ruine einer ehemaligen Lakritzfabrik auf. Eine Bank, auf der wir uns setzen können, steht passenderweise bereit. Birgit Vanderbeke zündet sich eine Zigarette im langem Mundstück an. Wir schweigen einen Augenblick. Nur Mimmis Hecheln mischt sich unter das Singen der Zikaden. Dann verrät die Autorin einen Trick, falls man mal mit Hund auf Trüffelsuche gehen möchte. „Immer dieselbe Jacke anziehen, wenn es losgeht, dann schaltet Mimmi automatisch auf Trüffelsuche um“, sagt Birgit Vanderbeke. Danke, ist notiert. Graue Mähne, lachende Augen und ein schwarzes Mundstück für die selbstgedrehte Zigarette: typisch für Birgit Vanderbeke.
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