Vortrag gehalten am 21. 4 2005 beim - vpe

Vortrag gehalten am 21. 4 2005
beim „Psychiatrieseminar“
im Rathaus der Stadt Bielefeld
von Gundula Kayser
Es ist nicht üblich, daß psychiatrieerfahrenen und zugleich arbeitslosen Menschen
in der öffentlichen Debatte um Hartz IV das Wort erteilt wird.
Wenn diese Klientel der Arbeitslosenverwaltung überhaupt ins Blickfeld gerät,
dann wird eher über sie als mit ihr debattiert.
Die Stimmung der meisten Arbeitslosen und Psychiatrieerfahrenen,
mit denen ich in den letzten Wochen geredet habe, ist nicht zuletzt deshalb durch Hilflosigkeit
und Resignation sowie durch die Aussicht geprägt, auf Dauer von einem Einkommen leben zu
müssen, dass zu absoluter Sparsamkeit zwingt.
Der Kaffe oder das Bier, das ich mit einigen in öffentlichen Lokalen trank, war für die meisten, mit
denen ich redete, ein Luxus, den sie sich unter normalen Umständen nicht leisteten.
Das Leben Psychiatrieerfahrenen Empfängerinnen von ALG II spielt sich entsprechend der
finanziellen Möglichkeit zumeist im äußerst privaten Rahmen ab. Für Begegnungen mit anderen,
womöglich nicht psychiatrieerfahrenen Menschen und womöglich außerhalb der Kontaktstellen
der Betreuungsvereine im öffentlichen Raum fehlt schlichtweg das Geld.
Ich freue mich deshalb sehr darüber, hier eingeladen worden zu sein, um zu reden und möchte
mich insbesondere bei Sibylle Prins, vom VPE dafür bedanken, dass sie mich gefragt hat, ob ich
nicht einen Beitrag zu diesem Seminar leisten möchte. Die Vorbereitungen darauf in Zusammenarbeit mit dem Verein für Psychiatrieerfahrene und die vielen Gespräche und Interviews dazu mit
SozialarbeiterInnen, HeilpädagogInnen, SoziologInnen, Ärzten, Psychologen und anderen Profis,
mit psychiatrieerfahrenen Männern und Frauen und deren Angehörigen haben mir persönlich
neuen Auftrieb gegeben und dazu beigetragen mein Selbstwertgefühl zu stärken. Schließlich bin
ich nicht nur Psychiatrie-Erfahrene sondern auch arbeitslose Soziologin.
Ich wurde ermutigt neue Aktivitäten in Angriff zu nehmen, schrieb Artikel zum Thema, wurde zu
weiteren Veranstaltungen eingeladen und stehe nun wieder im Kontakt mit vielen anderen Menschen, die mein soziales Leben bereichern und mit denen ich zusammenarbeiten kann.
Hartz IV hat in diesem Sinne für mich persönlich also einen geradezu heilenden und aktivierenden Effekt und die Auseinandersetzungen mit dem Thema motivieren mich zu neuem Engagement. Meinem Ego tut das gut.
Deshalb werde ich allerdings nicht zu einer Verfechterin der neuen Arbeitsmarktpolitik, die ja
unter dem Motto Fördern und Fordern zu Auswegen aus der Massenarbeitslosigkeit führen soll.
Wie gesagt, ich bin jetzt noch weniger arbeitslos als zu vor, aber meine Einkommenssituation hat
sich nicht verbessert. Im Gegenteil, die Vorbereitungen auf diesen Abend haben mir auch Kosten
verursacht, die ich wohl im Gegensatz zu den Profis, die hier heute reden, privat tragen muss.
Denn solche Ausgaben sind in den Regelsätzen für Hartz IV, wie überhaupt Ausgaben für Bildung und andere gesellschaftliche Aktivitäten und Hobbies z.B. nicht vorgesehen.
Für all diejenigen, die sich keine konkrete Vorstellung davon machen, wie der Regelsatz des ALG
II kalkuliert ist, habe ich übrigens ein Flugblatt des Sozialforums mitgebracht, indem die Wiedereinführung der Fahrpreisermäßigung für BielefeldpaßinhaberInnen gefordert wird.
Auf der Rückseite dieses Flugblattes finden Sie die in der Regelsatzverordnung konkretisierte
Vorstellung der Gesetzgeber davon, was dauerhaft Arbeitslosen für ihre persönliche Lebensführung zur Verfügung stehen sollte.
Jeder, der mit marktüblichen Preisen vertraut ist, und sich ab und zu einmal ausgeht, überblickt
leicht, dass ein solches Einkommen die Bezieher von ALG II systematisch von der Teilnahme am
normalen gesellschaftlichen Leben ausschließt.
Arbeitslose sollen einen Teil dieses Budgets jedoch noch nicht einmal ausgeben sondern für
besondere Notfälle und unvorhergesehene Ausgaben sparen.
Diejenigen die dermaßen fürsorglich und vorausschauend die Bedürfnisse von Menschen verplanen, die ihren Platz in dieser Gesellschaft jeden Tag aufs neue erkämpfen müssen, würde ich
schon seit langem gerne einmal dabei beobachten, wie sie unter diesen Bedingungen ihr Leben
gestalten würden, ohne all die direkten und indirekten gesellschaftlichen Vorteile, die man daraus
zieht, am gesellschaftlich organisierten Arbeitsleben teilzuhaben.
Wir leben allerdings in einer Gesellschaft, in der es immer mehr Verlierer und immer weniger
Gewinner der Entwicklung gibt. Die offizielle Politik treibt immer mehr Menschen in einen immer
härteren Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze und Einkommen und verteilt direkt und indirekt die
Lebenschancen und Karriereaussichten immer ungerechter. Auch die Möglichkeiten an demokratischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben werden immer fragwürdiger verteilt.
Profiteure der Erzeugung immer größeren Drucks auf die Einzelnen und der zunehmenden
Entsolidarisierung unter allen Beteiligten sind in der Regel die, die ohnehin von vornherein vom
Schicksal begünstigt sind und die ohne hin schon relativ Reichen. Verlierer sind diejenigen, deren Arbeitsplätze wegrationalisiert und eingespart werden , die die erst gar keinen Einstieg in das
Lohn-Arbeitsleben finden, die nicht mehr Jungen und die Kranken, immer häufiger auch nicht
mehr nur Arbeiter sondern auch höher qualifizierte Menschen die bisher dem Mittelstand zuzurechnen waren.
Die Hartz IV Gesetzgebung beschleunigt die Verarmung derjenigen, die ihre sozialversicherten
Arbeitsplätze verloren haben und sie erzeugt weiteren Druck auf all diejenigen, die noch sozialversichert beschäftigt sind.
Gleichzeitig wird ein neuartiger Zwang zur Arbeit eingeführt, der dafür sorgen soll, dass selbst
Arbeitsplätze akzeptiert werden, die unterhalb jeglicher tariflicher Vereinbarung eher symbolisch
als effektiv entlohnt werden, keinerlei Arbeitnehmerrechte garantieren und nicht sozialversichert
sind. Diese unter Androhung ökonomischer Zwangsmaßnahmen verpflichtend gemachten 1 €
Jobs bedrohen das Fortbestehen und die Neuschaffung besser entlohnter und besser abgesicherter Arbeitsplätze.
An einigen Stellen werden sie auch bereits als Ersatz für so genannte Minijobs eingerichtet, denn
ALG II Empfängerinnen müssen bisher 85 % ihres selbst erwirtschafteten Einkommens an die
Agentur für Arbeit abführen. Ihre Zuverdienstmöglichkeiten sinken dadurch z.T. noch unter die
Möglichkeiten von 1€-Jobbern ab.
Dieses Psychiatrieseminar und mein kurzer Beitrag dazu sind wohl nicht der geeignete Ort, um
über die Leitlinien der Politik der Bundesregierung und ihrer Ziele zu debattieren. -Die Ziele sind
dieser Politik sind u.a. weitere Steuererleichterungen für Unternehmen und Schaffung eines
Billiglohnsektors, der die Errungenschaften der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik aus den vorangegangen Jahrzehnten in Frage stellt und erreichte Lohnniveaus unterbietet.Dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen, um zu betonen, das die Politik der Grün- roten Regierung, die ja im übrigen vielen, allerdings noch radikaleren Vorstellungen der CDU/CSU Opposition weitgehend entgegenkommt, absolut nicht die einzige Möglichkeit ist, auf die ökonomische
Entwicklung einzuwirken und den sozialen Problemen zu begegnen, die insbesondere durch die
wachsende langandauernde Arbeitslosigkeit von mehreren Millionen Menschen in Deutschland
entstehen.
Man muss nicht gleich Mitglied bei Attac werden, wenn man im Gegensatz zu der in den Medien
vielfältigst reproduzierten Meinung der Überzeugung ist, das Alternativen zur offiziellen neoliberalen Politik denkbar, notwendig und möglich sind. Man muss allerdings kritische Energie und
Arbeit aufwenden, will man Argumente und Strategien für eine gerechtere und sozial ausgewogenere Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in die Debatte einbringen, anstatt womöglich vor Ort
selbst aktiv die Lebensinteressen von immer mehr Menschen zu beschneiden.
Bei meinen Recherche zum Thema Hartz IV und die Psychiatrie habe ich festgestellt, dass ein
großen Potential von Menschen, die der Entwicklung aus sozialen Gründen kritisch gegenüber
stehen durchaus vorhanden ist.
Viele Profis ziehen sich allerdings auf den Standpunkt zurück, dass sie aus ihrer Position heraus
nichts daran ändern können, dass sie zu widerwilligen Umsetzern der fortgesetzten Sparpolitik
im sozialen Bereich werden.
Aus meiner Sicht fraglich ist allerdings, ob sie tatsächlich alle Spielräume der Meinungs- und
Handlungsfreiheit ausgelotet haben oder ob es nicht einfach bequemer ist, gegenüber den von
dieser Politik direkt Betroffenen routinemäßig zu argumentieren, man handele eben auf Weisung
von oben und sei auf Grund höherer Gewalten gezwungen unabänderliche Realitäten anzuerkennen.
Bisher vermisse ich auch, womöglich gemeinsam von Mitarbeitern und z.B. Hartz IV -Betroffenen psychisch Kranken verfasste Darlegungen und Proteste dagegen, dass die konkreten Kürzungen im Gesundheitsbereich, in der Arbeitsverwaltung und im sozialen Bereich den Bemühungen zu wider laufen, psychisch beeinträchtigte Menschen im Arbeitsleben zu rehabilitieren und in
die Gesellschaft zu reintegrieren.
Es ist schwer sich einen konkreten Überblick darüber zu verschaffen, wie die soziale Lage von
Menschen mit psychischen Problemen in Bielefeld einzuschätzen ist und wie sich die Situation
durch die Umsetzung der Hartzreformen verändert. Zu meiner besseren Information habe ich
Gespräche mit Experten geführt und mit Betroffenen geredet.
Es gibt für Bielefeld – ebenso wie für andere Städte und Regionen keine Datensammlung oder
spezifische Berichterstattung, die diese Frage zum Thema hat. Die Daten aus der Krankenanstalt
Gilead IV und die allgemeinen Daten im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung
und die Daten der Krankenkassen lassen aber deutlich erkennen, das psychische Krankheiten
zunehmen und das psychisch kranke Menschen immer häufiger arbeitslos und zunehmend arm
sind. Der Zusammenhang ist in beide Richtungen verstehbar. Wer psychisch krank wird, ist in der
Gefahr seinen womöglich vorhandenen Arbeitsplatz zu verlieren und wer keine Arbeit hat, ist in
der Gefahr psychisch zu erkranken.
Aussagen über Ursachen und Symptome der Krankheiten lasse ich hier außer acht. Die meis-
ten hier Anwesenden werden die Probleme aus der Praxis als selbst Betroffene oder als Profis
kennen.
Die Negativkarriere von psychisch Kranken ist insbesondere natürlich bei chronisch Kranken kein
vorübergehendes Problem. Langzeitarbeitslosigkeit ist im Gegenteil eine typische Situation in
der sich psychisch beeinträchtigte Menschen befinden, deren Arbeitsfähigkeit mehr oder weniger
erheblich eingeschränkt ist. Je nachdem ob sie noch oder wieder in der Lage sind, mehr als drei
Stunden täglich zu arbeiten, fallen viele der Betroffenen nun in den Zuständigkeitsbereich der
Agentur für Arbeit, sofern sie nicht von Renten leben oder Anspruch auf Grundsicherung oder
Sozialhilfe haben.
Ich habe mit einigen SozialarbeiterInnen darüber geredet, wie sie die neuen Perspektiven ihrer
psychisch beeinträchtigten Klientel einschätzen und festgestellt, dass keiner von Ihnen sich positive Entwicklungsperspektiven von Hartz IV versprach.
Dass ihre KlientInnen durch die Reform bessere Chancen auf eine Vermittlung in angemessene
Arbeitsverhältnisse hätten, wagten alle zu bezweifeln.
Die SozialarbeiterInnen hatten die Erfahrung gemacht, dass die Einführung des ALG II viele ihrer
Klienten stark verunsichert und belastet hat.
Einige berichteten, dass viele die Prozeduren der Antragstellung vermutlich nicht ohne professionelle Unterstützung durchgestanden hätten.
Was die Höhe des ALG II betrifft, waren sich praktisch alle von mir Befragten darin einig, dass
345 € im Monat nicht ausreichend sind, um eine einigermaßen befriedigende Lebensperspektive
zu entwickeln. Viele Betroffene hätten aus diesem Grund auch eine relativ hohe Motivation so
bald wie möglich eine Arbeit zu finden, selbst wenn ihre gesundheitliche Situation diese Perspektive einschränkte.
Im besonderen kritisiert wurde, dass die Aufstockung der Sozialhilfe um 50 € für besondere
Ausgaben, wie die Beschaffung eines neuen Kühlschrankes z.B. oder neuer Möbel keineswegs
dafür ausreicht, die Notsituationen, in die viele psychisch Kranke zeitweise geraten, in angemessener Weise zu lösen.
Die Sozialarbeiterinnen vermuteten, dass die wenigsten ihrer Klienten es schaffen würden, zur
Bewältigung von Notsituation oder unvorhergesehener Ausgaben Geld anzusparen. Was das
bedeutet ist klar, soll hier aber noch einmal deutlich gesagt werden:
Die Tatsache, dass die Einmalbeihilfen, auf die SozialhilfeempfängerInnnen bisher Anspruch hatten, gestrichen wurden, lässt erwarten, dass auch gerade die Haushalte von psychisch Kranken
ALG II EmpfängerInnen immer prekärer ausgestattet sein werden, da die bereitgestellten Mittel
nicht ausreichen werden, Wohnungen in befriedigender Form neu auszustatten, Reparaturen zu
bewerkstelligen oder Ersatz für unbrauchbares Ausstattungsgegenstände zu beschaffen.
Das erklärte Ziel vieler Maßnahmen im Bereich der Gemeindepsychiatrie ist es, psychisch beeinträchtigten Menschen ein möglichst eigenständiges Leben zu ermöglichen und sie womöglich
nach längerem Krankenhaus- oder Heimaufenthalten in die Gesellschaft zu reintegrieren.
Würde man die Kosten , die die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verursachen, z.B. die Teilnahme an Kursen der VHS oder anderen Bildungsträgern oder die Nutzung des Internets usw. ,
müßte das ALG II nach Berechnungen des DPWV mindestens 19 % höher angesetzt werden.
An den ökonomischen Bedingungen des Lebens auf einem Einkommensniveau Niveau, das weit
unterhalb des europäischen Armutsniveaus liegt, drohen jedoch die Zielsetzungen der Gemein-
depsychiatrie zu scheitern.
Ein bezeichnendes Schlaglicht darauf, wie sich die Integrationsbemühungen unter der Perspektive gestalten, dass die KlientInnen von ALG II leben müssen, wirft der Bericht einer Heilpädagogin, die mit ihren KlientInenen, die aus Heimen entlassen werden sollen, für die künftige Alltagspraxis einübt, wie man die oft mehr als zweistündige Warte Zeit in den entmutigend langen
und international zusammengesetzten Schlangen an der Bielefelder Tafel durchsteht und sich
womöglich durchsetzt.
Da ich selbst gelegentlich keine andere Wahl habe, kenne ich diese entwürdigende Situation aus
eigener Erfahrung. Deshalb möchte ich bei dieser Gelegenheit nicht versäumen in Frage zu stellen, ob so die gesellschaftliche Integration aussieht, die Professionelle für ihre Klientel anstreben
und ob der Realitätssinn, der dazu führt, das solche Praktiken eingeübt werden, auch dazu führt,
das gegenüber Übergeordneten Vorgesetzten und anderen Verantwortlichen dagegen protestiert
wird, dass es sehr fragwürdig ist, wohin die ehemaligen HeimbewohnerInnen auf diese Art und
Weise scheinbar zwangsläufig integriert werden müssen.
Ich sprach mit einigen psychiatrieerfahrenen Menschen, die zugleich ALG II EmpfängerInnen
sind, über ihre persönlichen Erfahrungen und Perspektiven unter den neuen Voraussetzungen
von Hartz IV. Einige äußerten Bedenken mir Auskunft zu geben, weil sie womöglich negative Folgen für sich befürchteten, wenn man nachvollziehen könnte, dass sie mit mir gesprochen hätten
und ihre Kritik an den Verhältnissen unter denen sie leben und z.T. arbeiten, öffentlich würde.
Aus meiner Perspektive ist diese Angst bezeichnend für viele der ALG II EmpfängerInnen, nicht
nur die psychisch Kranken, die ja, obwohl sie diese Möglichkeit keinesfalls aus freien Stücken
gewählt haben, in Abhängigkeiten von Behördlichen Zuwendungen leben.
Viele Betroffene haben weniger das Gefühl, dass sie Rechte in Anspruch nehmen, die Ihnen zu
stehen, als vielmehr das Gefühl in persönlicher Abhängigkeit von SachbearbeiterInnen oder Mitarbeiterinnen der Firmen in denen sie arbeiten, sich möglichst unterwürfig verhalten zu müssen,
um bestehende Ansprüche auf Einkommen und Arbeit nicht zu verlieren.
Zumal sich einige psychisch Kranke, mit denen ich sprach selbst als gescheiterte Persönlichkeiten ansehen, obwohl sie für ihre Krankheiten nicht persönlich verantwortlich zu machen sind,
wollten sie keineswegs den Eindruck erwecken, sie wären etwa nicht dankbar, für die Zuwendungen, von denen sie lebten.
Trotz sehr beschränkter Ansprüche an das Leben sahen alle von mir Befragten ihre Zukunftsaussichten unter dem Eindruck der neuesten Erfahrungen negativ. Niemand von den Betroffenen,
die außer einem, zuvor SozialhilfeempfängerInnen gewesen waren, pflegte noch die Hoffnung,
dass sich sein persönliches Schicksal womöglich zum Besseren wenden würde.
Alle berichteten, dass sie äußerst sparsam lebten und auf ein gesellschaftliches Leben mit anderen außerhalb ihrer privaten vier Wände weitestgehend verzichteten, weil Zusammenkünfte mit
anderen Geldausgaben verursachten, die sie sich nicht leisten könnten.
Z. T. etwas wütend vor allem aber deprimiert, mit den Problemen alleingelassen und hilflos gegenüber den Änderungen waren im übrigen einige Beschäftigte von pro Job, deren Arbeitsplätze
in 1 € Jobs umgewandelt worden sind. Die Entwertung ihrer Arbeitsleistungen, die das bedeutet
und die Unmöglichkeit durch eine Steigerung der Leistungsfähigkeit mehr Geld zu verdienen,
empfanden sie als frustrierend und demotivierend.
Sie berichteten, dass sie seit der Bekanntgabe dieser Veränderung immer häufiger keine Lust zu
persönlichen Anstrengung mehr hätten, im Bummelstreik wären, Kaffee tränken und rauchten,
statt zu arbeiten. Anders wüssten sie sich nicht gegen das Gefühl der Entmutigung zu wehren.
Einige Kollegen hätten bereits ganz aufgehört zu arbeiten.
Ich selbst gehöre zu denjenigen, die ihre Arbeit bei pro Job aufgegeben haben, weil ich es für
entwürdigend und weder meinen Arbeitsleistungen noch meinem zusätzlichen Geldbedarf angemessen empfinde, für 1 € pro Stunde und eine Fahrkarte zu arbeiten.
Meine Einkünfte, die ich mir bei pro Job erarbeitete wurden durch die Hartz IV Reform um ungefähr 100 € gekürzt. Das bedeutete, dass ich auf mehr als ein fünftel des Geldes verzichten
musste, dass mir monatlich zur Verfügung stand.
Ich widme mich nun alternativ meinem Hobby, der Kunst und Kunsthandwerklichen Produktionen, um mir sozial wertgeschätzte und besser bewertete Nebenerwerbsquelle zu sichern.
Ich empfinde es als durchaus gesund, wenn man nach Möglichkeiten sucht, gegen die Verschlechterung der Lebens- und Arbeitssituation zu protestieren und begann deshalb sowohl bei
Pro Job als auch außerhalb der Firma nach Menschen zu suchen, die sich nicht aktiv an der
Durchsetzung der Reform beteiligten und die die HartzIV- Reform nicht als eine Art Naturkatastrophe oder höhere Gewalt ansehen, gegen die anzugehen sich nicht lohne.
Bei meiner Suche stellte ich fest, das Personen noch in der absoluten Minderheit sind, die wie
etwa ein Lehrer der Bodelschwing- Schule, der für die Organisation der Cafeteria, in der ich arbeitete mitverantwortlich ist, meinen, das ALG II sollte noch erheblich mehr gekürzt werden, um
die Betroffenen zu zwingen, sich eine Arbeitsmöglichkeit zu suchen und 1 € pro Stunde Arbeit
zusätzlich zum ALG II wäre schon mehr als genug Entlohnung für die Arbeit, die wir täten. Derselbe war sich nicht zu dumm , zu behaupten, Lehrer hätten nicht viel mehr Geld zu ihrer Verfügung als wir ALG II Empfänger mit einer 1 € Arbeitsgelegenheit.
Ich traf allerdings wenige Menschen, die glaubten, dass es Sinn mache und Aussicht auf Erfolg
habe, aktiv gegen die durch HartzIV herbeigeführte Verschlechterung der ökonomischen Lage
zu protestieren und Alternativen für die Arbeitsmarkt und Sozialpolitik zu benennen. Dieser Erfahrung entspricht ja auch die Tatsache, das Arbeitslose im Allgemeinen nicht organisiert sind,
um ihre gesellschaftlichen Interessen öffentlich zu artikulieren und daß die von vielen erwartete
oder befürchtete Protestwelle gegen die Arbeitsmarktreform sich dementsprechend in einem
bisher eher begrenzten Rahmen gehalten hat.
Mit einigen wenigen Betroffenen und Engagierten begann ich, mich auszutauschen und zusammenzuarbeiten, in der Hoffnung, dass es immer mehr werden, die nicht länger bereit sind, den
Kopf einfach in den Sand zu stecken und so zu tun, als wären sie nur mehr oder minder wehrlose Opfer oder bloß Ausführende und keinesfalls mitverantwortlich für die große Politik.
Denn die Demokratie, in der wir ja immer noch leben, obwohl die Verhältnisse nicht zuletzt
Mitbestimmungschancen immer ungleicher verteilen, braucht Menschen, die ihre Kritik an der
Entwicklung nicht nur privat sondern auch öffentlich formulieren. Nur so werden die möglichen
Alternativen sichtbar und diskutierbar.
Ich habe versucht, deutlich zu machen, das gerade auch Menschen, deren Gesundheit und
Leistungsfähigkeit durch psychische Probleme beeinträchtigt sind, durch die Hartz IV Reformen
immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden und dass viele sich immer mehr
entmutigt fühlen , auf die Möglichkeit zu hoffen, das sich ihre Situation womöglich auf Grund
eigener Anstrengungen zum Besseren wenden wird.
Viele von Ihnen werden aus der Praxis wissen, das diese Menschen viel Ermutigung brauchen,
um dennoch einen einigermaßen befriedigenden eigenen Lebensweg zu finden.
Darüber hinaus wird es aber angesichts der Verschlechterung der psychischen Gesundheit der
Bevölkerung und ihrer sozialen und ökonomischen Situation auch immer notwendiger, dass diejenigen, die durch ihre Arbeit mit den Problemen vertraut sind, nicht nur in der Fachöffentlichkeit
sondern auch in der allgemeinen Öffentlichkeit dokumentieren, wie sich die Verhältnisse zum Negativen wenden und welche Konsequenzen die Sparpolitik auf Kosten der Sozial Schwächsten
haben.
Der Verein für Psychiatrieerfahrene sammelt Berichte über die konkreten Erfahrungen mit der
neuen Gesetzgebung und den Institutionen, die sie durchsetzen und ruft die Betroffenen selbst
ebenso wie ihre Angehörigen und die mit Ihnen arbeitenden Profis auf gemeinsam mit anderen
gegen die weitere Herabsetzung und Beschneidung einmal erreichter sozialer Standards zu protestieren.
Die Umverteilung des Gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben geht mit einer undemokratischen Entrechtlichung der Lebens-und Arbeitsverhältnisse insbesondere der Sozial
Schwächsten einher. Es ist höchste Zeit sich öffentlich dagegen zu verwehren anstatt nur die
eigene persönliche oder professionelle Politik den Erfordernissen von Reformen anzupassen,
von denen die wenigsten sich positive Auswirkungen versprechen.
1 € Jobs zerstören bereits jetzt unserer Erfahrung nach die Perspektive durch persönliche Arbeitsleistungen die Lebenssituation zu verbessern. 1 € Jobs verhindern auch, das neue sozialversicherte Arbeitsplätze entstehen. 345€ im Monat sind nicht genug Geld um womöglich dauerhaft einigermaßen befriedigend davon zu leben.
Ich persönlich will die Hoffnung nicht aufgeben eines Tages womöglich wieder einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen, in die ich meine berufliche Qualifikation einbringen kann. Ich bin ein
Fall von Millionen und weiß, dass ich ohne die aktive Unterstützung von einigen von Ihnen mein
Ziel wahrscheinlich schwerlich erreichen werde.
In diesem Sinne möchte ich meinen Beitrag heute hier beenden, in dem ich der Hoffnung Ausdruck gebe, das sie sich persönlich für die Kehrtwendung politischer Prioritäten einsetzen, die
zur Zeit eher Wege in Armut als Auswege daraus vorzeichnen.
Weitere Informationen und Kontakt VPE
Gundula Kayser
Tel.: 0521- 16 44 32 8
e-mail: [email protected]