Kath. Kirche Mariae Verkündigung in Liebenburg und die Ev.-luth. Kirchen der Region Liebenburg Predigt beim ökumenischen Gottesdienst zum Thema: „Reformation und Bild“ von Prof. Gerd Winner am Sonntag, dem 12. Juli 2015, auf dem Burgberg von Liebenburg Liebe Gemeinden! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Vorbereitung zu dieser Kanzelrede über „Luther und die Kunst – Reformation und Kunst“ lese ich ein Interview in der Zeit, das die Redakteurin Evelyn Finger mit der emeritierten Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, geführt hat. Evelyn Finger fragt Frau Käßmann:“ Während Sie im Libanon waren, schändete die I.S. das Museum von Mossul. Sie, Frau Käßmann haben über die Bilderstürmer gepredigt. Warum?“ Margot Käßmann antwortete darauf: “Luther lehrte unser Glaube gilt Gott, keinem Abgott. Aber er hat selbst den protestantischen Sturm auf die Bilder gestoppt. Luther kritisierte, dass Bilder zu Götzen wurden, doch zerstören wollte er sie nicht. Sie stehen für die Sinnlichkeit des Glaubens. Sie inspirieren und vertiefen ihn.“ Zitat Ende. 1 Mit diesem Interview bin ich mitten in meinem Thema: „Luther und die Kunst“ Reformation und Kunst, aus der Sicht eines bildenden Künstlers. Nach der babylonischen Sprachverwirrung ist die Botschaft der Kunst und der Künstler non verbal das heißt: die Kunst mit ihrer Bildsprache bleibt über alle Sprachgrenzen hinaus im Sehen für alle Menschen erfahrbar. Der Ursprung der Kunst liegt in der Spiritualität unseres Glaubens und steht für die Sinnlichkeit der Wahrnehmung, wie es Frau Käßmann formulierte. Gerade in der Überwindung fremder Systeme entfaltet die Kunst ihre größte Kraft. 1945, am Anfang einer realen und geistigen Inventur, richtete der englische Dichter T.S. Eliot eine Rundfunkansprache an die am Boden liegende deutsche Nation. Ich zitiere T.S. Eliot „ Die Kraft, die zwischen den Völkern mit eigener Kultur eine Kulturgemeinschaft entstehen lässt, ist vor allen Dingen die Religion. Diese Kraft der Religion macht Kultur erst möglich und überbrückt die Gegensätze, die wir in unserer Heimat so schmerzlich empfunden haben.“ Auch dieser Burgberg der alten Levenborch bewahrt ein Stück dieser dramatischen Geschichte, die nicht mit dem Frieden am Ende des 30jährigen Krieges, 1648, zu Ende ging. Die Spaltung im Glauben wurde nicht nur intellektuell weitergeführt. Wir können uns darüber freuen, dass dieser ökumenische Gottesdienst auf dem Bergrücken der alten Festung uns hier zusammenführt. Martin Luther hat nach dem Pfingstwunder des Heiligen Geistes uns zu Botschaftern unseres Gottes, zu Gottes Priesterschaft ernannt. In dieser Bedeutung wurde den Künstlern die Freiheit zu Teil, im Dialog mit der Wirklichkeit die kosmische Welt zu spiegeln, wie der Maler Paul Klee es nannte. Die kosmische Welt ist die Welt des Geistes, die unsere diesseitige Ausrichtung zu durchdringen vermag. Die Bildsprache der Kunst verbindet in ihrer sinnlichen Deutung nicht nur die Überwindung der Sprachgrenzen, sondern darüber hinaus die Religionen. Der Götzenkult, den Luther anprangerte, löste Missverständnisse aus, die auch in unserer Zeit noch wirksam sind. Die Bibel lehrte uns: „ Du sollst dir kein Abbild von Gott machen. Und Gott bleibt auch in der Nähe zu seinem Volk unsichtbar. Im brennenden Dornbusch, den Moses auf dem Sinai entdeckte, der Feuer- und Rauchsäule, die mit den Israeliten ins gelobte Land unterwegs war in den Naturgewalten von Blitz, Donner und Windhauch. „Gott bleibt unsichtbar“ Die Bildvorstellungen, die wir Künstler in der Malerei und Skulptur schaffen, beziehen sich auf das Menschenbild. Die Jünger Christi bitten ihn: „ Zeige uns den Vater“ Die Antwort kennen wir, sie erstaunt uns nachhaltig. „ Solange seid ihr bei mir. Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Das Erstaunliche daran ist, dass Gott selbst sich nicht an das Bilderverbot gehalten hat. In der Genesis der Lutherbibel lesen wir im 1.Kapitel, Vers 26: Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich ist. Folglich ist nicht das Bild verboten, sondern vielmehr das Abbild für Gott zu halten. 2 Der malende Evangelist Lucas lehrt uns. Wir verehren nicht das Bild, sondern das Urbild hinter dem Bild, das bei Gott ist. Zitat Plato im Gespräch mit Sokrates und Glaukon vom Bild zum Urbild: Platons Aufzeichnungen der Gespräche zwischen Sokrates und Glaukon weisen auf das Phänomen des Urbildes hin. Sokrates deutet in dem Gespräch auf Gott hin, den Schöpfer aller Dinge. Er ist der Urbildner, der auch die Urbilder von allen geschaffen hat. Folglich ist Gott selbst der Urbildner der Kunst. Wir, die Künstler kommen dem seienden Bild nur näher in transitorischer Distanz zum Urbild, das in Gott vollendet ist. „ Solange seid ihr bei mir. Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Diese Botschaft öffnet uns, den Künstlern all die Möglichkeiten, auf dem langen Weg der Kunstgeschichte des Glaubens, Bildnisse in unserer Spiritualität zu schaffen. Von dem Maler Leonardo da Vinci wird uns eine Geschichte überliefert, die den künstlerischen Arbeitsprozess erleuchten kann. Für das Wandbild des Abendmahls Christi mit seinen Jüngern sucht Leonardo Modelle für sein Bild auf den Straßen und Plätzen Mailands. Für die Christusdarstellung fand er schließlich einen Mann, der seinen Idealvorstellungen für die zentrale Figur Christi am Abendmahltisch entsprach. Über einen langen Zeitraum malte er anschließend die Jünger nach Vorbildern, die er ebenfalls in der Stadt fand. Am Schluss fehlte nur noch das Porträt des Judas, um das Abendmahlsbild abzuschließen. Nach langer Suche fand er einen Straßenbettler, der seinen Vorstellungen für den Verräter an Christus entsprach. Während der Sitzungen für das Judasporträt, das eine geraume Zeit in Anspruch nahm, erzählte ihm der Mann, dass er bereits schon früher Modell für das Wandbild gestanden habe. Leonardo fragte den Bettler verwundert, für welche Figur. Der Bettler wies auf die zentrale Figur des Christus in der Mitte des Bildes. Diese Geschichte bliebe nur eine Anekdote, wenn sie nicht die künstlerischen Aspekte verdeutlichen würde. Die Suche nach dem Gottesbild führt Leonardo zu den Menschen seiner Zeit, in seiner Nähe. Denn Gott hat alle Menschen nach seinem Vorbild geschaffen. In dieser Rechtfertigung sucht Leonardo seine Vorbilder unter den Zeitgenossen aus, für die Christusdarstellung, die Bildnisse der Apostel und zuletzt für das Bild des Verräters, der zweifach als Modell dienst. Mit dem Blick auf den Menschen schafft Leonardo kein Götzenbild eines habhaften Gottes. Sein Abendmahl Christi ist eine außerordentliche Sinnlichkeit der Botschaft des Glaubens und bleibt nachhaltig Farbe und Form, auf brüchigem Putz gemalt, ohne Abbild Gottes sein zu wollen. Als Bildzeichen steht dieses Kunstwerk im Dialog mit den ungezählten Meisterwerken von den Bildgleichnissen der Bibel. Bild vom Bild vom Bild, als Zeichen des hoffenden Geistes. Im Februar 1522 erfährt Martin Luther von dem Bildersturm, der Kunstwerke in den Kirchen vernichtet. Luther lebt im Schutz der Wartburg in Thüringen, in Acht und Bann. „Säckingen und Ritterschaft gefährden die Reformation, weil sie in eigener Sache das Schwert zogen.“ Aus der Überlieferung von Martin Luther. Luther verlässt unter Lebensgefahr die schützende Wartburg, traf in Wittenberg ein und beschwor den Bildersturm, acht Tage lang, von der Kanzel predigend. Mit diesem Einsatz gelang es ihm, dass die Fanatiker letztendlich das Feld räumten. Luther kämpfte für die Kunst mit Einsatz seines Lebens. 3 Mit seiner Aussage über die Kunst verschafft er ihr die Freiheit. Zitat Luther: „ Die Bilder sind weder das eine noch das andere, sie sind weder gut noch böse, man kann sie haben und kann sie nicht haben.“ 1983 zum 500sten Geburtstags Martin Luthers richtete der Wiener Kunsthistoriker Hofmann in der Hamburger Kunsthalle eine Ausstellung ein, die den Titel hatte „Luther und die Folgen für die Kunst“ Hofmanns Feststellung lautete: „ Mit Luther begann die Freiheit der Kunst“ Martin Luther war mit einer ganzen Reihe von Künstlern seiner Zeit befreundet. Lucas Cranach der Ältere porträtierte ihn in Bildern und Grafiken. Für die Kirchen in Weimar und Wittenberg schuf Cranach Altargemälde. Hiermit ist nachgewiesen, dass Luther nicht die Bildkunst aus dem Kirchenraum verbannte. Dennoch bleibt der Streit um die Bildwerke der Kunst bis in unsere Tage hinein problematisch. Der Begriff „Götzenkult“ erinnert an das goldene Kalb, das die Israeliten in der langen Abwesenheit ihres Anführers Moses vor dem Sinai sich zur Anbetung schufen, unmittelbar nachdem Gott sie aus der Sklaverei Ägyptens befreit hatte. Mit dem Interview stellt uns Frau Käßmann den Begriff des „Götzenkultes“ in unsere unmittelbare Zeitlichkeit. Ich kenne keine Götzen, die wir für den Kirchenraum als Künstler schaffen. Die Freiheit zur Kreativität ist eine ursächliche Fähigkeit der Künstler. Sie wird von niemandem gewählt oder verliehen. Sie ist eingebunden in den Schöpfungsprozess und ist ein Teil davon. Weil der Geist alleine sie verliehen, kann sie nicht genommen werden. Nur dem Gewissen ist diese Kreativität verpflichtet. Theologen auf beiden Seiten des Glaubens versuchen ihre Kontrolle über die Kunst durch das Wort auszuüben. In der permanenten Reformation der bildenden Künste, von Kunststil zu Kunststil der Jahrhunderte befreiten sich Künstler von der dominanten Kontrolle durch das Wort. Mit der sogenannten Abstraktion, der Ungegenständlichkeit erhielt die bildende Kunst neue Freiräume, auch in der glaubenden Spiritualität. Kunst als transitorisches Zeichen will nicht mehr illustrierend abbilden, sondern verweist auf Deutungen des Geistes über die Dinglichkeit hinaus. Im Dialog mit den spätbarocken Malereien der Schlosskirche stehen hier auf dem Burgberg Skulpturen im Park. Darstellungen, die mehr vermögen als schnelle Informationen zu vermitteln. Das Erz aus dem sie geschaffen wurden, liegt in dem Boden auf dem wir stehen. Menschen über mehr als tausend Jahre haben dieses Erz gefördert und verhüttet. Aus dem Boden aufragend, nehmen sie die transitorischen Energien unserer Schöpfung auf. Sie sind Skulpturen auf der Straße des Friedens von Saint Aubin sur mer in der Normandie, unserer Partnerstadt in Frankreich über Paris bis nach Moskau, geschaffen in der Hoffnung auf die völkerverbindende Energie der Kunst und der Künstler. Angebunden an den Südraum von Salzgitter und der Initiative des Verkehrsverein Salzgitter Bad, sind sie Mahnmale der Hoffnung auf Frieden. 4 Am Anstieg des Burgberges steht das Tor der Ankunft, hier auf dem Plateau auf dem wir uns heute versammelt haben. Geöffnet nach Osten und Westen, errichtet über steilem Anstieg. Es ist ein Zeichen der adventlichen Hoffnung. Türen unserer Welt, die nicht mehr verschlossen werden und in einer Erwartung auf die geöffneten Tore der himmlischen Stadt. Auf dem Plateau des Flankierungsturms haben wir die Skulptur Alpha und Omega gebaut. A und O sind der Anfang und das Ende des griechischen Alphabetes. In der geheimen Offenbarung des Johannes von Patmos spricht Christus: „ Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende.“ In Kreuzform durchdringen die Scheiben der Buchstaben A und O einander. Die Skulptur und der Burgturm, einem Teil der alten Lewenborch (1292 – 1302), stehen in Beziehung zu einander. Künstlerische Gestaltung und Spiritualität bleiben dauerhaft erfahrbar im Dialog mit den Burgresten und der Natur. Von Menschenhand geschaffen, dem glaubenden Gewissen folgend in der Demut der Unzulänglichkeit. Mit Dank an Gott. Gerd Winner Es gilt das gesprochene Wort. Copyright : Gerd Winner, 2015 Nachtrag: Kunst und Kirchen sind in einem ständigen Wandel der Erneuerung, in den Energien des sich Reformierens. In allen Phasen dieser Erneuerung überdenken wir die Tradition und überprüfen sie in den Reflektionen der zeitlichen Wirklichkeit. „Religion und Kunst“ Wir Künstler stellen Fragen an die Vergangenheit, zugleich überwinden wir die Kunstrichtungen, die Verfestigung auf dem Wege zu neuen Erfahrungen und Deutungen in der Wirklichkeit mit schöpferischen Mitteln – durchaus auch im Widerspruch zu einander und untereinander, dennoch verbunden. T.S. ELIOT „Ohne das Christentum als Hintergrund hätte unser Geistesleben keinen Sinn. Auf dem Boden des Christentums hat sich unsere Kunst entwickelt. Der einzelne Europäer mag die Lehre des Christentums für falsch halten, doch wird alles, was er sagt und tut und schafft, seinem christlichen Kulturerbe entspringen und diese Kultur als sinngebend voraussetzen. Nur eine christliche Kultur konnte einen Voltaire und Nietzsche hervorbringen. Unserem christlichen Erbe verdanken wir viel mehr als ein religiöser Glauben“ T.S. Eliot ist bekennender Christ. Thomas Stearns Eliot (* 26. September 1888 in St. Louis, Missouri, Vereinigte Staaten; † 4. Januar 1965 in London, England) war ein englischsprachiger Lyriker, Dramatiker und Kritiker, der als einer der bedeutendsten Vertreter der literarischen Moderne gilt. Im Jahr 1948 wurde er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. 5 Eliot studierte Philosophie und Literatur in Harvard. Nach einem Studienjahr an der Sorbonne und einem geplanten Sommersemester 1914 an der Universität Marburg wanderte Eliot zu Beginn des Ersten Weltkriegs nach London aus und lebte fortan überwiegend dort, auch wenn er in den 1920er-Jahren viel Zeit in Paris verbrachte und ebenfalls als Dozent in die U.S.A. zurückkehrte. Offiziell wurde er 1927 britischer Staatsbürger und trat der Church of England bei.[ 6
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