von HELMUT ANGELI Der deutsche Werkzeugmaschinenbau gilt

BRANCHE
Die
Denkfabrik
von HELMUT ANGELI
Der deutsche Werkzeugmaschinenbau gilt – und das völlig zu Recht –
in Sachen Innovationskraft als die weltweite Nummer 1. Und doch bedarf es aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder Anstöße von externer Seite. Dafür greifen die Unternehmen meist auf Ingenieurbüros zurück. Zu den wenigen, die sich im deutschsprachigen Raum
einen wirklich guten Namen gemacht haben, gehört dabei ohne Frage die Roschiwal + Partner
Ingenieur GmbH.
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Dipl.-Ing. Helmut A.
Roschiwal, Gründer und
Namensgeber der 1984
gegründeten Firma.
Bilder:Roschiwal
gar als Personalvermittler agieren. Er sah sich und seine
Mitarbeiter da schon eher als einen Entwicklungspartner
auf Augenhöhe. Eine Einschätzung, die von den Kunden
sehr schnell akzeptiert und honoriert wurde. So konnte
schon drei Jahre nach der Gründung ein erstes eigenes
Gebäude bezogen werden. Helmut Roschiwal, heute 74
Jahre alt und ,nur‘ mehr als Beirat im Unternehmen, erinnert sich: „Zu unseren ersten und dann treuesten Kunden
gehörte Werner Babel, für dessen Unternehmen Maho wir
einige Baugruppen entwickelten, die nicht unwesentlich zu
dem rasanten Aufstieg der Maho AG beigetragen haben.“
Schwerpunkt ist der Werkzeugmaschinenbau
Technischer Geschäftsführer Dipl.-Ing. Robert Merk mit einer aus
CFK gefertigten Pinole.
Technischer Geschäftsführer Dipl.-Ing. Günter Denuel (rechts)
beim Projektgespräch.
Apropos rasanter Aufstieg: Heute beschäftigt die Roschiwal
+ Partner Ingenieur GmbH mit Hauptsitz in Augsburg, einer
Schwestergesellschaft in Berlin und zwei Tochterfirmen in
Rumänien über 100 Ingenieure aus unterschiedlichsten
Fachrichtungen und wird geführt von den Geschäftsführern Günther Denuel, Robert Merk und Sabine Roschiwal.
Die Aufgabenstellung in den Fachbereichen umschreibt
Dipl.-Ing. Robert Merk so: „Unser Schwerpunkt ist der
Werkzeugmaschinenbau und hier bewegen wir uns ausschließlich im Bereich der Mechanik, unsere Schnittstelle ist der Umrichter am Motor. Dabei versuchen wir bei
der Produktentwicklung wie bei Konstruktionsaufträgen,
die Wissenstiefe unserer Kunden durch unsere über Jahre gewachsene branchenübergreifenden Erfahrungen zu
ergänzen, um so zu innovativen Produkten zu kommen.“
Dass sich auf diese Weise gleichzeitig die Innovationsgeschwindigkeit der Kunden wesentlich erhöht, ist sicher
mehr als nur ein angenehmer Nebeneffekt. Wobei, so Helmut Roschiwal, eine Einschränkung gilt: „Wir arbeiten
ausschließlich für Kunden aus dem deutschsprachigen
Raum. Wir haben zwar in der Vergangenheit auch schon
für asiatische Firmen gearbeitet, aber sind im Laufe der
Zeit zu der Überzeugung gelangt, dass es besser ist, wenn
unser Know-how nicht dorthin fließt.“
Konstruktion legt 70 Prozent der Produktkosten fest
G
ründer und Namensgeber der 1984 gegründeten Firma ist Dipl.-Ing. Helmut A. Roschiwal.
Schon bevor er sich selbstständig machte,
war er als junger Dipl.-Ing. in einem Ingenieurbüro beschäftigt, aber die dortigen Arbeits- und Denkweisen entsprachen so gar nicht seinem
Verständnis von anspruchsvollen Entwicklungspartnerschaften. Der Schritt in die Selbstständigkeit war dann
nur konsequent. Lachend erinnert er sich an die Anfänge:
„Unser erster Unternehmenssitz war eine komplette Etage
mit rund 650 m2, in die ich, meine Frau und ein Mitarbeiter
einzogen. Das war ein doch sehr mutiger Schritt, aber mir
war schon damals eines bewusst: Wirklich anspruchsvolle
Entwicklungsarbeit kann nur in einem größeren Team betrieben werden – ein Einzelner ist angesichts der Komplexität der Aufgabenstellungen schnell überfordert.“
Und so war seine Geschäftsidee nur teilweise deckungsgleich mit der ,normaler‘ Ingenieurbüros, die meist als
verlängerte Werkbank nur Auftragsarbeiten abwickeln oder
Aber nicht nur Komplettentwicklungen, sondern auch
Teilleistungen wie zum Beispiel Projektstudien, Produktplanung, Programme zur Senkung der Herstellkosten und
technische Berechnungen gehören zum Angebot der Firmengruppe. Um die Kompatibilität zu den unterschiedlichen Kunden zu gewährleisten, arbeitet das Unternehmen
mit durchschnittlich zehn verschiedenen CAD-Systemen.
Berechnungen werden erstellt mit Hilfe von bewährten
Programmen – zum Beispiel KISSsoft – bis hin zu umfangreichen FEM-Analysen.
Die Vorgehensweise umschreibt Robert Merk so: „Heute müssen Produkte nicht nur innovativer sein als die
der Konkurrenz, sie müssen auch zu wettbewerbsfähigen Kosten hergestellt werden. Zirka 70 Prozent der
Kosten eines Produktes werden bereits in der Konstruktion festgelegt und sind später kaum noch beeinflussbar. Deshalb hat sich bei uns die Vorgehensweise, die festgesetzten Zielkosten einer Maschine auf
Baugruppen und Einzelteile herunterzubrechen, um
dann nach dem Bottom-Up-Prinzip die Zielkosten auch
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Erstmals auf der EMO 2013 präsentiert: Patentierte Werkzeugaufnahme
mit CFK-Elementen.
Alle gängigen CAD-Systeme stehen den Entwicklern zur Verfügung.
wirklich zu erreichen, als die deutlich beste erwiesen.“
Auftragsarbeiten sind aber längst nicht alles bei Roschiwal + Partner. Dipl.-Ing. Günther Denuel: „Wir sind in der
glücklichen Lage, dass wir auf eigene Rechnung Grundlagenforschung betreiben und dem Markt so immer wieder
Pionierarbeiten präsentieren können und deshalb im Fokus vieler potentieller Kunden bleiben.“ Helmut Roschiwal:
„Für uns ist das sehr wichtig, denn vergangene, sprich realisierte und in Produkte umgesetzte Entwicklungsaufträge
sind Stand der Technik. Über aktuelle Aufgaben dürfen wir
nicht reden. Also bleiben nur zukunftsorientierte Themen,
mit denen wir auf unsere Möglichkeiten aufmerksam machen können.“
CFK-Hülse reduziert Masse um die Hälfte
Dass dies dem Unternehmen durchaus gelungen ist, lässt
sich an Beispielen belegen. So beim Einsatz neuer Werkstoffe wie dem CFK. Wer den Stammsitz in Augsburg besucht, dem fällt sehr wahrscheinlich sofort eine aus CFK
gefertigte Pinole ins Auge. Oder die Entwicklung einer
Werkzeugaufnahme mit CFK-Elementen. Die Lizenzrechte dafür sind bereits an einen Hersteller vergeben. Diese
Innovation wurde auf der EMO 2013 erstmals präsentiert.
Robert Merk erinnert sich: „Unser Ziel damals war, die
rotierenden Massen der Werkzeugaufnahme zu reduzieren
und zugleich ihre Steifigkeit zu gewährleisten. Deshalb hat
das Entwicklungsteam nicht in die stark belasteten Bereiche des Hohlschaftkegels eingegriffen, sondern nur die
stabilisierende Stahlmasse im Bereich der Werkzeugklemmung durch Kohlefaserlagen ersetzt.“ Untersucht wurden
die heute gängigen Systeme Schrumpffutter, Spannzangenfutter und Weldon. Logische Folge der reduzierten Mas-
Die Streamfinishanlage SF Pulsfinish
wurde speziell auf das
Anforderungsprofil
von Linienfertigungen
ausgelegt.
se der Werkzeugaufnahme ist eine erhebliche geringere
Massenträgheit: Im Vergleich zur Stahlausführung sinkt
sie beim Schrumpffutter um ein Drittel. Noch drastischer
fällt die Differenz zu einer Weldon-Aufnahme aus. Hier
reduziert die CFK-Hülse die Masse um die Hälfte und das
Massenträgheitsmoment um zwei Drittel.
Projekte aus den unterschiedlichsten Bereichen
Von dieser Schlankheitskur profitieren gleich mehrere Bauteile einer Werkzeugmaschine: zum einen die Spindel samt
Antrieb, zum anderen das Werkzeugwechselsystem. So
wirken beim Einfahren des Kegels in die Spindel geringere
Massenkräfte, was sowohl die Spindel mit Lagerung als
auch die Aufnahme schont. Der Antrieb muss eine geringere Beschleunigungsleistung produzieren beziehungsweise geringere Bremsmomente verkraften und kommt
dadurch mit einer geringeren Kühlleistung und weniger
Energieeinsatz aus. Trotz dieser Einspareffekte lassen sich
die Drehzahlen in kürzerer Zeit verändern und damit die
Start- und Stoppvorgänge der Spindel beschleunigen – zum
Nutzen der Produktivität der Maschine. Gleiches gilt für
den Werkzeugwechselvorgang. Er geht durch die geringeren zu bewegenden Massen schneller, auf die Werkzeugaufnahmen wirken geringere Kräfte, und die Antriebe von
Wechsler und Magazin werden durch niedrigere Momente
geschont.
Neben den positiven Effekten auf der Maschinenseite
bewirkt die Kohlefaserverbundkonstruktion eine Qualitätssteigerung auf Werkstückseite. Geringere oszillierende
Massen senken die Unwucht und präzisieren den Rundlauf
– sowohl im Sinne einer längeren Standzeit des Werkzeugs
als auch einer homogeneren Oberfläche des Werkstücks.
Darüber hinaus verfügt die CFK-Hülse über bessere Dämpfungseigenschaften als der Stahlkegel, was in kritischen
Bereichen die Vibrationen senkt und damit ebenfalls der
Oberflächengüte zugute kommt.
Die begrenzte Wärmebelastbarkeit der Kunststoffkomponenten in dem CFK-Teil hat übrigens bewirkt, dass die
Ingenieure von Roschiwal + Partner den herkömmlichen
Schrumpfprozess zur Fixierung des Werkzeugs umgedreht
haben. Anstatt den Kegel vor dem Einsetzen des Werkzeugs
zu erwärmen, wird das Werkzeug abgekühlt.
Auch wenn der Schwerpunkt ganz klar auf dem Umfeld
Werkzeugmaschinen (und Werkzeuge) liegt, ist damit
das Portfolio von Roschiwal + Partner bei weitem nicht
vollständig beschrieben. Viele Projekte aus den Bereichen
Verpackungs- und Prüfstandstechnik oder Automatisierung, Mechatronik und Medizintechnik belegen dies und
rechtfertigen gleichzeitig das Prädikat „Die Denkfabrik“. W
www.roschiwal.de
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