Das digitale Bild Entwurf für ein DFG

Das digitale Bild
Entwurf für ein DFG-Schwerpunktprogramm
I
Der Iconic Turn hat deutlich gemacht, dass das Bildliche im Vergleich zum Textlichsprachlichen eine besondere Form menschlicher Kommunikation darstellt [Boehm,
Mitchell]. Seit über 20 Jahren wird daher im Bereich der Bildwissenschaften, vor
allem aus der Kunstgeschichte heraus, aber auch darüber hinausgehend, zu Fragen
des Visuellen als Bild und Medium geforscht [Belting, Bredekamp]. Die Prämisse
dieser Forschung liegt in der Feststellung einer Bilderflut in der Moderne, der gerade durch die Geisteswissenschaften begegnet werden soll. Heute stehen wir vor
einer noch gesteigerten Präsenz der Bilder durch die digitalen Medien. Eine Bildwissenschaft, die sich dieser annimmt, benötigt auch ein digitales Instrumentarium.
Das aktuell sich formierende Querschnittsfach der Digitalen Geisteswissenschaften
(Digital Humanities) sieht seine Ursprünge vorwiegend in den Textwissenschaften.
Dort konnten, nicht zuletzt aufgrund der Zeichenstruktur von Texten, bereits umfangreiche Methoden und Systeme entwickelt werden. Diese Umstände sind überdeutlich auch in der Förderpolitik der vergangenen Dekade ablesbar. Das Visuelle
benötigt jedoch aufgrund seiner ontologischen Unterschiede ganz eigene Herangehensweisen und Techniken. Auch wenn die Kunstgeschichte bereits eine eigene
Geschichte digitaler Ansätze vorweisen kann [Bentkowska-Kafel, Zweig; protodigital: Hensel], ist eine digitale Bildwissenschaft im Rahmen der Digital Humanities
erst noch zu entwickeln.
II
Die an sich bereits herausfordernde Differenzierung zwischen Bilderscheinung und
Bildobjekt (image – picture; Bild – Tableau) steigert sich im Phänomen des digitalen
Bildes zu einer Dreiteiligkeit von Bild, Medium und Information [Klinke]. Dies bedeutet zum einen, dass Information ein Medium benötigt, um als Bildphänomen
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wahrgenommen werden zu können. Zum anderen ermöglicht die Differenz zwischen Information und Erscheinung gegenüber herkömmlichen Bildern neue Herangehensweisen an das visuelle Phänomen. Zwar geht beim Transfer aus dem Analogen ins Digitale notwendig Komplexität verloren. Kompensiert aber wird dies
durch steigende computergestützte Analysefähigkeit. Es werden Untersuchungsmethoden praktizierbar, die unter analogen Bedingungen nicht möglich waren, so z.B.
die Adressierung von Binnenstrukturen oder die Erschließung großer Bildcorpora.
In der mathematischen Objektivierbarkeit dieser Analysen werden historisch relevante Zusammenhänge sichtbar, die jenseits aller subjektiven künstlerischen Intentionalität liegen. Dabei liegt die besondere Herausforderung in der Dualität des Bildes als computerverarbeitbare Information einerseits und dem für Menschen sichtbaren und kulturell konnotierten visuellen Phänomen andererseits. Daraus ergeben
sich Herausforderungen für die visuellen Geisteswissenschaften nach dem Iconic
Turn im digitalen Zeitalter, die innerhalb der Digital Humanities bisher nicht ausreichend untersucht wurden, zu denen die Bildwissenschaften – allen voran die Kunstgeschichte – jedoch einen entscheidenden Beitrag leisten können. Gleichzeitig begründet die mathematisch definierte Seite des bildnerischen Phänomens die unverzichtbare Zuarbeit aus verschiedenen medien-, ingenieurs- und computerwissenschaftlichen Disziplinen.
III
Im vorgeschlagenen Schwerpunktprogramm soll von der Kunstgeschichte ausgehend im Rahmen einer interdisziplinär angelegten Bildwissenschaft das digitale Bild
als Untersuchungsobjekt behandelt werden, das einerseits neuartige Analyseverfahren für Bildcorpora, andererseits neuartige Produktionsmöglichkeiten von Kunst
(Digital Art) ermöglicht. Das digitale Bild wird so im kunsthistorischen Kontext zum
einen als Reproduktion von Artefakten, zum anderen auch als Produktionsbedingung von Kunstwerken verstanden. Beides schließt eine historische Dimension ein,
die das Digitale nicht als Bruch mit der Vergangenheit sieht, sondern die Vorgeschichte des digitalen Bildes mit einbezieht, ohne die es in seinen Besonderheiten
nicht zu verstehen ist.
IV
Die Antragsteller verstehen ein Schwerpunktprogramm ausdrücklich sowohl als
Rahmenkonzept für notwendige Grundlagenforschung zu einem aufkommenden
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Forschungs- und Arbeitsfeld, als auch als Plattform für hierauf bezogene Projekte,
die die Brücke zur fachlichen Anwendung schlagen. Daraus ergibt sich eine doppelte programmatische Zielrichtung:
-
Einerseits geht es um eine epistemologisch reflexive Vorgehensweise, die als
„über das Digitale forschen“ verstanden werden kann.
-
Andererseits ist an eine methodologisch-praktische Herangehensweise gedacht, die als „über spezifisch digitale Verfahren forschen“ zu bezeichnen ist.
Letztere schließt Projekte aus, die sich beispielsweise darauf beschränken, Museumsbestände zu digitalisieren, und ermutigt vielmehr Projekte, die beispielhaft
komplexe Verfahren entwickeln, welche an anderer Stelle übernommen werden
können, bzw. solche, die Potentiale der Automatisation und Verarbeitung großer
Datenmengen ausschöpfen. Vor allem sollen Projekte finanziert werden, an denen
ein Computereinsatz sichtbar wird, der nicht nur analoge Arbeitswerkzeuge nachahmt, sondern die besonderen methodologischen und epistemologischen Chancen
der Datenverarbeitung für den kunst- und bildwissenschaftlichen Bereich nutzt.
V
Arbeiten mit digitalen Bildern und deren gleichzeitige Erforschung bringt, zumal im
Rahmen der Kunst- und Bildgeschichte, stets einen mehr oder minder historischkonkreten, auf Realien bezogenen Ansatz mit sich. Um die notwendige theoretische
Fundierung in diesem Arbeitsfeld zu gewährleisten wird eine systematische Gliederung des Arbeitsfeldes vorgeschlagen, die im Rahmen des SPP selbst weiter theoretisch fundiert werden soll. Demzufolge ist das digitale Bild auf vier Ebenen zu betrachten, auf die die Erstdarstellungen der beantragten Projekte bereits Bezug
nehmen sollen. Je nach Perspektive und Gegenstandsbereich werden die Projekte
mehrere dieser Ebenen berühren.
Das digitale Bild als
1. wahrgenommenes Phänomen
2. Information, Form und Medium
3. Repräsentation von Objekten und Konzepten
4. Visualisierung von Daten
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(1) Das digitale Bild ist zunächst als wahrgenommenes Phänomen zu verstehen,
dessen Bedingungen für die Rezeption zu untersuchen sind. Eine unmittelbare
Wahrnehmung von Daten durch Menschen ist zwar denkbar, aber derzeit noch
nicht absehbar. Daher sind zunächst Fragen der Wahrnehmungsphysiologie und
-psychologie, konkret auch im Bereich der Hirnforschung zu adressieren, die
wiederum die Grundlage für ein – bereits Weltkenntnis benötigendes – Sinnverständis bilden, mit dem die Kunstgeschichte beschäftigt ist [Panofsky]. Im
kunsthistorischen Kontext liegt der Schwerpunkt auf digitalen Methoden, die das
Rezeptionsverhalten überprüfen und in der Tradition von Ästhetik und Kunsttheorie stehen. Dazu gehört etwa die Untersuchung der Bilderfassung durch das
Auge mithilfe von messend-quantifizierenden Verfahren wie dem Eye Tracking
[Rosenberg] oder dem Distant Viewing [Manovich, Bender]. In Verbindung mit
Annotationstechniken (Tagging) ließe sich hier die zeitliche Abfolge von Sakkaden mit konzeptualisierten Verschlagwortungen vergleichen. Im Rahmen weitergehender Rezeptionsanalysen wäre auch die unterschiedliche Wahrnehmung
von Bildern in unterschiedlichen Medien, wie beispielsweise Papierdruck, Displays und 3D-Räumen, oder auch bewegten Bild zu untersuchen.
(2) Das digitale Bild ist – wie jedes Bildphänomen – nicht ohne sein Medium zu verstehen. Beim digitalen Bild ist damit jedoch nicht nur die Manifestation in einer
„Hardware“, sondern auch die Festlegung durch einen Code, der theoretisch algorithmisch in die verschiedensten visuell wahrnehmbaren Formen gebracht
werden könnte, zu verstehen [Pias]. Der informatische Code des Bildes und seine medial visualisierte Form lassen sich – abgesehen von den genannten Wahrnehmungsfragen (vgl. 1) – quantifizieren, analysieren und vergleichen, ohne
dabei bereits inhaltliche Konnotationen (vgl. 3.) in den Fokus zu rücken. Auf dieser Ebene wird nach den formalen Manifestationen der digitalen Information
und seiner Sichtbarmachung, sowie nach dem prozessoralen Umgang mit den
verschiedenen Formaten gefragt. Das beginnt bei der Definition von Bildinformationen (Dateiformate) und reicht bis zu Mustererkennungsverfahren. Derartiges kann unter weiteren Voraussetzungen als Basis für Retrieval oder Ähnlichkeitsmessung, etwa zum Zweck der Feststellung der Authentizität von Bilddateien, eingesetzt werden. Darüber hinaus lassen sich auch mediale Zusammenhänge etwa zur Transformation von Bildinformationen und Bildformen rekonstruieren.
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Klassische kunsthistorische Verfahren können auf dieser Basis neu gedacht werden. Die Komplexität von Verfahren wie Bildvergleich, stilistischer Einordnung
und generell die qualitativer Bewertung von Bildern darf jedoch nicht unterschätzt werden und wird im Hinblick auf die Anforderungen an eine wirkliche
Bilderkennung (Computer Vision) gerade erst in Zusammenarbeit zwischen informatischer und kunsthistorisch-bildwissenschaftlicher Forschung ausgelotet
[Ommer/Bell].
Dennoch gibt es bereits Versuche, Ausschnitte des komplexen kunsthistorischen
Arbeitens durch Rechenoperationen zu ersetzen, die beispielsweise Ergebnisse
einer algorithmusgestützten Stilometrie im Sinne einer Epochen- und Künstlerzuschreibung zeitigen [Saleh]. Für geisteswissenschaftliche und kunsthistorische
Fragestellungen ist die formale Analyse nur in Verbindung mit weiteren Daten
(vgl. 3.) sinnvoll. Dabei lassen automatische Datenoperationen in Kombination
mit historischen Metadaten oder mit Daten zur Materialzusammensetzung neue
Erkenntnisse erwarten. Die praktischen Effekte sind noch kaum abzusehen:
Durch die Erschließung großer Datenmengen sind Korrelationen zwischen
Formphänomenen und anderen historischen Ereignissen ebenso zu ermitteln
wie die Vorbild-, Nachahmungs- und Fälschungszusammenhänge zwischen Artefakten. Derartiges dient nicht nur der Kunstwissenschaft, sondern gibt auch
dem Museumswesen und dem Kunsthandel neue Werkzeuge in die Hand.
(3) Bilder – gleich in welchem Medium - sind Repräsentationen von Objekten oder
Konzepten, also Visualisierungen von Welt und Begriff. Der abbildende Charakter menschlich geschaffener Bilder kann mehr oder weniger stark ausgeprägt
sein, zugleich vermitteln diese immer auch einen nicht-abbildenden Inhalt (Bedeutung). Durch technische Verfahren der Bilderzeugung, insbesondere seit der
Einführung der Fotografie hat sich dieses Spektrum noch erweitert [Sachsse,
Bruhn]. Die Rolle der Fotografie – sei es in analoger oder nunmehr digitaler
Form – wird im kunsthistorischen Kontext insofern besonders vielschichtig, da
sie einerseits als Verbildlichung von Artefakten – auch solcher, die wie Gemälde
selbst bildhaften Charakter haben können – auftritt, zugleich aber auch als
Kunstform eigenen Rechts gelten kann. Zum anderen verlangen sowohl die immer weiteren Interessensgebiete der Kunstgeschichte und verwandter Fächer
immer mehr bildliche Erfassung von Gegenständen (z.B. Streetart, Populärkultur), andererseits entstehen Abbildungen auch in einer immer größeren Zahl,
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deren Bewältigung immer weniger möglich erscheint. Gerade im kultur- und
kunsthistorischen Kontext müssen sich daher alle theoretischen und praktischen
Bestrebungen im Umgang mit den digitalen Bild an der Handhabung des Verhältnisses zwischen Abbildung und Gegenstand messen lassen – kurz der Frage,
wie finde ich Bilder zu einem Gegenstand und wie kann ich etwas über diesen
Gegenstand im Bild erfahren.
Die kritische Reflexion der Bedeutungsebenen des Verhältnisses von Form und
Bildinhalten gehört zum Grundbestand der Kunst- und Bildgeschichte [Panofsky]. und überträgt sich als Herausforderung auch auf die computergestützten Operationen: Die Darstellung einer Platte mit vier vertikalen Stützen beispielsweise wird von Menschen leicht als Tisch identifiziert, gleich ob es sich um
eine Seiten- oder Schrägansicht handelt. Für den Computer ist dies jedoch weiterhin eine schwer zu lösende Aufgabe, die noch schwerer ausfällt, wenn es um
die Identifizierung einer ganzen Szenerie geht. Diese verschiedenen Stufen des
„Semantic Gap“ zwischen Bildgestalt und dem repräsentierten oder intendierten
Inhalt sind nicht alleine durch Mustererkennung zu schließen, sondern erfordern
die Hinzuziehung von Weltwissen. Aus Sicht der Kunstgeschichte ist an diesem
Punkt nach der Bedeutungszuschreibung zu fragen. Konkret bedeutet das die Interferenz und Vernetzung mit weiteren Wissenssystemen (Textdigitalisate, Kataloge, Datenbanken) oder kollaboratives Arbeiten in Annotationssystemen.
[Warnke].
Im Umgang mit materiellen Artefakten – auch Gemälde sind über ihren Bildcharakter hinaus solche – treten in der wissenschaftlichen Praxis neben die rein
bildliche zunehmend andere Formen der Datenerfassung. Hierzu zählen zunächst Erweiterungen von Abbildungsverfahren wie HDR- und RTI, die erweiterten Belichtungsumfang oder verschiedene Lichteinfallsituationen in einen Datensatz packen, ebenso technologische Untersuchungen im nicht sichtbaren
Wellenbereich wie Spektrometrie, Infrarot und Röntgen. Hierzu gehört schließlich die zunächst nicht bildliche, sondern räumlich-geometrische Erfassung von
Gegenständen als 3D-Modelle, die wiederum in (statische oder bewegte) bildhafte Ansichten rückübersetzt bzw. gar durch 3D-Druck wieder in der realen Welt
materialisiert werden können. Hier sind die Kombinationsmöglichkeiten mit Bildinformationen überhaupt erst einmal auszuloten und schließlich auf ihren me-
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thodischen und praktischen Nutzen für die geisteswissenschaftliche und kunsthistorische Forschung zu prüfen.
(4) Kunsthistoriker ebenso wie andere historisch arbeitende Wissenschaftler verwenden nicht nur Bilder als Grundlage ihrer Forschung. Mit der zunehmenden
Datenflut werden sie auch selbst zu Bilderzeugern. Datenvisualisierung, Diagramme und andere zeichenhaften Darstellungen werden immer wichtiger in
den Geisteswissenschaften, vor allem als Ergebnis der Transformation und Analyse von großen Datenmengen (Big Data), deren Ergebnisse nicht mehr in Form
von Zahlen und Tabellen überschaut werden können. Als künstlerischer Vorgang
führt dies – ebenso wie eine entsprechend intendierte digitale Repräsentation
von Objekten – zu genuin digitaler Kunst (Digital Art), die bislang noch zu wenig
hinsichtlich ihrer strukturellen Spezifika untersucht wird [Grau]. Aus kunst- und
bildgeschichtlicher Perspektive sind die visuellen Ergebnisse der Datenerhebung
und -analyse in jedem Falls selbst als Bild zu lesen, werden also wieder an
Wahrnehmungs- und Konzeptfragen zurückgebunden und damit wieder Gegenstand kunst- und bildwissenschaftlicher Kritik.
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Dem Antrag auf ein Schwerpunktprogramm liegt die Auffassung zugrunde, dass das
digitale Bild spezifische Eigenheiten mitbringt, die es sowohl von bisherigen Bildpraktiken als auch von der Textverarbeitung unterscheidet. Ausgangspunkt war
hierbei zunächst, dass sich das digitale Bild noch als visuelles Phänomen manifestieren muss, um von Menschen wahrgenommen werden zu können. Von weiteren
Kontexten zunächst abgesehen umspannt das Phänomen des digitalen Bildes die
reine Information (Code) bis hin zu verschiedenen medialen Ausformungen (Monitorbild, Druck), die für sich gemessen werden können. Als Repräsentation von realweltlichen Dingen kann das digitale Bild unmittelbar mit anderen „Messverfahren“,
die ebenfalls digitale Daten erzeugen, verbunden und verrechnet werden.
Alles diese Aspekte sind in der wissenschaftlichen Reflexion und Praxis zu berücksichtigen. Dabei bildet der abstrakte Informationscharakter des digitalen Formats
eine Grundlage, der schließlich nicht nur – wegen der minimierten Herstellungskosten – eine enorme quantitative Steigerung der Bildermengen ermöglicht, sondern
auch mit der durch das Netz gegebenen Überwindung von Raumdistanzen zu einer
potenziell ubiquitären Verfügbarkeit der Daten führt.
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Fotografien werden heute nicht mehr nur mit darauf spezialisierten Kameras aufgenommen, sondern sind vor allem in Handyfunktionen allgegenwärtig. Deren Kommunikationseigenschaften führen wiederum dazu, dass beispielsweise auf Facebook
25.000 Bilder pro Sekunde hochgeladen werden. Solche Datenmengen können auch
zu bildwissenschaftlicher Forschung erhoben werden, so z.B. über Crowdsourcing
[Kohle] mit dem Ziel, durch Filtermethoden dokumentarisch wertvolle Aufnahmen
aufzufinden oder durch automatische Bildverbesserung (etwa Parallaxenausgleich
bei architektonischen Aufnahmen) die Qualität aufzuwerten. In Kombination der
Zeit- und Ortsdaten, die aus den Exif-Zusätzen herausgelesen werden und zur Objektidentifikation verwendet werden können, werden Bilder in virtuellen Welträumen verortet. In weiterer Kontextualisierung wäre denkbar, Projekte zu unterstützten, die Abbildungen in Kunsttexten identifizieren und durch den sie umgebenden
Text verschlagworten und so auffindbar machen. Auch rechtliche Fragestellungen
sind von Relevanz. Die Frage, wer die Urheberrechte an durch autonome Drohnen
erzeugten Bildern einer Kirche besitzt, dürfte in nicht allzu ferner Zukunft von hoher Relevanz werden.
Die identifizierten strukturellen Ebenen des digitalen Bildes kreuzen sich mit der
Forschungspraxis, die mit digitalen Bildern arbeitet und in die drei Hauptfelder zusammengefasst werden kann: Produzieren, Suchen und Analysieren sowie Interpretieren und Publizieren von Bildern (vgl. Schema). An den Schnittstellen ergeben
sich spezifische Desiderate – etwa dass für das formale Vergleichen von Bilddateien
passende Algorithmen entwickelt werden. Die meisten wissenschaftlichen Arbeitsvorhaben decken aufgrund der Komplexität mehrere Bereiche der Matrix ab. Selbst
eine einfach erscheinende Operation wie das Social Tagging von digitalen Bildern
am Bildschirm setzt das Zusammenspiel von adäquaten medialen Dispositiven, kulturhistorischen Wissensdomänen und eine geeignete informatische Datenumgebung, die die Verbindung zwischen dem Bild und den Inhalten herstellt, voraus.
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Zweifellos wurde bereits von vielen Seiten wertvolle Vorarbeit geleistet, aber dennoch ist festzustellen, dass das Visuelle über 20 Jahre nach dem Iconic Turn im
Hinblick auf seine epistemologischen, methodologischen und technologischen Implikationen noch immer nicht ausreichend in ein digitales Wissenschaftskonzept
integriert ist. Bilder und Bildlichkeit dringen zwar in den Digital Humanities zusehends vor, erscheinen in den bisherigen Projekten, Infrastruktureinrichtungen und
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Forschungsprogrammen jedoch zumeist als Beiwerk, das nach allgemeinen Industriestandards gehandhabt wird. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die spezifischen
theoretischen und technologisch und daraus folgend methodologischen und praktischen Kenntnisse und Verfahren bislang nicht systematisch entwickelt sind. Der
vorgeschlagene Schwerpunkt soll genau dies leisten.
Indem die Bildwissenschaften den entscheidenden Schritt in das Digitale unternehmen, wird auch für die Digital Humanities ein bislang unterbelichteter Teil ihres
Spektrums eröffnet. Der Kunstgeschichte und den verwandten Fächern würde er
wiederum neue Fragestellungen und neue Methoden erschließen. Der Schwerpunkt
trägt so zu einer Entwicklung und Modernisierung des Faches bei und ermöglicht
Antworten auf Fragen zum Digitalen, die weit über das Fach hinausgehen.
Der vorliegende Entwurf eines SPP versteht sich als Aufruf zu einem Rundgespräch,
bei dem relevante Projektentwürfe vorgestellt werden sollen. Bei diesem Rundgespräch, das in der Zeit vom 24. bis zum 26. Februar 2016 in Bonn stattfinden wird,
soll sich die Tragfähigkeit des Konzeptes erweisen und eventuell modifiziert werden, insbesondere aber ist die DFG an einem ausreichenden Interesse an der
grundsätzlichen Ausrichtung des Programmes interessiert. Chancen auf eine Realisierung des SPP ergeben sich also nur, wenn schon bei dem Rundgespräch eine
ausreichende Anzahl von Projektvorschlägen zu verzeichnen ist.
Interessierte Antragsberechtigte oder solche, die ein Projekt unter Obhut eines Antragsberechtigten realisieren wollen, werden daher nachdrücklich eingeladen, Ideen
in knapper Form bei dem Rundgespräch zu präsentieren. Die endgültige Organisationsform des Rundgesprächs wird nach Eintreffen der Vorschläge, die bis 10. Dezember 2015 vorliegen sollen, festgelegt. Dabei gehen wir zwar davon aus, dass ein
ernsthafter Wille besteht, die in Bonn vorzutragenden Ideenskizzen nach erhoffter
Genehmigung des SPP in DFG-kompatible Antragsform zu fassen, die konkrete Antragsform aber - Eigene Stelle/ Sachbeihilfe etc. - muss noch nicht feststehen. Angesprochen durch den vorliegenden Entwurf sind demnach an einer Förderung direkt interessierte WissenschaftlerInnen, aber auch antragsberechtigte Promovierte,
die an einer Universität, einem Forschungsinstitut, einem Museum etc. arbeiten und
dort ein entsprechendes Projekt mit externen, von der DFG zu finanzierenden MitarbeiterInnen durchführen wollen.
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Zum Typus des Schwerpunktprogrammes schreibt die DFG:
„Besonderes Kennzeichen eines Schwerpunktprogramms ist die überregionale Kooperation der teilnehmenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Schwerpunktprogramme können vom Senat der DFG eingerichtet werden, wenn die
koordinierte Förderung für das betreffende Gebiet wissenschaftlichen Gewinn verspricht. Über die aus der Wissenschaft vorgeschlagenen Initiativen zur Einrichtung
von Schwerpunktprogrammen verhandelt der Senat einmal im Jahr.
Ein Schwerpunktprogramm wird in der Regel für die Dauer von sechs Jahren gefördert. Zur Mitarbeit in einem Schwerpunktprogramm fordert die DFG interessierte
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf, zu einem bestimmten Termin entsprechende Sachbeihilfeanträge einzureichen.“
Weiteres zum SPP unter
http://www.dfg.de/foerderung/programme/koordinierte_programme/schwerpunktpr
ogramme/index.html
Geplant ist es, das SPP zum digitalen Bild zum Herbst 2016 einzureichen, so
dass - vorausgesetzt, eine Genehmigung wird erteilt - ab Mitte 2017 Anträge
gestellt werden können.
Antragsskizzen (2 Seiten, bis 10.12.2015) bitte an eine der folgenden Personen
Dr. Harald Klinke
[email protected]
Prof.Dr. Hubertus Kohle
[email protected]
Dr. Georg Schelbert
[email protected]
Rückfragen zum Programm und zum Rundgespräch können auch an folgende Mitglieder des Programmkomitees gerichtet werden:
Dr. Jens Bove
[email protected]
Dr. Lisa Dieckmann
[email protected]
Prof.Dr. Stephan Hoppe
[email protected]
Prof.Dr. Hubert Locher
[email protected]
Prof.Dr. Björn Ommer
[email protected]
Prof.Dr. Rolf Sachsse
[email protected]
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Prof.Dr. Anna Schreurs-Morét
[email protected]
Prof.Dr. Holger Simon
[email protected]
Prof.Dr. Heidrun Stein-Kecks
[email protected]
Prof.Dr. Martin Warnke
[email protected]
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12
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