Geschichten - Nitschareuth

Nitschareuther
Geschichten
2 .Teil
von Otto Leiterer
geschrieben von Hermann Moser aus Daßlitz
Die Veränderungen seit dem
letzten Krieg, deren Zeugen wir
alle geworden sind, will ich nicht
beschreiben, weil daß Aufgabe
einer berufeneren Feder ist. Wenn
man aber auf den Ablauf von
sieben Jahrzehnten zurückblickt,
erinnert man sich an Vieles, das
sich grundlegend geändert hat.
Im Jahre 1880 wurde das Haus
in dem wir jetzt wohnen, von
meinem Vater Christian Leiterer
gebaut. Mein Bruder Paul, der
das Bäckerhandwerk erlernt
hatte, übte es zu Hause bis 1900
aus. Da aber im Ort wenig Absatz war, schaffte meine Mutter wöchentlich 3-4 mal Brote unter
Mithilfe der übrigen Familienmitglieder nach Greiz. Dort war dieses holzgebackene kräftige und
wohlschmeckende Brot mehr begehrt. Außerdem handelte sie mit Butter.
Meine Mutter, eine geborene Diezel, stammte aus Löfflerschen Haus (jetzt Prager). Die Familie Diezel geriet aber immer mehr in finanzielle Bedrängnis und der letzte Besitzer Heinrich Diezel
wurde, wie man es nannte, fertig. Der Hof wurde von Christian Schubert erworben und mit seinem
bisherigen, an der Kirchgasse liegenden bäuerlichen Anwesen vereinigt. Danach zog er ins
neu gekaufte Haus und riss das alte ab. Es ist noch gar nicht so lange her, als die alte, die Kirchgasse
begrenzende Grundmauer, vollends beseitigt und durch einen Zaun ersetzt wurde. Im Grasgarten
befand sich zu Christian Schuberts Zeiten noch ein flacher, von einem Holzhaus gedeckter
Quellbrunnen, in dem meist Äsche mit Milch und Butter schwammen und Käsetöpfe standen.
Da nun einmal die Tür nicht ordentlich verwahrt war, passierte es, daß ein Hund (Becks Leo) daran
kam und dann mit käseverschmierter Schnauze das Dorf hinuntertrabte.
Bares Geld war früher bei den meisten Bauern rar. Meine Mutter erhielt deshalb als Erbteil Feld
und Wald an der Röschnitzwand (am Fußweg nach Gommla gelegen). Meine Eltern wohnten damals
(1868) noch bei Knüpfers zu Miete und erwarben erst 1878 von Zimmermann Heinrich Böttcher
ein am Berg hinter unserem jetzigen Hause stehendes strohgedecktes Holzhaus. Da also keine
Scheune vorhanden war, wurde eine solche draußen am Feldrand gebaut und auch dort auf einsamer
Höhe gedroschen. Geld war, wie gesagt, trotz bescheidener, heute undenkbarer Lebensführung,
immer sehr knapp,was meine Mutter zu dem erwähnten Handel veranlaßte.
Es gab aber auch andere Methoden , um diesem Mangel abzuhelfen. Auf dem jetzigen Gottwald
Zipfelschen Haus saß früher Friedrich Schröder aus Neuhammer. Als er wieder mal nicht wußte wie
er zu barem Geld kommen könnte, sagte er: “Ich huck' e mol die Flint auf.“ Gesagt getan! Daß
er eine Hirschkuh geschossen und das Fleisch für 8 Taler nach Waltersdorf verkauft hatte, sickerte
aber doch durch, wurde angezeigt und er erhielt in Greiz eine Ordnungsstrafe. Zur Abwendung
derselben ging er zu Fuß nach Jena zu der für Greiz zuständigen Gerichtsbehörde. Dort wurde ihm
in Anerkennung seiner Marschleistungen auch die Strafe erlassen.
Nitschareuther Geschichten
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An der Stelle der von meinem Bruder im Jahre 1900 erbauten Bäckerei stand früher das alte
einstöckige strohgedeckte Gemeindehaus. In der zu ebener Erde gelegenen Stube waren zeitweise
3-4 Familien (jede in einer anderen Ecke) untergebracht, geschlafen wurde auf dem Dachboden. Es
waren meist Ortsarme (Almosenempfänger), die durch Betteln oder sonstigen Erwerb ihren
Lebensunterhalt zu sichern suchten, z. B. Krahnerts Heinrich durch Leierkastendrehen. Außerdem
bekamen sie reihum Essen bei den Bauern.
Anfangs der 90er Jahre wurde das Gemeindehaus, das in den letzten Jahren nur noch als Unterkunft
für die oftmals mit Pferd und Wagen durchziehenden Zigeuner gedient hatte, beseitigt. Sobald solche
Gäste auftauchten, wurde alles sichergestellt, was dies erfah-rungsgemäß "interessierte".
Das jetzige, seit 1949 als Gemeindeamt benutzte Gemeindehaus, wurde etwa 1894 erbaut und
viele Jahre zu Wohnzwecken
verwendet. So wohnte hier auch
der schon genannte Heinrich
Diezel der vorher das frühere
Gasthaus "Zur Sonne" im jetzigen
Walter Buschnerschen Hause
innehatte. Fehlende Strebsamkeit
führte aber zu wirtschaftlichen
Niedergang. Zwangsversteigerung, Heraussetzen der
Wirtsleute und Eingehen der
Gaststätte. Das Anwesen ging in
den Besitz von Franz Buschner
über, der dort eine sogenannte Kolonialwarenhandlung einrichtete. Heute befindet sich gegenüber eine neuerbaute Konsum-Selbstbedienungsverkaufstelle.
Ein großer Ereignis des Jahres war früher der Bauerntag, der drei Tage dauerte. Zuerst wurden
wirtschaftliche Gemeindeangelegenheiten geregelt, wonach auch die Geselligkeit zu ihrem rechte
kam. Unter anderem wurde dort auch die Dezemabgabe für den Schulmeister, aus Getreide, Brot,
Klaftern, Holz, Stroh für Bettstroh bestehend festgelegt. Die Überbringer dieser Lieferungen mußten
mit Brot und Hering bewirtet werden.
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