Leseprobe aus: Mary Hogan Susanna Backstage Queen Mehr Informationen zum Buch finden Sie hier. Copyright © 2007 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek I O Kapitel eins Wer hätte das je gedacht: Ich bin ab heute ganz offiziell eine Fashionista. «Fashiowas?», fragte mich mein Vater entgeistert, als ich ihm erzählte, dass Scenes überschicke Chefredakteurin Nell Wickham mir die Chance gibt, von New Yorks wichtigstem Style-Event zu berichten: der Fashionweek. «Eine Couture-Connaisseuse», fügte ich stolz hinzu. Schließlich hatte ich diesen Ausdruck gerade erst gelernt. «Ich verstehe», antwortete er, obwohl er natürlich überhaupt nichts verstand. Also habe ich es ihm erklärt. Modefans wie moi stehen nicht auf Label – abgesehen von den echten Designer-Labeln natürlich. Und, FYI, wir haben eine ganz eigene Ausdrucksweise, in der es von Fremdwörtern wie moi, connaisseuse, catwalk und styling und Abkürzungen wie FYI («zu deiner Info») nur so wimmelt. Mich in eine Fashionista zu verwandeln, ist so ziemlich das Schwerste, das je von mir verlangt wurde. Insbesondere deshalb, weil ich so viele andere Sachen auf dem Plan hatte, wie zum Beispiel für meine Killerprüfungen I 5 am Ende des Schuljahres lernen, oder in den Sommerferien meinen Sozialdienst ableisten (der Berater an der Schule weigerte sich doch schlichtweg, meine Erfüllung der neurotischsten Wünsche Nell Wickhams letzten Sommer als Dienst anzuerkennen. Das muss man sich mal vorstellen!!) und schließlich ein neues Schuljahr beginnen, in dem ich, Susanna Barringer, wild entschlossen bin, mir einen waschechten Freund zu angeln. Mit meiner Schein-Beziehung zu Hollywoods megaheißem Schauspieler Randall Sanders ist nun Schluss. Es ist an der Zeit, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Also habe ich in den letzten sechs Monaten jede freie Minute genutzt, um Mode zu studieren. Ich habe mir die wichtigsten Sendungen im Fernsehen reingezogen. Ich habe Vogue verschlungen. Und beim Babysitting meiner drei kleinen Brüder – zweieinhalbjährige Drillinge – Fashionesisch geübt. «Henry, dein Hoody und die Cargos sind einfach zu matchy-matchy», erklärte ich ihm. «Will Elmo», entgegnete er. Mein neues Modewissen sagt mir, dass Grau das neue Schwarz ist, Shorts sind die neuen Hosen und lange Pullis die neuen Hemden. Runde Schuhe sind in, Riesendruckknöpfe schon wieder out. Oder ist Pink etwa das neue Grau? Sind Hosen vielleicht doch die neuen Shorts? 6 Ist eine Weste der neue Pulli? Echt schwierig, denn man kann sich einfach nie sicher sein. Wenn es um Mode geht, gibt es eigentlich nur eine Regel und die ist in Stein gemeißelt: Sobald sich ein Trend abzeichnet, beeilen sich die Designer, ihn zu unterlaufen. So kommt es also, dass mein Gehirn in den letzten paar Monaten das Wechselbad der Modetemperaturen durchlitten hat: coole Looks, heiße Trends, brandheiße Accessoires. Ich kann inzwischen sogar einen Catwalk von einer Runway unterscheiden: Der Catwalk ist ein erhöhter Laufsteg, auf dem die Models zeigen, was sie haben, eine Runway ist auf ebener Erde. Aber nur wenige Modefans kümmern sich um so technische Details. Es sei denn, sie sprechen über eine Korsage im Empirestil, die die neue Taille ist. Oder ist die Taille der neue Brustkorb? Egal. Das Wichtige daran ist, dass die Monate harter Arbeit bald ihre Früchte tragen werden. Ich bin bereit, es mit der Modewelt aufzunehmen, um meinen zweiten Auftrag als Reporterin für Scene auszuführen. Obwohl mein Versteck im Kofferraum einer Limo bei der Oscar-Verleihung eigentlich nicht zu meinem Auftrag gehörte. Andererseits war Nell Wickham – Chefredakteurin der heißesten Promi-Zeitschrift in der nördlichen Hemisphäre – stolz auf mich und bezeichnete mich als «furchtlos». Sie nannte mich außerdem Susie, Susan, I 7 Sue und Suzanne, aber warum sich noch über Namen streiten – schließlich werde ich inzwischen als TeenagerPraktikantin gehandelt, die ihre Story an Land zieht, egal wie viele Kofferraumteppichfusseln sie dabei einatmet. Genial! Heute, während sich die Blätter in New York City «aprikosengold» färben (eine der brandheißen neuen Farben der Saison, FYI), werde ich das Epizentrum betreten: die Fashionweek. Schon allein der Klang dieses Wortes jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Die weltbesten Designer werden hier mitten in Manhattan in einem riesigen Zelt ihre neuesten Kreationen vorstellen. In einem Zelt, zu dem nur Insider Zutritt haben. «Mit deinem Presseausweis kommst du vorn rein», erklärte mir Sasha, die ausgetickte Moderedakteurin von Scene, «und ich kann dir Tickets für ein paar Shows besorgen, aber sonst musst du allein klarkommen. Nell und ich werden viel zu tun haben und können nicht Babysitter spielen.» «Ich brauche keinen Babysitter», antwortete ich. «Gut. Du hast nur die eine Woche, also mach was draus.» Sasha macht zum Beispiel etwas aus jedem Outfit, das sie trägt. Kunststück, wenn man 1,80 Meter groß ist, eine honigfarbene Haut und eine wahnsinnig aufregende Au8 genfarbe zwischen Salbei und Kupfer besitzt. Sie ist viel mehr als bloß modisch. Falls man wissen möchte, was morgen in sein wird, muss man sich nur ansehen, was sie heute trägt. Ihr undefinierbarer Akzent klingt wie in Honig gestippt. Obwohl die Fashionseiten von Scene normalerweise nur die Modedesaster der Promis abbilden, die vom wirklich knusprigen Fotografen der Zeitschrift, Keith Franklin, festgehalten wurden, ist Sasha trotzdem eine Modediva. Sie trieft förmlich vor Stil. Und das ist ganz klar angeboren: Falls es Designerwindeln gegeben hätte, hätte sie bestimmt darauf bestanden, nur die zu tragen. Bevor ich zur Modeexpertin wurde, wäre ich auf jeden Fall in die «Nicht»-Kategorie gefallen. Es sei denn, Gap Jeans wären plötzlich trendy. Was ich kleines Dummerchen tatsächlich geglaubt hatte. «Nicht so, wie du sie trägst», hatte mich Sasha fast angeekelt belehrt. Allerdings fragte ich mich, wie man denn Jeans anders trägt? Ich habe vor, es während der Modewoche herauszufinden. Alle, die in dieser Branche etwas zu sagen haben, werden sich in dem riesigen weißen Zelt drängeln, um zu sehen und gesehen zu werden. Laut Sasha werden morgens, mittags und abends auf drei verschiedenen Catwalks Modenschauen stattfinden (oder auf Runways, wenn man technisch korrekt sein I 9 will). Promis werden ihre Plätze in den vordersten Reihen angewiesen bekommen, Models werden die Menge begeistern, Moderedakteure werden Karrieren aus der Taufe heben und zerstören. Paparazzi! Stars! Supermodels! Fashionistas! Lindsay Lohan wird vielleicht in ihren Chanel-Stiefeln ausrutschen! Wie viel Glück kann ein «Nicht»-Girl noch haben? «Designer-Klamotten sind lediglich ein weiteres Mittel, um Frauen in unserer von Männern dominierten Gesellschaft zu versklaven», dozierte Amelia, meine allerbeste Freundin, heute in der Schule. «Zusammen mit allen Konfektionsgrößen unter Größe 36, Botox und dem brasilianischen Bikiniwachs.» «Macht mich dieser Pulli fett?», konterte ich. Jawohl, ich gehe rein. Mein absoluter Lieblingsort. Insbesondere nach meinen Erlebnissen in Hollywood. Nichts gibt einem ein besseres Gefühl, als drin zu sein, auf der richtigen Seite der Samtkordel, mit rotem Teppich unter den Füßen. Abgesehen vielleicht von dem Gefühl, meinen allerersten Artikel in Scene abgedruckt zu sehen. Oder sich eine Limo mit Randall Sanders zu teilen. Oder, o. k., zu fühlen, wie sich meine Finger um die muskulöse Hand meines Freundes legen, der gar nicht aufhören kann, mir zu versichern, was für ein Glück er hat, dass ich endlich eingewilligt habe, seine Freundin zu sein, 10 nachdem er mich monatelang belagert hat. Ich bin mir ziemlich sicher, das wird sich unglaublich gut anfühlen. Aber zurück zur Realität: Mein Herz schlägt dreistellig schnell. Denn am heutigen Freitagnachmittag befinde ich mich im Bryant Park – dem wunderschönen Stück Grün, das sich hinter dem Marmorklotz an der 42nd Street befindet, der sich gemeinhin die Öffentliche Bibliothek New Yorks nennt. Die mit den berühmten Löwen davor. Und Bryant Park ist sozusagen ihr Garten. Zweimal im Jahr streckt sich hier ein strahlend weißes Zelt wie ein radioaktives Marshmallow an der 6th-Avenue-Ecke des Parks gen Himmel. New Yorker wissen alle über das Zelt der Modewoche Bescheid. Aber nur die allerwenigsten dürfen rein. Männer ganz in Schwarz bewachen den Eingang. Ohne Ausweis kommt niemand an ihnen vorbei. Das Zelt gewährt nur denen Einlass, die frisch, hip und happening sind. Und bald werde auch ich dazugehören. Mein Plan ist ganz einfach: Wenn ich erst mal im Zelt bin, werde ich untertauchen und mich unauffällig umsehen, Unterhaltungen belauschen, Models interviewen und einen Backstage-Knüller einfangen. Null Problem. Wie schwer kann es schon sein, in einem Zelt hinter die Kulissen zu blicken? «Darf ich mal bitte durch?» Ich arbeite mich ein bisschen wackelig auf meinen runden Plateauschuhen durch I 11 die Menge. Mein Presseausweis baumelt stolz auf meiner grau bepulliten Brust. Während ich mich durch die Touristen schlängele, entdecke ich die Kameracrews, die darauf warten, Promis zu sichten. Ich werde erwartungsvoll gemustert und in Windeseile als Nobody abgestempelt. Mir ist’s egal. Das Gleiche ist mir bei der Oscar-Verleihung passiert, und ich habe es trotzdem geschafft, einen Artikel unter meinem eigenen Namen in Scene zu veröffentlichen! «Pardonnez-moi», flöte ich, während ich mich durch die glotzende Menge quetsche und die Treppe hinauf zum Eingang steige. Ich muss peinlicherweise zugeben, dass ich mich ganz schön zickig benehme. Mit hochgezogenen Augenbrauen schwebe ich an den Touristen in ihren Gummizug-Jeans und Flauschjacken vorbei. Als ob Nell von meinem Geist Besitz ergriffen hätte, sehe ich sie mir an und denke, «wie traurig, dass ich so hip bin und ihr seid es nicht». Ich sage es sogar im Geiste mit britischem Akzent. Obendrein fällt mir dann auch noch ein französischer Ausdruck ein: «quel dommage». Wie schade. «Susanna!» Sasha sieht mich die Treppe hinaufsteigen und kommt herübergehastet. «Sash!», quietsche ich und verpasse ihr ein Luftküsschen: «Sie sehen zum Anbeißen aus!» 12 «Du hast dir deine Klamotten selbst ausgesucht?», unterbricht sie mich, während ihre Augen wild umherschießen. «Oui», antworte ich stolz und verrenke meinen Körper zu einer wunderbaren Pose. «Ich habe dir doch Klamotten per Kurier in deine Wohnung geschickt. Hast du sie denn nicht bekommen?», fragt Sasha panisch. «Schwarze Hosen und Blusen», antworte ich. «Ja und?» Ich sehe Sasha erstaunt an: «Aber Grau ist doch das neue Schwarz und Shorts sind die neuen Hosen!» Sasha schließt ihre Augen und stöhnt auf. Nicht gerade die Unterstützung für mein Selbstvertrauen, auf die ich gehofft hatte. Insbesondere, da ich die letzten zwei Wochen nur Rohkost ohne jegliche Tierprodukte zu mir nahm. «Der Trend ist schon so alt, dass er fast tot ist. Für dich, Susanna, wird Schwarz immer das neue Schwarz bleiben. Und dann auch noch Shorts …» Sie wirft einen angewiderten Blick auf meine grauen Bermuda-Shorts, die ich mir mit dem Angestelltenrabatt meiner Mutter bei Bloomingdale’s gekauft hatte, und schüttelt sich. In dem Moment findet hinter uns auf der Treppe ein I 13 Tumult statt. Ich habe keine Zeit, verletzt auf Sashas Benehmen zu reagieren. Sasha und ich drehen uns beide augenblicklich um die eigene Achse. Ich, immer noch wackelig auf meinen billigen Plateauschuhen. «Janet, Janet, Janet!» Die Menge ruft und drängt nach vorn. Sasha grabscht meinen Ärmel und zieht mich durch den Eingang ins Zelt. «Nell sucht dich schon», sagt sie noch, und: «Morgen ziehst du bitte an, was ich dir geschickt habe, o. k.?» Ich nicke, höre ihr aber nur mit halbem Ohr zu. Janet Jackson ist soeben in das Zelt der Modewoche spaziert und sie sieht einfach magnifique aus!
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