01 : Jung Chang/Jon Halliday - Mao

01 : Jung Chang/Jon Halliday - Mao - The
Unknown Story
Seit Monaten ist das Buch ein Hingucker in den Buchläden der Republik. Ein kiloschwerer
knallroter Wälzer, auf dem Cover das zerrissene Porträt des Großen Vorsitzenden: „Mao –
das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes“, von Bestsellerautorin Jung Chang und
ihrem
Ehemann
Jon
Halliday.
Zwischen Sensation und Katastrophe
Für das Feuilleton ist das Werk „sensationell“, „räumt auf mit alten Legenden“. Auch im
Magistranden- und Doktorandenkolloquium des Instituts für Sinologie der Universität
Heidelberg wird das Werk diskutiert: Für Sinologen ein Muss, denn das Bild, das hier der
Öffentlichkeit vermittelt wird, ist zwar nicht falsch, aber dennoch eine „Katastrophe“, wie es
auch Institutsleiterin Barbara Mittler formuliert.
Es scheint konsensfähig geworden zu sein, in Hitler und Stalin die tyrannischen Zwillinge des
20. Jahrhunderts zu sehen. Jung Chang und Jon Halliday möchten mit ihrer Biografie zeigen,
dass Mao der größte Despot aller Zeiten war, „verantwortlich für über 70 Millionen Tote in
Friedenszeiten“. Chang und ihr Mann, ein britischer Historiker, haben zu diesem Zweck
zwölf Jahre in erstmals öffentlich gemachten, vor allem sowjetischen Archiven recherchiert
und Hunderte Zeitzeugen interviewt, darunter viele Mitarbeiter und Familienmitglieder Maos.
Es erstaunt, dass bei all dieser Mühe nichts weiter herausgekommen ist als eine 976-seitige
Brandschrift.
Ein "Buch der Enthüllungen" ?
„Das Problem sind nicht die Inhalte, die sind zum größten Teil so korrekt wie unspektakulär,
sondern die Art ihrer Aufbereitung“, sagt Barbara Mittler. In der sinologischen Forschung
sind Maos Untaten hinlänglich bekannt, die Zahlen und schockierenden Beispiele, die Chang
anführt, nichts Neues. Und doch wird ihre Biografie als ein „Buch der
Enthüllungen“ gepriesen.
Die Kolloquiumsteilnehmer können sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Changs Einfluss
sich eher auf ihren Erfolg als Romanautorin und ihre chinesische Herkunft stützt, denn auf
wissenschaftlich korrektes Vorgehen. Ihr autobiographischer Erstling „Wilde Schwäne“ von
1992 war mit mehr als 10 Millionen verkauften Bänden ein weltweiter Bestseller. „Als
Chinesin, die selbst von den Schrecken der Kulturrevolution betroffen war, schreibt und
spricht sie dort als Autorität und wird als solche wahrgenommen. Dieser Hintergrund verleiht
ihrer Botschaft auch jetzt wieder Authentizität.“, sagt Mittler. Zu fürchten ist, dass mit dem
populären Erfolg dieses Mammutwerks die Bemühungen der modernen Chinawissenschaften,
ein differenziertes Bild von Mao und seiner Rolle in der chinesischen Geschichte zu zeichnen,
zu
nichte
gemacht
werden.
Mao als Romanfigur
Den Sinologie-Studenten fällt es schwer, das Werk einem Genre zuzuordnen: Fachbuch,
Sachbuch, Belletristik? Der renommierte amerikanische Sinologe Jeffrey Wasserstrom,
vergleicht die Biographie mit Fantasy-Literatur. Ein Buch über Chinas Führerfigur neben
„Herr der Ringe“ und „Harry Potter“? Was inhaltlich kaum unterschiedlicher sein kann,
ähnelt sich methodisch stark.
Mao wird nicht als historische Person dargestellt, sondern erscheint wie eine Romanfigur.
Phrasen wie „Eines Tages...“, oder „Einmal, als... “ und eine Erzählhaltung, die anders als
eine wissenschaftliche Arbeit, nicht verschiedene Urteile gegeneinander abwägt, sondern aus
allwissender Perspektive schwarzweiß malende Anekdoten aneinanderreiht, verstärken diesen
Eindruck.
Ungenau trotz 50 Seiten Quellenangaben
Das Buch richtet in 58 Kapiteln den Fokus der Darstellung alleine auf Mao: als Kind, als
junger Lehrer, als Rivale Chiang Kai-sheks, als Gegner Stalins. Stets ist dabei die Rede von
Maos Winkelzügen, die alleine darauf abzielten seinen Machthunger zu stillen. Die Autoren
kennen Maos Innerstes, sie wissen genau, wie er, in jeder Situation, die Dinge sah, empfand
und für sich nutzte. Dem Leser sollte das Buch in dieser einseitigen, andere
Interpretationsmöglichkeiten völlig aussparenden Sichtweise im Verlauf der Lektüre immer
unglaubwürdiger werden, abgesehen davon, dass die meisten Quellenangaben im Text trotz
der 50-seitigen, auch für Sinologen nützlichen, Bibliographie (die russisch- und chinesischsprachige Quellen mit einschliesst), meist unzureichend oder ungenau sind.
Fazit des Kolloquiums: Kritik an diesem Buch ist nicht Verteidigung der Untaten Maos.
Doch derart manipulative Darstellungen von Geschichte, die einer weltweiten Öffentlichkeit
als „letztgültige Wahrheit“ präsentiert werden, können und dürfen Wissenschaftler nicht
unkommentiert
lasssen.
Oliver
Radtke
Jung Chang, Jon Halliday
Mao - The Unknown Story
Jonathan Cape Ltd (2005)
ISBN: 0224071262
EUR 19,95