ZU GAST BEI Birgit Vanderbeke

ZU GAST BEI
Birgit Vanderbeke
Naturtalente
im Languedoc
Humor, Leichtigkeit und Ironie geben
den Ton in Birgit Vanderbekes preisgekrönten Romanen an. In ihrer südfranzösichen Wahlheimat finden Sie und ihre
Mixhündin Mimi auf gute Gesellschaft – und Trüffel
FOTOS
Sabrina Rothe
TEXT
Klaus Simon
Der Lieblingsplatz von
Birgit Vanderbeke und Mimmi
ist die Promenade des
Marronniers in Uzès.
Frauchen hat ein Faible für
die alten Bänke, ihre Hündin
für die schattenspendenden
Kastanienbäume.
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Die Frau mit dem Hund schlendert fast auf die Minute
Stationen eines glücklich verbummelten Alltags: die Ufer der
Eure, die Schiefertafel des Bistros
„Estanquet“ in St-Maximin, der
glasklare Gardon, die von Arkaden
gesäumte Place aux Herbes in
Uzès. Und Ruhe für Mimmi auf
den Uferkieseln bei Collias.
pünktlich über die Place aux Herbes. Wir sind am Brunnen in einer
Ecke des zauberhaften Hauptplatzes von Uzès verabredet. Bögen,
Türmchen, Gewölbe und Caféterrassen säumen die Weite des ungleichmäßigen Rechtecks, das bereits knapp einem Dutzend Kinofilmen als Kulisse gedient hat, darunter dem Mantel- und
Degendrama „Cyrano de Bergerac“ mit Gérard Depardieu.
Über mir rauschen die Platanen im Wind. Es ist der Mistral, der
an über 200 Tagen im Jahr durch das Rhône-Tal in Richtung
Mittelmeer faucht. Noch im Languedocstädtchen Uzès hat der
Nordwind genug Kraft, um die Baumkronen kräftig
durchzuschütteln. Birgit Vanderbekes Löwenmähne scheint er
wenig anzuhaben Hanfdick rahmen die langen Haare ihr Gesicht,
ein graumeliertes Vlies. Unter dem Mittelscheitel leuchtet ein Paar
graugrüner Augen, mit dem die Schriftstellerin amüsiert bis
spöttisch die Welt zu betrachten scheint.
„Bonsoir, ich bin Birgit Vanderbeke und das ist Mimmi“ begrüßt
mich die mit renommierten Literaturpreisen wie dem IngeborgBachmann-Preis oder dem Hans Fallada-Preis Geehrte. Die
Stimme ist tief und rauchig, wie gemacht für Hörbücher und
Lesungen. Ihre bislang ausgedehnten Lesetourneen aber will die
gebürtige Brandenburgerin mit Wohnsitz in Südfrankeich künftig
einschränken. Nicht zuletzt wegen Mimmi. Prompt wedelt die
honiggelbe Mischlingshündin freudig mit dem Schwanz.
Mimmi war vier Monate alt, als Birgit Vanderbeke sie aus dem
Tierheim geholt hat. Dort war die Hündin nur 24 Stunden, zu kurz
also, um die Freude am Leben zu verlieren. Schon als Welpe hatte
Mimmi gelernt, sich allein durchs Hundeleben zu schlagen. Noch
heute nutzt sie jeden Spaziergang durch die struppige Garrigue
rund um Uzés, um mit kundiger Schnauze Wilderdbeeren aus dem
Thymian,- Ginster,- Zistrosengestrüpp zu nesteln. Im Garten sind
weder tiefhängende Kirschen noch Feigen vor ihr sicher. Mimmis
Charakter beschrieb Vanderbeke in »Die Frau mit dem Hund«,
ihrem vorletzten Roman. Eine der Hauptpersonen darin heißt Pola
Nogueira. Steter Begleiter der jungen Frau ist Zsazsa, ein zärtliches
Schlappohr, etwas scheu und mit honiggelbem Fell.
„Mimmi ist Zsazsa“, bekräftigt Birgit Vanderbeke. Und ihr erster
Hund. Vor Mimmi gab es nur Katzen im Haus. Katzen aber können
keine Trüffel suchen. Mimmi schon. „Mimmi ist ein Naturtalent.
Sie hat beim Testversuch im Haus jedes noch so winzige
Trüffelstückchen gefunden“, erklärt ihr Frauchen stolz. Es war der
Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Für den Rest sorgte
Monsieur Aguillio, eine Instanz in der lokalen Trüffelsuchergemeinde
von Uzès und, wichtiger noch, ein begnadeter Trüffelhundtrainer.
Soviel möchte Birgit Vanderbeke verraten: „Beim Training muss der
Trüffel in einem Nylonstrumpf gewickelt werden, damit der Hund
erst gar nicht auf den Geschmack kommt und den Pilz frisst“. So
spricht eine, die mit Haut und Haaren im Languedoc zuhause ist.
Seit über zwanzig Jahren lebt Vanderbeke mit Mann
und Sohn in Südfrankreich. Eigentlich sollte es die Provence sein.
Doch die horrenden Hauspreise und die mehr und mehr zu
Touristenattraktionen aufgehübschten Dörfer ließen den Blick
nach kurzer Suche über die Rhône nach Westen schweifen. In
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einem Dorf, einen Steinwurf von Uzès entfernt, wurde das Paar
fündig. Im Gard, dem westlichsten Département des Languedoc,
lagen nicht nur die Immobilienpreise deutlich niedriger. Die sanft
gewellte Landschaft zwischen Mittelmeer und den Cevennen ist
zudem deutlich grüner als die in der im Hochsommer verdorrte
Provence. Das Haus, in dem sie heute leben, ist kein romantisches
altes Natursteingemäuer, sondern ein zweckmäßiger Neubau mit
großem Grundstück. Vor allem aber ist das Haus auch im Winter
(doch, doch, den gibt es in Südfrankreich) trocken und beheizbar,
kurzum bewohnbar. Näheres über das Für und Wider von
Naturstein oder Beton kann man in der Gebrauchsanweisung für
Südfrankreich nachlesen, einem der 17 Bücher, die Birgit
Vanderbeke geschrieben hat. Die meisten davon schrieb sie im
Winter in ihrer Wahlheimat, in ihrem Haus, das auch dann
behaglich ist. Die Ideen zu Romanen wie »Ich sehe was, was Du
nicht siehst« (1999), »Die sonderbare Karriere der Frau Choi«
(2007) oder »Der Sommer der Wildschweine« (2013), die alle drei
in ihrer südfranzösischen Wahlheimat spielen, entwickelt sie
hingegen woanders, etwa am Ufer des Gardon.
Auf Höhe des Dorfes Collias hat der Fluss Kieselbänke
und Badebuchten freigespült. Eisvögel blitzen über das Wasser.
Kanus torkeln vorbei. Eine Gruppe Jugendlicher hat in einer Bucht
ihr Lager aufgeschlagen. Es ist ein Ort, den die Schriftstellerin
magisch findet. Und an dem die dreijährige Mimmi frei nach
Schnauze Rumtollen oder ins Wasser gehen darf. Etwas weiter
flussabwärts spreizt sich der antike Pont du Gard über den Gardon.
Die drei Arkadenreihen des von der UNESCO zum Weltkulturerbe
erklärten Aquädukts zählen zu den monumentalsten Hinterlassenschaften der Römer in ganz Südfrankreich.
Die Idylle gebiert jedoch keine literarischen Südfrankreichklischees. Vanderbekes Helden zeichnet eine Prise Anarchie aus, ihre
Geschichten sind nicht harmlos. Frau Choi vergiftet in ihrem koreanischen Restaurant am Fuß der Cevennen die eher unangenehmen Vertreter des männlichen Geschlechts. Ihre Waffe ist Schöngelber Klumpfuß, ein Giftpilz, den man in der Küche nicht
nachweisen kann, wie Hobbyköchin Vanderbeke weiß. Milan und
Leo machen in »Der Sommer der Wildschweine« Urlaub im
Languedoc – bis angesichts von Schiefergasbohrungen, Stichwort
Fracking, an Erholung nicht mehr zu denken ist. Schwarzer Humor
und ein kritischer Geist stehen bei fast allen Büchern Pate. Was
auch für »Die Frau mit dem Hund« gilt. Der Roman spielt in einer
fiktiven Welt von Morgen, in der Hunde als öffentliches
Gesundheitsrisiko verteufelt werden und die Überwachung total ist.
High Noon à la francaise am nächsten Tag in St-Maximin, wo wir
zum Mittagessen im „Estanquet“ verabredet sind. Ein paar angestaubte Kastenwagen stehen in der Gasse. Vom schmiedeeisernen
Capanile der Dorfkirche bimmelt das Arme Sünder-Glöckchen. Ein
Mann schlurft mit dem Baguette unterm dem Arm vorbei. Restaurantchef Franck gibt Mimmi zur Begrüßung ein Leckerli. Seine tibetischen Lhasa Aspo-Hündin Lola ist so etwas wie Mimmis beste
Freundin. Das keine fünf Kilo schwere Wollknäul macht mit einem
kurzen Knurren dennoch klar, wer im „Estanquet“ das Hausrecht
hat. Ganz die Klügere gibt Mimmi nach und hält still.
Wir bestellen Tintenfischsalat à la plancha mit Auberginenpüree,
dazu einen fruchtigen Rosé Costières de Nîmes, der die Würze der
Garrigue ins Glas holt. Mimmi hat es sich derweil im Schatten
bequem gemacht und Birgit Vanderbeke erzählt. Von ihrer
Leidenschaft fürs Kochen, dem Fischhändler aus Le Grau-du-Roi,
der Leidenschaft für die Trüffelsuche. Von ihren Araukana
Hühnern, die grüne Eier legen, und die sie bei der Recherche zum
Roman »Das lässt sich ändern« entdeckt hat. Und immer wieder
von Mimmi, die brav dafür sorgt, dass die Katzen endlich nicht
mehr ins Haus kommen und folglich allabendlich nicht mehr vor
die Tür gesetzt werden müssen. Vor allem aber erzählt sie von ihrer
Liebe für das Languedoc. Seit Jahrhunderten ist Frankreichs
„anderer Süden“ die Heimat von Andersdenkenden und
Querköpfen. Katharer und Protestanten haben hier Zuflucht
gefunden. Später waren es 68er-Aussteiger und Vordenker von
Frankreichs Ökobewegung. Nur eine gute halbe Stunde Autofahrt
von Uzès entfernt lebt der amerikanische Anarcho-Comiczeichner
Robert Crumb (Fritz the Cat) in Sauve, wo er mit Erfolg den Bau
eines Billigsupermarkts am Dorfrand verhindert hat. Eine
Geschichte, ganz nach dem Geschmack von Birgit Vanderbeke.
Ein letzter Spaziergang mit Mimmi im Tal der L´Eure
unterhalb von Uzès. „Der Weg ist schattig und Mimmi kann im
Bach trinken“, hatte Birgit Vanderbeke angekündigt. Stimmt
beides. Mimmi dreht ordentlich auf, stürmt auf andere Hunde zu,
wälzt sich zufrieden im Gras, das nach Currykraut riecht. Dicke
Platanen säumen das Ufer. Aus dem Schatten taucht die Ruine
einer ehemaligen Lakritzfabrik auf. Eine Bank, auf der wir uns
setzen können, steht passenderweise bereit. Birgit Vanderbeke
zündet sich eine Zigarette im langem Mundstück an. Wir schweigen
einen Augenblick. Nur Mimmis Hecheln mischt sich unter das
Singen der Zikaden. Dann verrät die Autorin einen Trick, falls man
mal mit Hund auf Trüffelsuche gehen möchte. „Immer dieselbe
Jacke anziehen, wenn es losgeht, dann schaltet Mimmi automatisch
auf Trüffelsuche um“, sagt Birgit Vanderbeke. Danke, ist notiert.
Graue Mähne, lachende Augen und ein schwarzes Mundstück
für die selbstgedrehte Zigarette: typisch für Birgit Vanderbeke.