Focus: Das Plakat im Wahlkampf Mit «Kopfsalat» und Worthülsen Stimmvieh abholen Vier von fünf Personen mögen Plakatwerbung, so die APG (Allgemeine Plakatgesellschaft). Diese harmonische Beziehung zwischen Konsument und Medium mache «Out of Home Media» zu einer der wirksamsten und wirtschaftlichsten Formen kom merzieller Markenkommunikation. Wie aber steht es mit der Wirkung der Aussenwerbung, den Plakaten, im Wahlkampf? Wir wissen es nicht wirklich… Von Claude Bürki Als Dinosaurier aus der Gutenberg-Galaxis bekenne ich freimütig und ungeschützt: Das Plakat zählt für mich zu den bevorzugten Werbemedien. Für welchen Auftraggeber auch immer ich in meinem früheren Leben als Werber tätig war – wenn das Plakat im Medienmix Sinn machte, schlug mein Herz für dieses Medium, und es wurde flugs auf den Streuplan gesetzt. Oberstes Gebot war allerdings, dieses Printprodukt mediengerecht zu gestalten. Denn allzu häufig wurde und wird immer noch gegen dieses Gebot verstossen: Es gilt, mit ganz, ganz wenig Text die Botschaft auf den Punkt zu bringen. Und es gilt, visuell, dem Plakat einen ganz, ganz besonderen Hingucker zu verpassen. Es muss eben – plakativ sein! Besonders angetan haben es mir die Touristikplakate der Schweiz. Lang, lang ist’s her. Sie stammen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Plakate, gestaltet von Koryphäen wie Leupin, Müller-Brockmann, Piatti, Matter, Bundi, Brun, Roos u. a. m – you just name them. Sie prägten den Swiss Style, von dem wir heute nur noch träumen können. Trotzdem: Das Plakat ist immer noch allgegenwärtig. Wir begegnen ihm fast an jeder Strassenecke, auf dem Land an jeder Scheune (wo früher auch Email-Schilder hingen), in Hunderten von Bahnhöfen (wo noch vorhanden), an Bergbahnen, Skiliften, auf Campingplätzen, Schwimmbädern etc. Wie aber steht es mit der Plakatkunst, wenn Politiker in spe oder «Bisherige» vermarktet beziehungsweise gewählt oder wiedergewählt werden wollen? Ikonen Auch da gibt es Ikonen, die, wenn sie denn auch nicht gefallen, so doch auffallen. Die Schönheit liegt bei dieser Mediengattung nicht primär im Auge des Betrachters. Und da bei politischen Plakaten kaum je Schönheit angesagt ist, sind es andere Kriterien, die relevant sind. Den Machern stellen sich etwa Fragen wie: RechsteinerPlakat: Typografie als Gegensatz zur personen lastigen MainstreamGrafik. Was springt ins Auge? Was ist der Blickfang des Plakats? Welche Emotionen sollen geweckt werden? Wel- »pack’s!« + print 27 lenartigen Plakatstellen, die man heute in der Schweiz kaum noch sieht. Anders in den dreissiger Jahren, besonders in Deutschland. (Für die jüngeren Leser: Die Litfassssäule ist eine Anschlagsäule, an die Plakate geklebt werden. Sie wurde vom Berliner Drucker Ernst Litfass erfunden.) Adolf Nazi bekleckerte diese Säulen flächendeckend in seinem «Tausendjährigen Reich». Sie waren wichtiges Aggregat im Arsenal Goebbel’scher Agitation. Und leider wirkten sie. Leider sehr. Land des Lächelns Wenngleich sich die Werbemedien und die Kommunikationskanäle der politischen Parteien stark verändert haben, so spielt das Wahlplakat weiterhin eine bedeutsame Rolle in den Werbekampagnen der Parteien. Auch in diesem Jahr lächeln auf kantonaler und nationaler Ebene die Sieger und potenziellen Verlierer den Passanten oder Automobilisten an. Und was ebenfalls geblieben ist wie anno dunnemals: Über die Wirksamkeit von Wahlplakaten lässt sich herrlich streiten. Auch darüber, wie heute (noch) Werbung gemacht wird. So schrieb die «Werbewoche»-Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich unter der Schlagzeile «Wahlk(r)ampf» mit spitzer Feder: Erfrischend? che Personen oder Gegenstände stellt man dar – Gegner, Opfer, Zugehörige, Feindbilder oder Heldenfiguren? Werden Symbole verwendet? Farben, welche dominieren? Wie lang ist der Text? Welcher Texttyp – Information, Argument, Parole, Appell? Wie ist das Grössenverhältnis Text zu Bild? Und: Welche politischen und gesellschaftlichen Einstellungen veranschaulicht das Plakat? Was ist die Absicht? Welche Ängste, Hoffnungen sollen angesprochen, welcher Gesamteindruck erzielt werden? Aggressiv, dramatisierend, dynamisch, argumentierend, karikierend? Kurz: Plakatgestaltung ist anspruchsvoll, besonders unter der Maxime «reduce to the max». Früher lächelten oder drohten politische Protagonisten jeglicher Couleur von Litfasssäulen herunter, den säu- «Wahlwerbung ist im letzten Jahrhundert stecken geblieben. Sich die Samstage vor Einkaufszentren um die Ohren zu schlagen und Luftballons zu verteilen, ist Wählerwerbung von gestern. […] Plakate sind gut. Aber trifft Politwerbung auf F12(-Plakaten) wirklich noch den Zeitgeist? Kann sie noch bewegen? Nur mit gut gemachten Sujets. Wie es nicht geht, zeigte beispielsweise die FDP: ‹Mit Herzblut und Weitblick›. Dieses Plakat war so unsäglich schlecht gestaltet und frei von Botschaft, dass es schon wieder einen gewissen Unterhaltungswert hatte. […] Die zwei (FDP-Kandidaten) wurden zwar gewählt, das ist angesichts eines solchen Plakats aber mehr als erstaunlich.» Themen statt Köpfe Medienjournalist und Kommunalpolitiker Ueli Custer gibt sich ebenfalls ambivalent: «Es wäre hochinteressant herauszufinden, was überhaupt wirkt. Man sollte eine geeignete Instanz beauftragen, dieser Frage in einer Studie nachzugehen – welche Botschaft nehmen die Erfolg und Sicherheit für den Etikettendrucker www.gallus-group.com 28 »pack’s!« + print Ein Mitglied der Heidelberg-Gruppe Wähler mit, was zieht sie an, was stösst sie ab? Wir haben beispielsweise in einem bestimmten Jahr überhaupt nichts in Sachen Werbung unternommen – und der Kandidat hat den Sitz gewonnen. Ein anderes Jahr wiederum haben wir viel Werbung gemacht – der Kandidat ging leer aus. Um aufzufallen, ist es sicher wichtig zu provozieren, zu polarisieren. Es stellt sich dabei auch immer wieder die Frage: Wie werben wir, mit Themen oder Köpfen?» Custer betont, dass die SVP diesbezüglich am meisten Erfahrungen habe. Die Plakate dieser Partei würden häufig mediatisiert. Die Werbewirkung (ob negativ oder positiv) potenziert sich dergestalt gewaltig. (Kredo der damit beauftragten Agentur Goal: «Kampagnen, die bei der Zielgruppe keine Reaktion hervorrufen, sind rausgeschmissenes Geld.») Custer taxiert das Plakat nach wie vor als wirtschaftliches Medium im Wahlkampf, zumal an «wilden» Plakatstellen. Die anderen seien kaum mehr bezahlbar. Social Media und Botschaften im Internet wiederum sind für ihn «obskur», sind die Kanäle der Jungparteien. Dazu schreibt die NZZ: «In den USA bilden soziale Medien wie Facebook, Instagram oder Twitter bereits seit längerem ein wichtiges Element in den Kampagnen der Demokraten und Republikaner. Hillary Clinton etwa folgen mehr als 2,3 Millionen Personen. Ein Blick auf die Kandidaten für den Zürcher Kantonsrat zeigt: Nur die wenigsten zwitschern regelmässig.» Allgemein sei die Wirkung von Social Media höher, wenn es um Abstimmungen über Sachthemen und nicht um Köpfe gehe, so Andri Silberschmidt, Präsident der Jungfreisinnigen. Immerhin, sehr plakativ: Wendekanzler Helmut II. Authentizität als Erfolgsfaktor In der St. Galler Kulturzeitschrift «Saiten» schreibt Ralph Hug zum Thema: «Ein Kopf, ein Claim, ein symbolischer Hintergrund – nach diesem Strickmuster werden Tausende von Wahlplakaten gestaltet.» Er beschreibt in «Sai- Best in class Chromos Digital ist Komplett anbieter der Premiummarke HP Indigo. Druck in Perfektion für höchste Ansprüche. Weitere Informationen unter: www.chromos.ch »pack’s!« + print 29 Es hat sich kaum etwas geändert: Kopfsalat und Worthülsen dominieren. ten» den Werdegang eines Wahlplakats für Paul Rechsteiner (Kampagne als Ständerat). «Die Wahl galt als Sensation. Ist Rechsteiner wegen des ungewöhnlichen Plakats gewählt worden? Sicher nicht. Aber der Aushang brachte gestalterisch die Alternative zum Ausdruck, die seine Kandidatur politisch darstellen sollte. Wie kam dieses Plakat zustande? Rechsteiners Team legte am Anfang einige Ziele fest. Das wichtigste war, dass der Aushang zum Profil des Kandidaten passen müsse. Es sollte nicht aufgesetzt wirken, sondern Authentizität ausstrahlen.» Der Gestalter Jonas Voegeli, der das Plakat schuf, beging dabei einen Regelbruch und fokussierte auf die Typografie. Hug: «Dadurch schuf er einen Gegensatz zur personenlastigen Mainstream-Grafik.» Nach nüchterner Auseinandersetzung mit der Werbewirkung von Wahlplakaten stellt sich die ketzerische Frage, ob diese überhaupt etwas bringen? Sie sind zweifellos dazu angetan, den Wählern und Wählerinnen (vulgo: Stimmvieh) die Kandidaten näher zu bringen. Sie setzen markante Akzente. Politik erhält damit im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht. Ausufernde Botschaften, die eine umfassende Meinungsbildung erlauben, sind hingegen schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Jedoch lässt sich ein zentraler, ins Gewicht fallender, profaner Nutzen nicht leugnen: Wahlplakate bläuen uns jedes Mal, wenn wir daran vorbeifahren oder -laufen, ein, dass demnächst Wahltermin ist. Das tun sie, redundant und einprägsam. Aber mit banalem Bolzen von Aufmerksamkeit ist es längst nicht getan. Das Stimmvieh fällt nicht auf Effekthascherei ein. 30 »pack’s!« + print Werbeträger Litfasssäule. Drucker Litfass hatte die Idee. Wie Schmetterlinge Die inhaltliche Konzeption eines Wahlplakats ist und bleibt eine grosse Herausforderung. Gute Wahlplakate sind mehr als Selfies in Grossformat, unterfüttert mit zahnlosen Slogans und dümmlichen Wortspielereien. Wahlplakate sind, wenngleich nicht Königsdisziplin im Rahmen von Wahlkampagnen (wie etwa die Medienarbeit), oft nur zahlreich statt geistreich. Sie sind aber immer ein schillerndes Puzzleteil im Medienmix beim Buhlen um die Gunst der Wählerinnen und Wähler. Der lästige Wink mit dem Zaunpfahl am Strassenrand – er wirkt nach wie vor! Auch wenn wir des Kopfsalates und der zahnlosen Slogans schon nach erstmaligem Hinsehen überdrüssig sind. Offenbar sind es jedoch nicht alle. Ein Twitterer schrieb: «Wahlplakate sind wie Schmetterlinge. Sie sind wunderschön, leben aber nur wenige Tage. Und nach einem Wahlwochenende werden diese Manifeste der Demokratie wieder aus dem Landschaftsbild verschwinden.»
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