Predigt über Hebräer 12,1-3: Lauf des Lebens Pfarrer Florian Kunz Als der Startschuss fällt, läuft er euphorisch los, getragen vom Applaus der Zuschauer schwebt er die ersten 5 km wie auf Wolken, auch die nächsten 10 km nimmt er spielerisch. Er hat hart trainiert die letzten Monate, seine Zeiten protokolliert, über seine Ernährung genau Buch geführt und sich auch mental vorbereitet. Marathon ist schließlich keine Kleinigkeit, das erfordert Respekt vor den Kilometern, immerhin über 42. Da kann man nicht wie wild sprinten, da muss man seine Kräfte genau einteilen. Und noch läuft alles nach Plan, noch läuft er nach Plan. Doch bei km 15 kommt mit dem ersten Seitenstechen die erste Unsicherheit: „Müsste nicht gleich km 17 kommen? Was erst 16? Ob ich das schaffe? Werde ich ankommen?“ Bei km 25 brennt die Lunge, schmerzen die Beine und nagen die Zweifel: „Das wird doch nichts mehr! Einfach rechts in den Graben fallen lassen und heulen … einfach aufgeben!“ Doch dann, … hinter der nächsten Kurve ist da eine Wolke von jubelnden Menschen am Streckenrand – und mittendrin sie, seine Freunde, für ihn stehen sie da und sie rufen: „Ja, das schaffst du! Wir glauben an dich!“ Da ist ihm, als fielen Gewichtsklötze von ihm ab, als wäre die Leichtigkeit des Anfangs zurück. Seitenstechen, Brennen in der Lunge, schmerzende Beine, Zweifel – das spürt er fast nicht mehr. Sein Lauf geht weiter … in den Endspurt, Richtung Zieleinlauf. Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst. Endspurt in Jerusalem. Jubelnde Menschen am Wegesrand, Palmenzweige halten sie wie Winkelemente in ihren Händen, frisch gewaschene Kleider haben sie von den Leinen gerissen und auf der staubigen Straße ausgebreitet. Denn ER kommt, reitet auf einem Esel in die Stadt ein. Und sie feuern ihn an: „Hosiannna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“ Bald sieht man ihn auf dem Esel kaum noch, zu viele Menschen drängen auf die Straßen, wie eine große Wolke umringen sie ihn. Was er wohl denkt angesichts dieses Auflaufs, dieses Jubels? Vielleicht liegt ein ernster Zug auf seinem Gesicht? Wenn seine Stimme bei dem Lärm durchdränge, vielleicht würde sie sagen: „Moment! Nicht so schnell! Das ist noch nicht der Zieleinlauf, mein Endspurt beginnt gerade erst und meine Siegerehrung wird anders aussehen als ihr denkt – nur zwei Balken Holz hat die Ehrentribüne, mein Siegeskranz hat Dornen.“ Doch davon ahnen Sie nichts, die, die Straßen säumen und jubeln, noch jubeln sie, noch rufen sie „Hosianna!“ … noch. Läufe des Lebens – Lebensläufe … Manche starten euphorisch, mancher nimmt jede Biegung und Steigung des Lebensweges mühelos. Beruflich und privat keine Strecke zu lang, kein Tempo zu hoch, alles nach Plan. Manchen gelingt das einfach so - Zufall, Glück, Naturtalent. Andere müssen hart dafür an sich arbeiten. Das Leben, ein Trainingscamp – durchgeplant, durchoptimiert, um auf allen Strecken zu glänzen, erster im Ziel, Sieger zu sein. Eine andere zählt die Kilometer, „Müsste ich nicht schon weiter sein? Schon verheiratet, schon mit Kind, schon in dem Job, der zu mir passt, schon in dem Leben, dass mich wirklich ausfüllt …?“ Unsicherheiten wie Seitenstechen. Und da sind die, denen ihr Lebenslauf ein Leidensmarathon ist - denen die Beine schmerzen und die Lunge brennt, die drohen aus der Bahn geworfen zu werden – in den Graben, rechts am Streckenrand. Die alte Frau, die vor dem Olympiastadion Pfandflaschen in ihren fleckigen Hackenporsche sammelt, die vom Spiel übrig geblieben sind. Der Motzverkäufer in der U-Bahn mit dem leeren Blick wenn er seinen Spruch vorträgt. Die Freundin, die sagt: „Ich würde ja gern glauben, aber nach allem was mir passiert ist …“ Der Nachbar, der immer „Muss ja!“ sagt, wenn man ihn fragt wie es geht und oft heimlich seufzt: „Ich kann nicht mehr!“ Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst. Eine Wolke von Zeugen – Glaubenszeugen, Lebenszeugen - Frauen und Männer der Bibel, Menschen aus der Geschichte des Glaubens, Urahnen, Großmütter und Großväter, Mütter und Väter, Geschwister und Freunde, Nachbarn und Mitmenschen … gehen voraus und gehen mit, teilen dieselben Erfahrungen, wie wir: unser Glück und unsere Freude, unsere Ängste und unsere Not, unsere Gewissheit und unsere Glaubenszweifel, unser Gelingen und unsere Schuld. Stehen an unserer Wegstrecke, feuern uns an – bei den mühelosen Sprints und besonders bei den Durststrecken, damit wir nicht matt werden und den Mut nicht sinken lassen. Und mitten in der Wolke steht der Anfänger und Vollender des Laufs. Im Sportdress der Menschlichkeit hat er ihn angetreten, auf einem Esel ist er in den Endspurt geritten und seine Strecke hat ihn bis ans Kreuz geführt – kein starker Sieger auf der Überholspur, sondern ganz menschlich, schwach mit den Schwachen - läuft hinein in das Dunkel von Schmerz und Tod, unsern Schmerz unsern Tod, läuft hindurch. Macht den Weg frei, hin zum Ziel, hin zum Leben, hin zu Gott. Und wenn wir anfangen, Kilometer zu zählen, wenn Zweifel uns wie Seitenstiche quälen und unsere Beine so schmerzen dass wir aufgeben wollen, hören wir seine Stimme vom Streckenrand: „Ja, das schaffst du! Ich glaube an dich!“ Da ist uns, als fielen Zweifel und Ängste wie Gewichtsklötze von uns ab, als wäre die Leichtigkeit des Anfangs zurück. Und unser Lauf geht weiter … „Das Schönste ist“ sagt der Marathonläufer, „wenn du durchs Brandenburger Tor läufst und der Jubel der Zuschauer aufbraust – nur noch ein kleines Stück und du überquerst die Ziellinie auf der Straße des 17. Juni. Und dann liegst du auf der Wiese, kaputt aber glücklich - hörst nur deinen Herzschlag und die Glocken des Carillons im Tiergarten. Wunderbar! Fast wie im Paradies.“ Amen.
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