Hausbesuch Wenn der Müllmann niemals klingelt Kann man leben, ohne Müll zu produzieren? Ja! Sagt Olga Kroll, Zero Wasterin aus Köln. Auch mit einem Vier-Personen-Haushalt TEXT: Kathrin Wilkens 45 Hausbesuch E Es gibt viele dämliche Hochzeitsgeschenke. Eine Erstausgabe von „Sorge dich nicht, lebe“ zum Beispiel. Oder einen Fön mit Trockenhaube (Achtung, Wortspiel: „unter die Haube bringen“). Für Olga Kroll wäre das dämlichste Geschenk, das man ihr zur Hochzeit machen könnte, ein Mülleimer. Olga Kroll ist Zero Wasterin, also macht sie zero – null – Müll. Also braucht sie auch keinen Mülleimer, noch nicht mal einen auf ihrer eigenen Zero-Waste-Hochzeit. Zero Waste? Wie, bitteschön, feiert man eine Hochzeit, bei der kein Müll, überhaupt keiner, anfällt? Einladungskarten, Konfetti, Geschenkpa pier: Wenn man ehrlich ist, ist schon der ganze Brautstaat eine einzige Müllverschwendung – wenn auch einer der schönsten, die man sich vorstellen kann: Strumpfband für die Braut, Schleier und weiße Brautschuhe. Haben Sie die eigentlich jemals wieder getragen? „Man kann die Einladung per Mail verschicken“, sagt Olga Kroll. „Oder statt Konfetti Reis verwenden. Und Geschenke lassen sich auch hübsch in bunten Tüchern verpacken – wenn man denn überhaupt Geschenke braucht, um glücklich zu sein. Geschenke wollen wir nicht, auch keine niedlichen Geldscheine, die als Ente gefaltet in einem Zellophansee schwimmen. Und mein Hochzeitskleid lasse ich aus gebrauchten Stoffen zusammennähen. Vintage.“ Spätestens jetzt ist klar, dass es der 31-jährigen Architektin bitterernst ist damit, ihren Müllverbrauch zu senken, um die eigene Lebensqualität zu steigern – und die ihrer Umwelt. Denn Ressourcenverantwortung nutzt immer auch auch der Gemeinschaft. „2013 habe ich einen Zeitungsartikel gelesen, in dem stand, dass es möglich ist, müllfrei zu leben“, sagt sie. „Das war eine Offenbarung, die mir viel Lebensqualität geschenkt hat.“ Olga Kroll lebt mit Freund und zwei Patchworkkindern in einem ganz normalen Reihenhaus in einem ganz normalen Wohnviertel in Köln. Zur Begrüßung gibt es Kaffee (die Bohnen werden in der eigenen Kaffeemühle gemahlen) und Kekse (aus dem Weckglas). Im Flur stehen So sieht ein Leben ohne Müll aus: Die Kamille trocknet, luftig gelegt, in der Küche, um später zu Tee zu werden. Lebensgefährte Gregor Witt (oben) mit einem der 25-Kilo-Getreide säcke, die in einem Abstellraum lagern. Von dort wandern Weizen, Mehl oder Erbsen dann in Großschütten in den Flur – oder in Einweckgläser aufs Küchenregal 47 Großschütten, in denen Weizen, Mehl, Erbsen lagern. Alles, was in Großgebinden zu bestellen ist (in Umweltpapierverpackung), kauft die Familie. Reisnudeln nicht. Die werden nur in Kleinverpackungen verkauft. Im Bad hängt eine Popodusche, das spart Toilettenpapier. „Das macht man fast überall auf der Erde. Nur bei uns ist es ‚komisch‘, und wir wollen Toilettenpapier“, wundert sich Kroll. Die Putzmittel stehen in Glasflaschen und werden selbst zusammengemixt, selbst Tampons findet man in diesem Haushalt nicht. „Warum soll ich mir jeden Monat Chlor und Bleichmittel einführen?“, fragt Kroll. „Ich benutze sogenannte Menstruations tassen. Das ist hygienischer, gesünder und müllvermeidend ist es außerdem.“ Kein anderes Thema ist so universell wie Müll. Religion, Ernährung, Sport – bei allem, was gesellschaftliche Relevanz hat, gibt es keine Universaldoktrin. Es gibt nicht die richtige Religion, es gibt nicht die richtige Ernährung oder den richtigen Sport. Alles ist von vielen Faktoren abhängig, und selbst fanatische Raucher werden mitunter Hausbesuch rüstige 103. Beim Müll ist das anders. Man kann sagen: Kein Müll ist besser als Müll. Punkt. Und es ist ein Thema, an dem andere mittelbar oder unmittelbar partizipieren. Meinen Müll muss auch mein Nachbar ertragen, mitentsorgen und mit dieser Entsorgung leben. Meide ich Müll, hat auch mein ärgster Feind etwas davon. Jedes Land, jeder Staat produziert weltweit Müll. Mülltrennung wird betrieben, weil man mit Ressourcen sparsam umgehen muss, Mülltrennung wird nicht aus umweltpolitischen Gründen betrieben. Das heißt leider aber auch: Je reicher ein Land ist, desto mehr Müll macht es. In New York City landen pro Kopf und Tag 1,8 Kilo Müll auf der Halde, in Hamburg hingegen sind es nur 0,85 Kilo, in Kairo sogar nur 0,46 Kilo. „Es gibt kein Thema auf der Welt, das alle Sesshaften mehr miteinander verbindet“, sagt Kroll. „Aber weil es eben Müll ist und nicht Mode, Politik oder Kunst, redet keiner darüber. Und niemand macht sich die Macht von Müll bewusst.“ Unten im Vorgarten der Nachbarin steht eine bräsig lächelnde Terracottaente mit Sonnenhut, im ersten Stock liegt eine Überraschungseihülle herum. Wenn man die Zero Wasterin besucht, deutet am Eingang nichts darauf hin, dass hier eine radikal handelnde Frau wohnt, die sich einst von ihrem Exfreund trennte, weil er ihre Philosophie nicht teilte, die sich einen anderen Job suchte, weil ihr der alte Arbeitsgeber nicht müllmeidend genug war. Auch ihre Eltern, ihr Bruder schütteln mitunter den Kopf über so viel Konsequenz, über so viel Gewese um Abfall. Vorleben, nicht predigen Das Ablagebord für die Seifen im Bad (o.) ist seit Kurzem beschriftet, damit die Kinder nichts verwechseln. Und die Bohnen für den Kaffee werden jeden Morgen frisch von Hand gemahlen (u. re.). Olga Kroll (u. li.) liebt altes Holz und vermeidet Verpackungen Doch es ist eben auch so, dass Olga Kroll an den richtigen Stellen im Leben ihre Radikalität über Bord wirft. Wodurch sie aber auch erst ihre Prinzipientreue nachvollziehbar macht. „Natürlich leben unsere Kinder nicht müllfrei“, sagt sie. „Die müssen auch mal eine Schokolade essen oder zum Geburtstag eingepackte Geschenke annehmen dürfen. Wir wollen sie nicht ausgrenzen – wir wollen sie sensibilisieren. Und das geht nur durch Vorleben. Wie sie sich letztlich für ihr eigenes Leben mal entscheiden, hängt von ihnen selber ab.“ So gibt es immer wieder Situationen, in denen Familie Kroll Dogma Dogma sein lassen muss. Als die älteste Tochter Geburtstag hatte und einen (müllfrei produzierten) Kuchen mit in die Schule nahm, gab ihr Olga 30 Stoffservietten mit – damit die Kinder eine Unterlage hatten, auf der sie den Kuchen platzieren konnten, und keine Papierservietten benutzen mussten. „Die gebügelten Servietten blieben natürlich im Schulranzen. Das war viel zu peinlich“, erzählt Kroll. „Und das, obwohl Mädchen oft viel leichter für dieses Thema zu motivieren sind. Schicken Sie mal auf dem Weihnachtsmarkt Ihren Freund mit einer Tupperdose zu den Weihnachtsnüssen. Das ist für den alles andere als sexy.“ Die Beratung und Aufklärung erst an Schulen, später auch in der Industrie, soll ein Teil des Berufsbildes sein, das sich Kroll in den nächsten Jahren buchstäblich aus dem Nichts erschaffen will. Natürlich kommt man in einen Betrieb mit einer Menstruationstasse nicht weit. Aber im Zuge von Green Washing wird das Thema Müllvermeidung zunehmend auch für die Industrie spannend: Wo Reinigt und pflegt: Badeöl, Badesalz und die Haarspülung lagert Olga Kroll in Glask araffen und Einweckgläsern. An der Toilette hängt eine Popo-Brause für die Erwachsenen – aber trotzdem auch Papier für die Kinder oder Gäste 49 und wie kann ich dadurch Geld sparen? Etwa, so wäre schon einmal eine schnelle Antwort, indem ich keine Alukapseln nutze, möglichst wenig E-Mails ausdrucke und eher ein Gebläse als Papierhandtücher im Bad installieren lasse. Wenn man ihr zuhört, hört sich alles so einfach, so machbar an. Aber das eigene schlechte Gewissen ist trotzdem ein unsichtbarer Gast am Kölner Küchentisch. Und es flüstert einem zu: Du meine Güte, auf der Bahnfahrt hierher hast du einen Mars-Riegel verdrückt. Müll! Und der Kugelschreiber, mit dem du dir Notizen machst, ist auch nicht koscher. Erst recht nicht das Taschentuch. Ausgerechnet jetzt läuft die Nase, wo Olga was von Einwegmüll erzählt. Hochzie- Hausbesuch hen? Dann merkt sie doch erst recht, dass ich kein Stofftaschentuch dabeihabe. Hilfe! Ich trage neue Kleider, meine Handtasche ist erst fünf Jahre alt, und wie, bitte schön, kann ich meine Sonnenbrille unauffällig verschwinden lassen? Olga Kroll ahnt die Reporterpein. Aber statt darauf einzugehen – ein Tempo hätte sie ja ohne hin nicht reichen können –, erzählt sie von einer Freundin, die neulich auf einer Party die Tiramisu creme abdeckte. Mit einer Frischhaltefolie. „Oh, Entschuldigung, das tue ich sonst nicht …“ „In solchen Momenten bin ich zwiegespalten“, sagt sie. „Einerseits finde ich es ja gut, dass die Frau sich Gedanken um Müllvermeidung macht. Andererseits will ich natürlich gar nicht, dass sich meine Freundinnen beobachtet fühlen. Sich unter Druck gesetzt fühlen, es mir gleichzutun. Ich will nicht missionieren – aber ich will gleichzeitig, dass man über dieses Thema spricht. Das ist ein Dilemma, das ich nicht auflösen kann.“ FOTOS: Selina Pfrüner (12), Getty Images Eiscreme statt Schokolade Ihre Eltern engagierten sich früher im Umwelt schutz, „aber irgendwann hat sie der Mut verlas sen. Das bringt doch alles eh nichts, ist das, was sie heute denken.“ Doch die Saat, die sie gesät haben, lebt in ihrer Tochter weiter. Denn die schreibt mittlerweile ein Müll-Blog, sitzt an einem Buch und trifft sich regelmäßig zu einem Müllstammtisch in Köln. Dort werden Tipps ausgetauscht, Adressen weitergereicht und Urlaubsdestinationen empfohlen. „Es ist schön, mit Leuten zusammen zu sein, die genauso denken wie ich“, sagt sie. „Diese Kon zentration darauf, was man hat, statt den Blick darauf zu richten, was man nicht hat – das lernt man beim Müllvermeiden. Und dieses Gefühl der Genügsamkeit ist wie Yoga, Sonne und Segen zu gleich. Ich war seit Jahren nicht mehr in einem Kaufhaus – und habe nicht das Gefühl, das ich auf etwas verzichte.“ Gibt es denn irgendwas, das sie vermisst, seit sie keinen Müll mehr verursacht? Eine kleine Kleinig keit? „Schokolade“, antwortet sie. „Die gibt es meis tens auch nur verpackt. Aber das gleiche ich durch raue Mengen an Eiscreme wieder aus.“ Die Kinder bekommen natürlich auch mal ein Skateboard geschenkt oder bunte Schulran zen – aber eben auch immer wieder besondere Aktivitäten. Die kosten zwar auch Geld, pro duzieren aber keinen Müll. „Und am Ende geht es nicht immer darum, auf Biegen und Brechen alles hinzubekommen, sondern nur das zu tun, was möglich ist.“ Am Problem Weihnachtsbaum tüfftelt sie allerdings noch herum. „Ich habe aber gelesen, dass man den inzwischen auch leasen kann“, sagt Kroll. Plastik kommt Olga Kroll nicht ins Haus. Untersetzer aus Holz sehen sowieso schöner aus MEHR WISSEN Olga Kroll führt in ihrer Heimatstadt Köln einen Zero-Waste-Stammtisch. Nähere Informationen dazu stehen auf auf ihrem Blog www.zerowastelifestyle.de Läden, in denen die Ware grundsätzlich nicht verpackt ist, findet man unter www.original-unverpackt.de Auf www.0waste.de gibt’s erste Tipps, wie ein müllfreies Leben möglich sein kann. Menstruationstassen gibt’s beispielsweise bei Drogeriemärkten wie „dm“ oder im Internet. Wer sich erst einmal zu diesem Thema schlau machen möchte: www.menstruationstassen.de/ menstruationstasse-erfahrungen Einstiegslektüre für einen guten Einblick in den Zero-Waste-Lifestyle – aber leider nur auf Englisch: Bea Johnson, „Zero Waste Home: The Ultimate Guide to Simplifying Your Life by Reducing Your Waste“, Scribner 2013, als Taschenbuch übers Internet für etwa 10 Euro. 50
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