Leseprobe - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH

Wolfram Hänel
Ein Huhn haut ab
oder
Wenn der Fuchs kommt, muss man fliegen
Ein Bauernhofspektakel mit Musik
(Für Kinder ab 5 Jahren)
(c) henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2015. Als unverkäufliches Manuskript
vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der
Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und
Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder
andere audiovisuelle Medien. Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von:
henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
Alte Jakobstraße 85/86
10179 Berlin
PERSONEN
Fliege
Gerda 1
Gerda 2
Gerda 3
Gustav
Bauer
Mann im Anzug (Fuchs)
Vorspiel
Eine grünschwarz-schillernde Fliege kommt lärmend durch den Zuschauerraum
gebrummt. Sie trägt eine überdimensionale, verspiegelte Sonnenbrille, setzt sich
hierhin und dorthin, schließlich bleibt sie auf der Rampe hocken.
Fliege
Alles klar? Ihr wisst, was ich bin, oder? – Eine Fliege! Gut. Sehr gut
sogar. Aber geht’s vielleicht noch ein bisschen genauer? Was für eine
Fliege? Na los, strengt euch mal ein bisschen an! Sehe ich etwa aus wie
eine stinknormale, langweilige, blöde und ... ordinäre Stubenfliege?
Was? Ja? Nein! Natürlich nicht. Also noch mal ganz von vorne, was für
Fliegen gibt es? Stubenfliegen, klar, hatten wir ja schon. Eintagsfliegen.
Aber ich war schon gestern da und morgen bin ich auch noch da!
Gewitterfliegen, stimmt, die gibt es auch noch. Aber seht ihr es hier
irgendwo blitzen? Hört ihr es donnern und krachen?
Nein, die Sonne scheint, und es ist warm und ...
Blitze zucken. Es donnert Halt! Kein Gewitter! Es ist warm, habe ich
gesagt, und die Sonne scheint ...
Ein Sonnenstrahl, Vogelgezwitscher Ja, genau so! Also, die Sonne
scheint. Und es ist warm und – es riecht ein bisschen. Ach was, was sage
ich! Es stinkt! Es stinkt sogar ganz gewaltig! Und zwar nach Misthaufen.
Und ich mag das. Dicker, dampfender, matschiger Misthaufengestank,
der einen einhüllt wie eine warme Bettdecke, die nach Pups riecht. Das
ist meine Welt. Ich bin sozusagen von Kopf bis Fuß auf Misthaufen
eingestellt. Da geht es mir gut. Da fühle ich mich wohl. Da könnte ich
den ganzen Tag sitzen und grün und blau vor mich hinschillern ...
Streicht sich selbstverliebt über die Flügel Spieglein, Spieglein an der
Wand, wer ist die schönste Fliege im ganzen Land?
Na, ich natürlich! Die Königin vom Misthaufen. Darf ich mich vorstellen:
Gestatten, mein Name ist Fliege. Mist-Fliege. Agentenname Null Null
Sieben ... einhundertvierundachtzig. Mit der Lizenz zum brummen und
zum nerven. Durch Schlüssellöcher zu kriechen und in Ohren und Nasen
hinein und den Bauen unterm Hemd zu kitzeln und auf der Wurst
Rock’n’Roll zu tanzen ...
Song.
Ich komme überall hin
und ich bin überall schon drin
ich brauche keinen Schlüssel
und komm in jede Schüssel
in die ich gerade will
ich kann die Mäuse tanzen sehen
und sitze niemals still
ich kann jedes Wort verstehen
kann die Blumen flüstern hören
und den Bauern beim Schnarchen stören
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ich bin die Königin vom Mist
und wenn das mal nicht das Größte ist
dann weiß ich’s wirklich nicht
dann weiß ich’s wirklich nicht.
Gestatten, mein Name ist Fliege
Ich mach mal eben schnell ’ne Biege
und brumme um die nächste Ecke
wo ich mich ganz kurz verstecke
krieche dann durchs Schlüsselloch
mach mich dünn, so geht es doch
und ohne Lärm und ohne Knall
lande ich im Hühnerstall
Gestatten, mein Name ist Fliege
Ich mach mal eben schnell ’ne Biege
und brumme um die nächste Ecke
wo ich mich ganz kurz verstecke
krieche dann durchs Schlüsselloch
mach mich dünn, so geht es doch
und ohne Lärm und ohne Knall
lande ich im Hühnerstall ...
Songende.
Was ist los? Wollt ihr nicht? Seht ihr nicht das Schlüsselloch? Los,
kommt mit, ich zeig euch was! Aber leise, nicht brummen! Mach euch
ganz dünn und schmal und schiebt euch vorwärts und ... gleich seht ihr
was, was ihr noch nie gesehen habt!
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1. Bild
Hühnerstall. Es ist fast dunkel, nur durch ein kleines Fenster in der Bretterwand fällt ein
schmaler Lichtstreifen. Dicht über dem Boden ist eine geöffnete Klappe, dahinter ein
Wassernapf und ein Drahtzaun. Kurz: Die Hühner können zwar raus, aber ganz
offensichtlich nicht sehr weit.
3 Hühner sitzen auf der Stange. Gerda 1, 2 und 3, ein Stück von ihnen abgerückt Gustav,
der Hahn.
Fliege
zum Publikum Psst! Ganz leise. Sie schlafen ...
Gerda 2
Stimmt doch gar nicht. Ich bin wach! Gut, dass du da bist! Erzähl mir
was. Gibt es irgendwas Neues?
Fliege
Warst du heute noch gar nicht draußen?
Gerda 2
Doch, aber es war langweilig. Und immer, wenn ich ein Stück weiter
wollte, habe ich mir den Schnabel am Zaun gestoßen.
Fliege
Stimmt, der Zaun. Blöd! – Also, pass auf!
Setzt sich in Positur Das Wetter ist ... umwerfend schön! Die Sonne
hängt wie ein großer gelber Ball am Himmel, es ist warm, die Vögel
zwitschern, bunte Schmetterlinge torkeln über die Wiese, von einer
Blume zur nächsten und wieder zurück ...
Gerda 2
Schön! Weiter! Was hast du noch gesehen?
Fliege
Was habe ich noch gesehen? Der Bauer ist mit seinem Trecker aufs Feld
gefahren. Und der Trecker hat geknattert und geklappert und das eine
Rad hat ein bisschen geeiert, so als würde es gleich abfallen.
Gerda 2
kichert Weiter!
Fliege
Als der Bauer weg war, ist die Katze in die Küche geschlichen und hat
sich die Wurst vom Tisch geklaut. Aber gerade als sie mit der Wurst
abhauen wollte, kam der Hund. Und dann gab es richtig Streit! Der Hund
hat geknurrt, die Katze hat gefaucht und aus ihrem Buckel stoben
Funken ...
Gerda 2
Und wer hat gewonnen? Der Hund oder die Katze?
Fliege
Die Katze natürlich, so wie immer. Sie ist einfach mit der Wurst auf die
Mauer gesprungen, und der Hund hat dumm aus der Wäsche geguckt.
Gerda 2
Und dann? Was hast du noch gesehen? Warst du auch ...
Flüstert ... auf dem schönen, großen, dampfenden Misthaufen?
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Fliege
Was glaubst du denn? Natürlich war ich da! Es ist ein echt guter
Misthaufentag heute, wie es ihn nicht so oft gibt. Alles ist schön
matschig und warm, es tropft und gluckert und blubbert und fette,
schwarze Käfer krabbeln über die Halme, stürzen ab und liegen zappelnd
auf dem Rücken und strampeln mit den Beinen. Ungefähr so ...
Macht vor, wie die Käfer mit den Beinen strampeln.
Gerda 2
kichert Witzig! Und dann? Was machen sie dann?
Fliege
Dann drehen sie sich wieder um und krabbeln auf den nächsten Halm
und fallen wieder runter und liegen wieder auf dem Rücken und
strampeln mit den Beinen. Und dann ...
Gerda 2
Und dann?
Fliege
Dann drehen sie sich wieder um und krabbeln auf den nächsten Halm
und ...
Gerda 2
Kapiert! Und fallen wieder runter und strampeln wieder mit den Beinen,
richtig?
Fliege
Genau. Aber ich habe noch was gesehen.
Gerda 2
Was? Jetzt sag schon! Etwa einen langen, fetten, sich windenden ...
Fliege
Einen langen, fetten, sich windenden Regenwurm, der aus dem
dampfenden Mist gekrochen kam und immer länger wurde und ...
Gerda 2
Wie lang war er? Ich will es ganz genau wissen! War er so lang wie ...
von meinem Schnabel bis zu meinen Füßen ungefähr?
Fliege
Länger.
Gerda 2
Bis zum Boden runter?
Fliege
Noch länger. Er war so lang, er hat überhaupt nicht mehr aufgehört!
Gerda 2
Irre! – Und was hat er gemacht, der superlange Regenwurm? Na los,
erzähl schon!
Fliege
Er hat sich gedreht und gewendet, und sich geaalt und hin und her
gefläzt, erst seinen Bauch in die Sonne gehalten und dann den Rücken,
damit er nahtlos braun wird! Von vorne und von hinten und auch noch in
der Mitte!
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