Thüringer Landtag 6. Wahlperiode 600 Drucksache 6/ 12.05.2015 Kleine Anfrage des Abgeordneten Walk (CDU) und Antwort des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales Häusliche Gewalt in Thüringen Die Kleine Anfrage 226 vom 18. März 2015 hat folgenden Wortlaut: Laut Medienberichten (u.a. Thüringer Allgemeine vom 25. November 2014) gab es im Jahr 2014 in Thüringen 3.031 Polizeieinsätze aufgrund von häuslicher Gewalt. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Fälle von häuslicher Gewalt ereigneten sich im Jahr 2014 in Thüringen insgesamt und wie viele Fälle davon in der kreisfreien Stadt Eisenach sowie den Gemeinden Berka/Werra, Dankmarshausen, Dippach, Ettenhausen a.d. Suhl, Gerstungen, Großensee, Marksuhl und Wolfsburg-Unkeroda? 2. Welche signifikanten Veränderungen ergaben sich gegebenenfalls zum Vorjahreszeitraum 2013 und welche Ursachen liegen diesen Veränderungen zugrunde? 3. Wie viele Straftaten wurden im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt angezeigt (bitte aufgliedern nach Straftatbeständen), welche signifikanten Veränderungen ergaben sich gegebenenfalls zum Vorjahreszeitraum 2013 und welche Ursachen liegen diesen Veränderungen zugrunde? 4. In wie vielen Fällen wurden im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt a) Platzverweise und Unterbindungsgewahrsam nach dem Polizeiaufgabengesetz ausgesprochen, b) vorläufige Festnahmen vorgenommen, c) einschreitende Polizeibeamte angegriffen und/oder verletzt und d) welche signifikanten Veränderungen ergaben sich gegebenenfalls zum Vorjahreszeitraum 2013 und welche Ursachen liegen diesen Veränderungen zugrunde? 5. Wie hoch schätzt die Landesregierung generell die Dunkelziffer von Fällen häuslicher Gewalt ein? 6. Wie viele Beratungen führten die Interventionsstellen im Jahr 2014 durch? 7. Wie viele Vermittlungen durch die Interventionsstellen erfolgten im Jahr 2014 an Einrichtungen, Institutionen und Beratungsstellen zum Opferschutz? 8. Wie bewertet die Landesregierung die Arbeit der Interventionsstellen und sind Veränderungen in der Organisation der Interventionsstellen geplant und falls ja, welcher Art? Druck: Thüringer Landtag, 29. Mai 2015 Drucksache 6/ 600 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode 9. Hält die Landesregierung die Möglichkeiten des Opferschutzes in Thüringen für ausreichend und sind hier gegebenenfalls Veränderungen geplant? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Landesre gierung mit Schreiben vom 11. Mai 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Thüringer Polizei registrierte im Jahr 2014 wegen häuslicher Gewalt 2.983 Sachverhalte. Im Dunkelfeld ist eine höhere Anzahl von Fällen anzunehmen, da die Anzeigebereitschaft bei Gewalt im sozialen Nahraum gemeinhin niedrig ist. Die Erhebung der polizeilichen Sachverhalte im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt erfolgt nach den Zuständigkeitsbereichen der Landespolizeiinspektionen. Eine Aussage zur Unterteilung nach Kreisen und kreisfreien Städten ist nicht möglich. Bei der für die in der Frage ausgewiesenen Gemeinden zuständigen Landespolizeiinspektion Gotha wurden im Berichtszeitraum 569 Sachverhalte von der Polizei registriert. Diese gliedern sich in: Landespolizeiinspektion Gotha, Inspektionsdienst 316 Polizeiinspektion Arnstadt-Ilmenau122 Polizeiinspektion Eisenach131 Zu 2.: Im Jahr 2013 registrierte die Thüringer Polizei 3.031 Sachverhalte im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt. Die Anzahl der polizeilichen Einsätze bewegt sich seit Jahren auf etwa gleichem Niveau. Zu 3.: Bei den Thüringer Staatsanwaltschaften wurden im Jahr 2013 insgesamt 3.151 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt neu registriert. Die betreffenden statistischen Erhebungen sind nicht aufgegliedert nach Straftatbeständen. Für das Jahr 2014 liegen im Bereich der Thüringer Justiz noch keine statistischen Angaben vor. Um die Aussagekraft in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), z. B. zu Gewalt in engen sozialen Beziehungen zu erhöhen, wurde seit dem 1. Januar 2011 die Erfassung "Opfer/Tatverdächtigen-Beziehung räumlich und/oder soziale Nähe" eingeführt. Somit können mit dem Erfassungsmerkmal Opfer/Tatverdächtigen-Beziehung "Partnerschaften" und der Opfer/Tatverdächtigen-Beziehung räumlich-soziale Nähe "Im gemeinsamen Haushalt lebend" sich dem Phänomen häusliche Gewalt annähernde Aussagen getroffen werden. Zu ausgewählten, nach diesen Erfassungsmerkmalen recherchierten, Straftaten wird auf die Anlage verwiesen. Zu 4.: a) und b) Im Jahr 2014 wurden 304 Platzverweise, 349 Wohnungsverweisungen und 98 Gewahrsamnahmen zur Gefahrenabwehr sowie 17 vorläufige Festnahmen angeordnet. c) Zur Fragestellung werden keine Daten erhoben. d) Seit dem Jahr 2014 wird zur Erfassung polizeilicher Einsätze im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt ein überarbeitetes polizeiliches Meldeschema verwendet. Signifikante Änderungen haben sich nicht ergeben. Zu 5.: Die Landesregierung schätzt ein, dass durch die Öffentlichkeitsarbeit verschiedener politischer Ebenen, von engagierten Frauenprojekten, den Opferschutzorganisationen und den Interventionsstellen, das Netz an Hilfe und Beratung deutlich an Bekanntheit gewonnen hat. Auch der Grundsatz des Gewaltschutzgesetzes "wer schlägt, der geht" hat dazu geführt, dass häusliche Gewalt längst nicht mehr als Privatsache abgetan wird. Wissenschaftliche Studien belegen, dass Partnergewalt auch gegen Männer und in gleichgeschlechtlichen Lebensformen vorkommt. Insofern hat sich das Hellfeld quantitativ und qualitativ erweitert. Dennoch ist im Dunkelfeld eine höhere Anzahl von Fällen anzunehmen. Zum Beispiel ist Untersuchungen der Bundesregierung sowie der Europäischen Union zufolge davon auszugehen, dass ca. 25 Prozent aller Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer häuslicher Gewalt werden. Zur Belastung von Männern als Opfer ist 2 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Drucksache 6/ 600 die Untersuchungslage weniger aussagekräftig. Allerdings überwiegt hier der Anteil von Männern, die Opfer männlicher Gewalt werden vor der Opferwerdung durch Täterinnen. Zu 6.: Im Jahr 2014 führten die Interventionsstellen 2.538 Beratungen durch. Zu 7.: Im Jahr 2014 erfolgten durch die Interventionsstellen 488 Vermittlungen und Hilfekoordinierungen. Zu 8.: Seit ihrem Bestehen im Jahr 2007/2008 haben sich die vier lnterventionsstellen in Erfurt, Meiningen, Nordhausen und Gera positiv entwickelt. Sie können alle Regionen in Thüringen versorgen. Bewährt haben sich vor allem der proaktive Beratungsansatz und die Mobilität der lnterventionsstellen. Über diesen Weg werden zum Beispiel Opfer häuslicher Gewalt im ländlichen Raum erreicht. Sie sind die ersten, fachlich versierten Beratungsstellen nach einem Polizeieinsatz wegen häuslicher Gewalt. Gleiches gilt für Ratsuchende, die sich wegen ihrer Probleme direkt an die lnterventionsstellen wenden. Derzeit sind keine Veränderungen in der Organisation geplant. Für die Thüringer Polizei sind die Interventionsstellen ein wichtiger Kooperationspartner für erweiterte Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Zu 9.: Im Bereich der häuslichen Gewalt wird mit vielfältigen Maßnahmen zum Opferschutz beigetragen. Zahlreiche opferschützende Verfahrensregeln werden durch die Staatsanwaltschaften, die Gerichte, die Behörden und Dienststellen der Polizei angewandt. Zudem sind bei den Thüringer Gerichten Zeugenbetreuungsstellen eingerichtet. Neben den Leistungen der Interventionsstellen bietet Thüringen mit dem Projekt ORANGE gegenwärtig in den Landgerichtsbezirken in Erfurt und Gera ein Beratungsangebot für Täter häuslicher Gewalt mit der Zielstellung, Wiederholungstaten zu verhindern. Es ist perspektivisch beabsichtigt, auch die Landgerichtsbezirke Meiningen und Mühlhausen mit eigenen Gewaltkonfliktberatungsstellen für Täter häuslicher Gewalt auszustatten. Der Koalitionsvertrag der Thüringer Regierungsparteien sieht vor, dass zur individuellen ergänzenden Unterstützung der Opfer von Straftaten eine Opferhilfestiftung eingerichtet wird. Derzeit wird eine Konzeption zur Umsetzung dieses Vorhabens erarbeitet. Weiter unterstützt die Landesregierung den Entwurf eines 3. Opferrechtsreformgesetzes, der gegenwärtig im Deutschen Bundestag beraten wird. Durch dieses Gesetzesvorhaben soll u. a. die "Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI" umgesetzt werden. In der Thüringer Polizei erfährt der Opferschutz eine permanente Anpassung an rechtliche Grundlagen und Erkenntnisse der Viktimisierungsforschung. Dies spiegelt sich bspw. in den überarbeiteten und zum 1. Januar 2014 in Kraft gesetzten Leitlinien der Thüringer Polizei "Polizeiliche Maßnahmen in Fällen häuslicher Gewalt" wider. Dr. Poppenhäger Minister Anlage*) Hinweis: Auf den Abdruck der Anlage wurde verzichtet. Ein Exemplar mit Anlage erhielten jeweils die Fraktionen und die Landtagsbibliothek. Des Weiteren kann sie im Abgeordneteninformationssystem unter der oben genannten Drucksachennummer sowie im Internet unter der Adresse: www.parldok.thueringen.de eingesehen werden. *) 3 Anlage zur Kleinen Anfrage Nr. 226 des Abgeordneten Walk (CDU) Häusliche Gewalt in Thüringen Polizeiliche Kriminalstatistik Erfasste Fälle und Opfer mit Erfassungsmerkmal Opfer-TV-Beziehung "Partnerschaften" und Opfer-TV-Beziehung räumlich-soziale Nähe "Im gemeinsamen Haushalt lebend" Straftat Jahr Fälle Mord 2013 2014 0 1 Totschlag 2013 2014 6 4 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 2013 2014 11 23 darunter unter Gewaltanwendung oder Ausnutzen eines Abhängigkeitsverhältnis 2013 2014 11 21 Vorsätzliche einfache Körperverletzung 2013 2014 330 850 Gefährliche und schwere Körperverletzung 2013 2014 62 131 Freiheitsberaubung 2013 2014 13 28 Nötigung 2013 2014 12 58 Bedrohung 2013 2014 62 134 Nachstellung 2013 2014 9 16 Die zunehmenden Fallzahlen resultieren aus einem tatsächlichen Zuwachs erfasster Fälle mit den Erfassungskriterien „Partnerschaft“ und „Im gemeinsamen Haushalt lebend“. Zudem wurde aufgrund beständiger Qualitätssicherungsmaßnahmen das Erfassungsverhalten optimiert, so dass auch hierdurch zusätzlichen Verfahren erfasst werden.
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