altes neu entdeckt

Praxis Gesundheit
Murrill
Reishi
Pilze füttern
Altes neu entdeckt
In immer mehr Schränken in Profiställen, bei Pferdepraktikern und Reitern
aller Couleur tauchen sie auf: unscheinbare weiße Dosen mit Schraubdeckeln
und schlichten Aufklebern – Vitalpilzmischungen. Mit ihnen hält Jahrtausende
altes Wissen der chinesischen Medizin Einzug in die moderne Pferdefütterung.
P
ilze sind Universalgenies. Mit
geschätzten 300.000 Arten gehören sie mit zu den am weitesten verbreiteten Organismen
auf der Erde. In Symbiose mit Algen
als sogenannte Flechten können sie
selbst extremste Standorte besiedeln,
wie etwa die Arktis und Antarktis, die
Tropen, Wüsten und sogar Steine. Ihre
Größe reicht von mikroskopisch klein
bis hin zu teils metergroßen Fruchtkörpern.
In der biologischen Klassifikation
bilden sie als „Mycota“ ein eigenes
Reich – zwischen dem der Pflanzen
und dem der Tiere. Mit letzteren teilen
sie beispielsweise ihre Ernährungswei-
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se: Sie müssen Nahrung aus der Umgebung aufnehmen und diese durch
eigene Enzyme sozusagen aufknacken
und sich erst verfügbar machen. Als
Speicherstoffe häufen Pilze in der
Hauptsache Glykogen und Fett an
und nicht, wie die Pflanzen es tun,
Stärke. Pilzen fehlt außerdem die
pflanzentypische Fähigkeit zur Photosynthese, also zur Gewinnung von
Energie aus Sonnenlicht, auch wenn
sie, insbesondere wegen ihrer sesshaften Lebensweise früher im allgemeinen gerne den Pflanzen zugerechnet
wurden.
Was sie aber mit diesen ganz klar
gemeinsam haben, ist ihre Zellstruk-
tur. Ihre Zellwände bestehen jedoch
meist aus Chitin, das zum Beispiel
auch den Panzer von Insekten, Spinnen und Krebsen bildet. Pflanzenzellwände dagegen benutzen nicht Chitin, sondern Zellulose.
Pilze kennt jeder aus seinem Alltag:
als Pfifferlingsuppe, als weiß-flauschige Ummantelung des Camembert, als
gesundheitsschädlichen Schimmelpilz an feuchten Wänden oder auch
als das Antibiotikum Penicillin. Penicillin ist ein wichtiges Stichwort. Als
große Recycler in der Biosphäre besitzen nämlich eine ganze Reihe von Pilzen die Fähigkeit, diverse Stoffe gegen
Bakterien-, Viren- oder Schadpilzbe-
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Shiitake
Foto: Hersteller
Maitake
Yamabusitake
fall zu produzieren. Pilze dieser Art
werden vor allem in der traditionellen
chinesischen Medizin als Vitalpilze
bezeichnet und seit Jahrtausenden zur
Krankheitsvorbeugung und -behandlung eingesetzt – und zwar bei Mensch
und Tier.
Foto: Privat
Am Rande des Kongresses
Dr. Christian
Müller-Ehrenberg
Schon während des Studiums befasste sich der Tierarzt mit Fütterungsfragen. Der einstige Studentenreiter, 1988 Deutscher
Hochschulmeister im Springen,
war Mitarbeiter der Holsteiner
Association in den USA, Mitorganisator und Moderator der Pferdemesse Equitana und der Warendorfer Hengstparaden sowie
des CHIOs in Aachen.
n www.better4horses.de
Auch die traditionelle europäische
Heilkunde, die später dann in den
Klöstern fortgeführt wurde, kannte
Vitalpilze. So hatte der mumifizierte
„Ötzi“ Pilze bei sich, wohl für den
Notfall – als Abführmittel, gegen Parasitenbefall oder zur Blutstillung.
Es ist also nichts wirklich Neues, was
da auf dem Markt rund ums Pferd aufgetaucht ist, eher etwas, was lange in
Vergessenheit geraten war. Hierzulande vertreibt Dr. Christian MüllerEhrenberg die bioaktiven VitalpilzMischungen für Pferde, die das
Immunsystem stabilisieren, die Selbstheilungskräfte aktivieren, entzündungshemmend wirken und körperliche Belastungen ausgleichen sollen.
„Zugegeben, als wir vor zwei Jahren
mit unserer Serie EquineMatrix auf
den deutschen Markt kamen, haben
nicht sofort alle „Hurra!“ gerufen,
schließlich assoziieren viele mit Pilzen
sofort Schimmel- oder Fußpilz“, erinnert sich der promovierte Tierarzt
schmunzelnd. Er habe sich schon
während seines Studiums intensiv mit
Fütterungsfragen befasst. Vor über
zehn Jahren war er Produktmanager
bei einem großen Futtermittelkonzern, konzentrierte sich dann aber
zwischenzeitlich mehr auf die Vermittlung von Pferden ins Ausland,
vernehmlich die USA. Deshalb habe er
bei der Übernahme der DeutschlandVertretung zunächst gezögert. „Der
Markt der Zusatzfuttermittel im Pferdebereich ist ja gesättigt, wenn nicht
gar übersättigt.“ Aber die Wirkungsweise und die Erfolgsmeldungen zu
Vitalpilzen hätten ihn dann doch
überzeugt, das Angebot des britischen
Geschäftsmanns Colin Lennen anzunehmen. „Dessen Frau hatte Brustkrebs und auf der Suche auch nach
alternativen Behandlungsmethoden
waren sie auf die chinesische Traditionsmedizin der Vitalpilze gestoßen. Er
ließ von Spezialisten diverse Mischungen aufsetzen und später auch solche,
die speziell für Pferde geeignet sind. So
hält er etwa das Patent unseres Präparates für die Haut von Pferden.“
Letzte Zweifel beseitigt, hätte
schließlich der Besuch eines Pferdezahnarztkongresses. Auf diesem ➤
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Praxis Gesundheit
Foto: Im ago
Foto: T. Becker
Patrik Kittel,
SWE, internationaler
Dressurreiter
„Die Gabe von Vitalpilz-Mischungen hat bei
meinen Pferden stets zu Verbesserungen geführt.
So bekommt mein Toppferd Scandic schon seit
Jahren verschiedene Produkte und ich kann ohne
Zweifel bestätigen, dass dies einen nicht geringen
Anteil am Gewinn unserer Bronzemedaille bei der
Europameisterschafts-Kür von Rotterdam hatte.“
wurde das Problem der EOTRH diskutiert. Bei der „Equinen Odontoclastic
Tooth Resorption and Hypercementosis“ leiden die betroffenen, meist älteren Pferde an den Schneide- und Hakenzähnen an Zahnfleischentzündungen und Fistelbildungen bis hin
zu Zahnausfall. „Einige Tierärzte berichteten nun von guten therapeutischen Erfolgen durch den Einsatz
eines aus Pilzmyzel-Biomasse hergestellten Zusatzfuttermittels. Die vorgestellten Ergebnisse waren sehr beeindruckend.“
Die Produkte beschränken sich aber
nicht allein auf dieses in einer klinischen Blindstudie getestete Präparat.
Es gibt außerdem eine spezielle Mischung für die Regeneration und den
Schutz der Haut des Pferdes, eine zur
Minderung von Stress und Erhöhung
der Leistungsfähigkeit, eine weitere
zur Vitalisierung von Stoffwechsel
und Organfunktionen. Dann gibt es
eine spezielle zur Unterstützung der
Verdauung und Nährstoffaufnahme,
schließlich eine zur Erhaltung und
Förderung des Hufwachstums, eine
für den Schutz von Gelenken, Sehnen
und Bändern. Eine Vitalpilz-Mischung
soll Durchblutung und Wachstum der
Hufe fördern, eine beim Muskelaufbau helfen und schließlich eine die
Sauerstoffaufnahme verbessern. „Wir
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verwenden für die Herstellung unserer
Mischungen nur Stoffe aus der ‚Wurzel‘ der Vitalpilze, dem Mycelium,“
erklärt Müller-Ehrenberg. Dieser vegetative Teil des Pilzes hat im Laufe der
Evolution hoch effiziente Mechanismen zur enzymatischen Aufschlüsse-
„Studien belegen, dass
nicht ein Pilz allein die
größte Immunantwort
erzielt, sondern die
Kombination verschiedener
medizinischer Pilze.“
Dr. Christian Müller-Ehrenberg
lung von Nährstoffen und zur Abwehr
krankmachender Mikroorganismen
entwickelt und kann, je nachdem, um
welchen Pilz es sich handelt, mehrere
hundert Jahre alt sein. Der sichtbare
Fruchtkörper des Pilzes dient dagegen
ausschließlich zur Vermehrung. „Spe-
Isabell Werth,
internationale
Dressurreiterin
„Meine Pferde sind
mit Hilfe der Vitalpilz-Mischungen von
Matrix bestens versorgt. Sie sind fit und
super in Form.“
zialisten vor allem in den USA gewinnen in standardisierten Verfahren
diese Pilzmycele und die entsprechenden Wirkstoffe mit Hilfe der Solid State Fermentation (SSF).“
Etwa ein Dutzend Pilze gelten in der
Mykotherapie (Pilztherapie) wegen
ihres Reichtums an Vitaminen, Spurenelementen, Mineralien und ihrer
Wirkungen auf das Immunsystem
von Mensch und Tier als Vitalpilze.
„Dabei ist der Reishi sozusagen der
Masterpilz“, erklärt Christian MüllerEhrenberg. Der Reishi, wissenschaftlich Ganoderma lucidum oder trivial
glänzender Lackporling, wird in Asien
als „Pilz der Unsterblichkeit“ gehandelt, unter anderem wegen seiner Antioxidanzien, die bekanntermaßen
Abwehrkräfte stärken und den Zellschutz verbessern.
Und dann gibt es da noch den Shiitake, in China als „König der Pilze“
bekannt. Sein Inhaltsstoff Lentinan
wird bereits seit Längerem auch in der
Schulmedizin für die unterstützende
Tumorbehandlung eingesetzt. Die
ernährungsphysiologischen
Eigenschaften des Hericium erinaceus, des
Yamabusitake, der an den Wunden
älterer oder abgestorbener Bäume
wächst, sind von der Wissenschaft
gleichfalls längst bestätigt. Oder Cordyceps militaris, auch als Chinesi-
Foto: J. R au
Gesundheit Praxis
Dr. Karsten
Weitkamp,
Tierklinik Telgte
„Wir benutzen die Vitalpilz-Mischungen in unserer
Tierklinik Telgte seit mehreren Jahren und haben
überraschend gute Erfahrungen damit gemacht.
Anfangs waren wir schon sehr skeptisch. Bei
nervösen Pferden setzen wir gerne eines dieser
Produkte ein. Viele Pferde werden spürbar ruhiger.
Ich wende es zeitweise auch bei meinen eigenen
Pferden an.“
scher Raupenpilz bekannt. Seine Wirkung fiel zunächst tibetischen YakHirten auf, deren im Hochland
weidende Rinder eine viel höhere Widerstandskraft und Lebenserwartung
hatten als anderswo gehaltene Tiere.
Als Ursache wurde der zwischen den
Hochlandgräsern wachsende Raupenpilz ermittelt. Und dann sind da noch
der Mandelpilz Agaricus blazei und
der Maitake Grifola frondosa sowie
Trametes versicolor, Hypsizygus marmoreus, Antrodia camphorata und
Pleurotus eryngii (King Trumpet).
Die Mischung macht‘s
„Wissenschaftliche Studien belegen, dass nicht ein Pilz allein die
größte Immunantwort erzielt, sondern die Kombinationen verschiedener medizinischer Pilze“, fährt Müller-Ehrenberg fort. „Diese Synergieeffekte machen wir uns mit unseren
speziellen Matrix Vitalpilz-Mischungen zu nutze. Die Mischungen wurden so konzipiert, dass sie die Bedürfnisse von Pferden optimal erfüllen.“
Sein Fütterungskonzept geht aber
noch einen Schritt weiter. Und wieder
verwendet er Wissen anderer Kontinente. „Über einen deutschen Kollegen erfuhr ich von der in Australien
sehr verbreiteten Praxis, statt Hafer
und Gerste Reiskleie als Kraftfutter zu
geben.“ Pferde seien Rohfaserfresser,
aber keine Getreide- und damit Stärke- und Kohlehydratverdauer. Dem
Ursprung des Pferdes als Fernwanderwild ist auch sein Verdauungstrakt
geschuldet mit einem kleinen Magen
und großen Gärkammern im Darm
zum Aufschluss der Zellulose.
„Pferde können nur begrenzt Getreidestärke im Dünndarm verarbeiten. Gelangt unverdaute Stärke in den
Dickdarm, drohen Fehlgärungen und
im schlimmsten Fall Koliken.“ Bei
Reiskleie, die der Veterinär ebenfalls
im Angebot hat, sei der Glykämische
Index (GI) dagegen niedrig, was auch
den Insulinspiegel im Körper positiv
nach unten reguliere, genau wie das
Nervenkostüm. „Reiskleie enthält zudem Fettsäuren, die dem Pferd ideal
Energie zuführen.“ Und noch ein Problem der Getreidefütterung sei mit
der Reiskleie gelöst – das des Glutens,
des „Klebers“, der die Darmschleimhaut durch das Verkleben der Darmzotten reizen und entzünden kann.
Fraglos, da ist einer, der über seine
Kirchturmspitze hinausschaut. Und
ganz offensichtlich scheint sich das
herumzusprechen. Die vielen kleinen
Dosen in den großen und kleinen Sattelschränken liefern den Beweis.
Dr. Tanja Becker
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