Entstehende Schulden abgeschoben

5
REGION
Südostschweiz | Montag, 12. Oktober 2015
«Entstehende Schulden abgeschoben»
Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Tarifstreit zugunsten der Krankenversicherer entschieden. Dies wird für die
Bündner Krankenhäuser gravierende Konsequenzen haben, ist der Chef des Kantonsspitals Graubünden, Arnold Bachmann, überzeugt.
von Hansruedi Berger
D
ie Bündner Spitäler und
Kliniken müssen den
Krankenkassen rund elf
Millionen Franken zurückerstatten. Dies hat
das Bundesverwaltungsgericht entschieden (Ausgabe vom 3. Oktober).
Wie aus dem Urteil hervorgeht, setzte
das Gericht den Taxpunktwert für die
ambulante Behandlung rückwirkend
ab Januar 2011 auf 82 Rappen fest. Die
Begründung: Der entsprechende Tarif
bei den Hausärzten betrage ebenfalls
82 Rappen. Die Spitäler hatten jedoch
85 Rappen in Rechnung gestellt. Dieser
Betrag war nach dem Scheitern der
Verhandlungen der Spitäler mit den
Versicherern vom Kanton Graubünden
hoheitlich auf 85 Rappen ab 2011, 89
Rappen ab 2012 und 92 Rappen ab
2013 festgesetzt worden.
Millionen Franken ergeben, die den
Krankenversicherungen zurückerstattet werden müssten, so Bachmann auf
Anfrage. Die relativ grosse Spannweite
erklärt Bachmann mit diversen offenen Fragen. So hätten einerseits nicht
sämtliche Schweizer Krankenversicherer bei dem Rekurs gegen den kantonalen Regierungsbeschluss teilgenommen. Ob diese ebenfalls Rückzahlungen erhielten, würden wohl wieder die
Gerichte feststellen müssen. Andererseits sei das Bundesverwaltungsgericht
von einem Taxpunktwert bei den
Hausärzten von 82 Rappen ausgegan-
gen. Dieser Tarif betrage jedoch seit
2014 83 Rappen.
Vertrag auf 2011 gekündigt
Der Taxpunktwert Tarmed wurde auf
den 1. Januar 2004 eingeführt und betrug für die Bündner Spitäler 86 Rappen. Der Tarif galt damals lediglich für
die Deckung der Betriebskosten. Investitionen wurden von der öffentlichen
Hand übernommen. Freiwillig vereinbarten Versicherer und Spitäler in der
Folge einen Taxpunktwert von 85 Rappen. Auf das Jahr 2011 kündigten die
Spitäler den Tarifvertrag mit den Ver-
Genauer Betrag noch ungewiss
Betragsmässig am stärksten betroffen
von diesem Entscheid ist das Kantonsspital Graubünden. Knapp über 50 Prozent sei das grösste Spital des Kantons
in der Regel jeweils von derartigen Entscheiden in der Regel betroffen, so Rudolf Leuthold, Amtsleiter des kantonalen Gesundheitsamts. Dies bestätigt
auch Arnold Bachmann, Vorsitzender
der Geschäftsleitung des Kantonsspitals Graubünden. Interne Berechnungen hätten einen Betrag von 4,7 bis 7,4
Arnold Bachmann sorgt sich um die Attraktivität: «In anderen Kantonen wie Glarus oder
Bild Theo Gstöhl
Zürich sind die Versicherer bereit, 91 Rappen oder mehr zu bezahlen.»
sicherern. Dies vor allem aus zwei
Gründen: Erstens war die Teuerung
insbesondere im Lohnbereich stark angestiegen und seit 2004 nicht ausgeglichen worden, zweitens stand ab 2012
eine Systemänderung bei der Spitalfinanzierung ins Haus. Diese verpflichtete die Spitäler, zusätzlich die notwendigen Anlagen und Investitionen selbst
zu finanzieren. Die Verhandlungen mit
den Versicherern konnten nicht erfolgreich abgeschlossen werden. Sodass
dann der Kanton den Taxpunktwert ab
2011 auf vorerst 85 Rappen festlegte.
Im Regierungsbeschluss war weiter
festgelegt, dass dieser Taxpunktwert
2012 auf 89 Rappen und ab 2013 auf 92
Rappen erhöht werden sollte. Dies vor
allem, um dem gestiegenen Finanzierungsbedarf der Spitäler Rechnung zu
tragen. Damit, so Bachmann, würden
neben der Rückzahlung von elf Millionen Franken den Spitälern noch weitere finanzielle Mittel vorenthalten.
Denn die Rechnungsstellung bezog
sich in den fünf Jahren seit 2011 lediglich auf einen Taxpunktwert von 85
Rappen. Nach dem Rekurs der Versicherer wurden die vorgesehenen Erhöhungen nicht durchgesetzt. Der nun
veröffentlichte Gerichtsentscheid treffe den Spitalplatz Graubünden massiv,
hält Bachmann fest. Denn bereits 2010
habe kein Bündner Spital im ambulanten Bereich kostendeckend wirtschaften können. Am günstigsten sei noch
das Kantonsspital gewesen mit einer
Vollkostendeckung von 93 Rappen. Mit
einem Taxpunktwert von 82 Rappen
bewege man sich in Graubünden um
zehn bis 15 Rappen unter dem kostendeckenden Bereich. Doch wie soll es im
defizitären ambulanten Bereich weitergehen? «Es bleibt nur der Weg über
eine Querfinanzierung», sagt Bachmann. Ausgeglichen werden müsse der
fehlende Betrag durch stationäre Patienten mit Zusatzversicherung. Doch
dies werde keine längerfristige Lösung
bringen. Denn auch hier würden sich
die Krankenversicherer wohl wehren.
Abschreibungen nicht möglich
Auch wenn dadurch die Betriebskosten zumindest mittelfristig gedeckt
werden könnten, sieht Bachmann
schwerwiegende
Konsequenzen.
«Wenn die durch die Festsetzung des
Taxpunktwerts die Anlagekosten für
Gebäude und Geräte nicht gedeckt
werden, können diese auch nicht abgeschrieben werden.» Das bedeute nichts
anderes, «als dass die daraus entstehenden Schulden auf die nächste Generation abgeschoben werden».
Zudem macht Bachmann auf ein
anderes Problem aufmerksam: «In anderen Kantonen wie Glarus oder Zürich sind die Versicherer bereit, 91 Rappen oder mehr zu bezahlen.» Das führe dazu, dass Graubünden für hoch
qualifizierte Ärzte weniger attraktiv
werde, und dies sei langfristig vielleicht sogar schlimmer.
INS ERAT
Mit unserem
WiFi sind Sie
auch unterwegs
verbunden.
PostAuto. Auch das ist die Post.
Wir verbinden Menschen on- und offline, egal ob Stars oder Nicht-Stars: mit Gratis-WiFi in unseren Postautos.
post.ch/TheYellowTour