Sport sonntagszeitung.ch | 29. November 2015 35 Abpfiff Eintönig – aber nicht langweilig Dass die Formel-1-Saison 2015 nicht leicht zu verkaufen war, räumte selbst der Chefvermarkter früh ein. «Jeder erwartet, dass Lewis Hamilton seinen Titel verteidigt. Die Erwartungen erfüllen – darum geht es. So ist es eben in diesem Jahr», sagte Bernie Ecclestone. Bereits vier Rennen vor Saisonschluss stand fest, dass Hamilton sein Vorhaben glückte. Der Weltmeister von 2014 ist auch der Weltmeister von 2015. Schon ein Rennen zuvor war klar gewesen, dass der Konstrukteurs-Titel überlegen an Mercedes ging. Wie 2014. Die Rennserie war geprägt durch eine erdrückende Dominanz. Zwischen dem Saisonstart im März in Melbourne und dem Saisonfinale heute Sonntag in Abu Dhabi ist bis auf viele Siege, bei denen die Protagonisten Silber trugen, wenig passiert. So sieht es aus. Dieser Eindruck aber täuscht. Tatsächlich schrieb die Saison sogar besonders viele Geschichten, die über das Jahr hinaus wirken werden. Lewis Hamilton kann sich keineswegs sicher sein, dass sein Lauf 2016 anhält. Neben seinem Teamkollegen Nico Rosberg, der mit zwei Siegen unmittelbar nach Hamiltons Krönung seinen Kampfgeist unterstrich, ist ihm ein weiterer ernst zu nehmender Gegner erwachsen: Sebastian Vettel. Dem 28-jährigen Deutschen glückten im Premierenjahr mit Ferrari mehr als ein paar Achtungserfolge. 2016 will Vettel nach seinem fünften Titel greifen, Hamilton nach seinem vierten. Zwei Grossmächte befinden sich auf Kollisionskurs. Zwei Grossmächte befinden sich auf Kollisionskurs Vor kurzem noch ein Freizeitsportler, hat Steve Hiestand nun die Olympiateilnahme für sein Geburtsland im Visier Foto: Keystone Der Träumer will nach Rio de Janeiro rudern Aus dem Leben des Ruderers Steve Hiestand, der an den Olympischen Spielen für Brasilien starten will Marco Keller Wädenswil Wer es in Wädenswil schafft, der kann es überall schaffen. Eine leicht ironische Aussage, an den Klassiker von Frank Sinatra angelehnt, gefunden auf der Website von Steve Hiestand. Nun, das Städtchen am Zürichsee hat kaum Gemeinsamkeiten mit New York, Hiestands Botschaft ist aber klar: Tellerwäscherkarrieren können überall lanciert werden. Seine startete er vor dreieinhalb Jahren eben dort im Bezirk Horgen. In neun Monaten soll sie in Rio ihre Krönung finden. Dank des brasilianischen Passes will der Doppelbürger an den Olympischen Spielen im Skiff für sein Geburtsland antreten. Damals, im Sommer 2012, habe er sich plötzlich gefragt, ob er nicht versuchen solle, sich zu qualifizieren. Aus dem Nichts heraus, Hiestand war lange Jahre nicht mehr wettkampfmässig gerudert: «Das war der Brasilianer in mir, der Träumer, der dachte, alles ist möglich.» 27 Jahre alt war der in São Paulo geborene Sohn eines Schweizers und einer Brasilianerin damals. Die Familie war in die Schweiz zurückgekehrt, als Steve Hiestand vier Jahre alt war, seit der Kindheit lebt er seither in Wädenswil. Der Rudersport war zwischen 9 und 21 fester Bestandteil seines Lebens gewesen, Medaillen gewann er vie- le, aber nie eine goldene. «Ich habe nicht alles gegeben, dachte nie, ich werde der nächste Xeno Müller.» Dann der Bruch mit der Sportart, nicht aber mit den Ausdauerdisziplinen. Hiestand nahm am Ironman Switzerland 2011 teil. Parallel dazu wollte er seine Erfahrungen als Coach, Fitnessbetreuer und Personal Trainer weitergeben und kam so zur Leistungsdiagnostik. Mit seinem Bruder und einem Geschäftspartner erfüllte er sich einen Traum, gründete die Vitality Stream GmbH. Sportler aller Leistungsstufen kamen nun nach Wädenswil, um ihre Leistungen messen zu lassen und dort sogar zu trainieren, sogar Teilnehmer am Ironman in Hawaii. Aus Neugier verglich Hiestand deren Werte mit seinen eigenen und realisierte: «Ich bin nicht so weit weg.» Das Comeback war lanciert. Der Gratis-Tipp des 80-jährigen Trainers Wenige Monate später, die Euphorie war nach dem zweiten Dämpfer in der zweiten Regatta der Ernüchterung gewichen, stand plötzlich Bruno Schnyder vor ihm. Der frühere Trainer von Weltmeisterin Pia Vogel, trotz seiner 80 Jahre voller Energie wie ein Twen, hatte einen Gratis-Tipp: «Du musst mit den Ruderblättern die Fische im Wasser töten, nicht nur die Vögel.» Auf Hiestands Bitte, ihm beim Be- heben der Defizite zu helfen, antwortete Schnyder: «Trainingsstart ist morgen um 9 Uhr.» Hiestand konnte gerade noch seinen Kunden absagen. Mit einem Nachsatz: «Ich werde künftig am Vormittag keine Zeit mehr für euch haben.» Niemand sei abgesprungen, alle hätten seinen Traum unterstützt, sagt er. Der Modellathlet sitzt an diesem Dienstag am Firmenstandort, mit hoher verbaler Schlagzahl hält er Rückschau. Und er betont noch einmal: «Ohne die Hilfe und das Verständnis meines Umfelds wäre es nicht gegangen.» Es ist noch immer eine intensive Zeit: Wie seither jeden Tag hat er auch heute schon zwei Stunden mit Schnyder auf dem Sihlsee trainiert. Später wird er ein Personal Training leiten, Büropendenzen abtragen und 90 Minuten auf Velo oder Ergometer schwitzen. Arbeitsende ist oft erst gegen 21 Uhr, danach verbringt er noch ein paar Minuten mit seiner zukünftigen Frau. Am nächsten Samstag findet die Hochzeit statt. Verständlich, sagt Hiestand: «Im Moment ist meine grösste Herausforderung, alle Termine unter einen Hut zu bringen.» Alle Telefonate und E-Mails blieben unbeantwortet Stress ist sich der 31-Jährige gewohnt, auch wegen der Beziehung zum brasilianischen Verband, die sich anfänglich äusserst schwierig gestaltet hatte. Seine Versuche, diesen über die Existenz eines Olympiakandidaten namens Hiestand zu informieren, scheiterten lange, alle Telefonate und E-Mails blieben unbeantwortet. Besserung trat erst ein, als er am Rotsee einen brasilianischen Coach kennen lernte. Dieser nahm ihn in seinen DreiMann-Club auf, den Clube de Regatas Loureiro. Kein Vergleich mit Flamengo, Botafogo oder Vasco da Gama, den grossen Traditionsclubs, die neben Fussballsektionen auch viel ältere Ruderabteilungen unterhalten. Für Hiestand war es aber das Eintrittsticket in eine neue Ruderwelt. Mit dem 3. Platz an der brasilianischen Meisterschaft 2013 wurde er plötzlich interessant. Seine Anrufe wurden nun entgegengenommen, Fragen beantwortet, im Herbst dieses Jahres kam der Präsident nach Wädenswil. Schliesslich ist Hiestand jetzt die klare Nummer 1 im Skiff und hat sich an den Weltcups und der WM in den C-Finals etabliert. An der kontinentalen Selektionsregatta im März in Chile braucht er wohl den 5. Platz für das Olympiaticket, seine Chancen beziffert er auf 90 Prozent. «Ich will aber gewinnen, nur wenn ich klar der Beste bin, kann ich Diskussionen verhindern.» Einige Leute hätten immer noch das Gefühl, er würde einem Brasilianer etwas wegnehmen. Spannung ganz anderer Art ist an anderer Stelle geboten. Die Bühne wackelt wieder einmal gewaltig – und es ist ungewiss, ob alle Darsteller mit von der Partie bleiben. Red Bull hat sich mit dem ungeschickten Zickzackkurs in der Motorenfrage (erst weg von Renault, dann wieder zurück zu Renault) in eine Position manövriert, in der Siege unwahrscheinlich erscheinen. Die aber fordert Firmen-Chef Dietrich Mateschitz. Bleiben sie aus, könnte er die Lust an seinen beiden Teams Red Bull und Toro Rosso verlieren. Dann würden auf einen Schlag vier Autos fehlen. Eine noch tiefer greifendere Änderung könnte das ganze Geschäft aus Brüssel erfahren. Dort haben zwei Teams bei der EU-Kommission eine Beschwerde deponiert. Sauber und Force India fühlen sich durch den Schlüssel, nach dem aktuell die Einnahmen aus der Vermarktung verteilt werden, und den Fakt, dass nicht alle Rennställe bei Regeländerungen die gleichen Mitspracherechte haben, entscheidend benachteiligt. Folgen die Wettbewerbshüter ihrer Argumentation, wird sich die Machtarchitektur der Formel 1 grundlegend ändern müssen. Sportliche Zuspitzung, aufkeimende Ungewissheit, sportpolitische Händel: Die Saison mag eintönig gewesen sein. Langweilig aber war sie nicht. René Hofmann über die Formel-1-Saison, die heute in Abu Dhabi zu Ende geht 29. November 1899 Seriengründer Gamper Heute vor 116 Jahren gründete Hans-Max «Joan» Gamper den FC Barcelona. Für den Schweizer muss der Akt fast schon eine Routineangelegenheit gewesen sein, denn zuvor hatte er in der Heimat bereits den FC Excelsior Zürich und später auch den FC Zürich mitgegründet. Dazwischen hatte Gamper (*1877) auch beim FC Basel gespielt. Er war ein hochtalentierter Sportler, spielte in seiner Jugend auch Rugby, Tennis und Golf, bestritt Radrennen und Schwimmwettkämpfe. Nach Barcelona verschlug es Gamper 1898 als 21-Jährigen, er wollte seinen Onkel besuchen – und blieb. Für den FC Barcelona schoss er in vier Saisons in 51 Spielen 120 Tore. Später amtete er lange Jahre als Präsident, musste aber wegen «Katalanismus» 1925 zurücktreten. Vier Jahre später verlor er in der Weltwirtschaftskrise sein ganzes Vermögen, im Jahr darauf beging er Suizid. (ebi.)
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