KAPITEL In der Leicastadt Wetzlar zu Hause 1 In der Leicastadt Wetzlar zu Hause Als die von Oskar Barnack erfundene Leica 1925 So hatte man als Wetzlarer irgendwie immer etwas mit der auf der Leipziger Frühjahrsmesse erstmals der Firma Leitz und der Leica zu tun. Auch bei mir war das so. Von Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde, ahnte noch Kindesbeinen an, denn mein Vater Theo Kisselbach arbeitete niemand, welche Revolution in der Fotografie diese kleine bei der Firma Ernst Leitz als Leiter der Abteilung Leica-Technik. Kamera auslösen würde. Seit nunmehr 83 Jahren wird die Leica Sein Beruf und seine Berufung war die Leica, und er konnte gebaut und die Erfolgsgeschichte setzt sich bis heute mit der den Welterfolg dieser Kamera über viele Jahre begleiten. digitalen Leica M8 fort. Eine ganze Region hat davon profitiert und die Leica hat vielen Menschen über Generationen Arbeit Als ich Anfang der 50-er Jahre das Licht der Welt erblickte, gegeben. bewegte sich einiges im Hause Kisselbach. Nicht nur meine Hans-Günter Kisselbach Werbung für das Kleine Leica-Buch meines Vaters Theo Kisselbach im Schaufenster des Fotohauses Weizsäcker in Stuttgart 1952 6 Kapitel 1 Geburt als drittes Kind gab Anlass zur Freude, es wurde auch In den Jahren 1964 und 1965, also mit 13 und 14 Jahren, nahm mit einem Hausbau begonnen, und als Erstlingswerk veröffent- ich mit meinem Freund Albert Mülln an den St. Christopher lichte mein Vater Das kleine Leica-Buch. Das Buch wurde ein Fotokursen am Arlberg in Österreich unter der Leitung von Prof. großer Erfolg. Nach meinen beiden Geschwistern Wolfgang Stefan Kruckenhauser teil. Das „selbstgeschaffene Bild“ und Herta war ich zwar kein Erstlingswerk mehr, aber ich glau- stand im Mittelpunkt der ganzen Kursarbeit und damit das be, die guten Wünsche meiner Eltern für Glück und Erfolg im „Sehen Lernen“. Bei den Ausflügen in die herrliche Bergwelt Leben hatte ich. Tirols gab es reichlich Motive. Professor Kruckenhauser fasste für uns die wichtigen fotografischen Grundregeln in einem Nach über 50 Jahren ist dieses Buch nun mein Erstlingswerk Merksatz zusammen: und ich hoffe, es steht unter dem gleichen guten Stern wie damals Das kleine Leica-Buch. „Ein großer, flächiger, liniierter, plastischer Trottel“. Bei all der fotografischen Kompetenz zu Hause ist es erstaun- Übersetzt heißt das: man achte auf eine große Abbildung, auf lich, dass ich erst mit zwölf Jahren mit dem Fotografieren be- Flächen und Linien und auf Plastizität. Der „Trottel“ stand gann. Meine erste Kamera, die ich von meinem Vater bekam, dabei für das „Drittel“, das beim Bildaufbau zu beachten ist. war eine Leica M2. Zum Beispiel: ein Drittel Landschaft und zwei Drittel Himmel oder umgekehrt. Man kann sich vorstellen, dass er ein strenger Lehrmeister war. Es hat lange gedauert, bis ich endlich verstanden hatte, was „Immer ist saubere Fototechnik eine Grundlage des Erfolges, die doppelte oder die vierfache Belichtungszeit zu bedeuten darum muss auch jeder Anfänger während der Kurszeit viel in hatte. Ebenso tat ich mich schwer mit der Einsicht, dass ein 27 DIN Film (heute 400 ASA) viermal so empfindlich sein sollte wie ein 21 DIN Film (heute 100 ASA ). Auch mit den Geheimnissen der Verschluss- und Blendenreihen war ich nicht gleich vertraut. Mein Vater fragte dann: „Du stellst 1/125 sec und Blende 11 ein, was musst du bei der doppelten Belichtung einstellen?“ (Die Antwort: „1/125 sec und Blende 8 oder 1/60 sec und Blende 11“). Arlbergpaßstraße in Österreich oberhalb des Ortes Stuben. Foto: Hans-Günter Kisselbach, 1964 Meine ersten Fotos – natürlich in Schwarz-Weiß – machte ich unter den kritischen Augen meines Vaters. Aus dieser Zeit habe ich vor allem einen Satz von ihm behalten: „Wenn auf einem Film mit 36 Aufnahmen zwei wirklich gute die dunklen Kammern“ – so stand es im Prospekt für die Bilder dabei sind, dann ist das schon genug“. „St. Christopher Fotokurse“. Auch jetzt im Zeitalter der digitalen Fotografie möchte ich diese damaligen Erfahrungen der Dunkelkammerarbeit nicht missen. Kapitel 1 7 Am Ende der Fotokurse legte jeder Teilnehmer seine Mappe mit bei Hochzeiten oder Familienfeiern als Reporter eingesetzt. selbst gefertigten, auf 18 x 24 cm vergrößerten, Schwarz-Weiß- So war und ist die Fotografie mein Hobby geblieben. bildern den kritischen Augen der Kursleitung und der anderen Teilnehmer vor. Wir waren noch jung, hatten aber den Ehrgeiz, Interesse an den alten Leica-Modellen aus der Kamera- unter den Erwachsenen bestehen zu wollen. sammlung meines Vaters hatte ich schon früh. Als Kind faszinierte mich ganz besonders die Reporter-Leica, die Leica 250, Ich fotografierte weiterhin eifrig und nahm regelmäßig beim weil sie so gigantisch aussah. Aber nicht nur die Leica 250 Deutschen Jugendfotopreis oder anderen Fotowettbewerben befand sich in der Sammlung meines Vaters, sondern auch der teil. Öfters konnte ich einen Buchpreis gewinnen oder auch „Hauptdarsteller“ dieses Buches – eine Kamera, die mein Vater schon mal einen Geldpreis von 100 DM, aber der große Wurf das „Barnack’sche Handmuster“ nannte. Diese Kamera beein- war leider nicht dabei. Hier denke ich mit etwas Neid an einen druckte mich, weil sie aus Messing bestand, nicht lackiert war damaligen Gewinn meines Freundes Albert Mülln: Er gewann und so technisch aussah. Ich wusste von meinem Vater, dass eine Reise nach Ibiza! dies ein ganz besonderes Stück sei … Auch während meiner Bundeswehrzeit hatte ich meine Leica So möchte ich im nächsten Kapitel über meinen Vater Theo immer dabei. Die Schwarz-Weiß-Fotos fanden guten Absatz, Kisselbach berichten, der als 20-jähriger junger Mann seine allerdings musste ich dafür am Wochenende in die Dunkel- erste Leica kaufte, und davon, wie die Leica sein Leben beein- kammer, um die Bilder zu vergrößern. Gerne wurde ich auch flusste. Leica 250 von 1934 – die Reporterkamera, mit der man 250 Aufnahmen auf 10 m Film machen kann 8 Kapitel 1 Barnacks Handmuster – der Hauptdarsteller dieses Buches aus der Sammlung Theo Kisselbach Schon früh wächst Europa zusammen – Europa-Jugendpreis für Foto und Film 1965
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