„Ich integriere das Beste, was es gibt, den Zufall.“

IM PORTR ÄT
„Ich integriere das Beste,
was es gibt, den Zufall.“
ANGELA STIEF IM GESPRÄCH MIT PETER SANDBICHLER
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IM PORTR ÄT
„kínesis. Eine Studie zur Bewegung im Bild“, Ausstellungsansicht, Viennafair 2015. Bodeninstallation
Peter Sandbichler, Helga Philipp (links), Alicja Kwade
(Mitte), Adolf Luther (rechts), Stanislav Kolibal
(Skulptur) (Foto: Stefan Gutbrunner/ Courtesy Galerie Elisabeth & Klaus Thoman Innsbruck/Wien)
Peter Sandbichler hat kürzlich den
Wettbewerb für eine wichtige Gründerhausfassade in der Mariahilfer
Straße / Ecke Getreidemarkt gewonnen. Er hat im November eine Einzelausstellung in der Galerie Thoman in der Seilerstätte in Wien und
war mit einer Bodeninstallation bei
der Ausstellung kínesis – Eine Studie
zur Bewegung auf der VIENNAFAIR
Anfang Oktober beteiligt. Im Gespräch
mit Angela Stief spricht der in Tirol
geborene und in Wien lebende Künstler über seine aktuellen Projekte, eine
visionäre Arbeit, die bereits 2011 den
Syrien-Krieg voraussagte, seine Faszination an optischen Täuschungen und
wie er sich selbst austrickst.
Du bist gerade zurück von einer KünstlerResidency in Sri Lanka. Wie war es?
Ich mag es, wie man dort arbeiten muss. Die
Pläne, die man ursprünglich hat, funktionieren nie. Deshalb muss man flexibel sein und
improvisieren. Das kommt dem künstlerischen Arbeiten insofern entgegen, als man
ständig neue Lösungen entwickelt. Ich habe
dort mit einem Gegenstand gearbeitet, der
in jedem zweiten Haushalt vorkommt. Eine
Art Webmaschine, die aus einer Fahrradfelge gemacht ist. Damit drehen insbesondere ältere Frauen Kokosschnüre. Alles ist
ganz simpel, auch das Gestell, das aus Holz
zusammengezimmert ist. Ich fand interessant, dass es wie ein klassisches objet trouvé
von Marcel Duchamp aussieht, aber funktioniert und im Alltag gebraucht wird. Ich habe
den Tischler, der solche Webstühle macht,
beauftragt, für mich einen zu bauen. Das einzige, was anders sein sollte, war, dass er zerlegbar ist.
Was ist in Sri Lanka noch entstanden und
welche Erfahrungen hast du gemacht?
Es gibt dort alle möglichen Tropenhölzer. Die
Bäume sind nicht so genormt wie in Europa,
sondern krumm, es gibt Einschlüsse, Bretter mit Löchern, etc. Da habe ich mit Fundstücken von Sägewerken gearbeitet. Ich bin
selbst auf einem Sägewerk in Tirol aufgewachsen und diese Vergangenheit holt mich
immer wieder ein. In Sri Lanka gibt es in
jedem dritten Dorf ein Sägewerk und mindestens zwei oder drei Tischler. Wie bei uns
vor hundert Jahren wird jedes Fenster noch
von Hand angefertigt. Ich habe mit einem
Peter Sandbichler:
„Sri Lanka“ (Foto:
Elena Givone/
Courtesy Galerie
Elisabeth & Klaus
Thoman Innsbruck/Wien)
Peter Sandbichler:
Ausstellungsansicht Gironcoli
Museum, Schloss
Herberstein, 2015
(photo2015©joritaust.com/
Courtesy Galerie
Elisabeth & Klaus
Thoman Innsbruck/Wien)
Tischler zusammengearbeitet, dem der
westliche Kunstbegriff fremd ist. Die Idee, ein
Objekt, bei dem es um Ästhetik, Inhalt und
nicht um den Gebrauch geht, herzustellen,
war für ihn neu.
Du bist ein Künstler, der für die Kunstproduktion mit anderen Menschen, Handwerkern und Firmen zusammenarbeitet. Es gibt
unterschiedliche Künstlertypen, die, die alles
selbst konzipieren und die Produktion von
anderen ausführen lassen, und diejenigen,
die Bastler sind und Do-it-Yourself-Strategien anwenden. Wo ordnest du dich ein?
Ich bin beides. Ich besuchte eine Holzund Bildhauerschule in Innsbruck. Meine
Abschlussarbeit war die Kopie einer lebensgroßen barocken Madonna. Dann studierte
ich in New York ein Jahr Malerei, bin zurück
nach Österreich und begann auf der Angewandten in Wien zu studieren. Oswald Oberhuber war wichtig für mich. Nach zwei Jahren
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wechselte ich in die Klasse von Bruno Gironcoli an die Akademie, lernte viele Techniken,
arbeitete bildhauerisch, habe gegossen und
modelliert. Als Gegenreaktion folgte darauf
eine Phase, in der ich die Produktion weitestgehend abgab und die künstlerische Handschrift auslöschen wollte. Schließlich hat
sich bei mir ein sehr konzeptueller Zugang
zur Bildhauerei durchgesetzt. Es gibt immer
einen genauen Plan eines Projektes oder
Kunstwerks, nur hat sich die Art der Umsetzung immer wieder verändert. Seit circa 15
Jahren mache ich wieder fast alles selbst. Bei
Kunst am Bau-Projekten sind selbstverständlich Firmen involviert. Es macht mir großen
Spaß, Dinge zusammen mit Spezialisten,
Ingenieuren und Technikern zu entwickeln.
Du bist ein Grenzgänger zwischen den
Disziplinen und deine Arbeit verbindet Bildhauerei, Architektur, bildendende Kunst und
Design. Es gibt auch immer wieder Architekten wie Buckminster Fuller und Friedrich
Kiesler, die im Zusammenhang mit deinem
Werk genannt werden.
Ich bin Bildhauer und verstehe mich als
bildenden Künstler. Ich arbeite gern mit
Architekten und habe auch einige Projekte
mit ihnen realisiert, aber ich bin kein
Architekt.
Du hast gerade einen Wettbewerb für die
Realisierung einer Fassade in der Mariahilfer
Straße 1 gewonnen. Kannst du uns bitte etwas über dieses Projekt erzählen!
Es geht um ein wichtiges Gründerzeithaus in
Wien. Es wurde im Zweiten Weltkrieg stark
zerstört und wie es oft der Fall war, wurde
die Schmuckfassade ganz abgeschlagen und
nicht renoviert. 2006 wurde die Fassade wieder mit Stuckatur versehen. Mir ist sofort
aufgefallen, dass das nicht gut gemacht
war. Gemeinsam mit einem Gebäudehistoriker habe ich das ursprüngliche Erscheinungsbild des Hauses rekonstruiert. Meine
Idee ist, die ursprüngliche dreidimensionale
Ausdehnung mittels zeitgenössischer, formal vereinfachter Formen wiederherzustellen. Aus der Ferne wird die Fassade wie die
eines Gründerzeithauses aussehen, aus der
Nähe erkennt man jedoch, dass sie neuartig ist. Mich interessieren an den gut erhaltenen Gründerzeithausfassaden in Wien,
wie sie in den umgrenzenden Raum eingreifen. Das erinnert mich an Richard Artschwager und die architektonische Beziehung zwischen Objekt und Raum. Es spielt keine Rolle,
was auf der Fassade klebt, ob das eine Säule,
ein Kapitälchen oder eine Figur ist. Mich interessieren die Dreidimensionalität und die
Licht-Schatten-Spiele, die sich ergeben.
Du hast auch für die Arbeiterkammer eine Fassade
realisiert, bei der es um eine
ähnliche Fragestellung ging.
In deinem Werk arbeitest du
immer wieder mit dem Verhältnis von Fläche und Raum.
Dich interessieren künstlerische Illusionismen. Das lässt
mich an deine Bodeninstallation mit drei verschiedenfarbigen Rauten denken, die so
aneinandergesetzt sind, dass
sie an perspektivisch dargestellte Würfel erinnern. Sie
lösen einen optischen Kipp­
effekt aus.
Peter Sandbichler: „Origami“
2011 (Foto: Günter Richard
Wett/Courtesy Galerie
Elisabeth & Klaus Thoman
Innsbruck/Wien)
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Peter Sandbichler: Arbeiterkammer Wien
(Foto: Bruno Klomfar)
Ich sehe diese Arbeit als Aktivierung des
Betrachters. Es geht mir um die Unterschiede, die sich durch die Wahrnehmung aus
verschiedenen Distanzen ergeben. Es gibt
eine Werkserie von mir mit Porträts bekannter Gesichter wie etwa Roberto Saviano oder
Anna Politkowskaja, die man aber nur aus
der Ferne erkennt. Aus der Nähe lösen sich
ihre Profile zu abstrakten Rastern auf. Es geht
dabei um den Zusammenhang von Wahrnehmung und Wissen.
Ich würde gerne noch über einen wichtigen
Karrierepunkt in deinem Leben wie die Einzelausstellung in der Galerie im Taxispalais
in Innsbruck sprechen. Es gab dort in situ
Arbeiten, ganze Rauminstallationen und
werkhafte Arbeiten. Es gab die Porträts,
Origami-Arbeiten, gefaltete Wände und
du hast tagesaktuelle politische Ereignisse
künstlerisch diskutiert …
Politik und gesellschaftspolitischen Zusammenhänge interessieren mich. Im Taxispalais verwendete ich für eine Origami-Arbeit
einen Artikel aus der FAZ über Baschar alAssad, dem heutigen syrischen Präsidenten.
Damals war er noch vollkommen unbekannt.
Der Artikel hat mich enorm gefesselt, deshalb baute ich ihn in meine Arbeit ein. Rückblickend hat er alles beinhaltet, was in den
letzten Jahren in Syrien passiert ist. Das war
2011, also bevor der Krieg begann.
IM PORTR ÄT
Peter Sandbichler: Arbeiterkammer Wien (Foto: Bruno Klomfar)
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Peter Sandbichler: „Skulptur“,
2013. Ausstellungsansicht Galerie
Elisabeth und Klaus Thoman
Innsbruck (Foto: Günter Richard
Wett/Courtesy Galerie Elisabeth
und Klaus Thoman, Innsbruck/
Wien)
Wie arbeitest du damit?
Als Ausgangspunkt verwende ich häufig
Inhalte, die mich interessieren. Sobald ich
eine Person oder ein Thema in meine Arbeit
integriere, entsteht für mich ein Fokus, den
ich weiter verfolge. In diesem konkreten Fall
wird der Text der Zeitungsseite, die ich als
Material verwende, durch die Origamifaltung
unleserlich und zu einer grafischen Struktur.
Die Bilder lösen sich in farbige Flächen auf.
Ich kann den Output durch das immer gleiche Faltmuster nicht mehr steuern.
Die Idee des Recycelns spielt in deinem Werk
eine große Rolle. Du arbeitest gerne mit
poveren Materialien insbesondere Kartonagen. Wie wichtig ist für dich der Gedanke der
Nachhaltigkeit in einer Gesellschaft, die man
als Wegwerfgesellschaft bezeichnen kann?
Die Richtung künstlerischen Handelns ist
gegen den Strom zu schwimmen. Aus dem
Abfall der Gesellschaft etwas zu machen,
gefällt mir. Ich schalte mich einfach zwischen
die Verwertungskette, baue Skulpturen und
riesige dreidimensionale Strukturen bzw.
Wände in Ausstellungen, die nichts kosten.
Das heißt, es geht dir als Bildhauer nicht um
den Ewigkeitswert der Skulptur, sondern um
den Moment und die Vergänglichkeit, die
auch in einem anderen Werkkomplex, den
Skulls, eine Rolle spielen. Wie kam es dazu?
Mich haben Tierschädel formal sehr interessiert. Zudem ist die Verschiedenheit bei
großer Ähnlichkeit frappierend. Ein Antilopenschädel unterscheidet sich deutlich
von einem Katzenschädel und doch weisen
beide ein Joch- und Nasenbein, zwei Augen-
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höhlen, einen Kiefer, etc. auf. Die Variationsbreite des Skelettbaus ist jedoch enorm. Ich
habe viel recherchiert und war in etlichen
naturhistorischen Museen. Im Atelier habe
ich dann aus den verschiedensten Materialien einen Schädel konstruiert. Scheinbar richtig, aber eben ein Fake. Es gab keine explizite
Vorlage und meine Skulls sind nicht einmal einer bestimmten Spezies zuzuordnen.
Trotzdem kann man sie sofort als Tierschädel identifizieren.
Das heißt nur ein Biologe
würde sehen, dass es kein
reales Äquivalent zu deinen Skulls gibt?
Ja. Ich entwerfe Kreaturen,
die es nie gegeben hat und
arbeite zudem im Negativ. Erst wenn der Guss fertig ist, sehe ich die Skulptur zum ersten Mal
im Positiv. Ich trickse mich selbst aus, baue
Formen seit langem im Negativ, ich modelliere nicht. Diese Übersetzungsleistung und
Umkehrung im Kopf finde ich hoch interessant. Es passieren dann Dinge, die nicht
gewollt waren.
Wieder ein Kontrollverlust …
Ja, und ich integriere das Beste, was es gibt,
den Zufall.
Peter Sandbichler:
„Skulls“, Ausstellungsansicht, Galerie im
Taxispalais 2014 (Foto:
Günter Richard Wett/
Courtesy Galerie Elisabeth und Klaus Thoman,
Innsbruck/Wien)
Peter Sandbichler, Eröffnung
12. November 2015, 12 h / 13. November 2015 bis 9. Jänner 2016,
Seilerstätte 7, 1010 Wien, www.galeriethoman.com