Versöhnung Teil 2 Predigt zum Thema Versöhnung

Stefan Moll, Pfarrer
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Versöhnung Teil 2
Predigt zum Thema Versöhnung
Eine Meditation zu den Seligpreisungen aus Matthäus 5, 1 – 12
Es gehört zu unserem Leben, dass wir Unrecht und Gemeinheiten von anderen ausgesetzt sind.
Doch was heisst das für uns? Es gibt verschiedene Weisen, damit umzugehen:
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Eine Variante ist, dass wir die ganze Geschichte in die Schublade stecken, in welche jene Dinge hinkommen, die wir niemals vergessen werden. Dann denken wir: „Das merke ich mir!“.
Wir hadern, nehmen es mit, behalten es bei uns selber. Niemals werden wir vergeben. Wir
lassen uns nicht noch einmal enttäuschen! Anders gesagt: Wir tragen dem Unrecht, das geschehen ist, Sorge. Wir bleiben unversöhnt.
Diese unversöhnte Haltung ist weit verbreitet. Das Problem daran ist nur: sie macht uns unglücklich. Wir sammeln auf diese Weise einen Haufen Bitternis in uns an, und es wird uns
zunehmend schwer fallen, anderen zu vertrauen. So wird Unrecht, das uns angetan wurde,
chronisch und plagt uns weiterhin. Mit dieser Haltung bekommen wir lebenslänglich. Wir
bleiben Gefangene der alten Geschichten. Nicht jene, die uns Böses angetan haben, leiden,
wir selber tragen schwer. Das kann man natürlich. Aber wollen Sie das wirklich? Wir sind
selber dafür verantwortlich, wie wir mit dem, was geschehen ist, umgehen.
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Die andere Möglichkeit ist, dass wir Versöhnung anstreben, wie es Jesus Christus geboten
hat. Weil Christus uns frei und glücklich machen möchte, hat er mit deutlichen Worten geboten, dass wir einander vergeben sollen. Als Petrus fragte: „Wie oft muss ich vergeben“, sagte
Jesus: „Nicht sieben-, sondern siebzigmal.“ Anders gesagt: Immer.
Das wiederum setzt viele Christen unter Druck. Wir müssen vergeben. Meiner Erfahrung
nach schlucken viele Christen ihre Gefühle einfach hinunter. Dann höre ich in der Seelsorge
Sätze wie diesen: „Ich habe vergeben, aber ich kann es einfach nicht vergessen“. Es wurmt
immer noch. Wer so fühlt, wird sich jenen gegenüber, die Böses getan haben, pfleglich benehmen. Er bemüht sich, die Beziehung zu normalisieren. Aber im Bauch wühlt die alte Geschichte noch immer. Sie ist eben nicht vorbei.
Heute machen wir uns Gedanken, wie Versöhnung möglich ist, ohne dass ich mir einen Zwang
antue. Flora Wuellner1 zeigt, wie ein versöhntes Leben ein glückliches Leben ist. Sie tut das mit
einer Meditation zu den Seligpreisungen Jesu. Selig bedeutet ‚glücklich’. Versöhntes Leben ist ein
glückliches Leben. Aber der Weg dahin ist nicht eben einfach. Es gilt, ihn ganz zu gehen, ohne
unerlaubte und unmögliche Abkürzungen. Auch wir machen uns jetzt auf! Es mag manchmal
mühsam und schmerzhaft sein, aber es lohn sich. Es gibt keine Alternative zu versöhntem Leben.
Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Es ist keine Frage: Uns wird Unrecht zugefügt (und wir fügen anderen Unrecht zu). Manches,
was wir seit unserer Kindheit erleben, ist zutiefst verstörend, verletzend, prägend. Der Schmerz
bleibt. Und Schmerz tut weh. diese Gefühle drücken wir oft einfach weg. Wer möchte schon den
Lebensschmerz fühlen. Das kann zu viel sein, zu überwältigend.
Aber genau das ist der Weg. Im ersten Schritt lassen wir uns auf die eigene Armseligkeit ein. Auf
den Schmerz, den Hader, die Bitternis, die Trauer, die Angst, die Wut, die Enttäuschung, die eigenen Fehler... Wir stellen uns den Gefühlen. So anerkennen wir die eigene Armseligkeit. Das ist
nicht so toll, was wir da nach-fühlen. Auf der einen Seite wird darin offenbar, wie verletzlich und
verletzt wir sind. Da ist viel zusammengekommen. Auf der anderen Seite sehen wir, wie bitter
und vergiftet viele Gefühle sind.
Aber es ist ein würdiger Weg. Wenn ich mich diesen Gefühle stelle, anerkenne ich den Schmerz
und das Unrecht. Ich erkenne, wie unzulänglich ich damit umgehe. Ich sehe, dass es keine Möglichkeit ist für mich, zu verzeihen und versöhnt zu leben.
Darum bitten wir Jesus Christus, uns zu unseren eigenen Gefühlen zu führen. Wir bitten darum,
aufzudecken, wie es uns mit den Gemeinheiten von anderen geht. Wir beten, die eigene Armseligkeit zu erkennen.
Armselig ist ein spannendes Wort. Es nimmt unsere innere (und äussere) Armut auf und verbindet sie mit dem Wort ‚selig’. Glücklich! Jesus zeigt uns: In der eigenen Armut erfahren wir das
Himmelreich. Der erste Schritt zur Versöhnung ist: Mich der eigenen Armseligkeit stellen.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Der nächste Schritt zur Versöhnung besteht darin, das Leid zu tragen. Zorn und Schmerz gehören zusammen. Diese Gefühle tragen und ertragen wir damit. Es gibt keinen Weg zur Versöhnung, der an der Enttäuschung oder der Wut vorbeiführt. Diese Gefühle wollen erfühlt sein.
1
Wuellner Flora, Heilende Vergebung, Leben aus den Seligpreisungen. Stuttgart 2002 (vergriffen)
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Dazu brauchen wir einen sicheren Ort. Einen geborgenen Raum, an welchem unser Leid Platz
hat. Das kann in einem Seelsorgegespräch sein. Oder auf einer Wanderung. Wir brauchen den
Ort, wo Tränen möglich sind – auch für Männer!
So kommen wir zu uns selber. Wir trennen unsere Gefühle vom Ursprung des Unrechts ab. Denn
wenn einer so richtig fies war zu uns: Er ist nicht wütend darüber. Er ist nicht empört und leidet
nicht an dem, was er angerichtet hat. Wir tragen das Leid selber. Lassen wir uns in einen Raum
führen, in dem wir Leid tragen können, kommen wir zu uns. Wir anerkennen die eigenen Gefühle, ob sie nun berechtigt sind oder nicht.
Dieser Schritt ist anstrengend, schweiss- und tränentreibend. Aber wir tun ihn, denn im Vertrauen auf Jesus Christus hören wir auch die Verheissung dazu: Selig sind, die da Leid tragen;
denn sie sollen getröstet werden. Wo wir uns dem Leid stellen, erhoffen wir echten Trost.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Nun geht es darum, sanftmütig zu werden. Im Begriff ist das Wort Mut enthalten. Nachdem wir
Leid getragen haben, steigen wir aus der Opferrolle aus. Wer sich als Opfer von Unrecht fühlt,
bleibt diesem weiterhin ausgesetzt. Solange wir Opfer sind, dauert das Unrecht an. Aber es ist
auch eine bequeme Haltung, die uns vor der Auseinandersetzung bewahrt.
Wir haben anerkannt, dass uns Unrecht getan wurde. Wir sind Getroffene, wurden beschädigt.
Und doch ändert sich etwas fundamental. Wir haben das, was geschehen ist, angenommen, ohne
dass wir es geschönt hätten. Indem wir es anerkennen, demütigt es uns nicht mehr, obwohl es so
geschehen ist.
Sanft zu werden bedeutet: wir kooperieren nicht mehr mit dem, was uns demütigt. Sanftmütigkeit bedeutet gerade nicht, dass wir unterwürfig werden. Wir hören auf, Opfer zu sein. Wir baden nicht mehr im Schmerz. Jetzt übernehmen wir Verantwortung für unsere Gefühle. Wir entziehen uns damit jenen, die uns Unrecht tun.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Jetzt geht es darum, eine klare Entscheidung zu treffen. Wir Entscheiden uns zur Gerechtigkeit.
„Alles was Recht ist“, sagen wir.
Wir stoppen das Unrecht. Grenzüberschreitungen erlauben wir nicht mehr. Wir setzen gültige
Grenzen. Wir sagen zu uns und zum anderen: Das ist nicht recht, wenn du so mit mir umgehst.
Ich will das nicht (mehr). Wir fassen den Mut, mit dem Chef, der uns plagt, ein offenes Wort zu
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sprechen. Fast noch wichtiger ist das gegenüber dem Unrecht aus der Vergangenheit. Wir
erlauben ihm nicht mehr, weiter in uns zu dringen und uns zu bedrängen. Wir ziehen die Grenze.
Zu einem versöhnten Leben gehört auch, dass wir das Unrecht bearbeiten. Es muss beim Namen
genannt werden. Manchmal tun wir das, indem wir das Gespräch suchen. „Ich muss mit dir mal
etwas besprechen...“. Manchmal braucht es für ein solches Gespräch eine Leitung, z. B. durch den
Pfarrer. Wir sagen einander das Unrecht, das wir erlebt haben.
Manchmal ist das nicht möglich. Manche Menschen sind so kaputt, dass sie beim Bösen bleiben
wollen oder alles abstreiten. Andere verweigern ein klärendes Gespräch, weil sie davor Angst
haben. Und manche – nicht zuletzt auch unsere Eltern – könnten schon tot sein. Dennoch: ich
kann auch hier die Grenzen ziehen und – wenigstens vor mir selber – verstehen, was Recht ist
und was Unrecht. Es geht darum, dass die Grenzen klar werden und ich für mich klar sehe, wo
das Unrecht beginnt. Es ist eigenartig, wie sehr sich diese Grenzen sonst verwischen.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Jetzt – und wirklich erst jetzt – üben wir Barmherzigkeit. Vielleicht merken wir, dass die Sache
komplizierter ist, als wir denken. Barmherzigkeit bedeutet, dass wir das Unrecht noch in einem
anderen Licht sehen können.
Es gibt vielleicht Gründe, warum jemand Böses tat. Ein Vater, der zu Hause gewalttätig ist, hat ja
vielleicht selber eine fürchterliche Kindheit gehabt. Oder der Chef, der mich drangsaliert, steht
unter enormem Druck. Das entschuldigt nichts, aber es erklärt manches.
Vielleicht muss ich manchmal auch verstehen, dass ich selber an einer miesen Geschichte beteiligt bin. Ich anerkenne, dass ich vielleicht auch selber dazu beigetragen habe, dass eine elende
Geschichte geworden ist. Das erfahre ich, wenn ich mich frage: „Wo hat in diesem Fall der andere
recht? – Wo liegt ein Stück der Wahrheit bei ihm?“
Auch das ist eine innere Entscheidung: Barmherzig zu sein. Auch als Christen dürfen wir diesen
Schritt nicht über alle anderen Schritte setzten. Aber jetzt, nach allem anderen, wird Barmherzigkeit möglich.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Friedfertigkeit ist ein Geschenk. Sie wächst. Im ganzen Prozess zur Versöhnung erfahren wir,
wie Gott uns verändert. Frieden in der Bibel bedeutet: Ganz sein. Was zerbrochen ist, kann wieder heil werden. – Ob die Beziehung zu jemandem, der mir Unrecht tat, einfach so wieder gut
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wird, ist nicht sicher. Aber ich gewinne meinen Frieden. Ich werde zufrieden – weil ich frei bin
vom Unrecht. Es ist nicht so, dass wir wie mit einem Zuckerguss eine heile Welt gewinnen. Aber
meine Welt wird heil. Und das ist gut so.
Schalom – Friede – Ganzheit ist eine Gabe Gottes. Im Gebet suchen wir die Nähe Gottes – und
erfahren den Frieden. Zerbrochenes wird – wenigstens in uns – wieder ganz. Unsere Chance zur
Versöhnung besteht darin, dass wir uns mit allem Gott anvertrauen. Mit unserer Armseligkeit,
unserem Leid, in Sanftmut und mit dem Hunger nach Gerechtigkeit. Wir erbitten und erleben,
wie Versöhnung möglich wird.
Baden, den 01. November 2015 / svm
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