Hollywood ohne Schranken Hollywood ohne Schranken RED DuST 22 Filme der Jahre 1931–1934 vor der Einführung des Production Code Vom Anbeginn des Kinos hatten die Hüter der Moral in den USA ein wachsames Auge auf den Film und dessen Beitrag zum Kulturverfall. Die Mächtigen in der Filmindustrie dagegen befürchteten, dass Proteste »von unten« letztlich ihren Weg in die Gesetzgebung finden und in einer staatlichen Zensur münden könnten – mit katastrophalen Auswirkungen auf das Filmgeschäft. Daher strebten sie stets eine Selbstregulierung an. Hierfür wurden im Lauf der Zeit diverse Institutionen ins Leben gerufen, so die Motion Picture Producers and Distributors of America (MPPDA, 1922), der Hays Code (1930), die Motion Picture Association of America (MPAA, 1968). Die drastischsten Folgen für Hollywood ergaben sich aber aus der Einrichtung der Production Code Administration (PCA) im Jahr 1934. Der Begriff »Pre-Code« bezeichnet nicht ein Genre, sondern den Zeitraum zwischen der Annahme des Hays Code, die ohne größere Auswirkungen blieb, und der Einführung der PCA, die den Code tatsächlich wirksam durchsetzen konnte. Dieser Abschnitt umfasst einige wenige äußerst fruchtbare Jahre, in denen die Studios immer offener und mutiger die Grenzen von Anstand und Schicklichkeit erweiterten und auf die Probe stellten. Es wäre jedoch wenig sinnvoll, jeden Film, der zwischen 1930 und 1934 entstand, als »PreCode« zu bezeichnen; dazu ist noch etwas mehr nötig. Das Kino der Weltwirtschaftskrise wird gerne als ein Ort betrachtet, an dem das Publikum kurz die Alltagssorgen vergessen konnte, doch die Filme dieser Reihe widerlegen diese Sichtweise eindeutig. Vielmehr zeichneten die Studios damals ein wesentlich realistischeres Amerikabild als je zuvor. An erster Stelle ist hier Warner Bros. mit tagesaktuellen Stoffen zu nennen, doch auch bei der glamourösen MGM ließ man die unerbittliche Realität des Alltags in die Traumfabrik hinein. Die Filme lösten einen Entscheidungskampf über die Filmzensur aus, der im Grunde auf einen Skandal aus früheren Jahren zurückging. Um die Jahreswende 1921/1922 war das Image der Filmindustrie schwer angeschlagen. Wenige Monate zuvor hatte ein Skandal um den beliebten Komiker Roscoe ›Fatty‹ Arbuckle die Industrie erschüttert. Weitere über die Verzögerungen alles andere als erfreut waren. Gerade die Unbeweglichkeit des bürokratischen Verfahrens in einer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Krise wie der Great Depression ermöglichte also ganz direkt eine besonders lebendige und kreative Phase der Filmgeschichte, aus der zahlreiche Stars hervorgingen, deren Leinwandpersönlichkeiten für immer in ihren Pre-Code-Filmen wurzelten. Kein Hollywoodstudio fing den Zeitgeist so schwungvoll und mitreißend ein wie Warner Bros. Unser Bild von diesem Studio ist so stark durch dessen sozial engagierte Filme geprägt (Gangsterfilme, Gefängnisfilme, gesellschaftskritische Filme und so fort), dass die Annahme nahe liegt, man hätte dort nur knallharte Gegenwartsstoffe aufgegriffen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Warner Bros. der Weltwirtschaftskrise jede Menge Fließbandware produzierten: Die Filme, die wir mit dem Studio verbinden und die das Image heute prägen, stellen nur einen kleinen Anteil der Gesamtproduktion dar, doch diese wirklichkeitsnahen Dramen waren dem Studio besonders wichtig, sie sind im kollektiven Gedächtnis verankert, und ihnen widmet man Retrospektiven. Die Liste der Warner-Filme, die 1933 im Strand Theater in New York und im Hollywood Theater in Los Angeles liefen (den größten Warner-Kinos mit jeweils 2800 Plätzen), spricht Bände. Neben gelegentlichen Ausreißern wie MARY STEVENS, M.D. mit Kay Francis dominieren ganz andere Filme: 20,000 YEARS IN SING SING mit Spencer Tracy, THE MAYOR OF HELL mit James Cagney, WILD BOYS OF THE ROAD mit Frankie Darro, THE WORLD CHANGES mit Paul Muni und die drei sagenhaften Musicals, die die Wirtschaftskrise ins Zentrum stellen, 42ND STREET, GOLD DIGGERS OF 1933, FOOTLIGHT PARADE. Bleibt die Frage: Warum? Wieso stellte Warner Bros. diese Art Filme besonders heraus? Manche Gründe waren wirtschaftlicher Natur: Gegenwartsstoffe verlangten nicht nach aufwändigen Kostümen oder Bauten. Es gab auch einen Rückkopplungseffekt: Biss das Publikum bei bestimmten Stoffen oder Werbekampagnen an, dann produzierte das Studio mehr davon. Im Warner-Universum wurde den Zuschauern eine Welt gezeigt, die sie kannten (oder die sie zumindest über Elemente wie moderne Städte, Kleidung, Moralvorstellungen wiedererkannten), und die Reaktion fiel durch die Bank positiv aus. Der Kreis drehte sich weiter. Außerdem waren Warner Bros. unter den Hollywoodstudios die stärksten Befürworter des New Deal. Die progressive Wirtschaftspolitik, die unter Franklin D. Roosevelt ab März 1933 ein vielfältiges Maßnahmenbündel gegen die Wirtschaftskrise aufbot, baute auf Förderung, Hollywood ohne Schranken Geschichten von Orgien mit Drogen- und Alkoholexzessen füllten die Skandalblätter. Im Februar wurde der Regisseur William Desmond Taylor ermordet; der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt. Der US-Kongress berief einen Untersuchungsausschuss ein. Nichts bringt Industriebarone so schnell auf Linie wie die Drohung staatlicher Aufsicht, und das galt auch für die Filmmogule des Jahres 1922. Sie beriefen einen unangreifbaren Vertreter der Wohlanständigkeit zum Vorstand einer neu zu schaffenden Institution: Will Hays, Diakon der presbyterianischen Kirche, ehemaliger Parteivorsitzender der Republikaner, Wahlkampfmanager des amtierenden Präsidenten Harding und zuletzt Postminister. Als Leiter der Motion Picture Producers and Distributors of America (MPPDA) sollte Hays die drohende staatliche Einmischung abwenden. Keine einfache Aufgabe, denn die Einzelstaaten hatten alle ihre eigenen Zensurbehörden mit weit divergierenden Vorgaben. Was in manchen Staaten locker durchging, war in anderen streng verboten. Oft waren Filmkopien, wenn sie beispielsweise aus Kentucky zurückkamen, so zerstückelt, dass sie nicht mehr brauchbar waren. Dieses Vorgehen kostete die Studios jedes Jahr viele Millionen Dollar – ein weiteres gewichtiges Argument zugunsten einer gemeinsamen Linie. Man muss Hays zugute halten, dass er die ganzen 1920er-Jahre hindurch den Einfluss der strengsten Puritaner wirksam eindämmte. Gemeinsam mit den Studios, den Kirchen und etlichen Reformbewegungen konnte er am Ende des Jahrzehnts ein Regelwerk vorlegen, das offiziell als »Motion Picture Production Code« bezeichnet wurde, im Volksmund den Namen »Hays Code« trug und umgangssprachlich unter »Don’ts and Be Carefuls« lief. »Don’ts« waren Inhalte wie Empfängnisverhütung, Geschlechtskrankheiten, Homosexualität, »Rassenmischung«, Gotteslästerung oder »Verhöhnung von Geistlichen«. Weitaus länger war die Liste der »Be Carefuls«, darunter so unterschiedliche Dinge wir Brandstiftung, chirurgische Eingriffe oder auch Verständnis für Kriminelle. Ferner galt: »Die Flagge ist stets respektvoll zu behandeln« und »Die Arbeit der Gerichte sollte nicht als ungerecht dargestellt werden«. Angesichts des Zusammenspiels von Production Code und Zensurbehörden der Einzelstaaten möchte man annehmen, dass Filme ab 1930 Muster an Sauberkeit und Anstand wären. Tatsächlich konnte die MPPDA rein gar nichts ausrichten, hatte sie doch viel zu wenig Personal zur Überprüfung der Massen an Treatments, Drehbüchern und fertigen Filmen, geschweige denn zum Aushandeln von Kompromissen mit Studios, die 23 Hollywood ohne Schranken 24 Aufschwung und Umgestaltung (»relief, recovery, and reform«). Die Unterstützung des New Deal mag teilweise mit den vergleichsweise linken Neigungen der Gebrüder Warner zusammenhängen – höchst ungewöhnlich für Eigentümer an Produktionsmitteln – aber auch wenn Roosevelts Kritiker seine Politik gerne als »sozialistisch« zu diffamieren versuchten, stand in der Warner-Variante des New Deal doch stets mehr die Initiative des Einzelnen im Zentrum als die nationale Einheit oder die gemeinsame Anstrengung eines Kollektivs. FIVE STAR FINAL (1931) und EMPLOYEES’ ENTRANCE (1933) üben beißende Kritik an Unternehmern und Meinungsmachern, doch mit Aufrufen zur Revolution wird man sie kaum verwechseln. Letzten Endes sind sie so pro-amerikanisch wie YANKEE DOODLE DANDY (1943). Warren William, der Hauptdarsteller in EMPLOYEES’ ENTRANCE, spielte oft lässig-amoralische, tyrannische Unternehmertypen mit großem Geschäftssinn und brachte in diesen Rollen den Hang der Zeit zum Zynismus perfekt zum Ausdruck. Anders als etwa bei Edward G. Robinson, James Cagney, Barbara Stanwyck, William Powell oder Carole Lombard, deren bleibende Leinwandpersönlichkeiten ebenfalls in der Pre-Code-Ära etabliert wurden, ging es mit Williams Karriere nach 1934 steil abwärts. Ein ähnliches Schicksal ereilte Ruth Chatterton (die in FEMALE die weibliche Variante eines Warren-William-Tycoons verkörperte) und, in etwas milderer Form, Miriam Hopkins (DR. JEKYLL & MR. HYDE, 1932, DESIGN FOR LIVING, 1933). In der Post-Code-Ära fand Warner Bros. keine geeigneten Vehikel mehr für William und Chatterton, während Hopkins ihre Karriere primär selber durch ihre Rollenwahl sabotierte – und durch ihre schwierige Persönlichkeit im wirklichen Leben. Als DESIGN FOR LIVING im Dezember 1933 herauskam, wurde der Hays Code bereits offen missachtet, was nicht jedem gefiel. Manche verzweifelten angesichts des verbotenen Treibens, das auf der Leinwand verherrlicht wurde, und der Zorn auf eine Industrie, die in ihren Augen aus Perversion Profit schlug, wuchs. Etliche Volksbewegungen sollten Druck auf die Filmindustrie ausüben, die mächtigste und einflussreichste unter ihnen war die Catholic Legion of Decency (CLOD, »Katholische Tugendliga«), die der Erzbischof von Cincinnati einige Monate zuvor ins Leben gerufen hatte. Ihr Ziel war die Reinigung des Kinos, dafür verlangte sie von ihren Mitgliedern ein feierliches Versprechen, nur wahrhaft tugendsame Filme zu besuchen, die durch ein eigenes Einstufungssystem klassifiziert wurden. Da die Mitglieder tatsächlich ihr Gelübde hielten, wuchs der Einfluss der CLOD exponentiell: Erhielt ein Film das vernichtende »C« (»condemned«), so war sein Schicksal an der Kinokasse besiegelt. (Sechs Filme in dieser Reihe wurden so eingestuft.) War im Jahr 1932 THE SIGN OF THE CROSS noch komplett darauf angelegt gewesen, die Zensoren zu provozieren (und auch in dieser Hinsicht ein Riesenerfolg), so löste nun 1933 BABY FACE einen landesweiten Ansturm der Entrüsteten auf die Legion of Decency aus, die durchsetzen konnte, dass der Film komplett sinnentstellend umgearbeitet wurde. Erst vor wenigen Jahren wurde die ursprüngliche Fassung wiederentdeckt, die in dieser Reihe läuft. Schon 1934 befanden sich in den Reihen der CLOD so viele protestantische Mitglieder, dass sich die Organisation in National Legion of Decency umbenannte. Auch die MPPDA merkte, woher der Wind wehte. Mitte 1934 wurde Joseph Breen Vorsitzender der neu gebildeten Production Code Administration, deren Code er mit strenger Hand durchsetzte. Schon unter dem Hays Code mussten die Studios Drehbücher einreichen, aber nun war die PCA unnachgiebig in ihren Änderungswünschen. Jeder Film eines MPPDA-Mitglieds musste eine Zulassung erwirken, ehe er in die Kinos gebracht werden konnte. Wer das Gros der Filme mit Zulassung spielen wollte, musste sich verpflichten, keine Filme ohne Zulassung zu spielen. Der Code hielt sich im Wesentlichen bis Mitte der 1950er, ehe er unter der Last der Paranoia und des Überdrusses der Nachkriegszeit zusammenbrach. Ein weiteres Jahrzehnt bestand er wirkungslos fort, bis Mitte der 1960er-Jahre das MPAA Rating System mit Altersfreigaben an seine Stelle trat, das mit geringfügigen Modernisierungen noch heute gilt. Mike Mashon Der Preis der Freiheit The Sin of Nora Moran (Die Sünde der Nora Moran) | USA 1933 | R: Phil Goldstone | B: W. Maxwell Goodhue, Frances Hyland | K: Ira Morgan | M: Heinz Roemheld | D: Zita Johann, John Miljan, Alan Dinehart, Paul Cavanagh, Claire Du Brey | 65 min | OF | Nora Moran erwartet die Hinrichtung für einen Mord, den sie nicht begangen hat. Ihr schweres, tragisches Leben entfaltet sich in widersprüchlichen Rückblenden verschiedener Beteiligter, in Erinnerungen, Träumen, Erzählungen. Die Grenzen zwischen Selbstaufopferung und Manipulation verschwimmen, aus Erotik wird sexualisierte Gewalt, hinter scheinbar hehren Idealen steht nichts als Doppelmoral. Der Film nutzt seine Rückblenden und mehr- Elaine sorgen sich um ihre haltlose 20-jährige Tochter Monica, die eine Affäre mit einem verheirateten Mann hat. Dann lernen sie die berühmte Fliegerin Cynthia Darrington kennen, deren Selbstsicherheit zuerst auch Monica mitreißt. Das Plakat versprach: »Higher and higher! Faster and faster! She gave herself to the great God Speed, and tried to run away from the fires within her!« Die Regisseurin Dorothy Arzner hatte die längste, stabilste und erfolgreichste Karriere einer Regisseurin im von Männern dominierten Hollywood. Sie hatte sich zunächst beim Produzenten David O. Selznick für Katharine Hepburn eingesetzt, deren zweiter Filmauftritt und erste Hauptrolle dies war. Später drohte sie Selznick, sie werde die Regie niederlegen, wenn die eigensinnige Hepburn weiterhin ihre Regieanweisungen ignoriere. ▶ Sonntag, 13. September 2015, 21.00 Uhr geformt und fließenden Veränderungen unterworfen. Mal erscheint Noras Freundin und verkündet, »diesmal« werde sie Nora nicht mit Geld aushelfen, vielleicht gehe »es« dann anders aus. Dann wieder stellt Nora nach einer traumatischen Szene die Frage »habe ich es diesmal richtig gemacht?« ▶ Freitag, 11. September 2015, 21.00 Uhr Night Nurse (Nachtschwester) | USA 1931 | R: William A. Wellman | B: Oliver H. P. Garrett | K: Barney McGill | D: Barbara Stanwyck, Ben Lyon, Joan Blondell, Clark Gable, Blanche Friderici | 72 min | OF | Die Krankenschwester Lora Hart befolgt den Rat ihrer besten Freundin Maloney: »Such Dir einen reichen Patienten mit hohem Fieber und niedrigem Puls«. Sie findet eine private Stellung in einem Haushalt mit zwei kranken Kindern, deren Mutter ständig betrunken ist. Der brutale Chauffeur Nick scheint mit dem dubiosen Hausarzt unter einer Decke zu stecken. Zu ihr hält neben ihrer Freundin einzig ein Gangster, den sie während ihrer Ausbildung in der Notaufnahme versorgt hatte. William Wellman führt den Film durch drei grundverschiedene Stimmungen: Zu Anfang scheint es vorwiegend darum zu gehen, die Krankenschwestern beim An- und Auskleiden zu beobachten. Dann wird ein ernster Thriller mit gesellschaftskritischen Untertönen daraus, und die Auflösung mit leichter Hand ist gänzlich subversiv. Verdrängte Wünsche Dr. Jekyll and Mr. Hyde (Dr. Jekyll und Mr. Hyde) | USA 1932 | R: Rouben Mamoulian | B: Samuel Hoffenstein, Percy Heath nach der Novelle von Robert Louis Stevenson | K: Karl Struss | D: Fredric March, Miriam Hopkins, Rose Hobart, Holmes Herbert, Halliwell Hobbes, Edgar Norton | 96 min | OF | Dr. Jekyll versucht, »dunkle«, verdrängte Seiten der Psyche mittels einer Droge an die Oberfläche zu bringen, um sich von ihnen »reinigen« zu können. Als Mr. Hyde kann er endlich alles ausleben, was dem braven Dr. Jekyll versagt war. Mit subjektiver Kamera und sensationellen Verwandlungen in atmosphärischen Sets bindet Rouben Mamoulian uns unmittelbar ins Geschehen ein, doch dass wir die Geschichte akzeptieren, ist primär das Verdienst der Darsteller, allen voran Miriam Hopkins und Fredric March. Mit drei Dutzend Sets, über 80 Schauspielern und 500 Statisten drehte Mamoulian eine echte Prestigeproduktion, keinen kleinen Horrorfilm. Die Proteste des Hays Office über »brutale und allzu suggestive« Passagen wurden abgewiegelt, erst später wurde insgesamt eine Viertelstunde für Wiederaufführungen entfernt. Diese Szenen sind heute wieder vorhanden. ▶ Samstag, 12. September 2015, 21.00 Uhr ▶ Freitag, 18. September 2015, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag, 22. September 2015, 18.30 Uhr Christopher Strong | USA 1933 | R: Dorothy Arzner | B: Zoe Akins | K: Bert Glennon | M: Max Steiner | D: Katharine Hepburn, Colin Clive, Billie Burke, Helen Chandler, Ralph Forbes | 78 min | OF | Der Parlamentsabgeordnete Sir Christopher Strong und seine Gattin Red Dust (Dschungel im Sturm) | USA 1932 | R: Victor Fleming | B: John Lee Mahin | K: Harold Rosson | D: Clark Gable, Jean Harlow, Mary Astor, Gene Raymond, Donald Crisp | 83 min | OF | Eine Kautschukplantage im schwülen Dschungel Indochinas. Das Verhält- Hollywood ohne Schranken fachen Erzählebenen zu einem unvergleichlich offenen Blick auf seine Figuren; die Rückschau ist nie »objektiv«, sondern immer vom Bewusstsein der Gegenwart 25 Hollywood ohne Schranken 26 nis zwischen der Prostituierten Vantine und dem Plantagenbetreiber Dennis ist locker und unverbindlich. Die Situation ändert sich mit dem Eintreffen seines neuen Ingenieurs Gary, der unerwarteterweise von seiner Frau Barbara begleitet wird. Die elegante, damenhafte Barbara ist für Dennis wie eine Verheißung. Er schickt Gary prompt in die Wildnis, um Barbara für sich zu haben. Eine kleine, enge, heiße Welt: Außer dem Beziehungsgeflecht existiert nur die Arbeit auf der Plantage und das tropische Klima; selbst die Kautschukproduktion wird zur sinnlichen Erfahrung. Monsun, Stürme, Tiger im Dschungel – die erotischen Spannungen manifestieren sich in expressionistischer Form. RED DUST ist einerseits ausgesprochen progressiv und verurteilt keine seiner Hauptfiguren für ihre »unsittlichen« Handlungen; andererseits ist der Blick auf die Einheimischen offen rassistisch und kolonialistisch. ▶ Samstag, 19. September 2015, 21.00 Uhr King Kong (King Kong und die weiße Frau) | USA 1933 | R: Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack | B: James Creelman, Ruth Rose | K: Eddie Linden, Vernon Walker, J. O. Taylor | M: Max Steiner | D: Fay Wray, Robert Armstrong, Bruce Cabot, Frank Reicher, Noble Johnson | 100 min | OmU | Eine Filmcrew reist auf eine abgelegene Insel und entdeckt dort »das achte Weltwunder«: Kong, einen riesigen Affen, der als Gott gefürchtet und verehrt wird. KING KONG ist durchdrungen vom Geist der Weltwirtschaftskrise: Ein Filmemacher unternimmt eine beschwerliche Expedition, weil den Kinogängern das Geld nicht mehr so locker sitzt. Seine Darstellerin entdeckt er, als sie vor Hunger kurz davor ist, einen Apfel zu stehlen. Die Dschungelwelt der Insel wirkt wie eine Allegorie auf sozialdarwinistische Thesen der 1930er. Die rücksichtslose Jagd auf den Dollar reduziert sogar eine Gottheit auf eine Ware. Die reichen erotischen Anspielungen und die teils erstaunlich drastische Gewaltdarstellung wurden 1933 akzeptiert; erst für Wiederaufführungen wurden mehrere Szenen entfernt, die dann für Jahrzehnte verloren waren und heute wieder Teil des Films sind. ▶ Sonntag, 20. September 2015, 21.00 Uhr ▶▶ Mitt- woch, 23. September 2015, 18.30 Uhr Verlockung des Verbrechens Little Caesar (Der kleine Cäsar) | USA 1931 | R: Mervyn LeRoy | B: Francis Edwards Faragoh, Robert N. Lee nach dem Roman von W. R. Burnett | K: Tony Gaudio | M: Erno Rapee | D: Edward G. Robinson, Douglas Fairbanks Jr., Glenda Farrell, William Collier Jr., Sidney Blackmer | 79 min | OF | Aufstieg und Niedergang des rücksichtslosen Gangsters Rico Bandello. »Erstes großes Werk des amerikanischen Gangsterfilmkinos der 1930er-Jahre. Die herausragende Gestaltung der Titelrolle, der wache Blick für soziale Hintergründe und der temporeiche, sachlich-knappe Inszenierungsstil machten den Film zum Prototyp eines Genres, in dem die gesellschaftlichen Umbrüche zur Zeit der Weltwirtschaftskrise beispielhaft zum Ausdruck kommen: Wo Politik und Verwaltung versagen, wird der Gesetzlose zum Antihelden, dessen Selbsthilfemaßnahmen wie eine doppelbödige Umkehrung unternehmerischer Ideale erscheinen.« (Lexikon des Internationalen Films) Das Hays Office war empört über die beiläufige Gewalt und die erotische Zweideutigkeit, gab sich aber letztlich mit ein paar Euphemismen zufrieden: Statt »Mother of God« stöhnt Rico nun »Mother of Mercy«. ▶ Freitag, 25. September 2015, 21.00 Uhr Scarface (Narbengesicht) | USA 1932 | R: Howard Hawks | B: Ben Hecht, Seton I. Miller, John Lee Mahin, W. R. Burnett | K: Lee Garmes, L. W. O’Connell | M: Adolph Tandler | D: Paul Muni, Ann Dvorak, Karen Morley, George Raft, Boris Karloff | 99 min | OmU | Tony Camonte erkennt, dass Entschlossenheit und Konsequenz die Schlüssel zum Erfolg sind – auch im Organisierten Verbrechen: »Do it first, do it yourself, and keep doing it.« Für SCARFACE, ein Amalgam aus dem Capone-Mob und den Borgias, holten die Schöpfer Rat bei echten Gangstern ein. Das Resultat war der formal und stilistisch einflussreichste Gangsterfilm überhaupt, seine strukturellen Mittel finden sich noch in Coppolas THE GODFATHER. Für George Raft war die Rolle als Tonys Partner Guino das Filmdebüt und zugleich der Höhepunkt seiner Karriere. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist Tonys neurotische Beziehung zu seiner Schwester Cesca. Dem Hays Office entging der in- ▶ Samstag, 26. September 2015, 21.00 Uhr The Public Enemy (Der öffentliche Feind) | USA 1931 | R: William A. Wellman | B: Harvey Thew, Kubec Glasmon, John Bright | K: Dev Jennings | D: James Cagney, Jean Harlow, Edward Woods, Joan Blondell, Mae Clarke, Beryl Mercer | 84 min | OF | Tom Powers und Matt Doyle machen von klein auf krumme Geschäfte. Ihre große Chance kommt mit der Prohibition: Sie steigen ins illegale Biergeschäft ein, bald ist Tom ein gefürchteter Gangster. Tom und Matt waren ursprünglich umgekehrt besetzt; Cagney wurde während der Dreharbeiten »befördert« und war eine Sensation als Tom Powers. THE PUBLIC ENEMY schildert die Prohibitionszeit in ungekünstelten, authentisch wirkenden Szenen und ist vielleicht nicht nur der ehrlichste, direkteste Film der Gangsterwelle, sondern auch – obwohl die Gewalttaten allesamt außerhalb des Bildes stattfinden – der härteste, weil Cagney sich so in die Figur des entbrannten Soziopathen Tom hineinwirft, dass er in seiner Unerbittlichkeit unaufhaltsam wirkt: »Cagney steps on the screen and modern screen acting begins.« (Martin Scorsese) determinierte und urteilsfreie Richtung weiterstrebt, die Pflichtvorgaben der PCA von Schuld und Sühne als vollkommen irrelevant verwirft. Premiere einer neuen Restaurierung der Library of Congress. ▶ Donnerstag, 1. Oktober 2015, 19.00 Uhr | Einführungsvortrag: Mike Mashon Baby Face | USA 1933 | R: Alfred E. Green | B: Gene Markey, Kathryn Scola | K: James Van Trees | D: Barbara Stanwyck, George Brent, Donald Cook, Margaret Lindsay, Alphonse Ethier, John Wayne | 76 min | OF | Nick Powers betreibt eine Flüsterkneipe in einer Arbeiterstadt. Seine Tochter Lily vermietet er an seine Kunden. Lily flieht nach Manhattan und beginnt, sich in einer Großbank buchstäblich »hochzuschlafen«. Das 27 ▶ Sonntag, 27. September 2015, 21.00 Uhr Aufsteiger und Abhängige A Modern Hero | USA 1934 | R: G. W. Pabst | B: Gene Markey, Kathryn Scola nach dem Roman von Louis Bromfield | K: William Rees | M: Heinz Roemheld | D: Richard Barthelmess, Jean Muir, Marjorie Rambeau, Verree Teasdale, Hobart Cavanaugh | 71 min | OF | Der Kunstreiter und Frauenschwarm Pierre Radier verlässt den Zirkus und folgt seinem unternehmerischen Ehrgeiz. Als Paul Rader wird er dank einer Reihe von Gönnerinnen, die seine Ideen finanzieren, zum erfolgreichen Geschäftsmann. Er lernt den Sohn der Frau kennen, die ihn nicht halten wollte, als sie schwanger wurde, und versucht dessen »selbstloser« Mentor und Förderer zu werden. Eine Geschichte von Ausbeutung und Missbrauch (sowohl anderer als auch seiner selbst) im Namen von Zielen, die sich als leer erweisen. A MODERN HERO hätte wenig später nicht mehr so realisiert werden können, weil die Geschichte, die an ihrem vermeintlichen Schlusspunkt in eine gänzlich un- Hollywood ohne Schranken zestuöse Unterton nicht; der Film wurde in mehreren Bearbeitungen abgelehnt und hatte endlose Schwierigkeiten, da einzelne Bundesstaaten dazu übergegangen waren, Gangsterfilme automatisch aus den Kinos zu verbannen. Hays Office war fassungslos und verlangte massive Eingriffe. Kürzungen und die Anfügung eines reumütigen »Endes nach dem Ende« waren nicht genug. Es wurden auch sinnentstellende Nachbearbeitungen vorgenommen. Mit minimalem Aufwand wurde so aus dem Nietzsche-besessenen Schuster Cragg, der Lily fit für die Großstadt macht (»You must use men, not let them use you! Be strong, defiant! Use men to get the things you want!«) ein wohlmeinender älterer Herr (»There is a right and a wrong way. Remember the price of the wrong way is too great! Be clean, be strong, defiant!«). Gezeigt wird die verloren geglaubte ursprüngliche Fassung des Films, Mike Mashon wird in seiner Einführung zeigen, wie der Film seinerzeit verändert wurde. ▶ Freitag, 2. Oktober 2015, 21.00 Uhr | Einführung: Mike Mashon Red-Headed Woman (Feuerkopf) | USA 1932 | R: Jack Conway | B: Anita Loos | K: Harold Rosson | D: Jean Harlow, Chester Morris, Lewis Stone, Leila Hyams, Una Merkel, Charles Boyer | 79 min | OF | Lil Andrews arbeitet als Stenographin, weil sie es auf ihren Chef Bill Hollywood ohne Schranken 28 Legendre jr. abgesehen hat. Es gelingt ihr, ihn herumzukriegen und sogar seine Ehe zu ruinieren, aber obwohl sie ihn heiratet, bleibt ihr die feine Gesellschaft verschlossen. Als sie einen geachteten älteren Unternehmer verführt und erpresst, um Zugang zu den »besseren Kreisen« zu erhalten, setzt ihr Mann einen Detektiv auf sie an. Wäre RED-HEADED WOMAN keine Komödie (der erste Entwurf stammte von F. Scott Fitzgerald), dann wäre Jean Harlows durchtriebene, selbstsüchtige Lil ein abscheuliches Geschöpf. So aber ist sie gerissen, schlagfertig und nahezu unzerstörbar. Sie ist kein Lustobjekt, sie hat den Männern etwas entgegenzusetzen, und was sie mit ihrer Sexualität anfängt, ist ihre eigene Entscheidung. Erst nach 17 Schnitten wurde der Film in den USA zugelassen; in Großbritannien und in Deutschland war er seinerzeit verboten. ▶ Samstag, 3. Oktober 2015, 21.00 Uhr Of Human Bondage (Der Menschen Hörigkeit) | USA 1934 | R: John Cromwell | B: Lester Cohen, nach dem Roman von W. Somerset Maugham | K: Henry W. Gerrard | M: Max Steiner | D: Leslie Howard, Bette Davis, Frances Dee, Reginald Owen, Reginald Denny | 83 min | OF | Der Brite Philip ist als Maler in Paris gescheitert. Er nimmt ein Medizinstudium in London auf und verliebt sich in die ordinäre Kellnerin Mildred, die ihn verachtet und ausnimmt. Eine faszinierende Studie in Abhängigkeit. Mildred ist nicht etwa die Stärkere der beiden, wir merken deutlich, dass sie nach Aufmerksamkeit und Zuwendung mindestens ebenso hungert wie nach dem Geld, das sie Philip abpresst. Nach 22 Rollen für verschiedene Studios bescherte OF HUMAN BONDAGE Bette Davis endlich den Durchbruch bei der Kritik. Ihre furchtlose Darstellung ist eine absolut überzeugende tour de force. Die frisch eingesetzte PCA erteilte OF HUMAN BONDAGE das Zertifikat mit der Nummer 34. »Nicht akzeptable« Elemente in Maughams autobiographisch gefärbtem Roman (Prostitution, Syphilis) sind im Film trotzdem vorhanden, freilich in kodierter Form (Obdachlosigkeit, Tuberkulose). ▶ Sonntag, 4. Oktober 2015, 21.00 Uhr Soziale Klüfte I Am a Fugitive from a Chain Gang (Jagd auf James A.) | USA 1932 | R: Mervyn LeRoy | B: Robert E. Burns, Howard J. Green, Brown Holmes | K: Sol Polito | M: Bernhard Kaun | D: Paul Muni, Glenda Farrell, Helen Vinson, Preston Foster, Allen Jenkins | 92 min | OF | Der Weltkriegsheimkehrer James Allen hofft Ingenieur zu werden und Karriere zu machen. Doch er findet nur Ablehnung und Gleichgültigkeit. Arbeitslos und bettelarm, wird er unschuldig in einen Raubüberfall verwickelt und zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Er durchlebt als Kettensträfling die Hölle auf Erden. Die unmenschlichen Zustände in den Strafeinrichtungen des Südens waren keine Hollywood-Fantasie; das Drehbuch beruht auf den realen Erfahrungen des Autors Robert E. Burns, der das brutale System der Chain Gang in Georgia einzig durch Flucht überlebte. Diesmal entzündete sich die Kontroverse um einen Film nicht an Sex oder Gewalt, sondern an der ungeschönten Darstellung der Realität im Strafvollzug. Mervyn LeRoys Film ist eines der wenigen Werke, die tatsächlich etwas bewegten: Die Proteststürme mündeten letztlich nach fünf Jahren in einer Gefängnisreform. ▶ Freitag, 16. Oktober 2015, 21.00 Uhr Man’s Castle (Ein Schloss in New York) | USA 1933 | R: Frank Borzage | B: Jo Swerling, nach dem Stück von Lawrence Hazard | K: Joseph August | M: Frank Harling | D: Spencer Tracy, Loretta Young, Marjorie Rambeau, Glenda Farrell, Walter Connolly | 71 min | OmU | Zwei Randexistenzen tun sich gegen alle Widrigkeiten zusammen, verlieben sich, versuchen sich mit allen Mitteln durchzuschlagen und sind nicht bereit, ihren Lebensmut aufzugeben. In Frank Borzages Film existiert all das, was der Code als nicht darstellbar deklarierte: Ausbeutung, Not und Obdachlosigkeit, Promiskuität, Verbrechen ohne Sühne. MAN’S CASTLE ist an Moralurteilen nicht interessiert, denn über allem schwebt die Liebe: »Eine uneingeschränkte, betont unbürgerliche Liebe, die zugleich Objekt und Subjekt von Borzages ganzer Filmografie ist und je nach Story die Zeit, den Raum, möglicherweise den Tod transzendiert.« (Hervé Dumont). Um den Film, der von der Legion of Decency als »condemned« eingestuft wurde, 1938 mit einer Freigabe der Production Code Adminis- ▶ Samstag, 17. Oktober 2015, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag, 20. Oktober 2015, 18.30 Uhr Wild Boys of the Road (Kinder auf den Straßen) | USA 1933 | R: William A. Wellman | B: Earl Baldwin | K: Arthur L. Todd | D: Frankie Darro, Edwin Phillips, Rochelle Hudson, Dorothy Coonan, Sterling Holloway | 68 min | OF | »You read in the papers about giving people help. The banks get it. The soldiers get it. The breweries get it. And they’re always yelling about giving it to farmers. What about us? We’re kids.« Obdachlose Kinder und Jugendliche wurden in der Great Depression ein Massenphänomen. Hunderttausende waren auf sich gestellt, weil ihre Familien sie nicht ernähren konnten. Keiner stürzte sich mit so viel Verve und Elan auf die Themen seiner Tage wie William Wellman: WILD BOYS OF THE ROAD ist Hollywoods lautester Aufschrei gegen die Härten und Ungerechtigkeiten im Gefolge der Wirtschaftskrise. Der Film verdankt seine elementare Wucht und seinen nahezu dokumentarischen Realismus den authentischen Schauplätzen. Als der Production Code kurz darauf wirksam wurde, ließen die großen Studios die Finger von fundamental gesellschaftskritischen, politisch riskanten Stoffen. ▶ Sonntag, 18. Oktober 2015, 21.00 Uhr Jenseits der Normen The Sign of the Cross (Im Zeichen des Kreuzes) | USA 1932 | R: Cecil B. de Mille | B: Waldemar Young, Sidney Buchman nach dem Theaterstück von Wilson bert, Ian Keith | 123 min | OF | Rom in Neros Tagen: Ein römischer Offizier konvertiert zum Christentum. Wir nehmen direkt Teil an den verkommenen Vergnügungen bei Hofe und den grauenerregenden Schrecken der Arena. Aus einem muffigen Stück Erbauungstheater wurde ein unvergleichliches Spektakel, das die Zensur so offen herausforderte wie kein anderer Film: THE SIGN OF THE CROSS war der unmittelbare Anlass zur Gründung der Catholic Legion of Decency. Der Circus Maximus verheißt die amüsante und abwechslungsreiche Hinrichtung von 60 Christen, Kämpfe zwischen Pygmäen und Amazonen, wilde Raubtiere und einiges mehr. Eine Orgiensequenz mit einem lesbischen Verführungstanz trug DeMille einen Anruf von Will Hays persönlich ein: »Cecil, what are you going to do about that dance?« – »Not a damn thing.« DeMille blieb standhaft. ▶ Freitag, 23. Oktober 2015, 21.00 Uhr Duck Soup (Die Marx Brothers im Krieg) | USA 1933 | R: Leo McCarey | B: Bert Kalmar, Harry Ruby | K: Henry Sharp | M: John Leipold | D: Groucho Marx, Harpo Marx, Chico Marx, Zeppo Marx, Margaret Dumont | 66 min | OF | Auf Druck der reichen Witwe Mrs. Teasdale, die den Kleinstaat Freedonia finanziert, wird Rufus T. Firefly zum Präsidenten ernannt. Seine Regierungserklärung verspricht umfassende Ausbeutung, Korruption und zynische Selbstbereicherung. Da ist der Krieg nicht weit. Die Marx Brothers stehen gewöhnlich für anarchischen Witz und absurden Humor, nicht für Satire. Groucho zufolge war die satirische Ebene zur Gänze dem Regisseur Leo McCarey zu verdanken, der ursprünglich auf keinen Fall mit den anstrengenden Marxens arbeiten wollte. DUCK SOUP ist von einer völligen Verachtung für staatliche und gesellschaftliche Institutionen durchdrungen. Selbst die Reflexe der Zensoren werden vorgeführt: Eine Schlafzimmerszene, vor dem Bett liegen ein Paar Männerschuhe, ein Paar Frauenschuhe, zwei Paar Hufeisen – Harpo und sein Pferd liegen gemeinsam in einem Bett, die Frau züchtig in einem anderen Bett daneben. ▶ Samstag, 24. Oktober 2015, 21.00 Uhr Barrett | K: Karl Struss | M: Frank Harling | D: Fredric March, Elissa Landi, Charles Laughton, Claudette Col- It’s a Gift (Das ist geschenkt) | USA 1934 | R: Norman Z. McLeod | B: Jack Cunningham | K: Henry Sharp | M: John Leipold | D: W.C. Fields, Kathleen Howard, Jean Rouverol, Julian Madison, Tommy Bupp, Baby LeRoy | 73 min | OF | Harold Bissonnette ist ein unerschöpflicher Quell der Enttäuschung für seine Gattin. Mit seinem kleinen Tante-Emma-Laden in New Jersey wird sie nie eine Society-Dame sein, seine Tochter nie eine gute Partie machen, sein Sohn nie den richtigen Um- Hollywood ohne Schranken tration wieder in die Kinos bringen zu können, wurde er massiv gekürzt. Gezeigt wird die selten aufgeführte ursprüngliche Fassung des Films. 29 Hollywood ohne Schranken 30 gang pflegen. Harolds Wunschtraum ist eine Orangenplantage, und so macht sich die Familie auf nach Kalifornien. Fields lieferte die Vorlage für das Drehbuch. Seine Breitseite auf bürgerliche Wohlanständigkeit überstand wider Erwarten die Einsetzung der PCA. Die Zensoren forderten zwar die Streichung des Satzes: »Father, please stop at the first clean gas station«, weil er Körperfunktionen suggerierte, doch dass die geheiligten Institutionen von Ehe und Familie als innerster Kreis der Hölle geschildert werden, fiel ihnen nicht auf. Am Ziel der Reise wartet die vollständige Demontage des Amerikanischen Traumes. Fields’ genüssliche Untergrabung aller Anstandsregeln ist geradezu lebensgefährlich komisch. den Kundinnen Kleider vorführen, sind für ihn gleichzeitig Verfügungsware. EMPLOYEES’ ENTRANCE ist so fazinierend, weil der völlig reuelose Antiheld Anderson nicht verteufelt wird, obwohl er fraglos ein Mistkerl ist. Bei allem bleibt er entwaffnend unverstellt: »Oh, it’s you ▶ Sonntag, 25. Oktober 2015, 21.00 Uhr Freies Unternehmertum Five Star Final (Spätausgabe) | USA 1931 | R: Mervyn LeRoy | B: Robert Lord, Byron Morgan, nach dem Stück von Louis Weitzenkorn | K: Sol Polito | D: Edward G. Robinson, Marian Marsh, H. B. Warner, Aline MacMahon, Boris Karloff | 89 min | OF | Aus Angst um seinen Job wärmt der Lokalredakteur einer Boulevardzeitung einen 20 Jahre alten Skandal wieder auf, obwohl er weiß, dass er dadurch Existenzen ruinieren wird. Sein Reporter gelangt als Geistlicher an intime Informationen, die die Zeitung weidlich ausschlachtet. Der Production Code untersagte es ausdrücklich: »Ministers of religion … should not be used for comedy, as villains, or as unpleasant persons«. FIVE STAR FINAL verstößt im Grunde gegen alle drei Verbote, doch die Verfilmung erfüllt den Buchstaben der Vorschrift dadurch, dass der Reporter kein »echter« Geistlicher mehr ist, sondern sich nur als solcher ausgibt. In knappen Bildern skizziert der Anfang des Films, wie sich der Redakteur mit seiner ausbeuterischen Existenz arrangiert hat: Er trinkt, er misshandelt seine Untergebenen, er versucht sich den Schmutz von den skandalbefleckten Händen zu waschen. ▶ Freitag, 30. Oktober 2015, 21.00 Uhr Employees’ Entrance (Personaleingang) | USA 1933 | R: Roy Del Ruth | B: Robert Presnell | K: Barney McGill | D: Warren William, Loretta Young, Alice White, Wallace Ford, Allen Jenkins | 75 min | OF | Für Kurt Anderson, den diktatorischen Geschäftsführer eines großen Kaufhauses, steht der Profit stets an erster Stelle. Anderson fördert neue Talente, aber als sich ein Angestellter das Leben nimmt, lässt ihn das völlig kalt. Die Models, die – I didn’t recognize you with all your clothes on.« Seine drakonischen Maßnahmen funktionieren: Das Kaufhaus kann sich in der Wirtschaftskrise behaupten, ohne Massenentlassungen vorzunehmen. Dazu bemüht Anderson weder eine pseudophilosophische Verbrämung à la Ayn Rand, noch die Hassrhetorik neuzeitlicher Deregulierungsfanatiker. ▶ Samstag, 31. Oktober 2015, 21.00 Uhr Female (Der Boss ist eine schöne Frau) | USA 1933 | R: Michael Curtiz | B: Gene Markey, Kathryn Scola | K: Sid Hickox | D: Ruth Chatterton, George Brent, Lois Wilson, Johnny Mack Brown, Ruth Donnelly | 60 min | OF | Alison Drake wusste schon früh, dass sie die Automobilwerke ihres Vaters übernehmen würde und entschließt sich, mit Männern genauso umzugehen wie diese mit Frauen. Wenn ihr ein Mitarbeiter gefällt, lässt sie ihn sich nach Hause kommen. Wenn er lästig wird, wird er versetzt. »Most women consider a man a household necessity. Myself, I’d rather have a canary.« FEMALE feiert eine Frau, die auf die Konventionen pfeift, weil sie es sich leisten kann. Der aufgepfropfte Schluss, der Alison Drake einem plötzlichen Persönlichkeitswandel unterzieht, mochte die Zensur trösten, das Publikum täuschte er nicht. Atmosphärische Schwankungen sind aber auch Teil des Charmes von FEMALE. Den Großteil inszenierte William Dieterle; als der erkrankte, sprang William Wellman ein. Weil der Produzent mit dem Darsteller eines der jungen Männer unzufrieden war, drehte Michael Curtiz zwei Sequenzen neu und wurde der nominelle Regisseur des Films. ▶ Sonntag, 1. November 2015, 21.00 Uhr Bird of Paradise (Luana) | USA 1932 | R: King Vidor | B: Wells Root | K: Clyde DeVinna | M: Max Steiner | D: Joel McCrea, John Halliday, Dolores del Rio, Skeets Gallagher | 82 min | OF | Auf einem Schiff in der polynesischen Inselwelt geht der junge Amerikaner Johnny über Bord. Die Einheimische Luana rettet ihn, sie verlieben sich ineinander, doch Luana ist nach altem Brauch dafür bestimmt, dem zürnenden Vulkan geopfert zu werden. King Vidors Film ist eine Perle unter den zahllosen Südsee-Idyllen Hollywoods. Max Steiners faszinierend-geheimnisvolle Musik unterstützt den gesamten Film fast ununterbrochen, die Photographie ist stimmungsvoll und vor allem wird die Romanze überraschend unverklemmt dargestellt. Die sexuelle Initiative geht von Luana aus, was Kirche und Zensoren vermutlich mehr störte als der eigentliche sexuelle Gehalt. Sie lockt Johnny von Bord, indem sie nackt an seinem Schiff erscheint, sie befiehlt ihm, sie weiter zu küssen. Die Nacktszenen beim Schwimmen litten am meisten unter der Zensur. Gezeigt wird eine ungekürzte Fassung des Films. ▶ Freitag, 6. November 2015, 21.00 Uhr Tarzan and His Mate (Tarzans Vergeltung) | USA 1934 | R: Cedric Gibbons | B: James Kevin McGuinness, frei nach Edgar Rice Burroughs | K: Charles G. Clarke, Clyde DeVinna | D: Johnny Weissmuller, Maureen O’Sullivan, Neil Hamilton, Paul Cavanagh, Nathan Curry | 104 min | OF | Von einem großen Eingeborenentross begleitet, suchen zwei Männer nach Elfenbein und zugleich nach der Tochter eines im Busch verschollenen Jägers, die als Tarzans Geliebte freiwillig bei ihrem Beschützer geblieben ist. Der Kultstatus des Films beruht zu einem guten Teil auf der Freizügigkeit, die Jane lebt. Ihr Kostüm ist knapp, sie schläft nackt und schwimmt nackt mit Tarzan – und all das unverheiratet und obendrein (anders als in den Romanen) als Dame englischer Herkunft. Als 1953 eine von der Zensur um 17 Minuten gekürzte deutsche Fassung des Films in deutsche Kinos kam, meldete der Katholische Film-Dienst trotzdem heftige Vorbehalte an: »Raffiniert durchgeführter Urwald-Film, der durch drastische Grausamkeiten, aber auch in erotischer Hinsicht aus dem Rahmen der üblichen Tarzan-Unterhaltung fällt.« Gezeigt wird die ursprüngliche Fassung des Films. ▶ Samstag, 7. November 2015, 21.00 Uhr The Emperor Jones (Kaiser Jones) | USA 1933 | R: Dudley Murphy | B: DuBose Heyward, nach dem Thea- Hollywood ohne Schranken Das Gesetz des Dschungels 31 terstück von Eugene O’Neill | K: Ernest Haller | M: Frank Tours | D: Paul Robeson, Dudley Digges, Frank Wilson, Fredi Washington, Ruby Elzy | 105 min | OF | Auf seiner Flucht verschlägt es den schwarzen Sträfling Brutus Jones auf eine Insel in der Karibik. Dort ergreift er die Chance seines Lebens und wird in kürzester Zeit zum gefürchteten Diktator. Mit zynischer Rücksichtslosigkeit setzt er die kapitalistischen Lektionen um, die er verinnerlichte, als er noch »ganz unten« war. Eugene O’Neill knüpfte zwei Bedingungen an die Verfilmung: Paul Robeson, der in dem Stück auf internationalen Bühnen triumphiert hatte, müsse die Titelrolle spielen; und der Name des Darstellers müsse noch über dem Titel stehen. Zum ersten Mal hatte ein schwarzer Darsteller eine Hauptrolle im Mainstream-Kino. In Nebenrollen treten Billie Holiday und Rex Ingram auf. Vor allem in den Südstaaten wurde der Film um über eine halbe Stunde gekürzt. Gezeigt wird eine Rekonstruktion der ursprünglichen Fassung. ▶ Sonntag, 8. November 2015, 21.00 Uhr Verführung & Verführte Design for Living (Serenade zu dritt) | USA 1933 | R: Ernst Lubitsch | B: Ben Hecht nach dem Theaterstück von Noël Coward | K: Victor Milner | M: John Leipold | D: Gary Cooper, Fredric March, Miriam Hopkins, Edward Everett Horton, Franklin Pangborn | 90 min | OF | Eine Hollywood ohne Schranken Werbegrafikerin, ein Kunstmaler und ein Schriftsteller beginnen eine Beziehung zu dritt. »DESIGN FOR LIVING handelt von ganz direkten Dingen, ohne direkt davon zu sprechen. Von Sex beispielsweise. Oder von Wut und Zorn. Als Lubitsch zeigen muss, welche Kämpfe in der 32 Frau über die beiden Männer toben, von denen sie keinen aufgeben will, genügen ihm eine Tür und ein Blumentopf, der zwei Blüten trägt. Bei Lubitsch ist immer das Unsichtbare so wichtig wie das Sichtbare. In den nebensächlichen Details, die zu sehen sind, schimmert das Unsichtbare besonders akzentuiert durch, um das es ihm häufig vor allem anderen geht. Im Grunde bietet DESIGN FOR LIVING eine der vergnüglichsten Lehren darüber, was Kino sein kann, darüber, wie hinter dem Trivialen des oberflächlich Sichtbaren die Kunst der sichtbaren Oberflächen beginnt.« (Norbert Grob) ▶ Freitag, 13. November 2015, 21.00 Uhr Jewel Robbery (Ein Dieb mit Klasse) | USA 1932 | R: William Dieterle | B: Erwin Gelsey | K: Robert Kurrle | M: Bernhard Kaun | D: William Powell, Kay Francis, Hardie Albright, André Luguet, Henry Kolker | 68 min | OF | Die junge Baronin Teri von Hohenfels hat nicht nur einen reichen langweiligen Gatten und eine Reihe Liebhaber. In ihrer Residenz im schönen Wien lässt sie sich von einer Schar von Dienerinnen morgens baden, massieren, ankleiden und in ihrem privaten Schönheitssalon für einen anstrengenden Mußetag in Form bringen. Ihr erster Termin führt sie zu ihrem Juwelier, wo sie einen charmanten Fremden trifft, der prompt mit seiner Bande das Juweliergeschäft ausraubt. Sein Stil und seine Eleganz bezaubern die Baronin: »This is becoming delightful!« – »As a matter of fact, I’m opposed to the American school of banditry. I studied in Paris.« An nervöses Wachpersonal und Polizisten verteilt er zur Entspannung »funny cigarettes« (Joints). William Dieterle verlieh seiner geistreichen Komödie ein irrwitziges Tempo mit Regelverstößen im Minutentakt: Die Ehe ist nur ein Witz, Räuber sind besser als Bankiers, und das Rauchen von »Gras« scheint ein Wahnsinnsspaß. ▶ Samstag, 14. November 2015, 21.00 Uhr I’m No Angel (Ich bin kein Engel) | USA 1933 | R: Wesley Ruggles | B: Mae West | K: Leo Tover | D: Mae West, Edward Arnold, Cary Grant, Gregory Ratoff, Gertrude Howard | 87 min | OF | Die Tänzerin und Löwenbändigerin Tira macht ihren Weg vom Zirkuszelt ins Penthouse an der Park Avenue. Die Männer liegen ihr zu Füßen, denn: »When I’m good I’m very good, but when I’m bad I’m better.« Schnell, schamlos und unwiderstehlich, ist Tira stets Herrin der Lage. I’M NO ANGEL verkündet stolz: »Story, Screen Play and all Dialogue by Mae West«. Zensoren konnten das Entfernen von Wörtern wie »jeez« oder »punk« oder »Lawdy« verlangen, aber gegen Mae Wests Intonation war nichts zu machen, egal wie harmlos der Wortlaut auf dem Papier schien. Im Jahr darauf hatte Mae West den 5. Platz auf der Beliebtheitsskala der Filmstars inne, sie verdiente mehr Geld als jede andere Frau in den USA. Und was hielt sie von den Zensurbeflissenen? »Tell them they made me what I am today. I hope they’re satisfied.« ▶ Samstag, 14. November 2015, 21.00 Uhr Gold Diggers of 1933 (Goldgräber von 1933) | USA 1933 | R: Mervyn LeRoy | B: Erwin Gelsey, James Seymour | K: Sol Polito | M: Harry Warren, Al Dubin | D: Warren William, Joan Blondell, Aline MacMahon, Ruby Keeler, Dick Powell, Ginger Rogers | 97 min | OF | Das Musical, in dem die drei Showgirls Carol, Trixie und Polly auftreten, wird schon vor der Premiere durch den Gerichtsvollzieher geschlossen. Pollys Freund Brad schreibt Songs für eine neue Show und finanziert das Vorhaben – gegen den Widerstand seiner reichen Familie. Die Show, die am Ende herauskommt, ist das genaue Gegenteil von eskapistischer Ablenkung – die Wirtschaftskrise selbst ist Inhalt des Musicals. Das harte Los der vergessenen Weltkriegsveteranen in der Krise bildet das Thema der Schlussnummer »Remember My Forgotten Man«. Besonderen Anteil am Gelingen dieses Meta-Musicalfilms haben die Choreographien von Busby Berkeley. Die junge Ginger Rogers hat eine herausragende Nebenrolle, in der sie weitaus provokanter und forscher auftritt als später neben Fred Astaire. ▶ Sonntag, 15. November 2015, 21.00 Uhr Übersetzungen und Kurztexte: Christoph Michel
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