Bild- und Filminterpretation: Dokumentarische Methode

Bild- und Filminterpretation:
Dokumentarische Methode
Dr. Astrid Baltruschat, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Unterscheidung:
• Bild/Film als Erhebungsinstrument
=> Sinngehalt der sozialen Situation
• Bild/Film als „Alltagsprodukt“
=> Produkt Film/Bild als Objektivation, durch die sich
der Habitus der Produzenten dokumentiert
Zwei Produzentengruppen:
• die abbildenden Bild-/Film-Produzenten hinter
der Kamera
Gestaltungsleistungen:
Perspektivität, Kameraeinstellung, Kadrierung, Auswahl der Szenen,
Schnitt/Montage
• die abgebildeten Bild-/Film-Produzenten vor der
Kamera
Gestaltungsleistungen:
Körperhaltung, Gestik, Mimik, soziale Szenerien
Die Analyseeinstellung der
dokumentarischen Methode
im Fokus: atheoretisches, vorreflexives Wissen
=> vom immanenten zum dokumentarischen Sinngehalt
Wechsel vom WAS zum WIE:
nicht der Inhalt einer Aussage, sondern die
Herstellung der Aussage ist von Bedeutung
Zwei Interpretationsebenen:
1) Nachvollzug des WAS (des immanenten
Sinngehalts)
=> „formulierende Interpretation“
2) Rekonstruktion des WIE (des
dokumentarischen Sinngehalts)
=> „reflektierende Interpretation“
Die Bedeutung der
vorikonografischen Ebene
Das WIE (die Herstellung) gerät erst durch einen
„Bruch mit dem Common Sense“ in den Blick
=> Rückgriff auf die vorikonografische Ebene
Das Bild in seiner Eigenlogik
• als „eine Vermittlung von Sinn, die durch
nichts anderes zu ersetzen ist“ (Imdahl)
• Spezifikum des Ikonischen:
„Sinnkomplexität des Übergegensätzlichen“
(Imdahl)
Sinnebenen des Ikonischen
• Ikonografische Ebene
• Vor-ikonografische Ebene
=> Ikonologische Interpretation (Panofsky)
=> Ikonische Interpretation (Imdahl)
Arbeitsschritte für die Bildinterpretation
Formulierende Interpretation (WAS)
• Beschreibung von Vorder-, Mittel- und Hintergrund des Bildes
auf der vor-ikonografischen Ebene
• Identifikation ikonografischer Elemente
Reflektierende Interpretation (WIE)
• Analyse der formalen Komposition des Bildes
– Planimetrie
– Perspektivität
– Szenische Choreografie
• Ikonologisch-ikonische Interpretation
Die komparative Analyse
Systematische Operation mit Vergleichshorizonten
nach dem
Prinzip des „Kontrasts in der Gemeinsamkeit“
=> Zugang zum Relevanzsystem der Beforschten
=> Kontrolle der eigenen Standortgebundenheit
=> Kontrolle der Polysemie des Bildhaften
=> Suche nach Homologien zur Validierung
Schülerzeichnung: „Schließfächer“
Kompositionsvariation
Perspektivität
Filminterpretation:
Problem der Transkription von Filmen
Verschränkung von Simultaneität und
Sequenzialität
=> Dimensionen (nach Bordwell):
- fotografierter Raum
- montierter Raum
- akustischer Raum
Transkriptionsbeispiele
TC:
3 :56
3 :57
3 :58
3 :59
Cm:
W a s
m a c h s t
denn du?
Af.: Ich kann nicht
m e h r .
S e h r
Bm:
(summt): ♫
♫
♫
♫
♫
♫ ♫
♫
♫
Geräusch
Papiergeräusche
~~
~~
Kamera:



E24
8 :09

8 :10
8 :11
8 :12
8 :13

Gong

~~

4 :00
s c h ö n !
♫
♫
♫
~~

E25
8 :14
~ ~ 2x Klopfen
www.moviscript.net
Mögliche Arbeitsschritte
1. Formulierende Interpretation I:
Beschreibung des Sequenzverlaufs
2. Reflektierende Interpretation I:
Reflexion der Struktur des Films
Auswahl von Fokussierungmetaphern
3. Formulierende Interpretation II:
Beschreibung ausgewählter Fokussierungsmetaphern
4. Reflektierende Interpretation II:
Interpretation der Fokussierungsmetaphern
5. Interpretation des Filmtitels
6. Gesamtdarstellung
Strukturskizze des Schülerfilms
„Melanchthon – find ich super“
Strukturskizze (Teil 2) des Schülerfilms
„Melanchthon – find ich super“
Das Schlussbild-Paar
Der Sportunterricht
(GS 1)
Heute
Damals
Kamera-Einstellungen
Weite
Amerikanische
Totale
Nahe
Halbtotale
Halbnahe
Großeinstellung
Detail
Der allgemeine Unterricht
(GS 2)
Damals
Heute
Computer vs. Traditionelles Schreiben
(GS 3)
Heute
Damals
Das Interview zur SMV
Das Interview zur SMV
„Wie findest du die SMV?“
„Also ich findʼ, es ist eine tolle Idee, weil früher hatten die
Schüler überhaupt nichts zu sagen und heute gibt es sogar
schon eine Schülermitverwaltung.“
„Dankeschön!“
Die SMV
„Das ist unsere SMV, die Schülermitverwaltung, …“
„Hallo! – Wie findest du=Freust dich auf die
Schule? – Ja! – Freut sich auch schon ganz arg.“
Interviews im Vergleich
„Hallo! – Wie
findest du=Freust
dich auf die
Schule? – Ja! –
Freut sich auch
schon ganz arg.“
„Wie findest du die SMV?“
„Also ich findʼ, es ist eine tolle
Idee, weil früher hatten die
Schüler überhaupt nichts zu
sagen und heute gibt es sogar
schon eine
Schülermitverwaltung.“
„Dankeschön!“
Filmtitel: „Melanchthon – find ich super“
Interviews im Vergleich
Die Moderations-Szenen
„Das war also unser Film ‘Melanchthon
find ich super’ und wir haben uns das
T../.. so vorgestellt, dass wir eine kleine
Zeitreise in die Vergangenheit
unternehmen und Ihnen das
Unterrichtsgeschehen damals im
Vergleich zu heute etwas näher bringen.
Auch haben wir ein paar (.) reelle (.)
Dinge angesprochen wie z.B. das (.) G8
oder das Bauchfrei-Verbot.“
„Unsere persönliche Meinung ist, dass
wir die Entwicklung von damals zu
heute natürlich sehr viel besser
finden, weil die Schüler viel mehr
unterstützt werden, ein größeres
Mitspracherecht haben, siehe SMV,
und auch die Unternehmenswoche
trägt zu einem guten Lehrer-SchülerVerhältnis bei.“
Strukturskizze des Lehrerfilms: „Kammer des Schreckens“ (Teil 1)
Strukturskizze des Lehrerfilms: „Kammer des Schreckens“ (Teil 2)
Interpretationsbeispiele aus
„Kammer des Schreckens“
1) „Marianne“: Interpretation einer Gebärde
2) „Der Weg“: Interpretation einer Montage
TC:
2 :54
2 :55
2 :56
Af.:
kann nicht
m e h r .
Bm:
W e n n
i c h
d a s
Geräusch:
Patsch auf Papier


Kamera:
TC:
3 :02
Af.:
Bm:
Geräusch:
Kamera:
TC:
3 :03
I
c
h
j
e t z t
2 :57
2 :58
I
c
h
w ü s s t e
k
a
n
2 :59
n
!


Knall auf Papier

3 :04
3 :05
3 :06
kann nicht mehr
a
u
f
-
Af.:
k a n n
Geräusch: Hand auf Tisch
3 :11
3 :12
n i c h t
m e h r .
Papierstoß
w e m m a
3 :01
…
Patschen auf Tisch


3 :07
3 :08
h ö r e n !
Knall auf Papier
3 :10
nicht mehr
D
e
s
3 :00
3 :09
I
c
h
Hände auf Papier
3 :13
I
c
3 :14
h
k
a n n
Patschen
3 :15
n i c h t
3 :16
3 :17
mehr.Ich kann nicht mehr aufhören!
Papierstoß
TC:
0:57
Musik:
Geräusch:
Off:
Kamera:
♫♫♫♫♫♫
TC:
1:05
Geräusch:
Off:
Kamera:
~
~~~
~
~

E12
0:58
0:59
1:00
1:01
1:02
1:03
1:04
Schritte
leise Stimmen

~~~
aus

~~~
der

~~~
Ferne

~~~
im

~~~
Hinter
~~~
grund

1:07
1:08
1:09
1:10
1:11
1:12
~~~
~~~
~~~



Schritte
leise Stimmen

~~~
im

1 :16
1 :17
1 :18
1 :19
1 :20
~~~
~~~
~~~
~~~




E13
1:06
lautes Stimmen-
gewirr

TC:
1 :13
1 :14
Geräusch:
Off:
Kamera:
~~~
Hinter
~~~
grund

~~~

E15
1 :15
lautes Stimmen
gewirr
~~~

E14
Literatur:
Baltruschat, Astrid (2010): Die Dekoration der Institution Schule. Filminterpretationen nach der
dokumentarischen Methode. Wiesbaden: VS-Verlag. (ausführliche exemplarische Filminterpretationen mit
Reflexion der methodologischen/methodischen Grundlagen)
Bohnsack, Ralf (2009): Qualitative Bild- und Videointerpretation. Die dokumentarische Methode. Opladen &
Farmington Hills: Barbara Budrich. (Grundlagen und Beispiele für Bild- und Videointerpretation nach der
dokumentarischen Methode)
Bohnsack, Ralf (2008): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. (8. Auflage).
Opladen & Farmington Hills: Barbara Budrich. (grundlegend für die dokumentarische Methode)
Bohnsack, Ralf (2007): Zum Verhältnis von Bild- und Textinterpretation in der qualitativen Sozialforschung. In:
Barbara Friebertshäuser / Heide von Felden / Burkhard Schäffer (Hrsg.): Bild und Text. Methoden und
Methodologien visueller Sozialforschung in der Erziehungswissenschaft. Opladen &Farmington Hills:
Barbara Budrich, S. 21 - 45.
Bohnsack, Ralf / Baltruschat, Astrid (2010): Die Dokumentarische Methode: Bild- und Videointerpretation. In:
Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online (EEO). Weinheim, München.
Weitere Interpretationsbeispiele:
Bohnsack, Ralf (2001): "Heidi": Eine exemplarische Bildinterpretation auf der Basis der dokumentarischen
Methode. In: Ralf Bohnsack / Iris Nentwig-Gesemann / Arnd-Michael Nohl. Die dokumentarische Methode
und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Opladen: Leske+Budrich, S. 323 - 337.
Marotzki, Winfried / Niesyto, Horst (Hrsg.) (2006): Bildinterpretation und Bildverstehen. Methodische Ansätze
aus sozialwissenschaftlicher, kunst- und medienpädagogischer Perspektive. Wiesbaden: VS-Verlag. (eine
Gegenüberstellung unterschiedlicher Interpretationsansätze für Bilder)