September | Oktober 2015
+ Zusatzversicherungen: Wer sie braucht +
G E SU N D H E IT
Zähne
GESUNDHEIT
Neue Techniken bei Implantaten, Parodontose, Zahnspangen
Keine Angst vorm Zahnarzt / Sparen mit Behandlung im Ausland
Zahnpflege-Forschung: effizientes Putzen, die besten Bürsten
DIE P
425 TO
ÄRZTE,
N
H
A
Z
TE
PLANTA
FÜR IM HOPÄDIE,
RT
KIEFERO WURZELN,
ZAHN
NTOSE
O
D
O
R
PA
Schöne,
gesunde
Zähne
Karies, Kronen, Korrekturen –
was Zahn-Experten heute alles können
und was ihre Behandlung kostet
Veneers &
Bleaching
So bleibt
Ihr Lächeln
makellos
EDITORIAL
Die Gesundheit im Lächeln
lauter, Frauen ziehen ein dezentes Surren vor.
Lesen Sie ab S. 18, wie Forscher die Modelle
und sie sind ein wesentlicher Teil der Gesundder Zukunft entwerfen.
heit. Damit meine ich nicht nur Karies. Eine
Entzündung des Zahnfleischs, die Parodontose,
kann sogar Schäden am Herzen oder Diabetes
BEIM ZÄHNEPUTZEN KOMMT ES AUF DIE TECHverursachen. Umso wichNIK AN. Aber nicht auf die
tiger sind Pflege und die
der elektrischen HighKontrolle beim Zahnarzt.
Tech-Bürste, sondern auf
Ihre eigene Putztechnik!
Den Spezialisten für Wurzeln und Zahnfleisch geViele putzen zu kurz, zu
lingt es heute, auch ununsystematisch und zu
rettbar scheinende Zähne
fest. Nach 46 Sekunden
statt nach drei Minuten
noch zu erhalten. Die
legen sie die Bürste aus
Top-Experten für Endodontologie, Parodontoloder Hand. Dafür drügie Implantologie und
cken sie umso kraftvoller
Kieferorthopädie finden
zu und Schrubben den
Sie in den Ärztelisten ab
Zahnschmelz weg. Ab S.
Seite 100.
86 haben wir für Sie das
Am Dummy bohren lernen Autorin Yvonne
Wissenswerte zur Pflege
Küster am Ausbildungsgebiss aus Plastik bei
Professor Ludger Figgener, Uni-Klinik Münster
WER SICH IM AUSLAND
zusammengestellt: Wie
Zähne und Zahnfleisch
die Zähne richten lässt,
kann viel Geld sparen und nebenbei ein bissgesund bleiben; was bei empfindlichen Zähchen Urlaub machen. Einige der Praxen sind
nen und Brücken zu beachten ist; wie Eltern
vorsorgen, dass ihre Kinder von Karies versogar von deutschen Krankenkassen zertifiziert. Dennoch gilt es, vorher einiges zu klären,
schont bleiben. Und wie der Atem jeden Kussetwa wie die Garantiebedingungen sind. Ab
test besteht.
S. 62 beschreiben wir die wichtigsten Fakten
zur Auslandsbehandlung.
Herzlich
Foto: Dominik Butzmann für FOCUS-Magazin, Dominik Pietsch für FOCUS-Gesundheit
SCHÖNE ZÄHNE VERLEIHEN AUSSTRAHLUNG,
BÜRSTEN REINIGEN die Zähne – ganz einfach.
Aber das müssen sie auch klanglich unter Beweis stellen. Bei Asiaten gibt eine elektrische
Zahnbürste hohe Töne von sich, bei Europäern eher tiefe. Männer mögen es kerniger und
FOCUS-GESUNDHEIT
Ulrich Reitz, Chefredakteur
3
Inhalt
FOCUS-GESUNDHEIT – Nr. 25 – Die Zähne
Forschen & verstehen
6 Mein Zahn der Zeit
Vom Embryo im Mutterleib übers
(weiche) Milch- bis zum (oft lückenhaften)
Altersgebiss: wie sich unsere Zähne im
Lauf des Lebens verändern
14 Nicht ganz lückenlos
18
Losgelassen
Bei der Zahnbürste
zählt selbst der
Klang – Bericht aus
dem Borstenlabor
Kaugummis, die Alarm schlagen,
Kinder, die Zähne kosten (oder nicht?),
der Zahn als Datenträger und das
Geheimnis des harten Beißerchens
18 Besuch bei den Borstenforschern
Eine Zahnbürste ist kein Stiel mit
Borsten, sondern ein High-Tech-Produkt.
Selbst ihr Summton bleibt nicht dem
Zufall überlassen
24 Blendendes Erfolgssignal
Sexy, dominant oder introvertiert – wie
unsere Zähne auf andere Menschen
wirken und warum sie in Nordamerika
weißer sein müssen als in Europa
29 Reparieren & heilen
30 Was darf’s denn sein?
Füllungen, Inlays und Kronen gibt es in
einer Vielzahl von Materialien und zu ganz
unterschiedlichen Kosten. Eine Entscheidungshilfe von der Uniklinik Münster
58
Weggetreten
Gegen ZahnarztAngst kann Hypnose
helfen – mit roten
Luftballons
4
44
Ausgehöhlt
Experten für
Wurzelbehandlung
retten auch scheinbar
unrettbare Zähne
Parodontitis (oder Parodontose) bedroht
erwachsene Zähne stärker als Karies
und kann den ganzen Körper krank
machen. Was vor der Entzündung schützt
44 Verzweigtes Gangsystem
Spezialisten der Endodontologie retten
schwer geschädigte Zähne mit einer
aufwendigen Wurzelbehandlung
50 Auf Lebenszeit verschraubt
Moderne Technik und immer bessere
Materialien machen Implantate präziser
und langlebiger. Dennoch brauchen die
künstlichen Wurzeln eine gute Pflege
56 Wieder befreit lächeln
Eine gute Vollprothese ist entscheidend
FOCUS-GESUNDHEIT
Titel Illustration: Brian Christie für FOCUS-Gesundheit
38 Bitte fest halten!
85 Pflegen & erhalten
85
86 Mit Bürste und Bürstchen
Tipps und Infos für die richtige Zahnpflege. Alles über die richtige Bürste und
ihre Anwendung, die optimale Putzdauer
und die Frage: elektrisch oder von Hand?
92 Was den Zähnen schmeckt
Die richtige Ernährung erhält die Zahn­
Fotos: Jonas Ratermann, Andreas Nestl, Oliver Tjaden/alle für FOCUS-Gesundheit; Illustration: Karsten Petrat für FOCUS-Gesundheit
Sauber poliert
Nicht zu viel, nicht
zu wenig – beim
Putzen kommt es
auf das Maß an
gesundheit. Überraschung: Naschen
ist ­in Grenzen erlaubt. Ein Stück Hartkäse
nach dem Putzen liefert Calcium
94 Was kleine Zähne brauchen
Vorsorge bei Kindern beginnt am besten
schon während der Schwangerschaft.
Dazu: wie Karies vermeidbar ist und wann
mit dem Putzen begonnen werden sollte
98 Auch für dazwischen
Schlaue Produkte locken zur Zahnpflege:
eine Bürste, die mit dem Smartphone
kommuniziert, oder eine, die aus Holz besteht und damit biologisch abbaubar ist
100 Methodik Zahnärzteliste
Wie die Daten der FOCUS-GesundheitZahnärztelisten erhoben wurden
101 Ärzteliste Endodontologie
108 Ärzteliste Parodontologie
für mehr Lebensqualität im Alter.
Zur Befestigung am Unterkiefer genügt
neuerdings schon ein Implantat
58 Keine Scheu vor dem Weiß
Wer sich nicht zur Behandlung in
die Praxis traut, kann schlimme Schäden
am Gebiss davontragen. Was gegen die
Zahnarzt-Angst hilft
62 Reiseziel Praxis
Eine Behandlung im Ausland spart Geld.
Die gründliche Vorbereitung vermeidet
böse Überraschungen, wenn etwas
schiefgeht oder Nacharbeiten nötig sind
66 Police mit Biss
Die umfangreiche Gebisssanierung kann
ein kleines Vermögen kosten. Für wen
eine Zusatzversicherung lohnt und was
dabei zu beachten ist
FOCUS-GESUNDHEIT
69 Korrigieren & verschönern d
70 Unsichtbares für Große
Neuerdings tragen auch immer mehr
Erwachsene Z
­ ahnspangen. Neue
transparente Modelle versprechen eine
unauffällige Korrektur von Fehlstellungen
76 Endlich richtig weiß
Zähne aufhellen ist heute kein Problem.
111 Ärzteliste Implantologie
120 Ärzteliste Kieferorthopädie
128 Schon gewusst?
Der legendäre Bayernkönig Ludwig II.
hatte unterirdisch schlechte Zähne.
Und: Tipps, wie sich noch der kleinste
Rest an Zahnpasta aus der Tube quetschen lässt
Die Methoden im Vergleich
78 Lächeln mit Bling-Bling
Grillz, Dazzlers, Twinkles – wie bitte?
Zahnschmuck wird immer vielfältiger
80 Malmen im Schlaf
Wer nachts mit den Zähnen knirscht,
riskiert schwere Schäden. Beißschienen
oder Bio-Feedback helfen dagegen
Rubriken
3 Editorial des Chefredakteurs
130 Vorschau und Impressum
5
FORSCHEN & VERSTEHEN
INFOGRAFIK
Mein Zahn
der Zeit
Sie bestehen aus dem härtesten Material, das der Körper herstellt. Sie leben schon
in uns, noch bevor wir geboren werden. Und wenn wir sie gut pflegen, dienen sie
uns bis ans Lebensende: die Zähne. Eine Zeitreise durch die Zahngenerationen und
die Zähne der Generationen
Pulpa des
Milchzahns
oberer
Schneidezahn
kurz vor dem
Durchbruch
Querschnitt:
Kiefer des Fetus
im vierten Monat
Pulpa des
bleibenden
Zahns
Blick in den
Kiefer eines
einjährigen
Kindes
Milchzähne im
Anmarsch
20 Zähne umfasst das
vollständige Gebiss der
sogenannten ersten
Dentition. Die scharfen
Kanten der Zähne reißen
beim Durchbruch das
Zahnfleisch ein.
Foto: Plainpicture; Illustration: Jörn Kaspuhl für FOCUS-Gesundheit
Nachfolge in Sicht
Während Milchzähne noch
wachsen, rücken bereits die
bleibenden Zähne nach.
Das
Zahnfleisch
bedeckt noch
die Zähne.
Das Baby
Das erste Lebenszeichen gibt der werdende Zahn schon
im Fetus von sich. Sechs Wochen nach der Zeugung
beginnt sich eine Zahnleiste in die spätere Mundhöhle
zu senken. Zahnknospen, runde Verdickungen auf der
Leiste, entstehen und entwickeln sich in mehreren Stadien zum fertigen Zahn. Wenn der menschliche Embryo
sechs Monate alt ist, bilden die vorderen Schneidezähne
bereits Dentin und Zahnschmelz. Zur Geburt sind alle
Kronen der Milchzähne geformt. Es dauert aber noch
rund ein halbes Jahr, bis der erste Milchzahn an die Oberfläche tritt. Fängt die Wurzel an zu wachsen, straffen
sich zwischen ihr und dem Knochenfach kräftige Fasern.
Sie schieben die Zähne in die Mundhöhle.
6
Die unteren
Schneidezähne
brechen zuerst durch
FOCUS-GESUNDHEIT
3
Jahre alt sind
die meisten
Kinder, wenn ihr
Milchgebiss
fertig gebildet ist
Lückenlos
Meldungen, Meinungen, Mythen
Das stabilste
Biomaterial?
Ein Zahn!
Welche Kraft nötig
ist, um Material zu
zerreißen, bestimmen
Forscher mit
der Zugfestigkeit.
RISK ANTER AFFENZAHN Dass Sport die Gesundheit fördert, wissen die meisten. Allerdings
scheint dieser Zusammenhang nicht auf die Zähne zuzutreffen: In einer Studie mit jeweils 35
Triathleten und Nichtsportlern fanden Heidelberger Mediziner heraus, dass die Spitzensportler öfter
Karies bekamen. Je länger die Triathleten trainierten, desto schlechter war der Zustand ihrer Zähne.
Der Grund: Bei körperlicher Anstrengung trocknet der Mund aus. Der Speichel wird alkalischer und
bildet verstärkt Zahnbelag. Sportler sollten beim Training reichlich Wasser trinken, raten die Forscher.
Mobiler Zahn-Doc
macht Hausbesuche
Der Gang zum Zahnarzt ist für viele ältere oder
behinderte Menschen sehr mühsam und fällt
deshalb oft aus. Für die Hälfte der Pflegeheimbewohner in Deutschland liegt der letzte Zahnarztbesuch zwei Jahre zurück, so eine aktuelle
Studie. Einige Zahnärzte bieten deshalb Hausbesuche in Pflegeeinrichtungen an und verlegen
ihre Praxis in eine mobile Zahnarztstation.
Die Adressen solcher wandernden Zahnärzte
vermitteln die Zahnärztekammern. SeniorenZahnmediziner gibt es in fast jeder Stadt.
14
Die Zähne der Schnecke,
die in Küstennähe Algen
von den Steinen raspelt,
bestehen aus dem
stärksten Naturmaterial
der Welt. Sie erreichen
eine Zugfestigkeit von
4900 Megapascal – so
viel wie die Fasern von
kugelsicheren Westen.
Bambus
Zahnmobil Fahrende Zahnarztpraxen
besuchen Senioren und Pflegebedürftige
Die Lieblingsspeise der
Pandas schafft 1000
Megapascal und ist damit besonders stabil.
Zum Vergleich: Unsere
Zähne sind nur halb so
fest. Forscher wollen die
Erkenntnisse über die
Biomaterialien nutzen,
um leichtere und stabilere Fahrzeuge zu bauen.
FOCUS-GESUNDHEIT
Fotos: getty images, Inter foto, Prisma, panthermedia, plainpicture, ullstein-bild; Illustration: Daniela Koelbl für FOCUS-GESUNDHEIT
Napfschnecke
Datenträger Zahn
Zähne bergen eine Fülle von Informationen über ein Lebewesen.
Paleontologen machen sich
dies zu Nutze, wenn sie auf jahrtausendealte Fossilien stoßen.
Dank ihrer Mineralisation
halten Zähne länger als
Knochen. Perfekt, um das
Alter zu bestimmen.
Wie schnell ein Mensch
wuchs, können Forscher
an der Schmelz-DentinSchicht ablesen
30
Chemische Bestandteile
der Zähne verraten,
in welcher Region der
jeweilige Mensch lebte.
Wovon sich Menschen
ihr Leben lang
ernährten, zeigen Isotope im Zahninneren.
An der Zahnoberfläche lässt
sich nachweisen, was die
letzten Wochen vor dem Tod
auf dem Speiseplan stand.
Prozent der Weltbevölkerung
zwischen 65 und 74 Jahren
leben ohne eigene Zähne. Das
ergab eine Studie der WHO.
Keime auf der
Zahnbürste
Eine unangenehme Entdeckung machten amerikanische Forscher im Badezimmer von Studentenwohnheimen ihrer Universität: Auf 60 Prozent der untersuchten Zahnbürsten fanden sie
zahlreiche Fäkal-Bakterien, die sich durch die
Toilettenspülung verbreitet hatten. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Keime auf der Zahnbürste von anderen WG-Bewohnern stammen,
lag bei 80 Prozent, so das Resultat der Wissenschaftler. Erwähnt sei, dass sie Zahnbürsten
FOCUS-GESUNDHEIT
MythenCheck
Kostet jedes
Kind einen
Zahn?
Wie viele frischgebackene
Mütter mit Lücken im Gebiss
leben, ist nicht dokumentiert.
Fakt ist aber: Die Zeit vor der
Geburt ist für die Zähne von
werdenden Müttern eine Dauerbelastung. Verantwortlich
sind Schwangerschaftshormone, die das Zahnfleisch
stärker durchbluten lassen. Es
wird weicher und dadurch anfälliger für Entzündungen.
Essen Frauen in der Schwangerschaft mehr Süßes, lagern
sich zudem Kariesbakterien
an. Schwangere, die ihre
Zähne gründlich pflegen, müssen dennoch keinen Zahnverlust befürchten. Auch nicht bei
Zwillingsgeburten.
aus 9-Personen-WGs überprüften und sich die
Toilette im selben Raum befand wie das
Waschbecken. Mit der Frage, wie Zähneputzer
ihre Bürste möglichst keimfrei lagern, hat sich
ein Mikrobiologe aus Leeds beschäftigt. Er
entdeckte, dass sich die Wassertröpfchen
beim Betätigen der WC-Spülung in einem Umkreis von 25 Zentimetern ausbreiten. Daraus
entstanden Gefahrenzonen um den Toilettensitz. Ein Abstand von über 1,80 Meter zur
WC-Schüssel gilt als relativ geschützt vor Bakterien. Die beste Lösung aber bleibt, während
des Spülgangs den Klodeckel zu schließen.
15
Lückenlos
Kaugummi
warnt vor
Problem
am
Implantat
Ein Spezialkaugummi soll helfen, Probleme bei Zahnimplantaten frühzeitig zu erkennen.
Mediziner der Universität Würzburg haben den DiagnoseKaugummi mit Wissenschaftlern aus Italien und der
Schweiz entwickelt.
Fehlende Zähne im Gebiss lassen sich durch Implantate ersetzen. Dafür schraubt ein
Zahnarzt die künstlichen Zahnwurzeln aus Metall in den Kiefer und setzt eine Krone auf
den Zahnersatz. Auch wenn
das Implantat gut in den Kiefer
einheilt, bleibt es anfällig für
Entzündungen. Bakterien kön-
Aufgeblasen
Der DiagnoseKaugummi
schlägt Alarm
nen sich um das Implantat
einnisten und dort sowohl das
Weichgewebe als auch den
Kieferknochen angreifen. Die
Folge: Peri-Implantitis.
Tritt eine solche Entzündung
um das Implantat auf, steigt
die Konzentration eines bestimmten Enzyms stark an.
Der neu entwickelte Kaugummi
soll in der Lage sein, das Enzym im Speichel aufzuspüren
und dann Alarm zu schlagen.
Dabei setzt der Diagnose-Kaugummi einen Bitterstoff frei.
Der kauende Implantatträger
schmeckt ihn und ist gewarnt.
So könnte jeder Patient das
Gewebe um sein Implantat
selbst überwachen und im
Ernstfall rechtzeitig einen
Zahnarzt aufsuchen, bevor
sich die Entzündung weiter
ausbreitet.
Bislang müsste der Patient allerdings regelmäßig Kaugummi
kauen, um die Entzündung früh
genug zu erkennen. Die Forschergruppe arbeitet deshalb
daran, das Implantat direkt mit
dem für das Warnsignal
verantwortlichen biologischen
Messfühler zu beschichten.
Fotos: plainpicture, Charité Universitätsmedizin Berlin
Meldungen, Meinungen, Mythen
Blindtext Blindtext
nützliche
Apps für
Sie und Ihre
Zähne
16
Wissen
Entspannt
Wenn der Zahnarzt von Germektomie
oder Dentikel spricht, ist so mancher Patient mit seinem (Zahn-)Latein am Ende. Da
hilft die Zahnlexikon-App von „proDente“,
in der wichtige Begriffe knapp und verständlich erklärt sind: von A wie Abdruckmasse bis Z wie Zungenbrennen. Kurze
Info-Filme ergänzen die kostenlose App.
Die Audio-App „Stop Dental Phobia!“
ist für Menschen, die sehr ungern
zum Zahnarzt gehen. Hypnosetechnik und mentales Coaching in ein
30-minütiges Hörstück gepackt, sollen
Zahnarztangst-Patienten helfen,
beim Bohren und Füllen gelassen zu
bleiben (7,91 Euro).
Fotos: xxxxxx/FOCUS-Magazin
3
FOCUS-GESUNDHEIT
Bissfeste Moleküle
Zeigen Sie Ihr
schönstes Lächeln
Zahnpasta
Struktur der
Zahn-Hartsubstanz
Warum Zähne so hart sind, haben
Mediziner an der Berliner Charité
herausgefunden. Verantworlich ist
das knochenähnliche und extrem
widerstandsfähige Dentin, das den
Zahn umhüllt. In dessen Inneren
fanden die Wissenschaftler mineralische Nanopartikel, die in ein dichtes
Netz aus Kollagenfasern (im Bild:
braune Fasern um gelbe DentinKanäle) eingebettet sind. Beim Kauen
werden diese Strukturen gestaucht
und die Mineralteilchen aneinandergedrückt. Die dabei entstehenden
inneren Spannungen erhöhen die
Belastbarkeit der Zähne. Der Mechanismus stellt sicher, dass die empfindliche Pulpa, in der sich Nerven
und Blutgefäße befinden, von BissSchäden verschont bleibt.
✔ für empfindliche Zähne und
Zahnhälse
✔ für ein gesundes Zahnbett
✔ mit rein mineralischem
Kieselsäure-Gel
✔ ohne Schaumbildner und
Konservierungsmittel
✔ mit oder ohne Pfefferminz
Die„Toothbrush Games“-App für
Kinder reagiert auf Geräusche der
Zahnbürste. Beim Spiel schlüpfen die
jungen Zähneputzer in die Rolle
eines Feuerwehrmanns, um mit dem
Schaum der Zahnpasta einen fiktiven
Brand zu löschen. Hört das Kind auf
zu putzen, stoppt auch die Spielfigur.
FOCUS-GESUNDHEIT
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Fotos: xxxxxx/FOCUS-Magazin
Putzhilfe
D
er Saal ist gleißend hell erleuchtet. In vielen kleinen stehen Stühle. Bequeme Stühle
mit einer variablen Lehne,
technische Stühle mit Schaltern und Pedalen. Arztpraxen im Kleinformat. An
jeder ist eine Nummer angebracht und
eine kleine rote Lampe. Die Luft riecht
nach Desinfektionsmitteln, Surren ist zu
hören. Es ist der Ausbildungsraum der
Zahnklinik Münster.
Karl-Bernd Werning steht an der Nummer 869 und wartet auf seine Untersuchung. Ein Karamellbonbon hat bei ihm
gestern ein Provisorium aus dem Zahn
gezogen. Einmal draufgebissen, haftete
die zähe Masse so stark an dem Kunststoffmaterial, dass es sich beim Kauen
lockerte und schließlich herausfiel. Raquel-Kathrin Prüllage begrüßt Werning,
der auf dem dunkelblauen Behandlungsstuhl Platz nimmt und seine Geschichte vom „verflixten Karamellbonbon“ erzählt.
Die 24-jährige Zahnmedizinstudentin
begutachtet mit einem kleinen Spiegel
und einer Sonde das dentale Problem
32
52
Mio.
Füllungen
und fünf
Mio. Kronen
werden jährlich
in Deutschland
angefertigt
von Nummer 17. So heißt in der Sprache der Zahnärzte der vorletzte Zahn
oben rechts. Prüllage ist im neunten
Semester und hat schon einige Untersuchungen an Patienten durchgeführt.
Vier große Füllungen waren dabei, Parodontitisbehandlungen, eine Brücke
und Zahnsteinentfernungen. „Vor meiner ersten Patientenbehandlung war
ich ganz schön nervös“, sagt sie, „aber
mittlerweile habe ich Routine.“ Außerdem „kann man nur an echten Menschen die Behandlung richtig üben, nur
sie haben Speichel, den man absaugen
muss, nur sie bekommen Schweißhände
beim Bohrgeräusch, und man muss sie
beruhigen“.
Prüllage ist eine von 350 Zahnmedizinstudenten der Universitätsklinik Münster. Vom vierten bis sechsten Semester
üben diese an den über 100 Dummys.
An den braunen Plastikköpfen mit einem
vollständigen Gebiss trainieren die angehenden Ärzte alle wichtigen Behandlungstechniken. Etwa das Präparieren
von Zähnen, das Bohren und das Einsetzen einer Füllung. Mit ihren aufgeFOCUS-GESUNDHEIT
Fotos: Dominik Pietsch für FOCUS-Gesundheit
Au Backe, die Krone ist weg
Studentin Raquel Prüllage begutachtet das Loch im hintersten Backenzahn ihres Patienten
Karl-Bernd Werning
R E PA R I E R E N & H E I L E N
rissenen Augen sehen die Phantomköpfe
unheimlich aus. Aber Willy, wie die Figur
von allen nur genannt wird, klagt nie
und macht den Mund immer auf. Sein
Unterkiefer ist abschraubbar. Jeder Student besitzt sein eigenes Modell. Erst
wenn jeder Griff bei Willy, dem Willigen,
sitzt, dürfen die Studenten echte Patienten behandeln.
52 Millionen Füllungen setzten Zahnärzte 2013 in Deutschland, die Hälfte davon waren Neufüllungen. Fünf Millionen
Kronen fertigten sie an, so die Zahlen der
gesetzlichen Krankenkassen. Der häufigste Grund für solche Erhaltungstherapien ist Karies. Hat die Erkrankung die
Zähne beschädigt, muss der befallene
Raum ausgebohrt werden. Das Loch, das
Mediziner als Kavität bezeichnen, füllen
und versiegeln sie, damit der Zahn gesund bleibt und sein Besitzer schmerzlos
kauen kann.
Für den Erhalt der Kaufunktion gibt es
zwei Methoden: die klassische Füllung
(im Volksmund als „Plombe“ bezeichnet) und das Inlay. Füllungen werden
in weicher Form in das Loch gegossen
und härten dann im Zahn aus. Während
der Zahnarzt das Füllungsmaterial in der
Praxis meist vorrätig hat, muss ein Inlay
im Labor hergestellt werden. Dabei und
beim Einsetzen ist Feinarbeit gefordert,
denn selbst winzige Absätze nimmt die
feinfühlige Zunge sofort als unangenehm wahr.
Karl-Bernd Werning kommt schon seit
zwei Jahren in die Zahnklinik. Zunächst
hatte er Bedenken, sich von Studenten
behandeln zu lassen, wollte „kein Versuchskaninchen“ sein. Als er zum ersten
Mal in dem Ausbildungssaal saß, die angehenden Zahnärzte ihm jeden Untersuchungsschritt ausführlich erklärten und
er sah, dass stets ein Oberarzt den Ablauf kontrolliert, fasste er Vertrauen. Studentin Prüllage hat bereits eine Füllung
und eine Wurzelbehandlung bei ihm
durchgeführt. Jetzt soll sie eine Krone
machen. Sie rührt eine blaue Abdruckmasse an. Ihre 29-jährige Kommilitonin
Yonca Özden, die bei der Behandlung
assistiert, legt den Zementkleber für das
Kronenprovisorium bereit.
Wenn Karies die Zahnkrone so stark
zerstört hat, dass nicht mehr ausreichend
gesunde Substanz übrig ist, um eine Füllung anzubringen, fertigt der Zahnarzt
eine neue Kappe. Diese wird über den
FOCUS-GESUNDHEIT
Der Oberarzt passt auf
Christoph Runte, 50, sieht sich
die Behandlungsschritte seiner
Studenten genau an. Mit dem
Provisorium ist er zufrieden
Ästhetik nachrangig
Worauf Patienten bei der Auswahl
Was ist Ihnen bei der Materialwahl
des Füllungsmaterials achten
für Füllungen sehr wichtig?
91,0 %
Haltbarkeit
77,4 %
Verträglichkeit
Kosten
Aussehen/
Ästhetik
50,9 %
46,2 %
Quelle: Barmer Zahnrepor t 2015;
Mehr fachnennungen möglich
FÜLLUNG, KRONE & CO.
ruinierten Zahn gestülpt und schützt
ihn. Als Halterung kann der Zahnarzt
nur die gesunde Restsubstanz benutzen. Bleibt ein winziger kariöser Abschnitt übrig, kann es
unter der Krone erneut zur Erkrankung kommen. Daher ist
beschädigtes Material komplett zu entfernen, in manchen
Fällen sind das bis zu 60 Prozent. Anschließend fertigt der
Zahnarzt einen Gebissabdruck.
Diesen benötigt er, um ein Provisorium herzustellen, das als
Übergangslösung auf den beschädigten Zahn gesetzt wird.
Die Anfertigung der Krone im
Labor dauert etwas.
Prüllage presst die azurblaue
Abdruckmasse an Wernings
Oberkiefer. „Ruhig durch die
Nase atmen“, sagt sie beruhigend. Nach wenigen Minuten ist der Abdruck fertig. Die
Studentin fertigt das Provisorium an und zeigt es Christoph
Runte. Der Oberarzt ist ständig
zugegen und überprüft die einzelnen Behandlungsschritte.
Nach jedem Abschnitt drückt
der Student auf einen Knopf,
die Lampe leuchtet rot, der
Oberarzt kommt vorbei. Missfällt ihm
etwas, ist ein Zahn nicht sauber abgeschliffen oder sind am Arbeitsplatz nicht
alle Instrumente geordnet, greift er sofort ein. Im schlimmsten Fall wird der
Student aus dem Saal geschickt, muss
zurück zu Willy und dort üben. Runte ist
zufrieden mit dem Provisorium, lächelt
und nickt. Prüllage kann fortfahren.
Sie gibt selbsthärtenden Befestigungszement in das Provisorium und setzt
es auf den Zahnstumpf. Werning muss
mit den Zähnen noch ein paar Mal auf
einem roten dünnen Plastikstreifen herumkauen. Mit Hilfe der Okklusionsfolie
glättet die Studentin anschließend das
Provisorium. „Das Fremdmaterial muss
sich optimal in die Zahnreihe einfügen“,
sagt Prüllage.
Wenn die angehende Zahnärztin später die Krone einsetzt, wird sie darauf
achten, dass der Kronenrand nicht auf
das Zahnfleisch drückt, sonst kann sich
das Gewebe entzünden. Auch sollte die
Kappe nicht höher stehen als die anderen Zähne im Gebiss.
33
WURZELBEHANDLUNG
mehr beim Zahnarzt. Hat die Therapie
doch den Ruf, schmerzhaft und unangenehm zu sein.
In den Grundzügen laufen diese Behandlungen immer gleich ab. Der
Zahnarzt öffnet nach dem Röntgen die
Zahnkrone, entfernt Entzündung und
Gewebereste, misst die Länge der Kanäle, reinigt diese und füllt sie anschließend wieder. Der feine Unterschied liegt
im Wie. Da hat jeder Zahnarzt seine eigene Methode und Hilfsmittel. Während
die einen auf Erfahrung und herkömmliche Instrumente, etwa die Lupe, setzen,
greifen andere auf modernste Technik
wie Mikroskop und elektronische Messverfahren zurück. Was sich einfach anhört, ist ein komplizierter und zeitintensiver Vorgang. Bis zu sechs Stunden,
aufgeteilt auf zwei oder drei Sitzungen,
kann eine komplette Behandlung dauern. Eine Geduldsprobe für beide Seiten.
Johannes, 16 Jahre alt, ist bei Appel in
Behandlung. Ein solch junger Patient ist
eher ungewöhnlich. Wurzelbehandlungen treffen vor allem die 40- bis 60-Jährigen. Ein Sturz kopfüber vom Fahrrad
zerstörte die beiden Schneidezähne
des Schülers. Eine erste Sitzung in der
Bonner Praxis hat er schon hinter sich.
Dabei röntgte Appel die beiden betroffenen Zähne, reinigte und desinfizierte
die Kanäle und verfüllte sie mit einem
provisorischen Material. Jetzt liegt der
Jugendliche wieder auf dem Behandlungsstuhl. Sarah Schumacher, seit 19
Jahren eine von Appels Assistentinnen,
hat ihn für die bevorstehende Prozedur
vorbereitet. Mit einem dunklen Umhang
verdeckt sie seinen Oberkörper und gibt
ihm eine Spezialsonnenbrille. Sie soll die
Augen vor dem grellen Behandlungslicht
schützen. Johannes weiß, dass er nun
knapp zwei Stunden in dieser Position
ausharren muss. Nervös? „Ein bisschen
schon“, gibt der 16-Jährige zu. Aber er
ist vorbereitet: Zur Ablenkung hat er sich
seinen iPod mitgebracht. So bekommt er
weniger davon mit, was Carsten Appel
in seinem Mund tut. Lieber konzentriert
er sich auf seinen Lieblingspodcast über
Retrogaming.
Ganz ruhig liegt Johannes da, während der Arzt mit feinen Instrumenten
in die Tiefe seines Zahnes vordringt.
Kein Zucken, kein Schweiß auf der
Stirn. Dabei lässt der Jugendliche die
langwierige Prozedur ganz ohne Betäu46
bung über sich ergehen. „Alles okay,
Johannes?“, fragt Appel nachdem er die
Wurzelkanäle des Jungen freigelegt hat.
Johannes nickt leicht. Eine Aufbisshilfe
sorgt dafür, dass sich sein Mund vor Anstrengung nicht plötzlich schließt. Reden
kann der Schüler so nicht, auch Kopfbewegungen sind in den nächsten 90
Minuten kaum möglich. Um sich dennoch bemerkbar machen zu können,
hält er ein klackendes Blechkrokodil in
den Händen. Drückt er einmal darauf,
bedeutet das „Ja“, drückt er zweimal,
heißt dies „Nein“. Eine Idee des Arztes,
der während der Behandlung nur auf
den Zahn konzentriert ist. Damit sich die
Patienten bemerkbar machen können,
bekommen sie das Blechspielzeug.
„Klick“ – Johannes lässt das Krokodil
sprechen. Ein Zeichen für Appel, dass
das Messgerät, das er gerade in den
Zahn eingeführt hat, am Ende des Wurzelkanals angekommen ist. Obwohl der
Zahn tot ist, spürt Johannes einen kurzen
Moment lang ein leichtes Druckgefühl.
„Alles halb so wild“, wird er später sagen. „Der Doktor hat mich vorgewarnt,
dass dies passieren kann.“ Das Umfeld
des Zahnes kann noch empfindlich reagieren. Deshalb wünschen die meisten
Patienten eine örtliche Betäubung.
Alles wirkt wie in jeder anderen Zahnarztpraxis – die hohen Töne des kleinen
Bohrers, mit dem Appel den Zahn öffnet, die permanenten Sauggeräusche
des Schlauches, der die Mundhöhle
von Speichel befreit. Wäre da nicht das
große High-Tech-Mikroskop, das mit
einem variablen Arm an der Decke direkt über dem Behandlungsstuhl befestigt ist. Auch die drei Flachbildschirme,
die den Behandlungsstuhl umrahmen,
dienen nicht der Patientenbespaßung,
sondern senden Bilder direkt aus dem
Mundraum.
Appel sitzt knapp hinter dem Kopf seines Patienten. Er greift sich die Arme seines wichtigsten Arbeitsgeräts und zieht
es in Position. Seine Brillengläser berühren die Okulare des Mikroskops, für den
Zahnarzt die Eingangspforte ins Zahninnere. „Ich sehe ab jetzt nichts anderes,
als den Zahn“, sagt Appel. Die Arbeit am
Mikroskop fordere die volle Konzentration. „Ich muss spiegelverkehrt arbeiten,
das strengt doppelt an“, so der Zahnarzt.
Blick in den Kiefer
Röntgenbilder sind für die
Wurzelbehandlung unabdingbar.
Der Arzt erkennt darauf zum
Beispiel, wie sich die Füllung in
den Känälen verteilt
Fotos: Oliver Tjaden für FOCUS-Gesundheit
R E PA R I E R E N & H E I L E N
FOCUS-GESUNDHEIT
Ohne seine Assistentin würde dies nicht
funktionieren. Sie ist die Schnittstelle
zur Außenwelt und verfolgt die Arbeitsschritte auf einem großen Monitor. Sarah
Schumacher reicht die Instrumente an,
saugt Speichel aus dem Mundraum und
fragt Johannes immer wieder, ob alles
in Ordnung ist. Schumacher und Appel
sind ein eingespieltes Team. „Wir verstehen uns blind“, sagt sie. Jeder Handgriff
sitzt.
In der Praxis von Carsten Appel ist
die Wurzelkanalbehandlung ein Routineeingriff. Bis zu vier Patienten liegen
täglich auf seinem Behandlungsstuhl.
Betrachtet man Johannes, trifft der unangenehme Ruf der Therapie vielleicht
auf die Länge der Behandlung zu, doch
Schmerzen hat der Jugendliche keine.
Auch nach einer Stunde liegt er noch
völlig regungslos und locker dort.
„Wurzelkanalbehandlungen sind komplexe und diffizile zahnärztliche Behandlungen“, sagt Eric Bauer von der
Bundeszahnärztekammer (BZÄK). Die
Endodontologie sei ein wichtiger Bestandteil der zahnärztlichen Tätigkeit
FOCUS-GESUNDHEIT
Geschafft!
Carsten Appel zeigt Johannes,
16, auf den Röntgenbildern,
was er in den vergangenen eineinhalb Stunden an seinen Zähnen gemacht hat. Nach einem
Fahrradsturz mussten zwei
Schneidezähne wurzelbehandelt werden. Zwei Sitzungen
waren dafür nötig
»Optimal durchgeführte Wurzelbehandlungen
haben eine
Erfolgsquote von
90 Prozent«
Carsten Appel, 50
Zahnarzt in Bonn, der sich seit
13 Jahren auf Endodontologie
spezialisiert hat
und somit auch Bestandteil der Ausbildung. Oberstes Ziel sei heute die Zahnerhaltung. Fehlten Erwachsenen in der Altersgruppe von 35 bis 44 Jahren im Jahr
1997 im Durchschnitt noch 4,2 Zähne, so
sank dieser Wert auf 2,7 im Jahr 2005.
Dies habe mit der zunehmenden Therapieausrichtung zum Zahnerhalt zu tun.
Dabei spielt die Wurzelkanalbehandlung
eine der wichtigsten Rollen. Die Zahl der
Zahnverluste bei Erwachsenen und Senioren ist weiter rückläufig.
Der Spezialist Appel bemängelt allerdings, dass die Endodontologie nur sehr
wenig Raum im zahnmedizinischen Studium einnimmt. In den USA pflastern
vier bis sechs Semester Aufbaustudiengang den Weg zum Spezialisten. Appel
selbst hat zahlreiche Fortbildungen im
In- und Ausland besucht, bevor er sich
2002 ausschließlich der Wurzelkanalbehandlung widmete. Heute ist er ein
gefragter Sprecher auf nationalen wie
internationalen Kongressen.
Die Erfolgsquote einer optimal durchgeführten Wurzelbehandlung liege im
Schnitt bei 90 Prozent, so Appel.
47
Optimal bedeutet, dass jegliche Entzündung vollständig
mit modernen Geräten entfernt
wurde. Demgegenüber zeigen
Querschnittuntersuchungen in
vielen Ländern, dass die Ergebnisse in Zahnarztpraxen diese
Werte nicht immer erreichen.
Auch für Deutschland hat etwa
Michael Hülsmann von der Uni
Göttingen 2007 rund 200 Fälle
von Wurzelbehandlungen näher betrachtet. Das Ergebnis war erschreckend und
bestätigt frühere Studien: Nur 40 bis 50
Prozent der Zähne waren erfolgreich behandelt. Bis zu 60 Prozent der wurzelbehandelten Zähne waren noch nicht
ausgeheilt.
Höchste Präzision sei nur durch die
Vergrößerung zu gewährleisten, ist Carsten Appel überzeugt. Ohne Mikroskop
würde der 50-Jährige nicht mehr behandeln, sagt er. Den Zahn sieht er so 30mal größer. Ein Backenzahn nimmt unter
dem Vergrößerungsglas etwa die Dimension zweier Fußbälle an. Die Wurzelkanäle, gerade mal einen Millimeter breit,
sind dann dicker als ein Kugelschreiber.
Notfallhelfer
Sprechen während der Behandlung geht nicht. Mit dem KlickKrokodil signalisiert der Patient
immerhin „Ja“ oder „Nein“
So kann Appel den Verlauf der Wurzel
besser verfolgen und übersieht keinen
Kanal. Denn deren Anzahl ist in jedem
Zahn unterschiedlich. Sorgfalt und Technik haben ihren Preis: Die mikroskopische Behandlung zum Beispiel zahlt die
gesetzliche Krankenversicherung nicht.
Der Patient muss mit einer Rechnung
zwischen 900 und 2000 Euro rechnen.
Auslöser für die Wurzelbehandlung ist in der Regel Karies, der bis in die Tiefe des
Zahnes vorgedrungen ist und
den Nerv angegriffen hat. Der
Zahn wird nicht mehr ausreichend versorgt, die körpereigene Abwehr geschwächt. In
der Folge entsteht ein Paradies
für Bakterien, vergleichbar mit
der Biotonne im Hochsommer.
Eine unschöne Vorstellung.
Haben sich die Bakterien erst einmal
richtig ausgebreitet, signalisiert normalerweise ein stechender Zahnschmerz
höchste Alarmbereitschaft. Es gibt aber
auch Fälle, in denen die Entzündung voranschreitet, ohne sich sofort bemerkbar
zu machen. Manchmal klagen Patienten nur über ein sporadisch auftretendes
dumpfes Gefühl. Johannes hatte weder
das eine noch das andere. Durch den Unfall wurden seine Schneidezähne so beschädigt, dass eine Wurzelbehandlung
nötig wurde. Die Zähne starben ab.
Eine Stunde schon liegt der 16-Jährige nun im Behandlungsraum. Ein melodischer Piepton durchbricht die Mo-
Das Übel an der Wurzel gepackt
Zahnschmelz
Mini-Kanüle
Dentin
Pulpa
(Blutgefäße
und
Nerven)
Der gesunde Zahn
Unter dem sehr harten Zahnschmelz und der etwas
weniger harten Dentinschicht
befindet sich ein weiches
Gewebe: die Pulpa. Sie enthält Blutgefäße, Nerven und
Bindegewebe.
48
entzündete
Pulpa
abgestorbene
Pulpa
NickelTitanFeile
Desinfektionsmittel
Abszess
Die erkrankte Zahnwurzel
Wenn sich die Pulpa entzündet, können starke Schmerzen und Schäden des Kieferknochens die Folge sein.
Bei Infektionsanzeichen ist
deshalb eine Wurzelbehandlung notwendig.
Erweiterung der Kanäle
Zunächst öffnet der Endodontologe die Zahnkrone.
Dann weitet er die verzweigten und gekrümmten
Wurzelkanäle mit rotierenden
Minifeilen aus einer
Nickel-Titan-Mischung.
Desinfektion und Reinigung
Mit einer kleinen Kanüle
spritzt der Zahnarzt Desinfektionsmittel in die Wurzelkanäle, um alle Keime zu
entfernen. Das entzündete
Gewebe spült er aus, die
Spülflüssigkeit saugt er ab.
FOCUS-GESUNDHEIT
Foto: Oliver Tjaden; Illustration: Daniela Koelb/beide für FOCUS-Gesundheit
R E PA R I E R E N & H E I L E N W U R Z E L B E H A N D L U N G
R E PA R I E R E N & H E I L E N
I M P L A N TAT E
Auf Lebenszeit
verschraubt
Moderne Technik und bessere Materialien machen die Implantologie
präziser und langlebiger. Pflege brauchen die künstlichen Zahnwurzeln dennoch
D
ie Feierlaune war Waldemar
Brohm schnell vergangen am
Rosenmontag vor sechs Jahren. Während seine Faschingsgäste zu Hause im unterfränkischen Margetshöchheim fröhlich Krapfen aßen,
fuhr Bürgermeister Brohm mit starken
Zahnschmerzen nach Würzburg in die
Uniklinik. Die Diagnose hellte seine
Stimmung nicht auf: Im Unterkiefer hatte
sich an zwei Brückenpfeilern das Zahnfleisch entzündet – so sehr, dass der Arzt
beide Zähne ziehen musste. Die Zahnlücke mit einer noch größeren Brücke zu
schließen kam für Brohm nicht in Frage:
„Ich hatte Angst, dass wieder Entzündungen auftreten“, sagt der Unterfranke
rückblickend. Er entschied sich für die
schonendere Variante. Statt den Schaden mit einer Brücke über fünf Zähne
zu versorgen, setzte sein Zahnarzt zwei
Implantate in Brohms Unterkiefer.
Als in den 1980er-Jahren die ersten
Implantate aufkamen, waren künstliche Zahnwurzeln noch ein Experiment
mit unklaren Erfolgsaussichten. Mittlerweile hat sich die Implantologie als eigenes Fach der Zahnmedizin etabliert.
Dank neuer Materialien und moderner
3-D-Technik wird das Verfahren immer
präziser und sicherer. Weil Komplikationen seltener auftreten, ist die „Überlebensrate“ von Implantaten heute sehr
hoch. „Bei guter Pflege können Patienten ihre Implantate bis ins hohe Alter
behalten“, sagt Dieter Weingart, Leiter
des Zentrums für Implantologie am Klinikum Stuttgart.
50
Zwar können auch Brücken, herausnehmbare Prothesen oder ganze Gebisse
fehlende Zähne ersetzen. Unter allen
Methoden kommt ein Implantat dem tatsächlichen Zahn aber am nächsten: Eine
künstliche Zahnwurzel – meist aus Titan
– ist dabei wie ein Dübel im Kieferknochen verankert. Eine Keramikkrone als
Aufsatz macht den Ersatzzahn komplett
(siehe Grafik). So lassen sich sowohl einzelne Zahnlücken als auch große Leerräume im Gebiss wieder füllen.
Wesentlicher Vorteil der Implantate ist,
dass sie die Nachbarzähne schonen. Für
eine Brücke – den alternativen Zahnersatz – schleift der Zahnarzt daneben
stehende Zähne stark ab (siehe Grafik S.
52). Zweiter Vorteil: Das Implantat stimuliert den Kieferknochen und verhindert,
dass sich dieser abbaut. Mit rund 2000
Euro je Zahn sind Implantate allerdings
auch deutlich teurer als die Alternativen.
95 %
der Implantate
sind nach fünf bis
zehn Jahren
noch fest im Kiefer
verankert
Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten davon in der Regel nur die Kosten für
die Krone. Dennoch schätzt die Deutsche
Gesellschaft für Implantologie (DGI),
dass von den jährlich 13 Millionen gezogenen Zähnen etwa eine Million durch
Implantate ersetzt werden.
Große Fortschritte in der Implantatmedizin brachte auch die Digitalisierung.
Dazu zählt das digitale Volumentomogramm, eine dreidimensionale Darstellung von Zähnen und Kiefer. Bei dieser
Aufnahmetechnik kreist der Röntgenapparat einmal um das Gesicht des Patienten und erstellt permanent Bilder, die
der Computer zu einer 3-D-Ansicht zusammenfügt. Anhand der Aufnahme bereiten Implantologen den chirurgischen
Eingriff am Computer präzise vor. „Der
digitale Arbeitsablauf macht die Implantologie exakter“, sagt Alexander Kübler
von der Universitätsklinik Würzburg. Der
Kieferchirurg wählt per Mausklick das
passende Implantat am Bildschirm aus
und positioniert es in die dreidimensionale Kiefersimulation – millimetergenau
an der optimalen Stelle und im optimalen Winkel. Schon im Voraus plant Kübler am Rechner, wie lang und breit die
künstlichen Zahnwurzeln sein müssen,
damit sie später perfekt in das Gebiss
passen. Den Datensatz für die hochpräzise Implantation sendet der Würzburger
Chirurg ins Dentallabor. Innerhalb einer
Woche erhält er die fertig gefräste Bohrschablone. Auf die Kauflächen aufgelegt, weisen sie genau an jenen Stellen
Löcher auf, an denen Kübler die ImFOCUS-GESUNDHEIT
Fest verwurzelt
Implantate ersetzen fehlende Zähne
und sorgen für ein lückenloses Gebiss.
Ihr Aussehen ist an die natürliche
Struktur des Zahns angelehnt. Wie
echte Zähne sind die Metallstifte
im Kiefer fixiert. Damit das gelingt,
müssen Zahnärzte einiges beachten
Aufgebaut
Das Implantat muss fest
verankert sein. Ist der
Kiefer dafür nicht breit
oder tief genug, füllen ihn
Zahnärzte mit zusätzlicher
Knochensubstanz auf.
Knochensubstanz
Implantat
eingesetzt
Infografik: Br yan Christie Design für FOCUS-Gesundheit
Kleinteilig
Das Implantat ist mehr
als nur eine Schraube.
Je nach Hersteller
besteht es aus drei bis
vier Bestandteilen.
Krone
Unterkiefernerv
Schraube
Aufbauelement
Empfindlich
Nimmt der Nerv beim Eingriff
Schaden, ist das Gefühl
in Kinn und Unterlippe weg.
Mit modernen bildgebenden
Verfahren lässt sich der
Nerv aber gut erkennen und
bei der OP umgehen.
Implantat
Der Weg zum
neuen Zahn
INFOGRA FIK
Aufschneiden Wo zuvor ein
Zahn war, öffnet der Zahnarzt
das Zahnfleisch unter örtlicher
Betäubung.
Einheilen Ist das Implantat in
den Knochen geschraubt, näht
der Arzt das Zahnfleisch über
die künstliche Wurzel zu.
Bohren Mit einem dünnen
Spezialbohrer fräst der
Oralchirurg ein Loch in den
Kieferknochen.
FOCUS-GESUNDHEIT
Verkronen Nach der Einheilphase wird das Aufbauelement
in das Implantat eingefügt
und mit einer Krone befestigt.
51
I M P L A N TAT E
plantate in das Kiefergelenk versenken
will. „Es gibt auch Schablonen mit unterschiedlich dicken Löchern und Bohrstopps, die anzeigen, wie tief der Zahnarzt bohren soll“, sagt Kübler.
Die Operation dauerte bei Waldemar
Brohm etwa eine Stunde. Nachdem
der Chirurg die künstlichen Wurzeln in
Brohms Kiefer platziert hatte, verschloss
er sie mit winzigen Kappen und nähte
das Zahnfleisch wieder zu. Drei Monate
später schraubt Kübler die endgültigen
Keramikkronen auf die Implantate. Die
Schonzeit ist wichtig, weil der Knochen
die Titanstifte in den Wochen nach dem
Eingriff fest umschließt und nur langsam
stabiler wird. In manchen Fällen bringen Zahnärzte die Krone direkt auf der
frisch gesetzten Kunstwurzel an. „Sofortversorgungen sind aber nicht die Regel
und können das Implantat unnötig früh
belasten“, betont Implantologe Kübler.
Die Wartezeit hat sich für Bürgermeister Brohm gelohnt. „Anfangs waren die
Implantate ein Fremdkörper. Doch nach
einer Woche fühlten sie sich wie eigene
Wann der Zahnarzt Implantate setzt
Einzelne Zahnlücke
2
1
1 Einfaches Implantat: Eine künstliche
Zahnwurzel plus Krone schließt die
Lücke in der Zahnfront. Die Nachbarzähne bleiben dabei unversehrt. Die
Kosten liegen bei rund 2000 Euro.
2 Alternative: die Brücke. Positiv:
gutes ästhetisches Ergebnis bei niedrigeren Kosten. Um die Brücke zu halten,
müssen aber zwei Nachbarzähne stark
abgeschliffen werden.
Mehrere Zahnlücken
2
1
1 Drei Implantate: Die Titanstifte
ersetzen die Backenzähne, drei Einzelkronen stellen die Kaufläche wieder
her. Die günstigere Variante: zwei Implantate mit einer Brücke.
52
2 Aternative: herausnehmbare
Prothese. Der flexible Zahnersatz ist mit
Klammern an den vorderen und gegenüberliegenden Zähnen befestigt. Er ist
billiger als Implantate.
Zähne an“, verrät der 54-Jährige. „Die
Digitalisierung wird die Implantologie in
Zukunft vollständig prägen“, ist sich der
Würzburger Implantatspezialist Kübler
sicher. Schon heute lässt sich mit den
modernen 3-D-Techniken feststellen, ob
das Knochenmaterial im Kiefer ausreicht
– eine wichtige Voraussetzung, um Implantate verwenden zu können. „Früher musste der Zahnarzt dafür mit einer
Nadel die Schleimhautdicke im Kieferkamm messen“, so Kübler. „Aber das
war relativ ungenau.“
Der Knochenaufbau ist ein wesentliches Element der meisten Implantatbehandlungen. Auch bei Alexander
Krimmel war dieser nötig. Der Speditionskaufmann war 38 Jahre alt, als seine
letzten vier Milchzähne im Oberkiefer
ausfielen. Die bleibenden Backenzähne
waren bei ihm nicht angelegt, was in
weniger als zwei Prozent aller Menschen auftritt. Bevor sich Krimmel für
eine Implantatversorgung entschloss,
lebte er fünf Jahre mit Lücken im Gebiss. In dieser Zeit hatte sich ein Teil
seines Kiefers abgebaut. „Wenn an einer Stelle Zähne fehlen, wird dort keine
Kraft mehr auf den Kiefer übertragen,
und der Knochen bildet sich zurück“,
erklärt Frank Schwarz, Implantologe an
der Universitätsklinik Düsseldorf. Damit die Titanwurzel genug Halt findet,
füllten Krimmels Ärzte künstliches Knochengewebe in die Kieferhöhle. Ein halbes Jahr musste der Familienvater aus
Solingen warten, bis der Knochenersatz
mit der natürlichen Struktur verwachsen war. Nun sitzen die Implantate fest
im Kiefer, in einigen Wochen bekommt
Krimmel seine fertigen Zähne. „Natürlich hatte ich Bedenken wegen des Knochenaufbaus“, gesteht der 44-Jährige.
„Aber ich bin froh, dass ich den Schritt
gewagt habe.“
Geübte Chirurgen können heutzutage
fast alle Kieferdefekte mit Knochenimitat, sterilisiertem Rinderknochen oder
körpereigener Substanz reparieren.
Letzteres stammt meist aus dem Unterkiefer oder dem Beckenkamm des Patienten. „Knochenersatz von Tieren und
neuere synthetische Materialien haben
eine vergleichbare Struktur wie menschlicher Knochen und können diesen sehr
gut ersetzen“, sagt Schwarz, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für
Implantologie.
FOCUS-GESUNDHEIT
INFOG RAFIK
R E PA R I E R E N & H E I L E N
Bald wieder
bracketfrei
Florian Kieninger, 13
Foto: Mar tina Bogdahn für FOCUS-Gesundheit
Seit knapp einem Jahr trägt
Florian Kieninger eine feste
Zahnspange. Die Metallbrackets
stören den 13-Jährigen nicht.
Lästig findet er nur die regelmäßigen Kontrolltermine beim Kieferorthopäden. Bald ist damit
zum Glück Schluss: In etwa drei
Monaten ist die aktive Behandlung abgeschlossen, und die
Klammer wird wieder entfernt.
70
FOCUS-GESUNDHEIT
KO R R I G I E R E N & V E R S C H Ö N E R N
Z A H N S PA N G E N
Gebiss im
Gerüst
Zahnspangen schenken Kindern und Jugendlichen ein
schönes Lächeln. Auch Erwachsene lassen Fehlstellungen
mit Hilfe neuer Methoden korrigieren
F
lorian Kieninger grinst breit in
die Kamera. Dass mit jedem
Lächeln eine metallische Zahnspange zu sehen ist, scheint ihn
überhaupt nicht zu stören. „Viele meiner
Freunde tragen eine, das ist doch nicht
schlimm“, findet der 13-jährige Gymnasiast aus Regensburg. „Als ich das erste
Mal mit Spange in die Schule gegangen
bin, haben meine Freunde gar nichts
dazu gesagt. Ist halt ziemlich normal, so
eine Klammer.“
Knapp zwei Drittel der Heranwachsenden werden laut der Krankenkasse
Barmer GEK vorübergehend vom Kieferorthopäden behandelt. Die meisten
jungen Patienten kommen mit zehn bis
15 Jahren, wenn die seitlichen bleibenden Zähne durchbrechen. Doch Zahnspangen sind längst kein ausschließlicher Kinderkram mehr. Fast jeder fünfte
Patient in kieferorthopädischen Praxen
oder Ambulanzen ist volljährig, einige
davon sind sogar schon im Rentenalter.
„Die Bevölkerung achtet heute vermehrt auf eine gute Mundgesundheit
und informiert sich über Angebote“, erklärt Ursula Hirschfelder, Präsidentin der
FOCUS-GESUNDHEIT
Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie, die steigenden Zahlen. „Zudem
haben gerade in den letzten Jahren neue
Techniken und Methoden das Behandlungsspektrum der modernen Kieferorthopädie enorm erweitert.“
Mit Hilfe von unauffälligen Apparaturen wie dem Aligner können sich auch
Erwachsene ihren Traum vom geraden
Gebiss erfüllen. Die durchsichtigen
Kunststoffschienen werden wie eine
lose Spange eingesetzt und drücken die
Zähne in ihre neue Position. Nach etwa
drei bis vier Wochen muss die Schiene
durch eine weitere, leicht modifizierte
ersetzt werden, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist. Je nach Fehlstellung
werden zwölf bis 30 Aligner angefertigt.
Mehrere tausend Euro sollten Patienten
für die Therapie einplanen. „Die Aligner
sind für Erwachsene eine gute Möglichkeit, weil sie praktisch unsichtbar sind“,
sagt Hirschfelder. „Ich würde sie aber
nur bei wirklich kleinen Zahnbewegungen einsetzen. Kontrollierter und damit
vielfach effektiver sind aus meiner Sicht
Schienen, die unter ärztlicher Aufsicht
hergestellt werden.“
71
Ebenfalls unauffällig verläuft die Behandlung mit der Lingualtechnik. Die
feste Spange mit Brackets und Metallbogen sitzt lingual, also zungenseitig
auf den Zähnen und ist damit nahezu
unsichtbar. Der Vorteil gegenüber den
Alignern: Auch starke Fehlstellungen
lassen sich korrigieren. Weil die auf den
Zähnen angebrachten Brackets individuell angefertigt werden, ist die Therapie allerdings deutlich aufwendiger und
kostspieliger als die sichtbare Variante
an der Außenseite der Zähne. „Die Lingualtherapie hat gewisse Vorzüge, was
die Ästhetik betrifft. Das ist aber der einzige Vorteil“, sagt Hirschfelder. Weil die
Metallteile direkt im Mundraum liegen,
72
Z A H N S PA N G E N
Klammerkontrolle
Florian Kieninger muss regel­
mäßig zu Peter Proff ins Universitätsklinikum Regensburg, ­
um die Zahnspange überprüfen
zu lassen
klagen einige Patienten über Fremdkörpergefühle, offene Stellen an der Zunge
und Probleme mit der Aussprache, so
die Expertin.
Erwachsene müssen die kieferorthopädische Behandlung meist aus eigener
­Tasche zahlen. Anders als bei Kindern
und Jugendlichen erstatten die gesetzlichen Krankenkassen Volljährigen die
Kosten nur, wenn ein kieferchirurgischer Eingriff notwendig ist. Beginnt
die Behandlung dagegen vor dem 18.
Lebensjahr, werden die Ausgaben für
ausgeprägte Zahnfehlstellungen und
Kieferanomalien, deren Korrektur aus
medizinischen Gründen notwendig erscheint, von den gesetzlichen Kassen
übernommen. Dazu zählen beispielsweise verlagerte Zähne oder ausgeprägte Kreuz- und Überbisse.
Für viele ist die kieferorthopädische
Behandlung eine ästhetische Angelegenheit. „Manche Eltern haben Angst,
dass sie ihrem Kind die Zukunft verbauen, wenn sie nicht zum Kieferorthopäden gehen. Auf die Idee kommen sie
auch, weil im Internet dafür geworben
wird, dass Leute mit geraden Zähnen
mehr Erfolg haben. Das ist natürlich völliger Unfug“, sagt Gregor Bornes von
der Unabhängigen Patientenberatung
Deutschland (UPD). Mit seinen Kollegen berät er täglich Patienten rund um
das Thema Zahngesundheit. „In meinen Augen ist die kieferorthopädische
Behandlung insgesamt eine stark von
ästhetischen Motiven gesteuerte Therapie“, so der Experte.
Florian Kieninger und seine Eltern gingen auf Rat des Zahnarzts zum Kiefer­
orthopäden. Die Frontzähne des 13-Jährigen standen so eng, dass sie sich schon
übereinanderlagerten und drehten. Seit
zwölf Monaten trägt er nun seine sichtbare feste Spange. „Am Anfang war das
Gefühl im Mund schon komisch, aber
irgendwann habe ich die Klammer gar
nicht mehr bemerkt“, sagt er. „Und
Schmerzen hatte ich bis jetzt überhaupt
nicht.“ Freizeitspaß wie Sport und Musizieren ist auch mit Zahnspange möglich. Florian etwa spielt leidenschaftlich
gern Fußball. In Regensburg kickt er als
Mittelfeldspieler in der Bezirksoberliga.
Auch Susanne Wedeling hat ihre
feste Zahnspange im Alltag fast nicht
bemerkt. Die Paderbornerin arbeitet in
einem Call-Center und muss täglich
FOCUS-GESUNDHEIT
Foto: Mar tina Bogdahn für FOCUS-Gesundheit
KO R R I G I E R E N & V E R S C H Ö N E R N