Ringbote 3.2015_5.indd

ausgabe 3/2015
Ringgenhof
Geschäftsführung
Höchsten
Adaption
der Ringbote
Tagesrehabilitationen
Förderkreis
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F
Von habilitatio
Suchtre Menschen an?
bei den
mitteilungen der fachkliniken
ringgenhof und höchsten,
der tagesrehabilitationen,
des förderkreises und
der geschäftsführung
geschäftsführung
editorial
liebe leserin und lieber leser,
inhalt
Geschäftsführung
Editorial
..................................................................................... 2
Suchthilfe
In der Vergangenheit erfolgreich – für die
Zukunft gerüstet
Impressum
..................................................................................... 3
Förderkreis
Neues aus der Vorstandschaft ............ 4 + 5
Suchthilfe
Therapie von damals bis heute ............... 6 + 7
Förderkreis
Veränderungen und Wandel mit und durch
den Förderkreis ............................................. 8
dieses Jahr feiern wir 110 Jahre Suchthilfe, aber lassen Sie mich ein bisschen
ausholen: 1901 wurde mein Großvater
geboren. Vor ungefähr 30 Jahren erstand
ich für meine erste eigene Wohnung
einen, wie ich bis heute finde, wunderschönen Garderobenschrank von 1908,
Mahagoni, mit Intarsien und noch dem
originalen, ovalen Spiegel. Als mein
Großvater mich das erste Mal in dieser
Wohnung besuchte fragte er, dessen
Kindheit mit solchen Schränken möbliert war, was ich mit dem Sperrmüll
wolle!!!
Suchthilfe
Aufbruch in eine neue Therapiewelt ...... 9
Suchthilfe
Von der Forschung zur Praxis in der
Suchtreha ..................................................... 10
Fachklinik Höchsten
Den nächsten Schritt gehen ....................... 11
Suchthilfe
Drogenpatienten auf dem Ringgenhof –
eine Vision wurde Wirklichkeit
........................................................................... 12 + 13
Tagesreha Ulm
Mensch Sucht Zukunft ....................... 14 + 15
Heute glaube ich, dass mein Großvater
gar kein „Kunstbanause“ war, sondern
wahrscheinlich ein hochmoderner
Mann, dessen Zukunft, damals, Mitte
der 80-er Jahre, schon eher bei IKEAMöbeln lag als beim antiken Sperrmüll
seiner Kindheit. Nie hat mein Großvater
alten Zeiten nachgetrauert, sondern war
bis zu seinem Tod mit fast 95 Jahren
neugierig auf jede Entwicklung, setzte
sich, auch wenn er am Ende zu dem
Entschluss kam, dass er damit nichts
anfangen könne, mit jedem Trend
auseinander, mit jeder Lebensform
und beklagte nie den Verlust der alten,
goldenen Zeiten.
Suchthilfe
Therapie von damals bis heute aus Sicht
Der Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe
.......................................................................... 16
Fachklinik Ringgenhof
Bundestagsabgeordnete besuchen den
Ringgenhof .................................................... 17
Suchthilfe
Einladung zum Symposium anlässlich
des 110 jährigen Jubiläums ...................... 18
Suchthilfe
Angedacht, Pfarrerin Dorothee Schad
.......................................................................... 19
Förderkreis
Protokoll Mitgliederversammlung
Förderkreis ........................................... 20 + 21
Was haben nun mein Großvater und
mein Schrank mit unserer Suchthilfe,
gegründet 1905, zu tun?
Neues von Deuß
................................................................. 22 + 23
Suchthilfe
Elf Fragen an Dr. Tillmann Weber ................. 24
Wir würden wahrscheinlich nicht 110
Jahre Suchthilfe feiern können, wenn
2
nicht in all diesen Jahrzehnten die
Handelnden über Flexibilität, Klugheit,
und Mut verfügt hätten, ihre Einstellungen zu überprüfen und zu ändern,
suchtpolitische Entwicklungen zum Teil
vorweg zunehmen, zu gestalten, alte
Standards ohne Nostalgie über Bord zu
werfen und Neues zu entwickeln. Und
dabei, wenn ich es modern ausdrücken
darf, die „DNA“ der Suchthilfe der Die
Zieglerschen nicht zu verändern: Christliche Ausprägung, tiefenpsychologisch
fundiertes Krankheitskonzept, psychoanalytisch interaktionelle Behandlung,
beständige Fortentwicklung. 110 Jahre,
das ist eine Zeitspanne länger als ein
Menschenleben und so haben unzählige
Erfahrungen, Entscheidungen, Gedanken und Erinnerungen die Identität der
heutigen Suchthilfe ausgeprägt. Ich
glaube, dass es heute 110 Jahre Suchthilfe gibt, weil es bei den handelnden
Personen viele Menschen gab wie
meinen Großvater: Aufgeschlossen,
neugierig, bereit und fähig, aufgrund
neuer Erkenntnisse sich eine Meinung
zu bilden, ein Urteil zu revidieren und
den eigenen Blick zu weiten.
Ich wünsche uns also in der Zukunft
Klugheit, kommende Entwicklung
vorwegzunehmen, mitzugestalten, die
Innovationskraft, sich nicht rückwärts zu
wenden sondern mit der Zeit zu gehen,
ohne Beliebigkeit sondern verwurzelt
in unseren stets überprüfbaren, überprüften, veränderbaren und veränderten
Positionen.
Wenn Sie Lust haben, dann kommen Sie
doch am 20. Oktober 2015 ins Stadthaus
Ulm zu unserem Jubiläumssymposion.
Wir freuen und auf Sie!
Herzliche Grüße
Ihre
dr. ursula fennen, mba
Geschäftsbereichsleitung
suchthilfe
in der vergangenheit erfolgreich – für die zukunft gerüstet
Vor 10 Jahren hat Die Zieglerschen
Suchthilfe mit einem großen Festakt
ihr 100-jähriges Jubiläum gefeiert. Die
Festschrift zum Jubiläumsjahr 2005
ist voll von Grußworten, historischen
Beiträgen, Patientenportraits und einer
Beschreibung aktueller Therapiekonzepte und -angebote. Im folgenden zitieren
wir das Grußwort des Ersten Direktors
der Deutschen Rentenversicherung
Baden-Württemberg, Herrn Hubert
Seiter, aus der Festschrift von 2005 mit
dem Titel: „In der Vergangenheit erfolgreich – für die Zukunft gerüstet.“
„Tradition verpflichtet, insbesondere
dann, wenn auf 100 Jahre ebenso engagierte sowie erfolgreiche Suchtkrankenhilfe bei den Zieglerschen (…) zurückgeblickt werden kann. Das Erfolgsrezept
der Zieglerschen (…) ist schnell umschrieben: Es verbindet den christlichen
Geist eines diakonischen Hauses mit der
fachlichen und betriebswirtschaftlichen
Kompetenz eines professionellen Sozialunternehmens. Viele Wege führen in die
Sucht. Entsprechend differenziert möchten daher auch die Hilfsangebote sein,
die den abhängigen Menschen helfen,
ihre Erkrankung zu überwinden und eine
suchtfreie Perspektive zu entwickeln.
Die Suchtkrankenhilfe der Zieglerschen
(…) hat auf diesem Gebiet in den letzten
Jahren sehr viel bewegt. Neben der
traditionell bewährten Rehabilitation
im vollstationären Setting konnten in
Friedrichshafen, Ulm und Reutlingen
tagesklinische Einrichtungen geschaffen
werden. Die Suchtkrankenhilfe ist daher
für die Herausforderung der Zukunft gut
gerüstet. Weiterhin wird es erforderlich
sein, gemeinsam mit den Leistungserbringern und den Rehaträgern die
Suchthilfestrukturen umzubauen. (…)
Nur ein auf den individuellen Bedarf abgestimmtes differenziertes Angebot mit
ambulanten, teilstationären und stationären Elementen, die flexibel miteinander
kombiniert werden können, wird die
Erwartungen nach hohen Erfolgsquoten
bei gedeckelten Budgets erfüllen. (…)
Impressum:
Auch für die Zukunft wünschen wir uns
eine enge und konstruktive Zusammenarbeit mit der Suchtkrankenhilfe
der Zieglerschen (…) zum Wohle der
suchtkranken Menschen.“
der ringbote:
Das Magazin des Geschäftsbereiches Sucht,
der Die Zieglerschen – Nord gemeinnützige GmbH
und Süd gemeinnützige GmbH
und des Förderkreises Suchthilfe
der Zieglerschen e.V.
September 2015, Nr. 3
Auflage: 1.800 Stück
Seit diesem Grußwort sind 10 Jahre
vergangen und es ist natürlich in diesen
10 Jahren einiges passiert: Die Tagesrehabilitation Friedrichshafen wurde nach
Ravensburg verlegt, die Tagesrehabilitation in Reutlingen mussten wir mangels
Auslastung schließen, wir erwarben
die Fachklinik Hohenrodt in Oggelsbeuren und gaben auch diesen Standort
auf zu Gunsten einer Erweiterung der
Platzzahl in der Fachklinik Ringgenhof.
Die Vision in diesem Grußwort, ein
abgestimmtes differenziertes Angebot
mit ambulanten, teilstationären und stationären Elementen flexibel miteinander
zu kombinieren ist (noch) nicht umgesetzt, auch wenn Beschlüsse, Konzepte
und Strukturen dafür eigentlich bereits
den Weg geebnet haben. Dennoch liegt
darin sicherlich weiterhin die Zukunft
der Suchtkrankenbehandlung: Nah an
der Familie, dem Arbeitsplatz, dem
sozialen Leben des Patienten und der
Einbeziehung all dieser Aspekte in die
Therapie, flexibel sich den Lebensphasen eines Menschen anpassend, flexibel
und vielschichtig wie moderne Arbeitszeitmodelle.
herausgeber:
Geschäftsbereich Sucht, der Die Zieglerschen –
Nord gemeinnützige GmbH und Süd gemeinnützige
GmbH, vertreten durch Dr. med. Ursula Fennen, MBA,
Geschäftsführerin, Geschäftsbereichsleitung Sucht
und dem Förderkreis Suchthilfe der Zieglerschen e.V.,
vertreten durch Jürgen Ziegele,
1. Vorsitzender
erscheinungsort:
Wilhelmsdorf
erscheinungsweise:
Vierteljährlich
Der Ringbote ist die Zeitschrift für ehemalige und
derzeitige Patientinnen und Patienten, Freunde,
Förderer, Kunden und Mitarbeitende des Geschäftsbereiches Sucht der Die Zieglerschen
einhefter:
Überweisungsformular für Beitrag/Spende
Der Jahresbeitrag für den Förderkreis beträgt 15,- �
unser spendenkonto:
Förderkreis Suchthilfe der Zieglerschen
Kreissparkasse Ravensburg
IBAN DE34650501100080804446
BIC SOLADES1RVB
redaktion:
Rebekka Barth (verantwortlich);
Maria Keller, Martin Kunze, Peter Deuß,
Martin Damm, Ursula Burkhart
autoren dieser ausgabe:
Dr. Ursula Fennen, Jürgen Ziegele, Franz Mayer,
Rebekka Barth, Dietmar Huland, Prof. Dr. Harald Rau,
Dr. Christine Göhring-Premer, Horst Brändle,
Dr. Annett Höse, Sarah Benkißer, Hildegard Arnold,
Dorothee Schad, Anni Köser, Peter Deuß,
Dr. Tillmann Weber
Geblieben ist 10 Jahre nach diesem
Grußwort die enge und konstruktive
Zusammenarbeit mit dem Kostenträger
zum Wohle des suchtkranken Menschen,
denn nur das Wechselspiel zwischen
Politik, Kostenträgern und Leistungserbringern ermöglicht neue, individuelle
Wege in der Suchtkrankenbehandlung,
die Fortentwicklung der Kliniken und
deren Erhalt.
anschrift der redaktion:
Die Zieglerschen Nord gemeinnützige GmbH
Süd gemeinnützige GmbH
Geschäftsbereich Sucht
Maria Keller
Riedhauser Str. 61
88271 Wilhelmsdorf
Telefon (07503) 920 – 112
Telefax (07503) 920 – 117
E-Mail: [email protected]
für alle Fragen zum Ringboten
isches konzept, satz,
produktion und druck:
Druck+Design Gebhart-Renz OHG,
88281 Unterankenreute,
Gestaltung: Ute Schwarz
www.druckdesign-gebhart.de
dr. ursula fennen,
mba
Geschäftsbereichsleitung
Titelmotiv: Archiv Die Zieglerschen
3
förderkreis
aktuelles
neues aus der vorstandschaft
Liebe ehemalige und derzeitige
Patientinnen und Patienten,
liebe Freunde und Förderer,
sehr geehrte Damen und Herren,
Jürgen Ziegele
Foto: privat
Blick auf das Haus Saar der Fachklinik Ringgenhof
4
Ich hoffe, Sie sind alle wohl auf, hatten
ein schönes Jahresfest und Sie sind wieder gut nach Hause gekommen!
Das Treffen, mit den ehemaligen und aktuellen Patientinnen und Patienten ist jedes Mal von großer Bedeutung. So kann
man erfahren, wie es Menschen gelingt,
eine schwere Erkrankung zu bewältigen
und wie sie sich weiter entwickelt haben.
Wir erlebten wieder ein buntes, fröhliches Fest der Begegnung und des freudigen Wiedersehens.
Am 20. Juni 2015 fand auf dem
Ringgenhof die Mitgliederversammlung des Förderkreises statt. Trotz
der frühen Uhrzeit nahmen 19 Mitglieder an der Versammlung teil.
Ich möchte mich hiermit nochmals, im
Namen des gesamten Vorstands, bei allen
bedanken, die uns in der Mitgliederversammlung Ihr Vertrauen ausgesprochen,
in unserem Amt bestätigt und auf weitere
4 Jahre gewählt haben.
Nach der Mitgliederversammlung feierten die Fachkliniken Ringgenhof und
Höchsten, wieder Ihre Jahresfeste. Es
war schon das 109. Fest, das in der Fachklinik Ringgenhof abgehalten wurde.
Insgesamt waren wieder mehrere hundert
ehemalige Patientinnen und Patienten
aus den unterschiedlichen Therapiejahrgängen mit ihren Angehörigen
in der Fachklinik Ringgenhof und in
der Fachklinik Höchsten erschienen.
Besonders erfreulich war, dass wieder
über 80 „Ehemalige“ für ihre langjährige
Abstinenz zwischen einem und 50 Jahren
geehrt wurden.
Bei der Sammlung für Patienten in Not
auf dem Ringgenhof wurden 912 Euro
gespendet. Das sind 100 Euro mehr als
im Vorjahr. Bei dem Spendenaufruf für
die Silikonbänder kamen stolze 167,20
Euro zusammen.
aktuelles
Allen Spenderinnen und Spendern sei
hiermit recht herzlich gedankt!
Am Nachmittag nutzten viele Besucher
die Möglichkeit, sich einen sehr interessanten Fachvortrag von Dipl. Psychologin Doris Knak aus der Tagesrehabilitation Ulm anzuhören. Andere genossen
eine von unserem Ehrenmitglied Franz
Mayer geführte Riedführung. Wieder
andere widmeten sich der sportlichen
Betätigung beim Bogenschießen oder
beim Minigolfspielen.
Am Vorabend des Jahresfestes fand ein
Abend der Begegnung, für die derzeitigen Patientinnen und Patienten, mit Vertretern des Förderkreisvorstandes und
freiwilligen ehemaligen Helfern, statt.
Dass „Ehemalige“ von ihren Erfolgen,
aber auch von den Schwierigkeiten eines
Lebens in Abstinenz berichten, kam bei
den derzeitigen Patientinnen und Patienten sehr gut an. Hiermit bedanke ich
mich nochmals im Namen der gesamten
Vorstandschaft bei allen ehrenamtlichen
Helfern, die uns am Abend der Begegnung so tatkräftig unterstützt haben.
Unser Dank gilt auch Franz Mayer, der
an der Mitgliederversammlung die Ent-
förderkreis
lastung des Vorstands und die Neuwahl
der Vorstandschaft durchgeführt hat.
Ebenso gilt unser herzlichster Dank
Dipl. Psychologin Doris Knak, die mit
Ihrem Vortrag sehr zum Gelingen des
Jahresfestes beigetragen hat.
Alles in allem war es wieder ein gelungenes Jahresfest 2015.
Über neue Mitglieder bei uns im
Förderverein würden wir uns sehr
freuen.
Zu guter Letzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass in diesem Heft das
Protokoll der Mitgliederversammlung vom 20.06.2015 abgedruckt ist.
Wenn innerhalb von vier Wochen
nach Erscheinung des Ringboten-3
kein schriftlicher Widerspruch beim
Vorstand eingegangen ist, gilt das
Protokoll als genehmigt.
Ihr
jürgen ziegele
1. Vorsitzender Förderkreis
Wir begrüßen
unsere neuen Mitglieder
im Förderkreis:
Persönliche
Nachrichten
Wir betrauern den Tod von:
Nicole Wilde · Arnold Reif · Torsten Tessmer
Andreas Propst · Dietmar Geue · Thomas Schmotz
Karl-Ernst Drews
74 Jahre
Benjamin Unger
Therapiejahr 1988
Herzlich Willkommen!
5
suchthilfe
therapie von damals bis heute
Therapieangebote, von denen die
Ehemaligen besonders profitierten, um
abstinent zu bleiben sind die Rückfallprophylaxe, Einzelgespräche mit
Therapeuten sowie die Gruppentherapie.
Profitieren können habe man während
der Therapie von der Gemeinschaft an
sich, sowie den geordneten Abläufen
und der Regelmäßigkeit der Tagesstruktur. Von einigen der Befragten wurden
dagegen die vielen „Muss“ und „Solls“
als belastend empfunden. Schwierig war
für einen ehemaligen Patienten
110 Jahre Suchtthilfe sind eine lange
Zeit, eine Zeit, in der viele unterschiedliche Menschen in der Suchthilfe der
Die Zieglerschen behandelt wurden,
von denen jeder seine eigene Geschichte
erzählen konnte und zahlreiche auch
noch erzählen können. Peter Deuß und
Martin Damm haben sich während des
Jahresfestes die Zeit genommen, das
Gespräch mit ehemaligen Patienten und
Patientinnen zu suchen um zu erfahren,
wie es diesen während der Therapie
und auch in der Zeit danach, bis heute,
erging.
Auf die Frage, was der Begriff Heilung
für die Patienten und Patientinnen
bedeute, kamen ganz unterschiedliche Rückmeldungen. Für Herrn
W. ist Heilung
die Umwandlung von
negativem
Gedankengut in
positive
Gedanken.
Herr B. dagegen mag den
Begriff weniger.
Seiner Meinung nach
habe das Wort Heilung
etwas von „so wie vorher“. Nichts
sei nach der Therapie aus seiner Sicht
jedoch wie vorher. Zwar käme die
Alkoholsucht zum Stillstand, trotzdem
begleite sie einen für den Rest des
Lebens. Herr G. und auch die Patientinnen der Fachklinik Höchsten sind
sich dagegen einig. Heilung bedeute für
sie Stillstand der Erkrankung, keinen
Rückfall zu haben, also die zufriedene
Abstinenz. Wieder gesund sein und
ohne Suchtdruck leben zu können, das
ist Heilung für eine ehemalige Patientin
der Tagesreha Bodensee-Oberschwaben.
Zieglerstift Haslachmühle-Hauptgebäude
besonders das Loslassen, ein anderer
Patient erwähnte, er habe Schwierigkeiten gehabt, seinen Platz in der Gruppe
zu finden.
Auf die Frage wie die ehemaligen
Patientinnen und Patienten die heutige
Therapie im Vergleich zu früher erlebten, berichtet ein ehemaliger Patient,
der 1992 und danach noch einmal 2008
in Therapie war, es habe sich in dieser
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Zeit einiges verändert. 1992 z.B. habe
es auch bei Abbrüchen keine Neuaufnahmen in eine bestehende Gruppe
gegeben, was als positiv empfunden
wurde, denn der Zusammenhalt in der
Gruppe war stark.
Was hat Ihnen geholfen abstinent zu
bleiben, war die abschließende Frage.
Früher sei alles viel strenger gewesen,
was nicht geschadet habe, so eine Patientin. Die Arbeit im Freundeskreis sowie eine geregelte Tagesstruktur waren
für einen anderen Patient Erfolgsfaktoren. Auch die Tatsache akzeptieren zu
können, dass Alkohol krank mache und
kontrolliertes Trinken nicht möglich war, gepaart mit der
Tatsache, Wichtiges
wie Beziehung,
Arbeitsplatz
und Führerschein nicht
aufs Spiel
setzten zu
wollen,
haben das
Abstinentbleiben einer
ehemaligen
Patientin der
Tagesreha Ravensburg
gefördert. Einem anderen
half ein Neuanfang, abstinent zu
bleiben, sowie die Erkenntnis fähig zu
sein, Entscheidungen zu treffen, die nur
einen selber betreffen. Außerdem fange
dort, wo Therapie aufhöre, der Glaube
an. Erwartungsvoll und neugierig in die
Zukunft zu gehen unterstütze ebenso
dabei, langfristig abstinent zu bleiben.
rebekka barth
Assistentin Geschäftsbereichsleitung Sucht
suchthilfe
50 jahre abstinenz, interview mit einem patienten
1. Herr J. was bedeutet der Begriff
Heilung für Sie ganz persönlich?
„Heilung? Ich wollte gesund werden,
und habe dafür viel investiert; hab‘ also
anders gelebt und v. a. meinem alten
Freundeskreis den Rücken gekehrt!“
Trotzdem ist die Heilung nie abgeschlossen. Man muss immer weiter an
sich arbeiten.“
2. Von welchem Baustein des Therapieangebotes haben Sie während
Ihrer Therapie am meisten profitiert?
„Ich hatte schon vor der Therapie sehr
von meinem Suchtberater profitiert
und von meiner Hausärztin. In der
Therapie profitierte ich dann besonders
von meinem Einzeltherapeuten, vom
Hausvater und vom damaligen Leiter
Dr. Rieth. Selbstverständlich auch von
meiner Gruppe: wir waren damals ein
verschworener Haufen von 18 Männern…! Auch die Freiheit in einem
eingegrenzten Gebiet tat gut. Das hört
sich vielleicht merkwürdig an. Wir hatten ein abgestecktes Gebiet in dem wir
uns frei bewegen und spazieren gehen
konnten. Mir hat das sehr geholfen,
denn ich war anfangs sehr wackelig und
wäre womöglich, wenn ich die Gelegen-
heit bekommen hätte, sofort in
eine Ortschaft gegangen.
Grenzen haben gut
getan.“
3. Was fanden
Sie damals, während Ihrer Therapie, schwierig?
„Die Arbeit in der
Schlosserei war für mich
sehr schwierig. Der Lärm an der
Stanze machte mich fertig und verfolgte mich noch in meinen Träumen. Ich
wurde dann versetzt und bekam eine
neue Aufgabe im Speisesaal. Da fühlte
ich mich wohl.
Auch die Verknüpfung von Glaube und
Therapie hat mich geärgert, und ich
habe gesagt: ich bin doch wegen meinem Alkoholproblem hier, nicht wegen
meines Glaubens, denn damals wollte
ich noch nichts wissen davon!“
Hof und Stallung des
Zieglerstiftes Haslachmühle
5. Was hat Ihnen nach der Therapie
geholfen, um abstinent zu bleiben?
„Zwei aus unserer Gruppe wurden
rückfällig, der Rest ist bis zum Ende
geblieben. Auch nach der Therapie
hatten wir noch einen starken Zusammenhalt. Kontakte sind geblieben.
Nach der Therapie habe ich meinen
Freundeskreis gewechselt und bin in die
Selbsthilfegruppe gegangen. Anfangs
hatte ich nur zugehört, mich dann aber
immer mehr eingebracht. Ein starker
Wille hat mir ebenfalls geholfen. Ich
begann am 4. Juni 1965 meine Therapie in der Haslachmühle, hatte mit
vergitterten Fenstern gerechnet und war
dann angenehm überrascht. Es war nicht
so schlimm wie ich dachte. Ich hatte mir
gesagt „ Ich werde in meinem Leben nie
mehr trinken, und so
ist es geblieben.“
4. Wie erleben Sie die heutige Therapie im Vergleich zu früher?
Da liegen nach 50 Jahren natürlich
Welten dazwischen. Wir waren in einem
Fünfbettzimmer untergebracht und
es gab nur eine Dusche für das ganze
Stockwerk. Keiner hatte Geld, denn
das Geld wurde einem
abgenommen. Sonntags erschien jeder im
Anzug mit Krawatte.
Trotzdem haben wir uns
wohl gefühlt. Und, um
es nicht zu vergessen,
Alkohol und Nikotin
waren streng verboten.
Man durfte nicht einmal
rauchen.
peter deuss
Kunsttherapeut
Fachklinik Ringgenhof
und
martin damm
Teamleiter
Fachklinik Höchsten
Fachklinik Höchsten in
Bad Saulgau
7
förderkreis
entwicklungen der suchthilfe aus sicht
des förderkreises
Blick auf die neue Fachklinik Höchsten in Bad Saulgau
könnte sagen, dass früher Patientinnen
und Patienten „politischer“ waren und
sich intensiv für die Anerkennung der
Sucht als Krankheit und für die Aufklärung der Suchtursachen eingesetzt
haben.
Ein maßgeblicher Wandel in der
Behandlung suchtkranker Menschen
ging von den Patienten und Patientinnen selbst aus: vom Pflegling, der sich
unterordnen soll, bis hin zum mündigen
Patienten.
In der Kurordnung der Haslachmühle
hieß es unter anderem: “der Aufnahmesuchende Pflegling (nicht Patient) hat
sich urkundlich zu verpflichten, sich der
Hausordnung und allen Anordnungen
des Inspektors (Leiter der Haslachmühle) unterzuordnen“.
So restriktiv war es zu Beginn der
Therapie auf dem Ringgenhof in den
60er Jahren nicht mehr, aber es war
noch keine Therapie auf Augenhöhe. Es
wurde noch stark vermittelt:
“Wir wissen, was für euch gut ist, also
haltet euch daran“.
Im Laufe der Jahre entwickelten sich
seitens der Patientinnen und Patienten
Widerstände gegen solche Behandlungsansätze, man wollte nicht mehr der sich
in hohem Maße unterordnende, unmündige Patient sein, sondern als partnerschaftliches, mitbestimmendes Gegenüber der Klinikleitung wahr- und ernst
genommen werden. Diese Partnerschaft
hat sich, was das Zusammenwirken
zwischen Klinikleitung und Förderkreis
betrifft, bis zum heutigen Tag erhalten.
In den 70er Jahren war die zufriedene
Abstinenz das große Thema sowohl
im Förderkreis als auch in den Fachkliniken unter den Patientinnen und
Patienten. Der Ringbote 5/73 war nur
diesem Thema gewidmet. Die ver-
Nicht einmal halb so alt wie die Suchthilfe, die ihr 110 jähriges Jubiläum feiert, ist der Förderkreis – genau 52 Jahre.
In diesen Jahren hat es Veränderungen
und bewegenden Wandel gegeben.
Ganz zu Beginn war ein Thema aktuell,
an das sich viele nicht mehr erinnern
bzw. das heute selbstverständlich ist:
die Anerkennung der Sucht als Krankheit. Dieses Bestreben kam nicht nur
aus fachlichen Kreisen, sondern war
auch Gegenstand der Diskussionen
und Forderungen der Patientinnen und
Patienten.
Erst 1968 hat die WHO (Weltgesundheitsorganisation) die Sucht als Krankheit definiert und anerkannt. Damit war
diese Entscheidung aber noch lange
nicht in der Gesellschaft verankert, wie
Sie an zwei Beispielen aus meiner Therapiezeit 1977 ersehen können. In einem
Leserbrief der Schwäbischen Zeitung
aus dieser Zeit heißt es „übrigens von
Krankheit zu sprechen ist absurd, es
ist einfach nicht zu begreifen, dass es
Menschen gibt, die nicht normal trinken
können und dies noch als Krankheit
bezeichnen, um sich auf Kosten der
Allgemeinheit einer Entziehungskur zu
unterziehen.“
Und der Berliner Gesundheitssenator
Pätzold hat 1977 angeregt, “ durch
Landesgesetze die Zwangseinweisung
Geisteskranker zu erweitern auf die
Süchtigen, die in der Gefahr stehen, im
Sumpf der Sucht unterzugehen und die
Gemeinschaft dauernd belasten“.
Gegen solche Vorurteile und Stigmatisierungen anzugehen, war der Wunsch
vieler Patientinnen und Patienten. Der
Ringbote, das Sprachrohr des Freundeskreises (heute Förderkreis), war in
früheren Jahren auch ein „ Bote“ der
Aufklärung und des Widerspruchs. Man
8
breitete Meinung in den Leserbriefen
war, dass ihre zufriedene Abstinenz
auch durch geistliche Angebote in den
Fachkliniken entstanden ist. Es wurde
zum Ausdruck gebracht, dass die Kraft,
Altes zu lassen und Neues zu beginnen
aus dem neu gewonnenen Glauben an
Gott entstanden war. Aus diesen und zig
anderen Erfahrungen wurde der Ruf laut
nach Räumen in den Kliniken, in denen
Spiritualität praktiziert werden kann.
So haben Patientinnen und Patienten
maßgeblich dazu beigetragen, dass die
Kapelle auf dem Höchsten, die Kirche
am Weg auf dem Ringgenhof und die
Kapelle am Sieben Kreuzerweg beim
neuen Höchsten in Bad Saulgau gebaut
werden konnten.
Ebenfalls in dieser Zeit entstand
der Wunsch nach einer „geistlichen
Auszeit“, so sind die Ralligenfreizeiten
entstanden.
In den 90 er Jahren entstand ein neuer
Ansatz des therapeutischen Umgangs
miteinander. Durch regen Austausch und
wiederum durch Forderungen aus der
Patientenschaft wurde das Therapiekonzept „ der kompetente Patient“ weiter
entwickelt.
Alte, nicht mehr verständliche, restriktive Vorgaben wie Geld abgeben oder die
Eingrenzung des Ausgangsgebietes und
andere wurden aufgehoben.
Abschließend möchte ich behaupten,
ohne den Förderkreis und den Ringboten (der früher mehr Patienten orientiert
war) als Sprachrohr der Patientinnen
und Patienten, wären einige der Entwicklungen nicht so
positiv verlaufen.
franz mayer
Ehrenmitglied
des Förderkreises
suchthilfe
aufbruch in eine neue therapiewelt
Der Anstoß war von der Deutschen
Rentenversicherung 2001 gekommen,
die anderen Bundesländern folgen
und ganztägig ambulante Suchtrehaeinrichtungen in Baden-Württemberg
implementieren wollte. Das Projekt
Tagesreha zum Leben zu erwecken war
für uns Mitarbeiter damals eine große
Herausforderung, waren wir doch alle
„stationär sozialisiert“. Es ging darum,
mit unserem therapeutischen Angebot näher an die Welt der Betroffenen
heran zu rücken und die suchtkranken
Menschen mit ihren Belastungen im
Lebensalltag in den Mittelpunkt der
Therapie zu stellen. Während wir von
der Arbeit in den stationären Fachkrankenhäusern gewohnt waren, allein die
abgeschiedene Lage der Einrichtung
und die strengen Ausgangsregeln, bewahrten die Patientinnen und Patienten
bei Suchtdruck oder aber fehlender
Therapiemotivation vor einem Abbruch,
mussten wir nun umdenken, denn,
die suchtkranken Menschen, die das
Angebot der Tagesreha nutzen wollten,
würden nach ihrem Therapiealltag jeden
Tag wieder in ihr Zuhause zurückkehren. Konnte das gut gehen? Wie mussten
wir das Konzept gestalten, damit diese
Menschen am nächsten Morgen wieder
zu uns kamen? Hier war es wichtig,
gemeinsam mit den Mitarbeitern der
umliegenden Beratungsstellen Indikationskriterien zu erarbeiteten, für wen
dieses Angebot der ganztägig ambulanten Therapie geeignet war. Klar war uns,
es musste gelingen, von Anfang an eine
hohe Identifikation mit dem Angebot zu
schaffen. Deshalb entschieden wir uns
für einen stark beziehungsorientierten
Ansatz. Wir orientierten uns an einem
positiven Familienbild, versuchten den
Menschen, die zu uns kamen atmosphärisch die Haltung zu vermitteln: Wir
sind füreinander da…- Wir schaffen
das! Für mich war auch die Zusammenstellung der Mitarbeiter, die das Projekt
starteten, ein wichtiger Garant für das
Gelingen. Angefangen von der herzlichen und persönlichen Begrüßung am
Empfang, über die hohe Fachkompetenz
der Therapeuten, Beziehung zu schaffen
und Menschen zu ihren eigenen Gefühlen zu führen, sowie das Wiederentdecken der Begeisterung und Kreativität
in der Arbeitstherapie und nicht zuletzt
die Klarheit, die in den Strukturen geschaffen wurde: es war eine Einladung
an die Menschen sich mit den eigenen
Haltungen und Einstellungen auseinander zu setzen. Ich will aber auch nicht
verschweigen, dass dieses neue Angebot
eigentlich immer, bis heute, von der
Gefahr der Schließung bedroht war,
weil es sich wirtschaftlich nie wirklich
kostendeckend führen ließ. Solange es
die Tagesreha gibt, gibt es das Ringen
um genügend Kostenzusagen. Deshalb
an dieser Stelle auch ein herzliches
Dankeschön an die Verantwortlichen der
Die Zieglerschen, die hier zur Tagesreha
gestanden sind. Neben dem, dass viele
Menschen, die in der Tagesreha Hilfe
gesucht haben und hier entscheidende
Impulse zur Veränderung ihres Lebens
bekommen haben, hat das Arbeiten in
einer dieser Einrichtungen nicht nur
mein therapeutisches Handeln verändert, sondern auch Einfluss auf die
Entwicklung der stationären Angebote
genommen und insbesondere auch auf
die vernetzte Zusammenarbeit mit den
Beratungsstellen. Wir haben dort vorgelebt, was teilhabeorientierte Suchtarbeit
bedeutet.
dietmar huland
Therapeutischer Leiter
Johannesbadklinik
Furth im Wald
Die Kirche am Weg auf dem Gelände der Fachklinik Ringgenhof.
9
suchthilfe
von der forschung zur praxis der suchtrehabilitation: was kommt bei den menschen an?
die Nichtbehandlung; ein neues, teureres
Behandlungsverfahren muss nachweisen, dass es besser ist als ein bestehendes, günstigeres. Oftmals entstehen neue
Behandlungsverfahren aus neuen Überlegungen über Ursachen von Erkrankungen. Wenn die Forschung zu einer
neuen Theorie über solche Ursachen
kommt, daraus Behandlungsverfahren
entwickelt, die besonders wirksam und
gut anwendbar sind, dann ist diese Forschung besonders wertvoll.
Und an dieser Stelle kann die Frage
gestellt werden: Hat die Forschung in
den vergangenen 110 Jahren zu einer
Verbesserung der Behandlung geführt?
Haben wir bessere Vorstellungen über
die Verursachung von Suchterkrankungen? Haben wir neue Behandlungsverfahren, die wirksamer, günstiger,
schneller, anhaltender sind?
Ganz grob kann sicherlich folgendes
gesagt werden: Die Forschung hat gezeigt und damit bestätigt, dass Suchterkrankungen viele Ursachen haben, dass
unterschiedliche Verfahren wirksam
sind, dass die Person (die Therapeutin,
der Therapeut) mit ihren „weichen
Faktoren“ wichtiger ist als das konkrete
psychotherapeutische Verfahren, dass
sich für die Rentenversicherung und
damit auch für die Gesellschaft die
Behandlung lohnt. Die Forschung hat
auch gezeigt, dass prinzipiell mehr und
längere Behandlung zu größerem und
anhaltenderem Erfolg führt, dass es aber
auch vermeintlich kleine Ereignisse und
Maßnahmen sind, die, bezogen auf die
ganze Bevölkerung, messbare Auswirkungen haben.
Die Forschung hat aber auch enttäuscht: 1) Das Medikament, das sich
die Pharmaindustrie, die Patienten und
wahrscheinlich auch die Behandler
wünschen, das die Sucht nimmt und
damit ohne großes persönliches Zutun
heilt, dieses Medikament ist bisher nicht
entwickelt worden. Medikamente, die
den Suchtdruck lindern sollen, haben
sich als weniger wirksam herausgestellt,
als die Hoffnung war. 2) Theorien zur
gesellschaftlichen, psychologischen,
Im Mittelpunkt der Entwöhnung, also
der Suchtrehabilitation, stehen ganz
individuelle Menschen. Menschen, die
sich in einer Sackgasse wiederfinden,
deren Freiräume eingeschränkt sind,
deren familiäres und berufliches Umfeld
sich arrangiert, leidet, und irgendwann
protestiert. Suchtkranke Menschen in
unseren Kliniken wollen ihre Sucht
hinter sich lassen, haben oftmals viele
Anläufe gemacht, haben irgendwann
Hilfe gesucht und wollen einen neuen
Weg beschreiten. Einen Weg mit weniger (das ist oft der Patientenwunsch)
oder keinem (das ist oft der Therapeutenwunsch) Konsum. Dieser Weg ist ein
langer Weg. Er erfordert viel Engagement und auch Frustrationstoleranz. Oftmals spüren suchtkranke Menschen auf
dem Weg von der Abhängigkeit in ein
selbstbestimmtes Leben, dass vielerlei
Änderungen dran sind, dass die Sucht
viele Lebensbereiche betrifft und dass
viele Baustellen in Angriff genommen
werden müssen.
Wer diesen langen Weg hin zur UnAbhängigkeit auf sich nimmt, hat
einen Anspruch darauf, dass die besten
Methoden, die besten Kliniken, die
besten Medikamente zum Einsatz kommen. Die Forschung hat den Auftrag,
Methoden zu entwickeln, zu überprüfen
und vergleichen und schließlich in die
Anwendung zu bringen. Suchtkranke
Menschen und auch Einrichtungen der
Suchthilfe haben mit viel Berechtigung
den Anspruch, dass die Forschung seriös
ist und zu nutzbaren Ergebnissen führt.
Und auch die Kosten- und Leistungsträger, im Fall der Suchtrehabilitation
also meist die Rentenversicherung,
haben einen Anspruch darauf, dass das
eingesetzte Geld zu größtmöglichem
positivem Effekt führt. Vor diesem Hintergrund ist in den vergangenen
15 Jahren die „Evidenzbasierung“
immer wichtiger geworden: Rehabilitations- und Heilverfahren müssen,
wenn sie durch die „öffentliche Hand“
bezahlt werden sollen, ihre Evidenz,
also ihre Wirksamkeit nachweisen. Eine
Behandlung muss also besser sein als
10
biologischen Verursachung können
jeweils für sich genommen nicht gut
vorhersagen, wer krank und wer dann
auch wieder gesund wird. 3) Die
Hirnforschung oder die Neurobiologie,
die so viel von sich hören macht, hat
die Rolle des Suchtgedächtnisses und
die Wirkung verschiedener Substanzen
beschrieben; das alleine hat die Ergebnisse der Suchtbehandlung noch nicht
entscheidend verbessert und auch noch
keine grundsätzlich neuen Behandlungsverfahren angeregt.
Was ist das Fazit: Suchtbehandlung
benötigt den aktiven, sich verändernden
und sich verändern wollenden Menschen. Ohne Veränderung keine Abkehr
von der Abhängigkeit. Und diese Veränderung muss aktiv angegangen werden.
Eine passive Therapieerwartung hilft
nicht weiter. Suchtbehandlung und
-rehabilitation heißt weiterhin: Facetten
des Lebens neu lernen, hart arbeiten,
eben all das, was in unseren Kliniken
passiert. Dass die Erfolge der frühen
Zieglerschen Suchthilfe, gemessen an
den Abstinenzquoten, durchaus höher
waren als heute, dürfte mit den früheren
längeren Behandlungsdauern und der
höhen Eingangsschwelle zusammen
hängen.
Nach 110 Jahren Suchthilfe der Zieglerschen möchte ich zwei Forderungen
an die Gesellschaft, die Politik, die Entscheidungsträger stellen: 1. Der Mensch
steht im Mittelpunkt. Nicht der Mensch
soll sich nach der Forschung, sondern
die Forschung nach dem Menschen richten. 2. Forschung und Strukturvorgaben
dürfen nicht gleichmachend allen das
gleiche überstülpen, sondern müssen
den individuellen Gegebenheiten und
Ansprüchen gerecht werden, um individuelle Menschen in ihrer Lebensgestaltung, ihrem gelingenden Leben zu
begleiten und unterstützen.
prof. dr. harald rau
Psychologischer
Psychotherapeut, Vorstandsvorsitzender der
Die Zieglerschen
höchsten
den nächsten schritt gehen
Die Anfänge der Suchtbehandlung der
Die Zieglerschen gehen ins Jahr 1905
zurück. In diesem Jahr begründete
Johannes Ziegler mit der Heilstätte
Zieglerstift Haslachmühle, in der Nähe
von Wilhelmsdorf, und der Therapie
alkoholkranker Männer einen bis dato
völlig neuen Zweig der diakonischen
Arbeit. Bereits 1907 trug sich der Stiftungsrat mit dem Gedanken, zusätzlich
einen Frauentrakt einzurichten, aber
die Pläne wurden zunächst zugunsten
der Etablierung der Männerheilstätte
zurückgestellt. Erst Anfang der 1950er
Jahre wurden erstmals auch Frauen
aufgenommen, obwohl dies einerseits
aus Platzmangel, andererseits „durch
die Nähe männlicher Patienten und der
Möglichkeit unliebsamer Berührungspunkte“ beider Geschlechter vom Hausvater als nicht ideal angesehen wurde.
Der Tagesablauf war streng geregelt
und bot bewusst wenig Zeit zur freien
Gestaltung. Auch die Teilnahme an
Freizeitaktivitäten gehörte verpflichtend
zum Programm. Auf diese Weise sollten
Einsamkeit und Langeweile möglichst
vermieden werden, denn sie galten als
große Gefahren für Rückfälle. Die Therapie ruhte im Wesentlichen auf den vier
tragenden Säulen Abstinenz, Kräftigung
durch Ernährung, Kräftigung durch
Arbeit und Wandel in Gottesfurcht.
Die Arbeit mit alkoholkranken Frauen zeigte, dass diese eine intensive
psychologische Betreuung benötigten.
Aus diesem Grund geriet der Plan, eine
eigene Klinik für alkoholkranke Frauen
einzurichten, wieder verstärkt in den Fokus und führte im Mai 1955 zur Gründung des Fachkrankenhauses Höchsten,
der ersten Einrichtung für alkoholkranke
Frauen in der Bundesrepublik Deutschland. Anfang der 60er Jahre folgte die
Entwicklung eines fachlich-inhaltlichen
Therapiekonzepts, welches die Voraussetzung für ein bundesweites Modell für
die stationäre Suchtkrankenhilfe schaffte
und neue Wege der Suchtherapie eröffnete. Dazu gehörte die Erkenntnis, dass
es sich bei der Alkoholkrankheit um die
Folge einer problematischen Persönlich-
Patientinnen des Fachkrankenhauses Höchsten im Deggenhausertal.
keitsentwicklung mit frühen Prägungen
handelt, was den Einsatz von Methoden
der Persönlichkeitstherapie verlangte.
Ende der 60er und in den 70er Jahren
dominierten Konzepte der Neo-Psychoanalyse. Ab Mitte der 70er Jahre wurden
regelmäßig weitere Therapiemethoden
auf ihre Eignung im frauenspezifischen
Kontext geprüft. Auch die Entscheidung, Drogenabhängige aufzunehmen,
wurde im Jahr 1975 getroffen. Grundlage der heutigen psychotherapeutischen
Arbeit ist die psychoanalytisch interaktionelle Methode.
Ziel der Therapie war seit Beginn und
ist auch heute noch die Bereitschaft zum
dauerhaften Verzicht auf Suchtmittel
sowie die Übernahme von Verantwortung für die Suchterkrankung und die
weitere Lebensgestaltung. Die Vielfalt
der Angebote, wozu auch die Auseinandersetzung mit Regeln und Grenzen
gehört, soll der Betroffenen den Weg
zurück in ein normales suchtmittelfreies
Leben ermöglichen und zu einer stabilen
beruflichen, familiären und sozialen Re-
Foto: Katharina Stohr
habilitation führen. Zunehmend rückten
frauenspezifische Themen immer mehr
in den Vordergrund der Behandlung.
Zu Beginn der frauenspezifischen
Suchtrehabilitation waren es v.a. Gründe
der Schicklichkeit und allgemeine
Moralvorstellungen, die eine besondere Behandlung suchtkranker Frauen
begründeten. Heute sind es zum einen
Erkenntnisse zur biologischen Verschiedenartigkeit und der Wirkungsgeschichte ihrer Verarbeitung und zum anderen
die sozio-kulturellen und gesellschaftlich-politischen Differenzen, die u.a. in
unterschiedlichen Rollenerwartungen
und Identitätsbildungen ihren Ausdruck
finden, die eine frauenspezifische Entwöhnungsbehandlung begründen und
auch zukünftig notwendig machen.
dr. christine
göhring-premer
Chefärtzin
der Fachklinik Höchsten
11
suchthilfe
drogenpatienten auf dem ringgenh
Zu Beginn der siebziger Jahre wurde
die Drogenproblematik immer deutlicher sichtbar. Die Verantwortlichen der
Fachkrankenhäuser Ringgenhof/Höchsten, bisher erfahren in der Therapie mit
Alkoholkranken, fühlten sich herausgefordert und verpflichtet zugleich, sich
der qualifizierten Behandlung Drogenabhängiger zu stellen.
Bis zu diesem Zeitpunkt wurde besonders von den Trägern, die nur mit
Drogenabhängigen arbeiteten, vertreten,
dass diese eine spezialisierte Therapie
benötigen. Eine gemeinsame Therapie
von Drogen- und Alkoholabhängigen
wurde in Fachkreisen als nicht erfolgversprechend abgelehnt.
Die Leitung unserer Kliniken hingegen
hatte entgegen der fachmännischen
Skepsis die Vision, dass gerade Drogenund Alkoholabhängige gegenseitig von
einander in hohem Maße profitieren und
positive Entwicklungsprozesse auslösen
können.
Grundlage damals wie heute war der
suchtspezifische Ansatz, dass nicht
die Substanz über die Therapieform
entscheidet, sondern die wesentliche
Frage ist, welcher Patient mit welcher
Wirkungserwartung und vor welchem
biografischen Hintergrund sich sein
Suchtmittel aussucht. Nach der Fertigstellung des Konzepts wurden 1976
die ersten Drogenabhängigen auf dem
Ringgenhof aufgenommen. In der Regel
wurden zwei Drogenpatienten in eine
geschlossene Therapiegruppe von ca. 10
Alkoholabhängigen integriert. Auch im
Team gab es durchaus Ängste, wie sich
die Anwesenheit von Drogenabhängigen
auf die Gesamtatmosphäre auswirken
wird.
Etwa ein Jahr später haben wir zur weiteren Optimierung der Drogentherapie
eine „indikative“ D-Gruppe eingerichtet,
in der Drogenabhängige einmal pro
Woche neben ihrer Kerngruppe „ganz
unter sich“ die Chance hatten, ihre Therapie zu vertiefen. Ab 1980 haben wir
12
Milchschaf des Biolandbetriebes in Riedweiler.
Foto: Katharina Stohr
in dieser Gruppe die psychoanalytischinteraktionelle Gruppentherapiemethode
konsequent angewandt. Es zeigte sich,
dass sich Drogenpatienten im Zusammenhang mit dem alten „Szeneverhalten“ leichter durchschauen und klarer
konfrontieren.
Insgesamt erwies sich jedoch das Konzept der gemeinsamen Behandlung von
Alkoholkranken und Drogenabhängigen
als erfolgreich. Kritisch war, dass nach
der Auflösung der Kerngruppe wegen
der unterschiedlichen Behandlungsdauern (damals 6 bzw. 9 Monate) eine
gewisse Verunsicherung entstand, die
sich teilweise in Form einer erhöhten
Abbruchquote zeigte.
Auch wegen dieser Erfahrung fiel
1983 die Entscheidung, unser Therapiekonzept weiter zu qualifizieren und
auszubauen. Es folgte der Aufbau der
Therapiestufe II für Drogenabhänge in
Riedweiler. Es wurde ein Biolandbetrieb
mit Milchschafen, Käseherstellung
suchthilfe
hof – eine vision wurde wirklichkeit.
von gemeinsamen Wohnen, Arbeiten,
Kochen, Gruppentherapiesitzungen und
Freizeitaktivitäten ergab nicht wenig
Konfliktpotential, das in Gruppen- und
Einzeltherapie aufgearbeitet werden
konnte. Die Großgruppe (Verantwortlichengemeinschaft) bewährte sich innerhalb der therapeutischen Gemeinschaft
als besonders hilfreiches therapeutisches
Instrument, um Co-Abhängigkeit,
Konfliktklärung und Suchtverhalten zu
bearbeiten. Die Erfahrung zeigte, dass
gerade die VG wesentlich zu einer offenen und heilenden Therapieatmosphäre
beitragen kann. Die Voraussetzung dafür
war, dass sich Mitarbeiter und Patienten
beiderseits offen dieser Herausforderung
stellten.
Bedingt durch das sogenannte Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz 1998 wurde die Therapiedauer um
1/3 verkürzt. Diese Realität veranlasste
uns zwangsläufig, das Therapiekonzept gravierend zu verändern und zu
differenzieren. Je nach Diagnose- und
Indikationsstellung wurden die sich
häufenden Alkoholpatienten mit zusätzlicher illegaler Drogenerfahrung und
Drogenpatienten mit vergleichsweiser
guter sozialer Integration im sogenannten „A-Programm“ behandelt. Die
„reinen“ Drogenpatienten wurden für
4-6 Monate ins Riedweiler-Intensivprogramm aufgenommen.
inklusive Vermarktung und Hühnerhaltung geplant. Die Stallungen, die
Werkstätten und die Scheune wurden
zusammen mit den Drogenpatienten in
Eigenleistung unter Anleitung eines Arbeitstherapeuten und Diplomlandwirts
erstellt. Die ca. 5-jährige Aufbauphase
erwies sich als äußerst positiv und konstruktiv, weil die Patienten hochmotiviert
„ihre eigene Therapieeinrichtung“ selbst
mit aufbauten. Mit dem Bau von drei
Patientenhäusern mit 20 Betten und wei-
Bis heute hat sich trotz veränderter
Rahmenbedingungen unsere Hypothese,
dass eine gemeinsame Therapie von
Drogen- und Alkoholabhängigen „unter
einem Dach“ erfolgreich ist, bestätigt.
teren Gebäuden entstand ein „kleines
Dorf“ auf dem großzügigen Ringgenhofgelände, das 1988 eingeweiht wurde.
Mit der Therapiekonzeption von Riedweiler hatten wir die personellen und
räumlichen Möglichkeiten geschaffen,
den Therapieprozess mit starker Einbindung in die Abläufe des landwirtschaftlichen Betriebs für unsere Drogenpatienten zu intensivieren.
Das autonome und eigenverantwortliche
Zusammenleben in Riedweiler in Form
horst brändle
Sozialdiakon und
Sozialtherapeut
bis 2003 Leiter der
Drogentherapie
Riedweiler Fachklinik
Ringgenhof
13
tagesreha ulm
MenschSuchtZukunft
Hallo Zusammen,
in dieser Jubiläumsausgabe des Ringboten werden Sie eine Menge über
die Geschichte und die Gegenwart der
Suchthilfe der Die Zieglerschen erfahren. Diesem Trend schließe ich mich
gern an und spanne einen Bogen von
den Anfängen der Behandlung suchtkranker Menschen bis in unseren Alltag
in der Wilhelmstraße 22 in Ulm. Seien
Sie herzlich eingeladen, mich auf dieser
kleinen Zeitreise zu begleiten.
Die Beschaffung und der Konsum von
Alkohol bestimmen das Leben zunehmend. Typisch sind fortschreitender
Verlust der Kontrolle über das Trinkverhalten bis zum zwanghaften Konsum,
Vernachlässigung früherer Interessen
zugunsten des Trinkens, Leugnen des
Suchtverhaltens, Entzugserscheinungen
bei vermindertem Konsum, Toleranz
gegenüber Alkohol („Trinkfestigkeit“)
sowie Veränderungen der Persönlichkeit.
das Werk 1944 während einer Haftzeit
in der Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz.
Er stützte sich dabei auf die eigenen Erfahrungen mit der Alkoholabhängigkeit.
Der Roman wurde postum erst 1950
veröffentlicht.
…“Das Geschäft von Erwin Sommer
läuft seit einiger Zeit schlecht. Als er
durch seine Nachlässigkeit einen großen
Auftrag an seinen jungen Konkurrenten
Heinze verliert, spült er seinen Kummer
mit einer halben Flasche Weißwein
weg. Im Sommer fährt er gegen den
Willen seiner Frau auf Geschäftsreise
nach Hamburg, wo er sich innerhalb
einer Woche das regelmäßige Trinken
angewöhnt. Schließlich findet seine
Frau seine Alkoholabhängigkeit und die
schlechte Lage des Geschäftes heraus
und möchte erreichen, dass er sich in
Therapie begibt, indem sie ihn von
zwei Ärzten in die Trinkerheilanstalt
bringen lässt, aber er flüchtet unterwegs
aus dem Auto. Durch Kriminalität und
weitere Alkoholabstürze kommt er
zunächst als Untersuchungshäftling ins
Gefängnis, später dann in eine geschlossene Heil- und Pflegeanstalt. Bei
ihrem einzigen Besuch dort teilt ihm
seine Frau mit, dass sie sich mit seinem
jungen Konkurrenten geschäftlich und
privat zusammengetan hat. Daraufhin
verliert Sommer in einem Wutanfall die
Kontrolle über sich. Seine Verzweiflung
wächst und bringt ihn schließlich dazu,
Der schwedische Arzt Magnus Huss
definierte im Jahr 1849 als erster den
Alkoholismus als Krankheit. Er unterschied dabei zwischen der „acuten Alkoholskrankheit oder Vergiftung“ und dem
„Alcoholismus chronicus“. Allerdings
setzte sich diese Erkenntnis lange nicht
durch. Abraham Baer, Gefängnisarzt in
Berlin, bezeichnete 1878 als Alkoholismus die Summe der Folgeschäden.
Elvin Morton Jellinek, der zeitweise für
die WHO arbeitete, setzte sich 1951 mit
seiner, durch die Arbeit mit den Anonymen Alkoholikern inspirierten Ansicht
weltweit durch, dass Alkoholismus eine
Krankheit sei (Wikipedia).
Ab 1900 lieferte das Bürgerliche Gesetzbuch in Deutschland die Legitimation, chronische Trinker in sogenannten
Trinkerheilanstalten geschlossen unterzubringen. Und wie es da zugegangen
ist, schildert Hans Fallada in seinem Roman „Der Trinker“. Der Autor verfasste
14
nach langer und erzwungener Abstinenz
von den Ethanolvorräten auf seiner
Station zu trinken. Dies wird entdeckt
und zusammen mit der Wut seiner Frau
gegenüber als Zeichen dafür gewertet,
dass er nicht entlassen werden kann.
Seine dauerhafte Unterbringung als
„Geisteskranker“ wird vom Anstaltsleiter verfügt. Durch die regelmäßigen
Unterhaltszahlungen seiner ehemaligen
Frau könnte er materiell ein ziemlich
sorgloses Leben führen. Er entschließt
sich aber, seinem Dasein selbst ein Ende
zu setzen; nicht durch gewaltsamen Akt
- dazu ist er, wie er selbst bekennt, zu
feige - sondern durch absichtlich herbeigeführte Ansteckung durch tuberkulöse
Mitinsassen der Anstalt. Als er schon
die ersten Anzeichen der tödlichen
Krankheit spürt, malt er sich aus, wie
er, beseelt von einer Überdosis Alkohol,
in den Armen seiner früheren Geliebten, entschweben wird, in Rausch und
Vergessen: „Und wenn mir so geschieht
in meiner Todesstunde, werde ich mein
Leben segnen, und ich werde nicht
umsonst gelitten haben!“…. (AufbauTaschenbuch, 2011 - 303 Seiten)
Offen gestanden rührt mich diese Darstellung von Ohnmacht und Verzweiflung jedes Mal auf`s Neue und ich bin
froh, dass Alkoholabhängigkeit auch in
Deutschland seit 1968 ganz offiziell als
Krankheit anerkannt ist und seit 1978
Krankenkassen und Rentenversicherungsträger für die Behandlungskosten aufkommen. Andererseits ist dies
tatsächlich nur die offizielle Sichtweise.
Noch immer und viel zu oft berichten
Betroffene, dass die Gesellschaft, Familie oder „Freunde“ sie noch lange nicht
als krank akzeptiert, sondern in ihnen
immer noch die „willensschwachen
Faulenzer und Schmarotzer sieht, die
sich auf Kosten der Solidargemeinschaft
einen Töpferkurs finanzieren lassen“
(das Zitat stammt von einem Patienten
in der letzten Gruppenstunde, danke
Herr R.).
tagesreha ulm
Unseren Patienten den Rücken zu
stärken, ihnen Zuversicht zu vermitteln,
aber auch Verantwortungsübernahme
und Mitarbeit einfordernd, haben wir
uns daher folgender Philosophie verschrieben: Von Anfang an stehen Sie mit
Ihrer individuellen Lebens- und Suchtgeschichte im Mittelpunkt. Die Behandlung wird partnerschaftlich geplant und
durchgeführt. Mit therapeutischer Unterstützung stellen Sie sich den Herausforderungen des Alltags, klären belastete
Beziehungen und bewältigen kritische
… „hier werde ich akzeptiert, egal wie
ich bin.“ …
Verführungssituationen. Dadurch gewinnen Sie an Sicherheit und stärken Ihre
Abstinenzzuversicht; kurz: Sie können
den Anforderungen Ihres Lebens künftig
wieder selbstbewusst begegnen (was
zwar anstrengender, aber auch ungleich
gesünder ist, als „sich dem Rausch des
Vergessens“ hinzugeben).
Damit möchte ich unsere kurze Exkursion durch die Geschichte beenden.
Herzliche Grüße aus Ulm
dr. annett höse
Chefärztin
Tagesrehabilitation
Ulm
Wie ich finde sehr treffend zusammengefasst hat das ein anderer Patient (Patrick, 27 Jahre) der nach einer ziemlich
holprigen Zeit bei uns befand:
Teamwork
Toleranz
Wertschätzung
Anerkennung
Vertrauen
Lob
Soziale Kompetenz
Respekt
Foto: panthermedia
15
suchthilfe
therapie von damals bis heute aus sicht
der freundeskreise für suchtkrankenhilfe
kränker! Aber, brauchen nicht gerade
diese viel persönliche Zuwendung – viel
Zeit?
Brauchen sie nicht Zeit und Raum, sich
zu begegnen und Menschen, die ihnen
dabei helfen und die ihnen vor allem
helfen, diese Begegnung mit sich selber
auszuhalten. Der nüchterne Blick auf
die Gegenwart und die Zukunft ist nicht
immer einfach; wer schaut schon gerne
auf Zerstörung, wer auf Trümmer?
Wer hilft diesen Menschen, ihre Krise
als ihre Chance zu erkennen? Wer legt
gemeinsam mit ihnen Wege an, die sie
nach der Therapie gehen können, auch
dann, wenn äußere Bedingungen sich
nicht, oder nicht wesentlich verändert
haben? Wer sagt ihnen offen und
ehrlich, dass die kurze Zeit der Therapie
nicht alles ist? Wer weist ihnen den Weg
in die Selbsthilfe?
Die früher scheinbar mühelosen Übergänge im Behandlungsverbund sind
holprig geworden – gelingen nicht immer. Und wenn sie gelingen, dann steht
da die Frage:
Passen die Angebote der Selbsthilfe für
diese Menschen? (oder müsste man die
Frage umgekehrt stellen?) Beziehung –
Freundschaft, können sie sich darauf
einlassen? Regelmäßiger Gruppenbesuch, der Austausch mit anderen
Betroffenen, greift das und reicht das
bis zur nächsten Woche? Die alten
Gesetzmäßigkeiten: „Wenn du trocken
bleibst, bekommst du auch wieder einen
Arbeitsplatz.“ Oder: “Vertrauen kann
wieder wachsen, wenn du abstinent
bleibst.“ sind instabil geworden. Gibt es
überhaupt noch ein tragendes und schützendes System für die Menschen, wenn
nach der Therapie der Alltag wieder
nach ihnen greift?
Die Selbsthilfe weiß um die Veränderungen und die damit verbundenen Probleme. Ihr Selbstverständnis hat sie nicht
verändert, ihre Stärke nicht verloren. Sie
SSEENN
S
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U
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BBLLIICCKK VVOONN A
Ab und zu stellen wir uns die Frage:
Waren die Suchtkranken damals besonders schwer von Begriff oder sollten sie
sich gar zu den Glücklichen zählen? Zu
denen, denen es noch möglich war, eine
„lange Trainingszeit“ von 6 Monaten
zu durchlaufen und sich mit ihrer Sucht
und – weit wichtiger – mit den sie
bedingenden Störungen auseinanderzusetzen. Unser Fazit: Glück gehabt!
Alkohol missbrauchende Menschen
und Abhängige wurden selbstverständlicher der Langzeittherapie
zugeführt. Mag sein, dass für die
Eine, den Andern diese Zeit lang war
– zu lange? Nicht für den, der heute
sagt: Im 5. Monat habe ich begriffen,
weshalb ich in der Klinik bin. Alles
hat seine Zeit… braucht seine Zeit…
Die Therapiezeitverkürzung wollte uns
gar nicht gefallen, doch auch unsere
engagiertesten Diskussionen dagegen
änderten nichts an der Tatsache, die
es zu akzeptieren galt: Verkürzung!
Dazu kamen die Veränderungen in den
Therapiekonzepten – logischerweise;
aber eben auch nicht zu unserer Freude.
Manches, so schien es uns, wurde recht
lässig gehandhabt – an anderer Stelle
fehlte uns die „wohlwollende Autorität“.
Wir hören und verstehen: Die Menschen, die heute in die Behandlung
kommen, sind anders als früher – viel
16
vertraut ihrer Grundidee:
Persönliche, tragfähige Beziehungen
und Freundschaften tragen zur Stabilisierung der eigenen Persönlichkeit bei.
Die Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe schreiben auf ihrer Website:
Wer über sich und sein Leben reden
kann, setzt sich mit seiner Lebensgeschichte auseinander.
Unser Ziel ist es, zufrieden abstinent zu
leben. „Nur“ trocken zu sein ist nicht
genug. Das Nein-Sagen zum Alkohol
macht stark und selbstbewusst und ermöglicht es, ein selbstbestimmtes Leben
aufzubauen.
„Nur trocken sein“ ist nicht genug –
aber trocken sein ist die super Voraussetzung sich auf den Weg zu machen;
d.h. das Ende der Therapie ist der
Anfang einer möglichen neuen Lebensgestaltung!
Wer den Weg in die Selbsthilfegruppe
findet, muss diesen Weg nicht alleine
gehen. Suchtkranke und deren mitbetroffene Angehörige finden Verständnis
und Begleitung, treffen auf Hoffnung,
die in der Erfahrung gründet. Nicht nur
Fragen und Sorgen werden dort geteilt
sondern auch die Freude an Neuem und
Wiederentdecktem.
Veränderung an sich ist wertfrei – einzig
durch die Art der Gestaltung wird sie
wertvoll oder wertlos.
Und so wünsche ich mir viele kreative
Mitgestalterinnen und Mitgestalter einer
WERTvollen Veränderung!
Ihre
hildegard arnold
Vorsitzende der
Freundeskreise für
Suchtkrankenhilfe
Landesverband Württemberg e.V.
ringgenhof
bundestagsabgeordnete besuchen
fachklinik ringgenhof
Die CDU-Bundestagsabgeordneten
Lothar Riebsamen (Bodenseekreis) und
Waldemar Westermayer (Ravensburg)
haben sich in der Fachklinik Ringgenhof
über die aktuellen Herausforderungen
in der Suchthilfe informiert. Vor allem
Fehlanreize in der Belegungssteuerung
und der Trend zum gefährlichen „Kontrollierten Trinken“ führten häufig dazu,
dass Patienten keine nachhaltig wirksame Sucht-Rehamaßnahme bekämen,
mahnte Dr. Ursula Fennen. „Da werden
‚Drehtür-Patienten‘ produziert, die nie
wirklich von ihrer Sucht loskommen
und darin irgendwann verelenden“
bemängelte sie im Gespräch mit den
beiden Politikern.
„Das Bild des schnellen Erfolgs ist eine
Verharmlosung des Problems“, diese
klaren Worte wählte Dr. Ursula Fennen,
als sie das Thema „Kontrolliertes Trinken“ zur Sprache brachte. Im Gespräch
mit Lothar Riebsamen, CDU-Vertreter
im Gesundheitsausschuss des deutschen
Bundestags, und Waldemar Westermayer, Bundestagsabgeordneter des
Wahlkreises Ravensburg, erklärte sie,
die Hoffnung, einfach nur weniger vom
Suchtmittel reiche aus, um langfristig im
Alltag klar zu kommen, sei trügerisch.
„Wenn wir uns vollständig von der
Abstinenzorientierung verabschieden,
wird das auch zu volkswirtschaftlichem
Schaden führen,“ warnte Fennen. Das
Problem: Die Patienten ändern ihr
süchtiges Verhalten nicht dauerhaft.
Rückfälle sind quasi vorprogrammiert. Eine Abwärtsspirale setzt ein,
früher oder später folgt die komplette
Leistungsunfähigkeit. „Dabei haben
Patienten mit einer abstinenzorientierten
Sucht-Reha-Behandlung eine realistische Chance, langfristig auf dem ersten
Arbeitsmarkt zu bleiben“, so Dr. Ursula
Fennen weiter. „Doch leider kommen
die meisten Patienten gar nicht erst in
der Reha-Maßnahme an.“
„Die Versäulung des Systems ist ein
Problem“, analysierte Lothar Riebsamen
die Situation in der Suchthilfelandschaft.
Vorne v.l.n.r.: Dr. Ursula Fennen, Geschäftsführerin in der Suchthilfe der Zieglerschen, Rolf Baumann, kaufmännischer Vorstand der Zieglerschen, Waldemar Westermayer MdB, Lothar Riebsamen MdB, Josefine
Haberkorn, 1. stellvertretende Bürgermeisterin von Wilhelmsdorf. Hinten v.l.n.r.: Dr. Stefan Schaffitzel,
Chefarzt der Fachklinik Ringgenhof, Thomas Greitzke, Therapeutischer Leiter der Fachklinik Ringgenhof,
Martin Kunze, Therapeutischer Leiter der Tagesrehabilitation Bodensee-Oberschwaben der Zieglerschen.
Während die Akutbehandlung von
Suchtkranken in den Zuständigkeitsbereich der Krankenkassen fällt, werden
die Kosten der Sucht-Rehabilitation
von der Deutschen Rentenversicherung
getragen. Die Weitervermittlung der Patienten von der Akut-Behandlung in die
nachhaltig wirksame Reha wird dadurch
erschwert. „Die Frage ist doch: Warum
gibt es beispielsweise keine integrierten
Versorgungsverträge für die Suchtrehabilitation?“, fragte Riebsamen und
sicherte zu: „Die Thematik werde ich
gerne in die entsprechenden Gremien
einbringen.“ Dr. Ursula Fennen bestätigte: „Die Reha wird im Suchtbereich
oft nicht mitgedacht.“ Dabei spricht der
Erfolg ganz klar für die Suchtrehabilitation: „Im stationären Bereich haben wir
eine Abstinenzquote von 60%, in den
ganztägig ambulanten Tagesrehabilitationen sogar von 90%. Volkswirtschaftlich gesehen kommen für jeden Euro,
der in die Suchtrehabilitation investiert
wird, 5 Euro zurück,“ so Fennen.
Dass dies auch ein Argument gegen die
grundsätzliche Deckelung des Reha-Budets sei, hob Rolf Baumann, kaufmännischer Vorstand der Zieglerschen, hervor.
Lothar Riebsamen verwies hierbei auf
die aktuellen Erhöhungen der RehaBudgets im Rahmen des letztes Jahr
verabschiedeten Rentenpakets. Baumann bekräftigte jedoch die Forderung:
„In der Suchtreha ist durch die Deckelung seit den neunziger Jahren extrem
gespart worden. Statt nur über das
Gesamtbudget zu steuern, wäre es uns
lieber, es gäbe insgesamt weniger, aber
dafür auskömmlich finanzierte Plätze.
Anders lässt sich die stationäre und
teilstationäre Rehabilitation langfristig
nicht wirtschaftlich betreiben.“
sarah benkisser
Funktionsbereichsleiterin Kommunikation
Die Zieglerschen
17
suchthilfe
symposion zur feier des 110-jährigen jubiläums
such
ilf
th e
1a1h0re
J
„wie hältst du`s mit dem nüchternsein?“
Die Gretchenfrage der Suchtkrankenbehandlung beantworten Experten aus
der Schweiz, Italien, Österreich, Lichtenstein und Deutschland
am 20. Oktober 2015
im Stadthaus Ulm
Programm:
10.00 Uhr – 11.15 Uhr:
Begrüßung Dr. Ursula Fennen, MBA
Geschäftsführerin, Die Zieglerschen
Grußworte
Prof. Dr. Harald Rau, Vorstandsvorsitzender, Die Zieglerschen e.V.
Hubert Seiter, Erster Direktor, Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg
Iris Mann, Sozialbürgermeisterin, Stadt Ulm
11.15 Uhr:
Impulsreferate zur Suchtkrankenbehandlung in Österreich, der Schweiz, Liechtenstein,
Italien und Deutschland
12.45 Uhr bis 14.00 Uhr:
Mittagspause
14.00 Uhr bis 16.30 Uhr:
Podiumsdiskussion zur Suchtkrankenbehandlung im deutschsprachigen Europa
Moderation:
Günter Zeltner, Seniorberater der Evang. Gesellschaft Stuttgart
Auf dem Podium:
Dr. Herbert Leherr, Leitender Arzt das Bereichs Abhängigkeitserkrankungen &
Forensik der Psychiatrischen Dienste Thurgau, Schweiz
Dr. Helmut Zingerle, Direktor des Therapiezentrums Bachgart für Abhängigkeiten
und psychosomatische Störungen in Rodeneck, Südtirol, Italien.
Dr. Nadine Kranz, Leiterin des therapeutischen Dienstes im Amt für Soziale Dienste,
Liechtenstein
Dr. Annett Höse, Chefärztin der Tagesrehabilitation der Die Zieglerschen, Ulm
Die Veranstaltung ist bei der Landespsychotherapeutenkammer zur Akkreditierung angemeldet.
Weitere INFORMATIONEN UND ANMELDUNG (Bis spätestens 30. September 2015)
Maria Keller/Rebekka Barth | Pfrunger Straße 12/1 | 88271 Wilhelmsdorf
Telefon: 07503 920 112 | Fax.: 07503 920 117 | e-Mail: [email protected] | [email protected]
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Änderungen des Programms vorbehalten!
Im Foyer Präsentation des Werkzyklus „Bevor ich sterbe…“, Arbeiten von Patienten
der Fachklinik Ringgenhof, Die Zieglerschen – Nord – gemeinnützige GmbH,
Geschäftsbereich Suchthilfe, unter der Leitung von Peter Deuß, Kunsttherapeut
angedacht
suchthilfe
therapie von damals bis heute,
die heilung eines kranken am teich betesda
Therapien gab es schon in biblischen
Zeiten. Ihr Ziel war und ist, dass Menschen auf die eigenen Beine kommen,
ihren Weg durch Leben gehen können.
Das Johannesevangelium erzählt: in
Jerusalem gab es einen Therapieort,
die Säulenhallen am Teich Betesda. Sie
waren eine „Immobilie“ für Menschen,
die „immobil“ waren, die nicht mehr auf
die Beine kamen. Solche Orte können
bewirken, dass Menschen noch immobiler werden, noch weniger selbstständig
leben. Das geschieht vor allem, wenn
man das Gesundwerden von anderen
erwartet. So wie am Teich Betesda. Da
erwartete man Gesundung, wenn man
als erstes ins Wasser steigt, sobald es
sich bewegt. Allerdings bewegte sich
das Wasser nur sehr selten. Einer lag
schon 38 Jahre dort, inzwischen völlig
bewegungsunfähig, und wartete darauf,
ins Wasser zu kommen. Wie kann so
einer wieder in Bewegung kommen?
Jesus sah ihn liegen und sprach ihn
an. Er fragt: „Willst du deine Situation
verändern?“ Das ist das Angebot zur
Selbstklärung: „Was will ich? Will ich
meine Situation wirklich verändern?
Oder habe ich mich nicht viel zu sehr
darin eingerichtet?“ Mit dieser Frage
beginnt die Beziehung.
Der, der sich seit Jahr und Tag nicht
bewegt hat, antwortet: „Ich habe keinen
Menschen, der mich in Bewegung
bringt!“ Das ist eine Antwort, die ebenso
betroffen macht wie sie irritieren kann.
Irritieren, weil der Mann die Verantwortung für sein Leben verschiebt: „Ich bin
doch nicht verantwortlich dafür, dass
ich so fixiert bin, ein anderer muss für
meine Beweglichkeit sorgen.“ Betroffen
macht, dass dieser Mann meint „keinen
Menschen zu haben“, also dass er nicht
nur immobil ist, sondern auch bezie-
hungslos. Wer „keinen Menschen hat“,
wird kaum den Mut finden, aufzustehen
und loszugehen.
Jesus sieht diesen Menschen nicht nur,
er sagt nun auch zu ihm: „Steh auf,
nimm dein Bett und geh hin!“ Das ist
entscheidend für eine Therapie, die
in Bewegung bringt, dass mir einer
zutraut, aufzustehen und selber gehen
zu können. Mir zutraut, mehr Verantwortung für mich zu übernehmen. Und
das Zutrauen von jemandem, der einen
wirklich sieht, macht Mut loszugehen!
nach Johannes 5, 2-9
dorothee schad
Geschäftsbereichsleitung Personalmanagement
Pfarrerin
Archiv die Zieglerschen
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förderkreis
protokoll der mitgliederversammlung
Protokoll der Mitgliederversammlung des Förderkreises der Suchtkrankenhilfe am 20.06.2015 in der
Kirche am Weg in der Fachklinik
Ringgenhof. Zur Mitgliederversammlung wurde ordnungsgemäß im Ringboten eingeladen.
Bei der Mitgliederversammlung
waren 19 Personen anwesend.
an das Gut Ralligen überwiesen. Bei
unserer Frühjahrssitzung haben wir beschlossen, dass wir 10.000,00 € unserer
langfristigen Rücklagenbildung, für die
Lehrküche in der Fachklinik Ringgenhof
zur Verfügung stellen.
Der Abend der Begegnung ist wieder ein
fester Bestandteil vom Jahresfest. Dies
ist nur möglich, weil wir viele Mitglieder haben, die den Vorstand unterstützen. Als Zeichen der Verbundenheit und
Zusammengehörigkeit haben wir Silkonarmbänder anfertigen lassen mit der
Aufschrift „Förderkreis Suchthilfe der
Zieglerschen e.V.: Hilfe die Verbindet“.
Ein ganz wichtiger Punkt ist für uns immer die Nähe zum Patienten, so haben
wir auch in Jahr 2014, die einzelnen
Einrichtungen der Suchthilfe besucht
und die Arbeit und Wichtigkeit des
Förderkreises vorgestellt.
In der Fachklinik Höchsten hat Frau
Stefanie Maier die Stelle der leitenden
Therapeutin übernommen.
top 1
Begrüßung
Jürgen Ziegele begrüßt alle Anwesenden
zu unserer Mitgliederversammlung.
top 2
Verabschiedung des Protokolls vom
21.06.2104
Da nach der Veröffentlichung keine
Einwände kamen, wird das Protokoll der
Sitzung vom 21.06.2014, wie vorgelegt
verabschiedet.
top 4
Kassenbericht:
Der Kontostand des Förderkreises
01.01.2014
33.451,30 €
31.12.2014 44.638,20 €
Spendeneingang 44.150,63 €
Die Ausgaben waren 4.000,00 € für die
Schlosserei Ringgenhof, 6.000,00 € für
die Fachklinik Ringgenhof, 4.000,00 €
für die Fachklinik Höchsten, jeweils
1.500,00 € für die Tagesrehas Ravensburg und Ulm. Ebenfalls gab es Zuschüsse für erlebnispädagogische Projekt in den Einrichtungen. 5.000,00 €
Euro wurden für den Druck und die
Herausgabe des Ringboten bezahlt.
Für die Ralligenfreizeit haben wir
3.000,00 € bezahlt. Für die Lehrküche
top 3
Jahresbericht 2014:
Die Spendeneinnahmen 2014 waren
44.150,63 €, die Rückerstattung für die
Ralligenfreizeit war 11.700,00 €. Da wir
laut Finanzamt die Rücklagen abbauen
müssen, haben wir rund 44.000,00 € an
die Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe/Suchtreha weitergegeben.
Als gemeinnütziger Verein dürfen wir
keine Einnahmen verbuchen, deshalb
kamen wir nach Rücksprache mit der
Finanzbuchhaltung zu dem Entschluss,
dass die Kosten für die Freizeit direkt
mit dem Gut Ralligen abgerechnet
werden müssen. Der Zuschuss vom
Förderkreis wird dann von uns direkt
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Ringgenhof stehen 10.000,00 € als
langfristige Rücklagenbildung zur Verfügung.
top 5
Kassenprüfung durch die Wirtschaftsprüfung Curacon.
Nach dem abschließenden Ergebnis
unserer auftragsgemäßen Prüfung
aufgrund der Bücher, Schriften und
sonstigen Unterlagen des Förderkreises
der Suchtkrankenhilfe der Zieglerschen
e.V. sowie der uns erteilten Aufklärungen und Nachweise entsprechen die
Buchführung und der Jahresabschluss
zum 31.12.2014 den Grundsätzen einer
ordnungsgemäßen Rechnungslegung.
top 6
Beschlussfassung / Kassenprüfung
Curacon:
Die Firma Curacon hat den Betrag für
die Kassenprüfung von 200,00 € auf
500,00 € erhöht. Bei der Mitgliederversammlung muss der Beschluss gefasst
werde, dass wir der Firma Curacon
den Auftrag für die Kassenprüfung für
das laufende Jahr geben können. Die
Mitgliederversammlung beschließt mit
einer Stimme Enthaltung, dass die Firma
Curacon den Auftrag zur Kassenprüfung vom Förderkreis für das Jahr 2015
erhält.
top 7
Entlastung des Vorstandes und der
Kassiererin
Der Vorstand wird einstimmig mit Eigenenthaltung entlastet. Die Kassiererin
wird einstimmig mit Eigenenthaltung
entlastet.
förderkreis
top 8
Ausscheiden von Vorstände:
Herr Gröh, kaufmännischer Vorstand der
Suchthilfe, ist durch die Umstrukturierung bei den Zieglerschen aus dem
Vorstand ausgeschieden. Die Nachfolge von Herrn Gröh hat Herr Greitzke,
therapeutischer Leiter in der Fachklinik Ringgenhof, übernommen. Herr
Greitzke stellt sich in der Mitgliederversammlung vor. Wir heißen Herrn
Greitzke beim Förderkreisvorstand
herzlich willkommen. Ebenfalls hat uns
Claus-Peter Vogt mitgeteilt, dass er wegen beruflichen und privaten Gründen
mit der Arbeit im Förderkreis aufhören
möchte. Wir wünschen Claus-Peter Vogt
für die Zukunft alles Gute.
top 9
Umstrukturierung bei den Vorständen:
Laut Satzung § 10,1 kann der Vorstand
aus vier bis acht Mitgliedern bestehen.
Wir haben in der Vorstandsitzung beschlossen, bis auf weiteres mit sieben
Vorständen weiter zu arbeiten. Die
Mitgliederversammlung hat dem einstimmig zugestimmt. Ursula Burkhart,
Werner Kaiser, Olaf Kohler-Ossinski,
Anni Köser, Sabine Lorber und Jürgen
Ziegle stehen zur Wahl. Es wurde
einstimmig beschlossen, dass die Wahl
im Block durchgeführt wird. Bei der
Mitgliederversammlung wurden die
Vorstände einstimmig mit Eigenenthaltung wieder gewählt. Wir danken Franz
Mayer für die Durchführung der Wahl
und der Mitgliederversammlung für das
entgegengebrachte Vertrauen.
top 10
Ausblick 2016
Der Förderkreis wird wieder, wie im
letzten Jahr, die verschiedenen Einrichtungen besuchen, da uns die Nähe
zu den Patienten sehr wichtig ist. Die
nächsten größeren Projekte die wir
planen, sind der Umbau der Lehrküche und Unterstützung bei einer neuen
Patientensauna.
top 11
Sonstiges:
Es kam eine Anfrage, warum im Ringboten die verstorbenen Patienten nicht
mehr erscheinen. Aus Datenschutzgründen kann dies nur veröffentlicht werden,
wenn wir die schriftliche Einwilligung
der Angehörigen haben.
Es kam eine Anregung, dass aus Kostengründen der Ringbote nur noch dreimal
im Jahr versendet werden soll. Dies soll
vom Vorstand geprüft werden.
Durch die Abrechnung der Freizeit
direkt mit dem Gut Ralligen, können
keine Spenden mehr für den Förderkreis
gemacht werden, diese sollen künftig
in bar bei den Mitarbeitern der Freizeit
abgegeben werden.
top 12
Wünsche und Anträge:
Wünsche und Anträge liegen keine vor.
22.06.2015
anni köser
Protokollantin
Wenn innerhalb von vier Wochen
nach Erscheinen des Ringboten 3 kein
schriftlicher Widerspruch beim Vorstand
eingegangen ist, gilt das Protokoll als
genehmigt
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neues von deuss
Die gefährlichste Weltanschauung ist die Anschauung der Menschen, die die Welt nie angeschaut haben.
Alexander von Humboldt
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich kann dem Autor dieses Zitats nur beipflichten. Reisen bildet, aber nicht nur geographisch. Auch innerlich müssen
wir bereit sein, uns in Bewegung zu setzen. Die Fragen die sich dabei stellen sind: Worauf schauen wir? Wie sehen
wir die Dinge? Ist unser Blick breit gefächert? Holen wir uns verschiedene Ansichten ein oder entwickelt sich eine
Enge, ein Tunnelblick? Sind wir bereit Positionen zu überdenken? Extreme Haltungen haben unter anderem ihren
Ursprung in sehr einseitigen Ideologien. Damit wir nicht der Einfalt verfallen, sind wir immer wieder aufgefordert
uns umzuwenden um Erfahrungen zu sammeln, ohne den Standpunkt über den Haufen zu werfen, oder die Fahne in
den Wind zu hängen. Mit dieser Ausgabe möchte ich für Sie in verschiedene Richtungen blicken. Richtungen die mich
persönlich beschäftigen. Ich hoffe es ist auch für Sie etwas dabei.
Buchvorstellungen
„Dann iss halt was“ Meine Magersucht, wie ich gekämpft habe – wie ich
überlebe. Von Christian Frommert mit
Jens Clasen Mosaik Verlag, Taschenbuch
9,99 Euro, gebundene Ausgabe 19,99
Euro, Kindle Ausgabe 8,99 Euro,
„Wenn sie zurückkommt, bin ich dünn.“
Dies beschließt Christian Frommert, als
seine damalige Angebetete für ein Jahr
fortgeht. Daraufhin nimmt er immer
mehr ab, bis er schließlich nur noch 39 Kilogramm wiegt und
beinahe an Nierenversagen stirbt. (Auszug aus dem Internet,
Buchbeschreibung) Der Bericht von Christian Frommert ist
eindrücklich und erschütternd. Eindrücklich die verschobene
Wahrnehmung des Betroffenen, wie er sich und seine Umwelt
sieht und danach handelt. Erschütternd, weil da jemand vor dem
vollen Kühlschrank buchstäblich verhungert. Zeitweise ist das
Buch etwas langatmig, 100 Seiten weniger hätten nicht geschadet, trotzdem ist es lesenswert, da es zum Thema nur wenig über
Mann und Magersucht gibt.
Rico, Oskar und die Tieferschatten
von Andreas Steinhöfel
Carlsen Verlag, Taschenbuch 6,99 Euro,
gebundene Ausgabe 12,90 Euro,
Kindle Edition 5,99 Euro
„Ich sollte an dieser Stelle wohl erklären,
dass ich Rico heiße und ein tiefbegabtes
Kind bin. Das bedeutet, ich kann zwar
sehr viel denken, aber das dauert meistens länger als bei anderen“.(Auszug aus dem Cover) Ja, Rico
ist schon ein besonderer Junge. Zusammen mit seinem Freund
Oskar (einem hochbegabten, wesentlich jüngeren Freund)
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kommen sie dem geheimnisvollen Mister 2000 auf die Spur.
Der entführt kleine Kinder und fordert immer nur 2000 Euro.
Alle nennen ihn deshalb den Aldi Entführer, weil er so billig ist.
Oskar führt Tagebuch und schreibt all seine Erlebnisse nieder,
um sie nicht zu vergessen. Immer wieder erklärt er Fremdwörter, und die auf unvergleichliche Weise. Ein Beispiel: Depression: Das graue Gefühl. Mama hat es mal so gesagt, als wir uns
über Frau Dahling unterhielten. Eine Depression ist, wenn all
deine Gefühle im Rollstuhl sitzen. Sie haben keine Arme mehr
und es ist leider auch gerade niemand zum Schieben da. Womöglich sind auch noch die Reifen platt. Macht sehr müde.
Kann man es besser beschreiben? Das Buch macht einfach Freude, ist für Jugendliche ab 11 Jahren, aber auch für Erwachsene
ganz wunderbar zu lesen. Die Zeit schrieb über Andreas Steinhöfel er gehöre zu den besten Kinder- und Jugendbuchautoren
Deutschlands. Stimmt!
Über Psychoanalyse: Sigmund Freud
Fünf Vorlesungen, gehalten zur 20jährigen Gründungsfeier der Clark
University in Worcester Massachusetts
GRIN Verlag, Taschenbuch 9,99 Euro
Wollten Sie mal einer Vorlesung von Sigmund Freud beiwohnen? Dann setzten Sie
sich in die Bank und lauschen (bzw. lesen)
Sie den 5 Vorlesungen, die Freund zum 20- jährigen Jubiläum in
Worcester USA gehalten hat. Er selbst stellt sich dabei nicht als
Vater der Psychoanalyse vor, sondern gesellt sich in eine Reihe
von Ärzten die diese neue Art der Behandlung eingeleitet haben.
Auch für den Laien, sind die meisten Ausführungen und Fallbeispiele gut nachvollziehbar. Ich hatte in der letzten Ausgabe über
die Bedeutung der Psychologie seit den 20iger Jahren einige
Gedanken ausgeführt, und sicher sind diese Vorlesungen ein
Zeugnis der Anfänge.
„Während die Welt schlief“
von Susan Abulhawa
Diana Verlag, Taschenbuch für
9,99 Euro, auch als Hardcover und
Kindle Edition erhältlich
Jenin im April: Frühmorgens, bevor
die Welt um sie herum erwacht, liest
Amals Vater ihr aus den Werken großer Dichter vor.
Es sind Momente des Friedens und der Hoffnung, die Amal ihr
Leben lang im Herzen trägt, ein Leben, das im Flüchtlingslager beginnt, nach Amerika führt und dennoch stets geprägt
ist vom scheinbar ausweglosen Konflikt zwischen Israel und
Palästina. Über vier Generationen erzählt Susan Abulhawa die
bittere Geschichte Palästinas im Verlauf des 20. Jahrhunderts,
eine Geschichte über den Verlust der Heimat, eine zerrissene
Familie und die immerwährende Hoffnung auf Versöhnung.
(Auszug aus dem Buch)
Selten hat mich eine Geschichte, die auf historische Fakten aufbaut so bewegt. Wir kennen die Geschichte Israels, die Gründung
des Staates und die Gräuel des Holocausts. Aber kennen wir
auch die palästinensische Seite? Es ist eine Geschichte in der die
Opfer (Israel) zu Tätern werden. Ohne Schuldzuweisung wird
der Leser hineingenommen in das Schicksal einer palästinensischen und israelischen Familie, auf der Suche nach Heimat und
Gerechtigkeit.
Filme:
Da wir gerade beim Nahen Osten sind, möchte ich Ihnen zwei
Filme empfehlen. Vielleicht haben Sie den einen oder anderen
schon im Kino gesehen. Falls nicht gibt es glücklicherweise DVD
und Blu Ray.
Das Schwein von Gaza (When pigs have
wings) Originaltitel von Sylvian Estebal,
Alamode Film, DVD für 6,99 Euro
Jafaar ist Fischer und hat es nicht leicht.
Nur mühsam kann er seine Frau und
sich ernähren und dann geht ihm eines Tages, statt eines großen Fisches
auch noch ein Schwein ins Netz. Nun
hat Jafaar ein gewaltiges Problem, denn Schweine gelten in
Gaza als unreine Tiere, darin sind sich die jüdische, aber auch
die palästinensische Bevölkerung ausnahmsweise mal einig.
Für ihn beginnt nun eine aufregende Zeit mit mancherlei
skurriler Ideen um das Tier loszuwerden. Regisseur Sylvain Estibal ist eine herzerfrischende Komödie über den Nahen Osten
gelungen, in der Grenzen überwunden werden, Grenzen die
unüberwindbar scheinen.
Lachsfischen im Jemen
von Lasse Hallström,
Concorde Film, DVD für 7,99 Euro
Geld macht`s möglich. Der etwas exzentrische Scheich Muhammad ibn
Zaidi bani Tihama ist passionierter
Fliegenfischer und möchte, zum Wohle seines Heimatlandes,
europäische Lachse in den Wadis des Wüstenstaates ansiedeln.
Er beauftragt Dr. Alfred Jones, einen schüchternen, britischen
Experten, der dieses Vorhaben zunächst als verrückt und
unlösbar verwirft. Aber dann bekommt Presse und Politik Wind
von diesem Vorhaben, und da momentan positive Nachrichten
über den nahen Osten fehlen, sieht sich Dr. Jones bald mit dem
Problem konfrontiert, zehntausend Lachse lebendig in den
Jemen zu transportieren. Ganz zu schweigen von den klimatischen Verhältnissen, die Lachse zum Laichen brauchen, denn
die Wadis im Jemen sind nicht die schottischen Highlands.
Lasse Hallström hat mit seinen eigenen Worten eine moderne
Fabel über das Leben , die Liebe und den Glauben geschrieben.
Eine Geschichte über das Unmögliche und den Beginn einer
tiefen Freundschaft.
Kurz notiert:
Die Welt in Italien
Wer diesen Sommer Richtung Süden reist, kann gleich an zwei
Orten eine Sicht auf unsere Welt erleben. In Mailand lädt die
„Expo“ zu einem Blick auf unser Leben, Energie und Kunst ein.
„Die Welt ernähren – Energie fürs Leben“, lautet das Thema der
Superschau, an der 140 Nationen und Organisationen teilnehmen.
Täglich von 10.00 bis 23.00 Uhr, Eintritt 39,00 Euro
www.expo2015.org
Weiter im Osten lockt an der schönen Adria die Mutter aller
Biennalen. Vom 9.5. bis 22.11 zeigt die Lagunenstadt Venedig
mit einer internationalen Ausstellung auf dem Gelände der
Giardini und den Hallen der Arsenale, wo es für die Zukunft
hingehen können/sollte!? Mit dem Thema: „All the worlds
Futures“ (Die Zukünfte der Welt) wird der Besucher mit Kunst,
Vorträgen, Performances, Konzerten und tänzerischen wie
musikalischen Darbietungen bombardiert. Und wem das alles
zu viel ist. Venedig ist auch eine Reise wert.
Mo - Fr 10 bis 18 Uhr, Sa - So 10 bis 20 Uhr, Eintritt 25,- Euro
www.labiennale.org
Wenn Sie Anregungen zu Büchern oder
Veranstaltungen haben, dann schreiben
Sie uns: [email protected],
Telefon 07503/92 01 58
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suchthilfe
elf fragen an
dr. tillmann weber, chefarzt
der ahg klinik in wilhelmsheim
Dr. Weber ist im Juli 1968 geboren
und in Kiel aufgewachsen. Nach dem
Abitur wechselte er zum Studium der
Humanmedizin nach Heidelberg und
Mannheim. Als Arzt im Praktikum war
er an der Neurochirurgischen Klinik in
Mannheim sowie als Assistenzarzt am
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit tätig. 2007 absolvierte er seine
Facharztausbildung für Psychiatrie und
Psychotherapie in der Allgemeinpsychiatrie. Ab Oktober 2009 arbeitete Dr.
Weber für mehrere Jahre als Oberarzt
in der Klinik für Abhängiges Verhalten
und Suchtmedizin. Seit April 2014 ist er
Chefarzt der AHG Klinik Wilhelmsheim,
Oppenweiler.
1. Womit oder wodurch können Sie
besonders gut entspannen?
Rennrad fahren ist meine Form der Meditation. Ich fahre vor mich hin und meine
Gedanken ziehen an mir vorbei ohne mich
zu bedrängen.
2. Was bringt Sie richtig auf die Palme?
Das ist sehr abhängig von meinem eigenen
Befinden. Wenn es mir nicht gut geht, reicht
auch mal eine Kleinigkeit; wenn es mir gut
geht, muss viel passieren, damit ich an die
Decke gehe. Es darf mir aber nicht passieren, dass ich meine negativen Emotionen an
den Mitarbeitern auslasse.
3. Wodurch fühlen Sie sich gestärkt,
wenn es oder privat gerade sehr
anstrengend für Sie ist?
Schwierig. Ich versuche solche Phasen als
Teil meines Lebens zu akzeptieren, auch die
damit einhergehenden negativen Gefühle;
aber das gelingt mir sicherlich nur in 50%
der Fälle.
4. An welchen Orten haben Sie richtig
gute Erinnerungen und wollen ihn
vielleicht einmal wieder aufsuchen?
Ich vermisse meine Heimat Kiel, meine
Freunde und Familie, die ich dort habe.
5. Vielleicht möchten Sie uns ein Buch,
eine CD oder einen Film nennen, etwas,
das Sie in den letzten Wochen gelesen,
gehört oder gesehen haben und Sie
besonders beeindruckt hat?
Ich habe meinem Sohn „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf vorgelesen und wir haben es
beide unheimlich genossen und viel gelacht.
6. Was hat die Tätigkeit, die Sie derzeit
ausüben, für Sie interessant gemacht
und welche Stationen führten bis
hierher?
Ich habe meine Ausbildung zum Psychiater gemacht, ohne den Suchtpatienten viel
Aufmerksamkeit zu widmen. Erst als ich
Oberarzt in der Suchtklinik wurde, habe ich
Suchtpatienten behandelt, was mir soviel
Freude gemacht hat, dass ich mich später
ausschließlich auf Positionen in Suchtkliniken beworben habe. Die Klinik Wilhelmsheim hat mir dann sehr durch ihr fortschrittliches Therapiekonzept und ihre engagierten
und talentierten Mitarbeiter zugesagt, sodass
ich hier die Möglichkeit gesehen habe, die
Entwicklung einer Klinik und die Verbesserung der Therapien für Abhängige erfolgreich mitgestalten zu können.
7. Welche Ihrer Stärken können Sie
in Ihrem Beruf besonders gut „brauchen“?
Ich rede ungerne über mich und noch weniger über eventuelle Stärken meinerseits.
Das sollten andere beurteilen, die mit mir
zusammen arbeiten.
8. Und mit welcher Schwäche stehen
Sie sich vielleicht manchmal im Weg?
Ich bin sehr genau und würde mir manchmal
wünschen, ich könnte manche Angelegenheiten etwas „schlampiger“ gestalten. Es ist
eine große Qualität, seinen Einsatz adäquat
dosieren zu können; nicht gerade meine
Stärke.
9. Was wird sich nach Ihrer Einschätzung an der Therapie von suchtkranken Menschen in Zukunft am meisten
verändern?
Nicht sehr viel, da die Entwicklung von
wirksameren – auch medikamentösen –
Therapien eine enorme, vielleicht unüberbrückbare Herausforderung darstellt. Unsere
therapeutischen Erfolge sind aber auch jetzt
schon durchaus bemerkenswert, jedoch
erreichen wir leider weiterhin nur einen sehr
kleinen Teil der Abhängigen und diese auch
erst nach zu vielen Jahren der Abhängigkeit
mit den hinreichend bekannten schwerwiegenden psychosozialen Folgen, was eine
erfolgreiche Therapie extrem schwierig
macht. Diese vielen unbehandelten, abhängigen Menschen früh zu erreichen und zu einer Therapie bzw. Abstinenz zu motivieren,
würde große, konzertierte Anstrengungen
von Politik, Krankenkassen, Rentenversicherung etc. erfordern und für ein solches
gemeinsames Engagement sehe ich keinerlei
Anzeichen.
10. Wo sehen Sie Ihren Arbeitsbereich
im “Netzwerk der Suchthilfe”?
Wir sind einfach ein Teil dieses Netzwerkes und diesen Teil versuchen wir gut zu
machen, wohlwissend, dass unsere Therapie
in Wilhelmsheim nur einen kurzen Abschnitt
einer erfolgreichen Therapie darstellt, und
andere Teile des Suchthilfesystems schon
vorher genutzt wurden und poststationär genutzt werden müssen, damit eine dauerhafte
Abstinenz verwirklicht werden kann.
11. Was wünschen Sie sich für Ihre
Arbeit in Zukunft ganz besonders?
Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, die
stetig steigenden beruflichen Anforderungen
und die Arbeitszeitverdichtung soweit von
den Wilhelmsheimern fernzuhalten, dass
deren Zufriedenheit und Motivation nicht
leidet.