Nicht dem Zufall überlassen

FACHTEIL
| Talent Management
Nicht dem Zufall
überlassen
Der Mangel an Fach- und Führungskräften ist seit
langem eine unternehmerische Herausforderung.
Umso erstaunlicher ist es, das es nach wie vor an
professionellem Talent Management mangelt,
wie eine international angelegte Studie offenbart:
Mit einem falschen Zielgruppenfokus und
fehlenden Prozess-Strukturen begeben sich die
Unternehmen in eine Falle.
ngesichts des sich stetig ausweitenden
Engagements internationaler Unternehmen, mit steigenden Investitionen in den
Wachstumsmärkten, hat der Wettbewerb
um Fach- und Führungskräfte eine globale
Dimension erreicht. Die Unternehmen werden mittlerweile mit den verschiedensten
demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen konfrontiert, die von
Markt zu Markt unterschiedlich aussehen.
Talent Management wird für die Mitarbeiter zu einem äußerst vielschichtigen Unterfangen. Ein strategischer Ansatz ist erforderlich, um Programme zur Mitarbeiterbeschaffung und -bindung zu entwickeln. Nur so können Unternehmen die Verfügbarkeit der
Fähigkeiten und Führungskompetenzen
gewährleisten, mit denen sie wettbewerbsfähig bleiben können.
Einigen Unternehmen fällt es jedoch noch
immer schwer, Fach- und Führungskräfte über
Grenzen und Generationen hinweg zu verwalten. Dies ist häufig dann der Fall, wenn
keine systematischen Talent ManagementStrukturen vorhanden sind. Eine aktuelle Studie von StepStone und der Economist Intelligence Unit analysiert die größten Schwierigkeiten von Unternehmen mit der Gewin-
A
nung und Bindung von Spitzenkräften.
Der StepStone Talent Report beruht auf einer
internationalen Umfrage der Economist Intelligence Unit bei 395 Unternehmensleitern
und Personalmanagement-Verantwortlichen.
Die Teilnehmer kamen aus 19 Branchen, der
größte Anteil (20 Prozent) aus dem Bereich
Finanzdienstleistungen.
Die meisten Befragten unserer Umfrage
sehen die größten Wachstumschancen im asiatisch-pazifischen Raum. Die Ergebnisse legen
den Schluss nahe, dass die wirtschaftliche
Entwicklung und die zunehmenden Kompetenzen in diesen Wachstumsmärkten einen
Wettbewerbsvorteil hinsichtlich der Gewinnung von Spitzenkräften darstellen. Da jedoch
die Nachfrage nach Spitzenkräften in der Region den Bedarf weit übersteigt, werden die
Unternehmen dazu gezwungen sein, die Vergütungen zu erhöhen und verbesserte Arbeitsbedingungen zu schaffen, um das Fachkräftepotenzial zu nutzen.
Internationales Recruitment
Führungskräfte geben überhöhte Gehaltserwartungen und einen Mangel an Kandidaten mit geeigneten Fähigkeiten als Haupthindernis für die Einstellung kompetenter
Mitarbeiter an. Die zunehmende Tendenz von
Mitarbeitern, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, trägt zum Fachkräftemangel in vielen
Unternehmen bei. Das Fehlen geeigneter
Karrierechancen ist zugleich ein häufiger
Grund dafür, dass es nicht gelingt, talentierte Mitarbeiter im Unternehmen zu halten.
Als wichtiger Lösungsansatz gilt das Thema
„Internationales Recruitment“ – 38 Prozent
der Befragten geben an, dass die wirtschaftliche Entwicklung in neuen Wachstumsmärkten wie Russland, Brasilien, Indien
oder China neue Personalpools schafft. Darin
sehen die befragten Führungskräfte einen
wirksamen Ansatz zur Gewinnung von qualifiziertem Personal. Weitere 42 Prozent
sagen, dass das dortige Wachstum mit einem
steigenden Fähigkeitsniveau der Kandidaten
einhergeht.
Der asiatische Markt ist aus Sicht der internationalen Führungskräfte ein absoluter
Wachstumsmarkt. 44 Prozent von ihnen
sehen dort dementsprechend eine einzigartige Geschäftsgelegenheit und sind überzeugt, dass Asien in den nächsten drei Jahren die besten globalen Wachstumschancen
bietet. Zwei Drittel glauben zudem, auf dem
asiatischen Markt Fachkräfte besser rekru11 | 2008
www.personalwirtschaft.de
45
FACHTEIL
Talent Management
tieren zu können, als auf ihren Heimatmärkten.
Paradoxerweise glauben die Befragten aber
auch, dass es nirgendwo schwieriger ist,
Spitzenkräfte einzustellen als in Asien. Ein
Grund: die zu hohen Gehaltserwartungen auf
dem asiatischen Markt. Außerdem seien
asiatische Fachkräfte weniger loyal ihrem
Arbeitgeber gegenüber. Rückschluss: Wer von
den asiatischen Wachstumsmärkten profitieren möchte, muss mit hohen Personalkosten rechnen und sollte unbedingt durch
professionelle Talent Management-Strategien vorbereitet sein.
Zielgruppen beim Talent Management
Abbildung
Selbstkritische Einschätzung
Viele Befragte geben an, dass ein Talent
Management in ihrem Unternehmen nur
auf informellem Weg stattfindet, wobei kein
direkter Abgleich zwischen den Qualifikationen des Bewerbers und den Anforderungen des Unternehmens stattfindet. Die Aufmerksamkeit richtet sich außerdem auf die
Personen mit dem größten Führungs- oder
Leistungspotenzial. Personen aus Bereichen
mit akutem Fachkräftemangel erhalten weniger Aufmerksamkeit.
Die Studienergebnisse zeigen: Viele Unternehmen müssen – trotz der genannten
Herausforderungen des internationalen Fachkräftemangels – erst noch professionelle
Talent Management-Strategien entwickeln.
34 Prozent der Befragten geben an, dass ihr
Unternehmen nur einen informellen Talent
Management-Ansatz verfolgt. 16 Prozent
verfügen über gar keine Strategie in dieser
Hinsicht.
Nur 13 Prozent sind davon überzeugt, dass
ihr Unternehmen bei der Personalrekrutierung exzellente Arbeit leistet. Weitere sieben Prozent finden, dass die Mitarbeiterbindung in ihrem Unternehmen gut strukturiert ist.
Infolge des momentan komplexen wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Wandels steht das Talent Management nun höher
auf der Tagesordnung der Unternehmen.
Viele bezeichnen es als Aufgabe des Vorstands
und als etwas, das in größerem Umfang als
Teil des Risikomanagements begriffen wird.
Der größte Teil der Befragten (26 Prozent)
46
11 | 2008
www.personalwirtschaft.de
gab an, dass die Verantwortlichkeit für diesen Geschäftsbereich ihres Unternehmens
in den Händen der Vorstandsvorsitzenden
liegt.
Mitarbeiterentwicklung als Teil
des Talent Managements
Interne Mitarbeiterentwicklungsprogramme gelten als wichtiger Bestandteil der Mitarbeiterbindung und Nachfolgeplanung. Die
Verabschiedung von Führungskräften in
den Ruhestand sowie schnelle Veränderungen in bestimmten Branchen bringen es
jedoch mit sich, dass auch Personen von
außerhalb benötigt werden, um die entstandene Lücke zu füllen. Nahezu die Hälfte der
Befragten (46 Prozent) gab an, möglicherweise Headhunter oder Personalberater einsetzen zu wollen, um Zugang zu neuen Personalpools zu erhalten. Das ist teilweise
dadurch begründet, dass die raschen Veränderungen in den Unternehmen es nicht möglich machen, Mitarbeiter auf Einstiegsniveau einzustellen und deren Fähigkeiten im
Unternehmen zu entwickeln.
Während sich Unternehmen in der Vergangenheit vor allem auf Zahlungen und Versorgungsleistungen konzentriert haben,
erfährt die Bedeutung von Schulung und
Entwicklung zunehmende Beachtung. Auch
die Notwendigkeit von Mentoring- und
Coaching-Programmen zur Überwindung
von Problemen bei der Mitarbeitergewinnung und –bindung wird immer häufiger
erkannt. Die Befragten nennen leistungsbezogene Vergütungen und Prämien für
persönliche Leistungen als das häufigste Mittel zur Belohnung der Mitarbeiterleistung.
Die Zahlung eines angemessenen Grundgehalts wird zwar noch immer als wichtig
angesehen, jedoch gilt eine aktive Mitarbeiterentwicklung als der beste Weg, um wichtige Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden.
Technische Lösungen
Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung eines unternehmensspezifischen
Recruiting-Portals. Grundsätzlich dienen
Recruiting-Portale als erste Anlaufstelle für
alle, die daran interessiert sind, in einem
bestimmten Unternehmen zu arbeiten. Unternehmen können auf diese Weise den Bewerbern ihre Unternehmenskultur vermitteln.
Damit ein solches Portal jedoch wirklich effizient ist, muss auch eine Software darin
integriert sein, die es dem Unternehmen
möglich macht, die Bewerberdaten allen
Regionen und Abteilungen des Unternehmens
zur Verfügung zu stellen.
Die Implementierung von Performance
Management-Systemen spielt außerdem
eine gewichtige Rolle. Viele Arbeitgeber
sehen darin einen wichtigen Schritt dahin,
die besten Mitarbeiter zu erkennen und im
nächsten Schritt an das Unternehmen zu
binden.
Zeit zu handeln
Global agierende Unternehmen sind in
Zukunft noch stärker gefragt, sich mit demografischen Problemen auseinander zu setzen. Daneben müssen sie sich zunehmend
auf Fach- und Führungskräfte einstellen,
die gesteigerten Wert auf Flexibilität, herausfordernde Karrierechancen und die Möglichkeit im Ausland zu arbeiten verlangen.
Zu den größten demografischen Problemen
gehört, dass in den nächsten dreißig Jahren
zahlreiche Führungskräfte in den Ruhestand
treten. Folge: ein ernsthafter Führungskräftemangel auf oberster Leitungsebene.
Unsere Studie zeigt: Viele Entscheidungsträger in Unternehmen gehen davon aus,
dass die Gewinnung talentierter Mitarbeiter zukünftig sehr viel schwieriger wird, als
sie es derzeit ohnehin schon ist. Angesichts
dieser Herausforderungen zeigen die Studienergebnisse: Viele Unternehmen müssen eine formelle Talent Management-Strategie erst noch etablieren. Selbst wenn
Unternehmen über eine etablierte Struktur verfügen, ist diese nur informell und ohne
klare Zielsetzung. Darüber hinaus erfahren
die Talent-Strategien laut den Befragten
häufig nicht die Unterstützung der obersten Führungsebene.
Dabei liegt auf der Hand: Talent Management ist ein Thema, das unbedingt auf
oberster Vorstandsebene anzusiedeln ist. Die
Unternehmen sind gefordert, Programme
und Strategien zu etablieren, die – mit
Unterstützung der Unternehmensleitung,
und umgesetzt durch Linienmanager in
lokalen Geschäftseinheiten – aus dem Talent
Management einen systematischen, messbaren Prozess machen. Einen Prozess, der
den Zustrom an Fähigkeiten und geeigneten Führungskompetenzen garantiert, die
den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen. Lösungen, die letztlich so geeignet
sind, eine wirksame Antwort auf den globalen Fachkräftemangel zu geben.
Autor
Sascha Theisen,
Presseprecher, StepStone
Deutschland AG,
[email protected]
Autor
Lars Grigo,
Marketing Manager, StepStone
Solutions GmbH,
[email protected]