2012 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER und die Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt in Gablitz notiert von Dr. Renate Grimmlinger Die im Volksmund „narrische Villa“ genannte Heil – und Pflegeanstalt für Nerven- Geistes- und Gemütskranke in Gablitz Nr. 18 Kirchengasse 10 3003 Gablitz 2 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Vorbemerkung von Dr. Renate Grimmlinger: Als ich mich um 1988 mit der Geschichte von Gablitz zu befassen begann, wurde mir von einem „Erholungsheim“ in der Kirchengasse 10 erzählt. Merkwürdigerweise war das Areal aber von einer hohen Mauer umgeben. Auf etwas genaueres Nachfragen erfuhr ich von Vizebürgermeister Walter Neumayer, dass früher psychisch Kranke untergebracht waren, deshalb wurde es im Volksmund „narrische Villa“ genannt. Was während der NS Zeit aus dem Anstaltsleiter Dr. Josef Weiniger und den Kranken passiert sei, wusste niemand: „Auf einmal sind sie weg gewesen“. 2006 zeigte mir Franz Vormaurer aus seinem Archiv einen Brief von Dr. J. Wagner Jauregg aus 1939, Genaueres über das Schicksal des Arztes und der Kranken wussten weder er noch Berthold Weiss. 2010 übernahm ich das Kustodiat des Gablitzer Heimatmuseums, weder im Archiv noch im Museum fanden sich Unterlagen. Daher begann ich bei der Ärztekammer und im Dokumentationsarchiv neuerlich zu recherchieren. 1 Dr. Josef Weiniger (1935) – Fotoalbum F.Leutgeb Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes erhielt ich folgendes mail: „Der einzige Namen, der bei uns aufscheint ist: Josef Weininger, geb. 06.03.1881 in Wien, Dr. med., Facharzt, letzte bekannte Wohnadresse: Wien 13, Veitingerg. 53, auch: Wien 4, Hugo Wolfgasse 2, wurde am 28.04.1942 von Prag nach Theresienstadt deportiert (Ao-873) und am 30.04.1942 nach Zamosc überstellt (As-873). Todeserkärung durch das LGfZRS unter 48 T 5120/47. Dr. Ursula Schwarz Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Wipplingerstraße 8 A- 1010 Wien, mail vom 17.10.2011 Tel: +43 1 22 89 469 – 326 E-mail: [email protected] http://www.doew.at“2 Als ich Ende 2011 die Villa von der Höberthgasse aus fotografierte, lernte ich Hr. Leutgeb kennen und über ihn kam ich in Kontakt mit der Enkeltochter von Dr. Josef Weiniger. Es folgten Gespräche mit Mag. Fleur Leutgeb, Fotos, Dokumente und Exponate für das Museum wurden zur Verfügung gestellt. Das Ergebnis der Recherchen, Auswertung der Dokumente und der familiären Erinnerungen liegt nun vor: 1 Aus: Lexikon der Ärzte Niederösterreichs, Quelle: Österr. Ärztekammer. Promotion 1906. Lt. Urkunde der Universität Wien: Promotion 23.12.1907 2 Mail vom 17.10.2011 an Dr. Grimmlinger. Bei Lind (2002) findet sich auf S. 372 folgende Eintragung: „[19]38 Prag, 28.4.42 Theresienstadt, 30.4.42 Zamosz, 16.10.42 Izbica, mit allen Ärzten des Transportes erschossen.“ 3 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 DR. JOSEF WEINIGER, MEIN GROSSVATER Dr. Josef Weiniger mit 54 Jahren 1935 Aufgezeichnet aufgrund von Gesprächen mit Frau Fleur LEUTGEB im April und Mai 2012 und aufgrund von Fotos und Dokumenten von Dr. Renate Grimmlinger MSc Mein Großvater Dr. Joseph (Josef) WEINIGER (1881 – 1942?) stammt aus einer Wiener jüdischen Familie mit böhmischen Wurzeln. Sein Vater Salomon WEINIGER (1855 – 1930) war Großfuhrwerksbesitzer in Döbling und hatte den ersten Pferde-Omnibus in Wien. Die Mutter Marie geb. Schwarz (1852 -1916) stammte aus einer wohlhabenden Wiener Juweliersfamile. Mein Großvater wuchs in Wien Leopoldstadt auf, er war der zweitälteste von acht Kindern: Ernst war der Älteste, dann waren noch Fritz, Richard, Otto und Karl. Seine Schwester Angelina war mit Univ. Prof. Dr. Robert SALUS verheiratet und lebte in Prag; und Grete war mit dem Zahnarzt Dr. Cornel LIPTER verheiratet und lebte in Baden. Ernst, der Älteste, war Chemiker, Fritz Kaufmann, Richard Manager, Otto Theaterdirektor und Karl, der jüngste, war Opernsänger. Anna und Salomon Weiniger 4 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Mein Großvater war – wie viele assimilierte Juden - evangelisch. 1906 oder 1907 schloss er das Medizinstudium an der Wiener Universität ab. Im ersten Weltkrieg war er als Regimentsarzt in Ungarn und Russland. 1914 bis 1918: Der Regimentsarzt Dr. Joseph Weiniger Leihgaben der Orden, dzt. Museum Gablitz Meine Mutter stammte aus einer Ärztefamilie, mein Großvater und ihr Vater, der Zahnarzt war, kannten einander. 1916 reisten meine Urgroßmutter mtl. Anna Schreiber und meine Großmutter nach Budapest, wo sie Dr. Weiniger besuchten: Dr. Josef Weiniger, Anna Schreiber, Jole und meine Mutter Anna Schreiber 1916 in Budapest 1919 heirateten meine Großeltern Dr. Josef Weiniger und Anna Schreiber (*12.5.1895 +26.4.1973). Meine Großmutter war eine zierliche, sehr hübsche Person. 1921 wurde meine Mutter Hertha Weiniger geboren. Die ersten Jahre verbrachten die Familie in Traiskirchen, wo auch meine Mutter die Volksschule besuchte. Mein Großvater war Chirurg, er war Primarius in der Hera, die damals ein Kinderspital war, und seine Privatordination war in Wien – Mariahilf, Hugo Wolf-Gasse 2/6. 5 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Fotos aus der Privatordination in Wien Die Großeltern unternahmen viele Urlaubsfahrten nach Italien, die Schweiz, nach Jugoslawien und innerhalb Österreichs. 6 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 1926 Urlaubsfahrt nach Italien über die Schweiz mit der Familie Das Sommerhaus in Cilly/Jugoslawien, vor dem Haus der eigene PKW 1929 kaufte Dr. Josef WEINIGER von Dr. Isidor und Flora LAMBERGER geb. DITTRICH3 das Anwesen in Gablitz Nr. 18 (heute Kirchengasse 10). Aus 1879 existiert eine Zeichnung des Hauses – 1879 war es im Besitz der Fa. ROWLAND:4 3 Im Kaufvertrag von 1929 scheinen „Dr. Isidor und Flora LAMBERGER“ auf, während im Grundbuch noch „Flora Dittrich“ steht. 4 Fa. Rowland ließ einen Pavillon mit Stahlkern und Wellblechverkleidung von der Weltausstellung Paris nach Gablitz transportieren und aufstellen, heute Kirchengasse 12, im Volksmund „eiserne Villa“ genannt. Lt. Grundbuch gehörte auch die K.Nr. 18 von 1879-84 Fa. Rowland. 7 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 5 Zeichnung des 1879 erbauten Hauses Gablitz Nr. 18, auch „Karthäuserhaus“ genannt Deutlich sichtbar ist der große Kellereingang des Hauses.6 DIE HEIL- und PFLEGEANSTALT in GABLITZ Die Weiniger Villa 5 Bis 1792 war Gablitz zur Kartause Mauerbach gehörig. Vielleicht in Erinnerung an die Kartause „Kartäuserhaus“ genannt? Vielleicht diente das 1879 erbaute Haus auch es als Lagerkeller der früheren Stiftstaverne, des Wirtshauses (heute Hauptstr. 19???) Der rechte Teil (Kirchengasse) der „Stiftstaverne“ war nach 1648 von der Kartause erbaut worden. Im „Schwarzen Adler“ gab es ein „Karthäuserstüberl“. Vorbesitzer des Areals Kircheng. 10 waren FELLNER, SCHUSTER, SCHWAIGER - alles Familien, die mit der Stiftstaverne bzw. mit dem Bräuhaus in Verbindung standen.... 6 8 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 So sah die „Weiniger Villa“ nach umfangreichen Renovierungsarbeiten meines Großvaters aus. Der Kellereingang war zugeschüttet und der Garten schön gestaltet mit Kieswegen und Ruheplätzen. Das Nebengebäude: Personalwohnungen und Garage 1934 bekam mein Großvater die Bewilligung, in Gablitz eine Heil- und Pflegeanstalt für psychisch Kranke zu führen. Das Areal war sehr groß und umfasste die K.Nr. 18 und die GNr. 36/1, 2 und 3. Im Nebengebäude, das auch heute noch existiert, waren Personalwohnaus und die Garage. Die Villa, in der die Patienten und auch meine Großeltern wohnten, war sehr schön mit Jugendstilmöbel, mit Kristall-Lustern, mit vielen Teppichen und roten Samtvorhängen eingerichtet, selbst das Geschirr war von Rosenthal. Die Patienten kamen vorwiegend aus wohlhabenden jüdischen und adeligen Familien. Es gab junge und alte psychisch kranke Frauen und Männer. Sie wurden von vier Pflegern und der Pflegerin „Dragica“ betreut, die sehr resolut war. Dann gab es noch eine Köchin, Gärtner und „Ferdinand“, er war Chauffeur und Großvaters „Bursche“. Die Autos meines Großvaters, rechts im Bild: Chauffeur Ferdinand 9 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Einige Zeitlang waren die beiden Wägen meines Großvaters die einzigen Autos in Gablitz.7 Mit einem Wagen wurde mein Vater nach Wien zur Arbeit und zur Privatordination geführt, der andere Wagen diente zum Transport der Patienten. Briefpapierkopf Ordinationsschild – Leihgabe im Gablitzer Museum Die Patienten wurden sehr gut betreut, es gab Feiern und Gesellschaftsspiele wie dieses lustige Frage- und Antwortspiel: Links: Frage- und Antwortspiel, Leihgabe von Fleur Leutgeb im Gablitzer Museum. (Foto G. Glazmaier) Rechts: Ölbild, gemalt von einem Patienten, Leihgabe im Gablitzer Museum (Foto G. Glazmaier) Der Garten war sehr schön angelegt mit Bäumen, Blumen und Wegen. Entlang der Kieswege waren Spalier-Obstbäume, bei einem großen „Hinkelstein“ war ein Platz mit Bänken und Blumen. Im Garten gab es auch Säulen, auf denen Figuren, Putten, standen. Die Patienten sollten sich wohl fühlen in schönen Umgebung und der Natur. Gartenansicht 7 Heinrich Lefnär hatte zwar auch einen Wagen, die Familie war aber ab 1919 nicht mehr in Gablitz ansässig. 1938 wird ein PKW des Gemeindearztes Dr. Weymann erwähnt, den Dr. Weiniger übernommen hat. 10 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Einige Patienten sind aus Erzählungen meiner Großmutter Anna Weiniger noch erinnerlich: Einige Patienten waren jahrelang in der Anstalt. Das Klima war sehr familiär und mein Großvater spielte wunderbar Klavier. „Jean“ war ein junger Patient, der nach der Matura „übergeschnappt“ war und seither im Sanatorium lebte. Fallweise randalierte er, da kam er in die Zwangsjacke. „Guy Schöpfer“ war ein Patient aus Paris, dessen Eltern eine Parfumfabrik hatten. „Luis“ wiederum war ein Mann mittleren Alters, der den Drang hatte, sich nackt auszuziehen. Und eine adelige Dame zog die Kombinage immer über ihrem Kleid an. Wegen dieser Patienten wurde eine hohe Mauer um das Areal errichtet, damit die GablitzerInnen nicht irritiert wurden.8 Marcell Kolischer mit Pfleger Walter Fitzbogen Guy Schöpfer aus Paris mit meiner Großmutter Hertha Weiniger mit einer Freundin mit Patienten im Garten 8 Vizebürgermeister Walter Neumayer erzählte Frau Dr. Grimmlinger, dass sich in seiner Jugendzeit Gablitzer Jugendliche Spaß daraus machten, zum Zaun zu gehen, um „die Narrischen zu sekkieren“. Daher wurde eine Mauer errichtet und es bürgerte sich der Name „narrische Villa“ ein. 11 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Rosl Katzgraber Leni Anna u. Hertha W. mit Madleen Süß 1935 Dr. Pleva, Anna W., Frl. Husserl, Hertha W., Dr. J. Weiniger Was aus den Patienten wurde? Viele sind im KZ umgekommen wie mein Großvater…… 12 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Freizeitgestaltung in Gablitz: 1921: Drei Föhren am Hauersteig 1930 Schifahren auf der Klosterwiese 1933 Hertha und Wita Weymann bereit für ein Sommerfest 1933 Hertha mit Edith Goldstein, Witta Weymann und Schulkolleginnen auf der Hochramalm 1934 Hertha mit Paul Hirt 1933 Pfarrer Ackermann mit Salomon, Josef und Anna W. mit Großtante u Hanni Rösch in Gablitz 13 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Mein Großvater und seine um 14 Jahre jüngere Ehefrau Anna führten eine sehr harmonische Ehe. Meine Großmutter hatte damals ein sorgenfreies Leben, sie war die „Frau Doktor“ und ihr Mann bot ihr eine gesicherte Existenz. Auch die früh verwitwete Mutter meiner Großmutter, Anna Schreiber9, lebte eine Zeitlang in Gablitz, die Patienten und die Pfleger – für alle war Platz und es gab wenig Berührungsängste zwischen den Patienten und der Familie. 1935: Das Ehepaar Weiniger mit „Oma Schreiber“ im Gablitzer Garten 1934 kamen die ersten Berufsverbote für Juden, Dr. Josef Weiniger war – als evangelischer Arzt – noch einige Zeit sicher. 1937 reiste die Familie zur Hochzeit der Nichte nach Graz: Gertrude Salus heiratete den Mailänder Arzt Dr. Edzio Schloß. Die Schwester meines Großvaters, Angelina, war in Prag mit Univ.Prof. Dr. Robert Salus verheiratet. Diese Verbindung sollte sich schon kurze Zeit später als sehr wichtig herausstellen. mein Großvater 1937 in Prag Im März 1938 begannen Schikanen gegen Juden, so auch gegen meinen Großvater. Der Gablitzer Gemeindearzt Dr. Weymann, mit dessen Tochter Wita10 meine Mutter befreundet war, wurde 1938 verhaftet. Dr. Weymann bat meinen Großvater, die Behandlung seiner Gablitzer PatientInnen zu übernehmen, und Bürgermeister Johann Wanderer setzte meinen Großvater als Gemeindearzt ein. Wie aus dem Schreiben meines Großvaters vom 23. März 1938 an die Geheime Staatspolizei 9 Anna Schreiber starb 1939 in Gablitz, ihr Mann war bereits 1905 verstorben, Anna Weiniger 1973 in Gablitz Hertha Weiniger schreibt Wita „Weymann“, Dr. Weiniger „Waymann“ 10 14 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 ersichtlich, übernahm Dr. Weiniger die Aufgabe aus Kollegialität und aus Verantwortungsgefühl, war aber Verleumdungen und Anzeigen ausgesetzt: 15 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 16 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 17 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Judenstern meines Großvaters, Leihgabe im Museum Es gab einige jüdische Familien in Gablitz, z.B. ALTSCHUL und ROWLAND. Oder Hr. ZOTTER, der auch evangelisch war und die NS Zeit über in Gablitz überlebte. Meine Großmutter hatte ihn im „Personalwohnhaus“ untergebracht und Frau Hirt, deren Freund im Krieg gefallen war, und Frau Schreyer halfen ihr, sie waren heimlich gegen das NS Regime. Bei Grabungsarbeiten finden sich in diesem Bereich Gänge, möglicherweise waren das ursprünglich Bierkeller oder Erdkeller für Lebensmittel. Es kann aber auch sein, dass diese im Krieg als Bunker oder als Verstecke für Wertgegenstände angelegt wurden. Es hält sich auch das Gerücht, dass es einen Geheimgang vom Kloster in die Gablitzer Kirche gab, aber das ist nicht erwiesen. 18 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Dr. Weiniger sollte in Gablitz Reinigungsarbeiten durchführen, davon konnte er sich freikaufen: Um der Familie die Existenz zu sichern, ließ sich das Ehepaar Weiniger im Mai 1938 scheiden, damit seine nichtjüdische Frau Anna Weiniger die Anstalt weiterführen konnte. Immer mehr Übergriffe fanden statt, Patientengelder und das Auto wurde beschlagnahmt, Teppiche, Möbel und Geschirr als „Judenbesitz“ vom Gablitzer Gemeindeverwalter Karl Krug billigst an diverse GablitzerInnen verkauft. Um den Radioapparat zurückzuerhalten, fuhr meine Großmutter sogar zur Gestapo nach St.Pölten, wo sie einen Tag im Arrest verbrachte. Auto, Radioapparat, Möbel, Teppiche und Geschirr – alles blieb verschwunden. Da die Angriffe gegen meinen Großvater Dr. Josef Weiniger immer heftiger wurden, plante er seine Flucht in die Schweiz zu seinem Bruder Karl, der in Basel als Opernsänger engagiert war. Doch dazu kam es nicht mehr. Denn, wie meine Großmutter erzählte, war 1938 Dr. Josef Weiniger (und noch ein anderer Arzt) von direkt von seiner Dienststelle von SS-Leuten abgeholt und nach Gablitz geführt worden, wo er rasch nur das Notwendigste einpacken durfte. Er und seine jüdischen Patienten wurden nach Purkersdorf zum Bahnhof gebracht und in einen Zug gesetzt. Man sagte Dr. Weiniger, dass er einen Krankentransport zu begleiten habe. Meine Großmutter, die damals schwanger war, radelte in großer Sorge nach Purkersdorf. Vor Aufregung hatte sie kurz danach einen Abortus. Sie hatte den Eindruck, dass es kein Zufall war, dass kurz vorher Hr. Rainer vorbeigekommen und sie gefragt hatte, ob ihr Mann zu Hause sei, was sie verneinte. „Gott sei Dank“, meinte er. Ihr schien, dass er die Familie warnen wollte, aber es war zu spät. Auch Frau Hirt habe ihr gesagt, dass sie das befürchtet habe, weil im Ort „so etwas gemunkelt“ wurde. 19 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Um die Normalität weiterzuführen, wurde am 17. Juli 1938 der 17. Geburtstag von Hertha Weiniger, meiner Mutter, in Gablitz mit ihren Freundinnen gefeiert: Am 10.7. 1938 Hertha Weiniger feiert ihren 17. Geburtstag in Gablitz Im September 1938 gelang meinem Großvater die Flucht nach Prag, wo er bei Verwandten unterkommen konnte. Obwohl jüdische Patienten abtransportiert worden waren und einige andere die Heilanstalt verlassen hatten, konnte meine Großmutter den Betrieb weiterführen. So konnte sie ihrem Mann fallweise Geld nach Prag schicken, um sein Überleben zu sichern. Um den Weiterbetrieb der Anstalt zu sichern, die nun als „Krankenpension“ geführt wurde, schrieb Dr. Wagner Jauregg im Mai 1939 folgende Bestätigung: Urkunde, fotografiert 2006 von RG (Original in der Sammlung Vormaurer) 20 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Hertha Weiniger, meine Mutter, konnte zwar eine weiterführende Schule besuchen, aber nur bis zur Gesellenprüfung. In Gablitz war sie immer wieder Schikanen ausgesetzt, so musste sie z.B. die Linzerstraße aufwaschen, auch vor kirchlichen Feiertagen – oder es musste eine „Reibeprämie“ bezahlt werden. Auf der Gablitzer Kirche war die Hakenkreuzfahne angebracht. Meine Mutter, war dann arbeitsverpflichtet in einer Waffenfabrik in Wien. Von dort konnte sie ihre Cousine Marie Luise „Rilli“ Lipter herausholen, und sie als Näherin in ihrem Modesalon beschäftigen. Rilli Lipter war durch ihren in der NS Zeit sehr angesehenen Vater Dr. Cornel Lipter geschützt, sie hatte einen Modesalon auf der Kärtnerstraße. 1941 waren in Gablitz einige NS Soldaten einquartiert, auch in der Gablitzer Villa Weiniger. So lernte meine Mutter ihren späteren Mann, den aus Deutschland stammenden Hans Kauffmann, kennen. Er war gleich nach der Matura Soldat geworden. Hans Kauffmann 1941 in Gablitz Beim Rußlandfeldzug wurde er so schwer verletzt, dass ihm ein Bein amputiert werden musste. 21 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Nach dem Krieg bemühte sich meine Großmutter um Wiedergutmachung, aus dem Schreiben ist das Schicksal meines Großvaters auch sehr deutlich erkennbar : 22 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 1945 waren die letzten bis dahin noch verbliebenen Patienten in die Psychiatrische Anstalt am Steinhof verlegt worden. Ab 4. April 1945 waren etwa 50 russische Soldaten kurzfristig einquartiert, wie die handschriftliche Notiz von Anna Weiniger zeigt. 23 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 FRAGEN bzgl. Wiedergutmachung: 1. Wann ist der Schaden entstanden? 13. März bis 8. 8.1948 2. Aus welchem Grund ist die Verfolgung erfolgt? 3. Durch welche Maßnahme? 4. Wo befanden sich die Sachen? 5. a) Wurden die Sachen jemand anderem ins Eigentum übertragen? b) welche andere Verwertung? 6. Wurden vom Geschädigten Schritte unternommen um wieder in den Besitz zu gelangen? 7. Hat der Geschädigte einen Ersatz erhalten? 8. Hat der Geschädigte seinen Sitz im Ausland gehabt? Der Wagen, Teppiche und viele andere Wertgegenstände tauchten übrigens nie wieder auf. 24 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 1951 heiratete meine Mutter Hertha Weiniger den kriegsversehrten Dkfm. Hans Kauffmann in der als evangelische Kapelle umfunktionierten - ehemaligen Garage meines Großvaters. Hans Kauffmann hatte im Krieg ein Bein verloren und nach dem Krieg als Arbeitsstudent ein Studium abgeschlossen. 1955 wurde ich (Fleur), 1958 meine Schwester Alice geboren, wir wuchsen in Deutschland auf, die Ferien verbrachten wir immer in der Weiniger-Villa in Gablitz. Meine Großmutter hat nie wieder geheiratet. Sie hat bis zu ihrem Tod in der Weiniger Villa gelebt. Das Schicksal der Juden und die NS Zeit sind nicht nur als politische Geschichte sondern spiegelt sich auch in unserer Familiengeschichte. Die verschiedenen politischen Ansichten waren auch in unserer Familie präsent. Ich fühle mit den Opfern und bin meinem Großvater, obwohl ich ihn nie kennengelernt habe, sehr nahe. Außerdem sehe ich ihm sehr ähnlich. Eines der letzten Fotos meines Großvaters Am 28. April 1942 wurde mein Großvater Dr. Josef Weiniger von Prag ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert (Ao-873) und am 30.04.1942 nach Zamosc überstellt (As-873). Wir hörten nie wieder etwas von ihm. Vom Landesgericht für Zivilrechtssachen wurde er unter Zahl 48 T 5120/47 für tot erklärt. Die Weiniger Villa wurde von meiner Mutter verkauft und Grundstück geteilt, auf einem Teil des ehemaligen Weiniger- Areals wohne ich noch heute. Die Erzählungen meiner Großmutter und Fotos zeigen mir, wie es früher gewesen sein mag. Diese Recherche wurde von Frau Mag. Fleur Leutgeb am 24.11.2013 zur Weitergabe an Interessierte freigegeben. Am 21.8.2015 wurde von Mag. Fleur Leutgeb auch die Veröffentlichung im Internet gestattet. Es wird für die Gespräche, für die sicher nicht einfache Erinnerung der familiären Vergangenheit und für das Vertrauen sehr herzlich gedankt! Dr. Renate Grimmlinger MSc 25 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Anhang: Das Haus K. Nr. 18, wie es 1929 aussah, als es von Dr. Josef Weiniger gekauft wurde – noch vor dem Umbau Aus dem GRUNDBUCH BG PURKERSDORF, GABLITZ, EZ 18 (KIRCHENGASSE 10): 1878 August 1: Zl. 3430 Notariatsakt vom 10.5.1878 und 15.7.1878: Eigentumsrecht Elvira STUMMER 1879: März 19: KV 17.3.1879: Bescheid des k k Handelsgerichts Wien vom 16.3.1879 bestätigt, dass das Eigentumsrecht für Fa. ROWLAND & Comp. einverleibt wurde 1884 30. April: KV vom 28.4.1884: Eigentum Adolf RITTLER 1907 3. März: KV vom 21.2.1907 Fa. WEIL & Co 1907 24. Juli: KV vom 19.7.1907: Emil GARFUNKEL 1908 23.9.: KV vom 15.9.1908: Dr. Josef BRAUNER 1910 29.6.: KV Lemberg 19.6.1910: Johanna OSTERAUER 1912 7.März: Zuschlag an Siegfried KALISCH, 1912 8.8.: Verteilungsbeschl. v. 22.4.1912 Siegf. Kalisch 1913 KV v. 3.2.1913 Dr. Isidor LAMBERGER 1919 29.12.: KV v. 23.12.1919 Flora DITTRICH zur Hälfte 1929 4.10.: ½ von Dr. Isidor LAMBERGER an Dr. Josef WEINIGER 1929 15.10.: KV v. 30.9.1929 Dr. Josef WEINIGER zur Gänze 1950 11.1. Einantwortungsurkunde v 19.7.1949 Zl A 362/48: Anna WEINIGER ¼, Hertha WEINIGER 3/4 1951 26.11.: Heiratsurkunde StA Gablitz v 4.8.1951: Hertha Weiniger durch Verehel. KAUFFMANN 1974 17.7.: Auf das ¼ der Anna Weiniger Hertha KAUFFMANN11 11 Weitere Grundbesitzer scheinen nicht im alten Grundbuch, sondern nur elektronisch auf. Das Areal wurde ca. 1976 von Hertha Kauffmann, geb, Weiniger, geteilt. Die eine Hälfte wurde an Frau LUTZ verkauft, von der GR KNOLL kaufte, heute wird die „Weiniger Villa“ von einer Arztfamilie bewohnt. Die andere Hälfte verblieb im Besitz von Hertha Kauffmann, ein Teil wurde abgetrennt, in welchem das Haus von Fam. Leutgeb errichtet wurde: Adresse Höberthgasse 26. 26 Mag. Fleur Leutgeb: Dr. Josef WEINIGER, mein Großvater –notiert von Dr. Renate Grimmlinger 5/2012 Aus dem Telefonbuch 1931/32: In Gablitz gab es elf Telefon-Anschlüsse, Dr. Weiniger hatte die Tel.Nr. 9 Diese Zusammenfassung wurde von Mag. Fleur Leutgeb am 24.4.2012 zur Weitergabe freigegeben und am 21.8.2015 zur Veröffentlichung im Internet.
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