Carl August Liner (St. Gallen 1871 – 1946 Appenzell) «Zwei

Carl August Liner (St. Gallen 1871 – 1946 Appenzell)
«Zwei Appenzellerinnen in Barärmeltracht». 1916.
Weisses Hemd mit ellbogenlangen Ärmeln und breiten Spitzen, schwarze
durchbrochene Bänder als Abschluss, Mieder aus Samt, goldbestickter
Brustblätz, plissierter Rock, Schürze, Ohrschmuck mit passender Brosche und
auf dem Kopf Haube und Schlappe - allein diese unvollständige Aufzählung der
einzelnen Elemente zeigt: Die Tracht der Innerrhoderin ist prachtvoll.
Beeindruckt davon zeigte sich auch der ursprünglich aus St. Gallen stammende
Künstler Carl August Liner. Er schuf im Jahr 1916 das Bild zweier
Appenzellerinnen in Barärmeltracht, das ohne Zweifel ein Hauptwerk innerhalb
seines Schaffens darstellt. Der talentierte Künstler zog als junger Familienvater
nach Appenzell und wurde dort sesshaft. Er begeisterte sich für Land und Leute
gleichermassen und hielt beides in zahlreichen Gemälden fest.
Das aufwändige Herausputzen der Appenzellerinnen ist insbesondere an
wichtigen katholischen Festtagen zu bewundern. Die liturgischen Farben
Violett, Weinrot und Blau der Trachten unterstreichen den kirchlichen Inhalt
dieser Anlässe. Es ist jedoch nicht in erster Linie der Prunk der Kleidung, der
Liners Bild zu einem so besonderen macht. Auch nicht allein die handwerklich
hervorragende Darstellung von Tradition und Gottesfürchtigkeit. Vielmehr
verzaubert das Werk als grossartige Charakterstudie.
Es ist weit herum bekannt, dass das Frauenstimmrecht im Kanton Appenzell
Innerrhoden erst 1990 über einen Bundesgerichtsentscheid eingeführt wurde.
Kein Geheimnis ist aber auch – ohne verallgemeinern zu wollen –, dass sich die
selbstbewussten Innerrhoderinnen nie scheuten ihre Meinung kundzutun,
wenngleich sich das in der politischen Teilhabe nicht offen wiederspiegeln
konnte. Nicht selten leisteten die Ehefrauen, die beispielsweise als Stickerinnen
beschäftigt waren, einen entscheidenden Beitrag zum Lebensunterhalt der
Familie. Als eigentliche „Säckelmeisterinnen“ erhielten sie innerfamiliär
Entscheidungshoheit, die sie via Ehemann auch zur Landsgemeinde trugen.
Zeigt das Bild nun also eine Mutter, die ihre Tochter an der Hand nimmt?
Schwestern, die gemeinsam zur Kirche aufbrechen? Sich beeilende Freundinnen
oder vertraute Nachbarinnen, die Hand in Hand und mit ernsthaftem
Gesichtsausdruck die Hauptgasse entlang gehen? Letztlich bleibt dies eine Frage
der Interpretation. Ihnen allen gemein ist aber der Stolz, die Eigenständigkeit
und die bei aller Entschlossenheit dennoch spürbare Sanftmut, die dieses Bild zu
vermitteln vermag.