Auf Ebbe folgt Stromflut

Energiewende
PROJEKT DES MONATS
Auf Ebbe folgt Stromflut
Die Belieferung der Endkunden von Dunsum bis
Wyk durch die Brodersens ist wie vieles auf dieser
Insel eine Notwendigkeit. Schafzucht sichert hier
die Deiche, weil die Tiere sie festtreten und mit
ihrem Dung eine gesunde Grasnarbe fördern. Die
Insulaner beherbergen Touristen, weil für noch
mehr Landwirtschaft und Produktionsgewerbe
kein Platz ist. Die Geschwister Hauke, Jan und
Christina Brodersen verkaufen seit 2011 ihren
Windstrom an Endkunden, denn die erhöhte
Vergütung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ihrer Insel-Turbinen war abgelaufen.
Die Familie hatte die zehn Anlagen von 1990
an errichtet. Der rechtzeitige Austausch gegen
FOTOS (2): TILMAN WEBER
Repowering-Windpark auf Föhr
belebt Vision der Energieautarkie.
Einer der Macher der Föhrer Windkraft GmbH & Co. KG: Hauke Brodersen.
Die Projektfakten
STANDORT: Oevenumer Marsch auf Föhr
KONZEPT: Repowering mit Bonusvergütung
NETZANSCHLUSS: 28. Oktober 2015
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LEISTUNG: 6,9 MW. Drei Enercon-E-70 ersetzen zehn Vestas-200-kW-Anlagen
JAHRESERTRAG: 18 Gigawattstunden
VERTRIEBSSTATUS: EEG-Vergütung, die 600
Endkunden erhalten norwegischen Wasserstrom
VISION: Windstrom-Vollversorgung der Insel
in Kombination mit Föhrer Bioenergieanlagen,
Wärmenetze, Batterie
PREISE: „Strom von Föhr“ für 25,75 bis 27,54
c/kWh je Förderanteil für Erneuerbaren-Projekte plus 82,80 Euro Grundgebühr pro Jahr
BETREIBER: Föhrer Windkraft GmbH&Co.KG
18 PROZENT maximal,
mindestens aber
15 Prozent der Haushalte und Firmen auf
der 8.600-Einwohner-Insel beziehen
„Strom von Föhr“.
Neuanlagen mit wieder erhöhter EEG-Vergütung
scheiterte, auch weil die Vorschriften zum Schutz
von Landschaft und sensiblem Inselökosystem
streng sind. Weil die abgesackte EEG-Grundvergütung für die Kleinanlagen kaum etwas abwarf,
schwenkten sie aufs Endkundengeschäft um.
Anfangs schlossen ihre Abnehmer ihre Verträge
noch beim Ökostromversorger Elektrizitätswerke
Schönau (EWS) aus dem Schwarzwald ab, der als
Kooperationspartner einer zweijährigen Testphase die ersten Kunden ansammelte. Seit 2013
liefern die Windparkbetreiber den Strom selbst.
Repowering bringt nötige Mehreinnahmen
Nun hat das Repowering geklappt: Drei Enercon-Windturbinen vom Typ E-70 mit je 2,3
Megawatt (MW) ersetzen zehn Vestas-Turbinchen
der 200-Kilowatt-Klasse. Mitte Oktober, als das
Bauteam gerade die dritte E-70 errichtet, stoppt
Hauke Brodersen seinen Geländewagen an der
Einmündung der Zufahrt für das Bauteam. Er beobachtet erleichtert, wie die Monteure das nächste
Betonturmsegment für den Kranhub vorbereiten.
Denn seit einem Jahr muss der Stromversorgungsbetrieb mit einer Bürde zurechtkommen:
Brodersens Firma Föhrer Windkraft liefert inzwischen 100 Prozent Wasserkraft. Vorher hatten die
Kunden nach dem sogenannten Grünstromprivileg bis zu 50 Prozent Windstrom bekommen. Die
anderen 50 Prozent stammten aus norwegischer
Erneuerbare Energien 12/2015
Energiewende
Wasserkraft, die Föhrer Windkraft zum Ausgleich windschwacher Phasen an der Strombörse
dazukaufte. Das Grünstromprivileg hatte erlaubt,
Windstrom zum Teil von der EEG-Umlage befreit
an Endkunden zu verkaufen. Seit Abschaffung
des Privilegs, seit 2014, muss eingespeister EEGStrom vollständig an der Strombörse gehandelt
werden. Um ihre Endkunden nicht hängenzulassen, mussten die Brodersens mit Wasserstrom
nachlegen. Erst wenn der neue Windpark einspeist, steht den Mehrausgaben an der Strombörse die erhöhte EEG-Vergütung gegenüber.
schnell groß werden“, sagt Hauke Brodersen. Damit
wolle er eine Verärgerung von Föhrs Hauptstromversorger und Netzbetreiber Eon vermeiden, der
als Antwort womöglich die Netzgebühren für den
Windstrom erhöhe. Doch die Geschwister überlegen schon, Nahwärmenetze zu bauen und mit
den zwei Biogasanlagen-Betreibern der Insel ein
Gesamt-Paket von Wärme- und Stromversorgung
anzubieten. Zusätzlich könnten die jährlich 5,3 Millionen kWh erzeugenden Blockheizkraftwerke dieser
Biogasanlagen den Wasserstrom als Regelenergie
ersetzen. Auch eine Großbatterie zum Zwischenspeichern von Windstrom ist angedacht, die diesen
bei zu wenig Wind zurückspeist.
Schon haben die Geschwister mit anderen auf
Föhr die Gründung einer Energiegenossenschaft
angestoßen. Die hat inzwischen 60 Mitglieder. In
den Gemeinden Süderende und Oldsum wollen die
Genossen ein fünf Kilometer langes Nahwärmenetz
bauen und es dann aus Blockheizkraftwerken speisen. Die Wärme solle mit Bio- oder Erdgas erzeugt
werden, je nach Wirtschaftlichkeit, sagt Genossenschafts-Vorstandsmitglied Jan-Hauke Riewerts.
Auf Vollversorgung der Insel bemessen
Hauke, Jan und Christina Brodersen haben den
Windpark nun auf ein größeres Ziel dimensioniert. Erzeugten die Altanlagen sechs Millionen
Kilowattstunden (kWh), was einem Drittel
des Bedarfs der Insel entspricht, soll der Enercon-Windpark 18 Millionen kWh einspeisen: so
viel, wie Föhr braucht. Als eines der letzten Projekte erhält der Park auch den EEG-Repoweringbonus von 0,5 Cent pro kWh. Das gleicht finanzielle Nachteile der Insellage teils aus: Bis zu neun
Millionen Euro mussten die Brodersens in die
Hand nehmen. An Land hätte Enercon nur sieben
Millionen verlangt, vermutet Jan Brodersen. Der
Transport der Anlagen über das Wasser oder
beispielsweise das Verdichten des nassen Bodens
der Inselmarsch für den Fundamentbau kosteten
extra. Zudem mindern Landschaftsschutzbestimmungen die Windernte: Eine Höhenbegrenzung
auf 100 Meter verhinderte größere Türme und
Rotoren, die stabilere Windschichten abgreifen
könnten. Schließlich mussten die Anlagen weg
vom früheren Standort am Deich, wo die Winde
am stärksten sind. Eigentlich sind neue Anlagen
auf den Inseln nicht mehr erlaubt, eine Sonderregel ließ das Repowering zu.
Mittlerweile versorgen die Brodersens 600 Haushalte und zig Gewerbebetriebe. Davon sind 20 Prozent Abnehmer auf dem schleswig-holsteinischen
Festland. So leistet Föhrer Windkraft einen realen
Anteil zwischen 15 und 20 Prozent an der Stromversorgung der 5.366 Föhrer Haushalte. „Unser Ziel ist,
die auf der Insel benötigte Energie hier zu erzeugen“, sagt Hauke Brodersen und meint die Komplettversorgung mit Strom – und mit Wärme.
Die Wertschätzung des Inselschäfers
„Der Stromkunde ist ein scheues Wesen“, sagt
Hauke Brodersen wieder am Steuer – und schaut
nach vorn, als könne er ihn da draußen irgendwo
erspähen. Er hält an der Netzanschlussstation
des Windparks, wo Inselschäfer Jens Petersen die
Schwanzspitzen seiner Weidetiere kappt. Er muss
nicht überlegen, ob er die inseleigene Stromversorgung mag. Er beziehe Eon-Strom „aus
Gewohnheit“. Habe er mal den Kopf frei, werde
er wechseln. „Selbermachen ist ein Wert für uns“,
sagt er. Früher habe die Insel nur deshalb vor
Sturmfluten bewahrt werden können, weil sich
die Inselbewohner selbst halfen. Schon deshalb
sei er für Stromversorgung in Inselhand.(TW) W
Wirtschaftsfaktor Stromkundenmentalität
Damit diese Vision eine wirtschaftliche Perspektive
hat, müssten viel mehr Inselbewohner den Strom
von Föhr beziehen. Die Brodersens wären keine echten Inselbewohner, würden sie nicht auf Zeit setzen
– so wie bei den Buhnen, die am Inselufer langsam
Neuland entstehen lassen. „Wir wollen hier nicht zu
Erneuerbare Energien 12/2015
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