UNTERWEGS MIT LEIB UND FRISCH ANGELIEFERT Kaffeerösterin Annette Laier prüft die Qualität der Bohnen 100 meine gute Landküche 1 · 2015 SEELE Seht her, das sind unsere Schätze! In Offenbach am Main waren einst Lederwaren begehrt. Heute sind es kulinarische Kostbarkeiten ALLES HANDARBEIT In der Bäckerei von Ludwig Ködel, am Marktstand von Kartoffelhändler Heinrich Mauß, im „Jam Lab“ von Marina Caktas und in der Kelterei von Alexander Lühn stehen Tradition und Qualität im Vordergrund 1 · 2015 meine gute Landküche 101 Kaffee lässt Herzen hüpfen RIECHEN, SCHMECKEN, GENIESSEN Autorin Susanne Reininger (o. l.) und Annette Laier genießen feinstes Kaffeearoma. Die Bohnen der Rösterei haben Tausende Kilometer bis nach Offenbach zurückgelegt. Sie kommen aus Äthiopien, Papua- Neuguinea, Tansania, Mexiko, Brasilien und anderen Kaffeeanbauländern. Knapp 20 Minuten dauert es, bis Annette Laier mit viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl ihnen ihr Geheimnis entlockt. „Eine rohe Bohne riecht wie Heu, wenn man sie aufbricht, und sie schmeckt auch so. Erst durch das Rösten wird sie zu dem veredelt, was wir Kaffee nennen“, erzählt die junge Frau, die in fünfter Generation eine Offenbacher Familientradition fortsetzt: die Kunst des Kaffeeveredelns Kaffeerösterei A. Laier, die erste Adresse für Genießer WIE FEIN! 1997 übernahm Annette Laier das Feinkostgeschäft am Wilhelmsplatz von ihren Eltern – und damit auch die Rösterei. Doch auch Teetrinker, Naschkatzen, Feinschmecker und Kochexperten werden in 102 meine gute Landküche 1 · 2015 der Bieberer Straße fündig. Die neueste Spezialität: traditionelle Offenbacher Pfeffernüsse. Kaffeerösterei A. Laier, Bieberer Straße 12 63065 Offenbach Tel. 0 69/88 51 70 www.kaffeeroesterei.de UNTERWEGS MIT LEIB UND SEELE RÖSTFRISCH GEMAHLEN Früher war es in Offenbach üblich, dass ein Feinkostgeschäft seine eigenen Röstungen verkaufte. Heute ist Annette Laier die einzig verbliebene Kaffeerösterin der Stadt. Sie hat das Sortiment von anfangs drei Sorten auf nunmehr 24 erweitert D ie Woche beginnt in Offenbach am Main mit einer herrlichen Duftwolke von Kaffee über dem Wilhelmsplatz. Montags ist Produktionstag im Feinkostgeschäft Laier. Da bleibt der Laden geschlossen. Dahinter im Lagerraum brummt, rotiert und rüttelt der „Probat“ den ganzen Tag. Annette Laier röstet Kaffee. Dabei lässt sie ihre Bohnen niemals aus den Augen. Sie riecht, fühlt und kontrolliert, bis das helle Grün zur samtigen Kaffeebräune wird. „Jede Röstung verhält sich anders, da gibt es kein Patentrezept. Wichtig sind Intuition und Erfahrung“, erklärt sie. Kulinarisches Erbe „Am Anfang hatte ich Angst, dass der Kaffee und das ganze Haus in Brand geraten, deshalb waren meine ersten Röstungen zu hell. Danach wollte ich sie dunkler machen, und sie wurden zu dunkel“, sagt sie und lacht. Der Röstraum bleibt den Kunden vorne im Laden verborgen. Dort sind die Regale und Vitrinen gefüllt mit handverlesenen Pralinen und Schokoladen, edlen Gewürzen, Nüssen, Marmeladen und Tees. Neu im Sortiment hat sie ein kulinarisches Erbe ihrer Heimatstadt, das sie in Handarbeit produzieren lässt: Offenbacher Pfeffernüsse. Johann Wolfgang von Goethe liebte deren belebende Wirkung, die Gebrüder Grimm fürchteten sie und warnten ihre Schwester Charlotte: „Von den Pfeffernüssen esse nicht zu viel, sie sollen zu sehr erhitzen!“ > 1 · 2015 meine gute Landküche 103 UNTERWEGS MIT LEIB UND SEELE Kartoffeln erden uns FRISCHKOST UNTER FREIEM HIMMEL Der Offenbacher Wochenmarkt ist einer der größten und schönsten in Hessen, mit einzigartiger Atmosphäre, voller Farben und Gerüche. Feinschmecker aus dem Rhein-Main-Gebiet und Südhessen pilgern zum Wilhelmsplatz, um Obst und Gemüse, Salate und Kräuter, Backwaren, Wurst, Fleisch und Käse von Selbsterzeugern aus der Region zu kaufen. Der Gemüsehändler Heinrich Mauß (Foto) reist aus der Gemeinde Otzberg im Odenwald an. Der Inhaber von „Kartoffel-Jäger“ gehört zu den Institutionen des Wochenmarkts. Mauß, die vierte Generation am Verkaufsstand, erklärt der Autorin eloquent den Unterschied zwischen Layla, Laura, Linda und 20 weiteren Sorten > Die meisten Zutaten der Offenbacher Spezialität sind auf dem Wochenmarkt zu finden, doch deren Rezeptur bleibt ein wohl gehütetes Geheimnis. Von Knollendamen und Drillingen „Kartoffeln sind da bestimmt nicht drin“, glaubt Heinrich Mauß und lacht. Er verkauft in vierter Generation Erdäpfel auf dem Offenbacher Wochenmarkt und bringt selbst an grauen Wintertagen seine Kundschaft zum Lachen, wenn diese mal wieder seine Sieglinde, Leyla, Laura, Marabel, Nicola, die dicke Concordia und das restliche Dutzend „Knollendamen“ miteinander verwechselt. Der Inhaber von „Kartoffel-Jäger“ hat die größte Auswahl auf dem Wochenmarkt – vom kleinen Drilling, der perfekt zu Grünkohl und Pinkel passt, bis zur kostbaren Trüffelkartoffel, die zum Kilopreis von fünf Euro zu haben ist. Im Herbst kann die Kundschaft in einem Farbenmeer von beige-braun bis violett zwischen 20 und 24 verschiedenen Sorten wählen, im Sommer zwischen einem Dutzend. Küchentipps gibt es gratis dazu. So werden die Drillinge, karamellisiert mit Puderzucker, zu einer Delikatesse. Laura ist die Lieblingskartoffel von Heinrich Mauß. „Die ist innen schön goldgelb, und wenn ich sie vorkoche, gelingen mir damit die besten Bratkartoffeln“, schwärmt der Kartoffelexperte und Hobbykoch. Er lagert seine Kartoffeln bei sieben Grad Celsius auf einem Bett aus Küchenrolle im Gemüsefach im Kühlschrank. Da bleiben sie am besten frisch. > 104 meine gute Landküche 1 · 2015 ROTE WESTE, ROTE MÜTZE – daran erkennt man „Kartoffel-Jäger“ Heinrich Mauß und seinen Kartoffelstand schon von Weitem. „Schlechte Laune gibt es für mich nicht, nur schlechtes Wetter“, meint er und schmunzelt. Aber auch dann bedient Mauß seine Kundschaft mit einem verschmitzten Lächeln Gemüsehandel Kartoffel-Jäger BESTE ADRESSE Einkaufen auf dem Offenbacher Wochenmarkt kann man dienstags, freitags und samstags, Feiertage ausgenommen, zwischen 8 und 14 Uhr. Heinrich Mauß ist jeweils am Freitag und Samstag mit seinem Stand auf dem Wochenmarkt. „KartoffelJäger“ befindet sich in der äußeren Standreihe, gegenüber der Brasserie „beau d’eau“ auf dem Wilhelmsplatz in 63065 Offenbach 1 · 2015 meine gute Landküche 105 UNTERWEGS MIT LEIB UND SEELE OHNE FORTUNA GEHT NICHTS! Die alte Brötchenpresse formt aus der Teigmasse kreisrunde Rohlinge. Den Sauerteig für seine Bauernbrote hat Bäckermeister Ködel schon am Vortag angesetzt. Mutter Ellen (u.) füllt mit knusprig buttrigen Schokocroissants die Theke auf. Das Beste: Alles ist ganz traditionell gemacht, Backmischungen kommen nicht in die Tüte Brötchen bringen Fortuna > Für ein ofenfrisches Sauerteigbrot pilgert die Kundschaft der Bäckerei Ködel bis zum Stadtkrankenhaus. Schräg gegenüber beginnt die Senefelderstraße. Nach einigen Hausnummern hat man sein Ziel in der Nummer 13 erreicht und mit ein wenig Glück ergattert man eines der begehrten Stücke auch nach der Mittagszeit. „Backmischungen? Kommen bei uns nicht in die Tüte, es soll ja schmecken“, kommentiert Ludwig Ködel belustigt die Frage nach den Zutaten. Croissants wie in Frankreich „Wehe, wenn Fertigware vier oder fünf Stunden zu Hause liegt. Dann merkt man den Unterschied, im Geschmack und im Aussehen“, erklärt der Chef, der die Familienbäckerei schon mit 21 Jahren übernehmen musste, nachdem sein Vater plötzlich verstorben war. An jenem Tag im Jahr 1976 begann Ködels zweites Leben – der Familientradition verpflichtet. Die erste Regel lautet daher noch heute: Handarbeit statt Fließband. So entstehen Croissants, herrlich knusprig buttrig wie in Frankreich, zarte Hefehörnchen und saftige Quarktaschen sowie hausgemachte Pralinen. Eins, zwei und der nächste: Mit einer alten Handmaschine werden die Kreppel gefüllt, eine Art Berliner, die nicht nach Pappe schmecken, wie ihre Artgenossen aus der Backstraße. Als das Fernsehen mal in der Bäckerei gedreht hat, kamen nach der Sendung viele Neugierige aus dem Rhein-Main-Gebiet in das ehemalige Arbeiterviertel. Einige blieben als Stammkunden. > 106 meine gute Landküche 1 · 2015 Traditionsbäckerei Ludwig Ködel GESCHMACKSJUWEL Die Ködel’sche Bäckerei ist eine der letzten ihrer Art. Gab es in den 50er-Jahren noch 240 Bäckereien in Offenbach, sind es heute nur noch vier. Neben Sauerteigbrot gehören „Pastéis de Nata“, portugiesische Vanilletörtchen, zu den Spezialitäten der Familienbäckerei. Das Rezept stammt von Ludwigs Frau Fernanda. Die Bäckerei Ködel findet man in der Senefelderstraße 13, 63069 Offenbach. Tel. 0 69/83 45 91 HANDARBEIT STATT FLIESSBAND lautet die erste Regel noch heute. Ködel und sein Geselle backen mit flinken Händen Brot, Hörnchen und andere süße Teilchen. Wenn Mutter Ellen um 6.30 Uhr den Laden öffnet, müssen die Brotregale gefüllt sein 1 · 2015 meine gute Landküche 107 Chutneys streicheln die Zunge ZAUBEREI Im Kochtopf verrührt Marina Caktas Tomatenmark, Vanille, Essig, Gelierzucker, Pfeffer, Balsamico-Essig und ernte- frische Erdbeeren miteinander, um daraus ein köstliches Erdbeer-Ketchup zu zaubern. Die Eigenkreation aus ihrem „Marmeladen- labor“ ist weniger süß als herkömmlicher Ketchup und schmeckt ganz hervorragend zu Grillfleisch, Käse oder Würstchen Marmeladenlabor „Jam Lab“ & Genusswolke-Shop HIER GIBT’S HIMMLISCHES Das Marmeladenlabor „Jam Lab“ befindet sich im Starkenburgring 79, 63069 Offenbach. Dort finden auch Kochkurse für große und kleine Feinschmecker statt. Zu 108 meine gute Landküche 1 · 2015 beziehen sind die „Hessen-Chutneys“, Konfitüren und Gelees von Marina Caktas über ihren Online-Shop unter www.genusswolke. de. Hier werden auch weitere Bezugsadressen in der Umgebung aufgeführt. UNTERWEGS MIT LEIB UND SEELE FRISCHES OBST UND GEMÜSE der Saison und aus der Region kommt bei Marina Caktas ins Glas. Autorin Susanne Reininger (unten rechts) sah zu, wie im professionell eingerichteten Marmeladenlabor über den Dächern von Offenbach zum Beispiel köstliche Gelees aus Quitte, ein mediterranes Chutney namens „Roter Hesse“ oder ein Pesto aus den sieben Kräutern der grünen Soße, der „Grüne Hesse“ entstehen > Nicht weit entfernt von der Traditionsbäckerei Ködel, über den Dächern von Offenbach, hat Marina Caktas ihr Marmeladenlabor, das „Jam Lab“. Das klingt gefährlicher, als es ist. Statt in weißem Kittel, mit Reagenzglas und Bunsenbrenner hantiert die gelernte Hotelfachfrau in Kochschürze mit Töpfen, Messbechern, kleinen Flaschen und Einmachgläsern. Sie hat sich soeben eine neue Kreation ausgedacht, ein Rezept gibt es dafür noch nicht. Das Experiment kann beginnen: Sie putzt und püriert ein Kilo erntefrische Bio-Erdbeeren aus der Wetterau, kratzt eine halbe Vanilleschote aus, wiegt 160 Gramm Bio-Rohrzucker ab und gibt die Zutaten mit weiteren in einen großen Topf. Schon nach kurzer Zeit entfaltet sich ein wunderbarer Duft in der geräumigen Küchenecke unter der Dachschräge: Das Experiment ist geglückt. Ein fruchtiges Erdbeer-Ketchup erweitert nun ihre Produktpalette, deren Herzstück aus einer Kollektion von Apfelweingelees und „Hessen-Chutneys“ besteht. Nachhaltigkeit und Regionalität Unter dem Markennamen „Genusswolke“ belebt sie mit ihrer kleinen Manufaktur die Tradition des Einmachens und Einkochens neu. Dabei legt sie großen Wert auf Nachhaltigkeit und verwendet überwiegend Zutaten von regionalen Erzeugern. Erdbeer-Ketchup im Winter > 1 · 2015 meine gute Landküche 109 UNTERWEGS MIT LEIB UND SEELE > wird es deshalb nicht geben. Wie gut, dass sich die Beiköchin nach dem Besuch im „Jam Lab“ drei kleine Flaschen gesichert hat. Apfelwein gärt im Keller mancher Offenbacher Familie. Ein eigener Hausschoppen ist nicht nur günstiger als im Ausschank – aus eigenem Lesegut schmeckt er meist auch besser. Apfelweinfreunde machen sich deshalb traditionell mit ihren Äpfeln auf den Weg in den Stadtteil Bürgel, vorbei an Kleingärten, Feldern und Wiesen. Dort, jenseits des hektischen Stadtlebens, betreibt Alexander Lühn eine Apfelwein-Kelterei im Garten des Hauses seiner Familie. Die Äste eines alten Bohnapfelbaums neigen sich über die vielen Menschen, die den Garten bevölkern. Die einen lassen sich frischen Süßen abfüllen, die anderen liefern Äpfel zum Pressen. Unter dem Dach hinter dem umgebauten Gartenhaus surrt die hydraulische Presse der Lohn-Kelterei von früh bis in die Nacht – wie an jedem Wochenende in der Saison. Eigener Hausschoppen Ein Helfer wäscht die Äpfel in einer alten Badewanne, um sie von Ästen und Laub zu befreien. Der Häcksler zerkleinert ratternd die Äpfel. Der triefende Brei wird zwischen Leintücher und Holzbretter geschichtet. Dann senkt sich die Presse langsam und presst den Saft aus dem Fruchtfleisch. Ab sechs Zentner Lesegut bekommt man seine eigenen Äpfel gepresst. Der erste Schritt zum Hausschoppen … Susanne Reininger Ebbelwoi beschwingt uns FEINSTES VOM APFEL In der Familien-Kelterei Lühn gibt es Apfelmost, Rauscher und Apfelwein, naturrein und ohne Zusatzstoffe. Haltbarer Apfelsaft ist das ganze Jahr über zu haben. Lieferbar ist das 110 meine gute Landküche 1 · 2015 „Stöffche“ in Bag-in-Box-Weinschläuchen mit 5 und 10 Litern. Außerdem sind auch Apfelweingläser (Gerippte) und Steingutkrüge, die „Bembel“ zu haben (s. unten). Daraus schmeckt der Ebbel- woi am besten, auch Wanderern: Seit Eröffnung der Regionalschleife Offenbach im Jahr 2000 ist die Kelterei ein Partnerbetrieb der Hessischen Apfelwein- und Obstwiesenroute ZUR ERNTEZEIT duftet es schon auf der Straße. Auf dem Weg im Garten stapeln sich Äpfel in Kisten, Steigen und Säcken. Wer sie bringt, kann sie zentnerweise gegen Bares verkaufen oder aber gegen Süßen tauschen. Familie Lühn verkauft das ganze Jahr über ihren Apfelwein dienstags, donnerstags und samstags. Oder trinkt ihn, wie Alexander Lühn (l.), auch schon mal im eigenen Garten Fotos: MLK/Markus Kirchgessner; Illustration Karten: MLK/Claudine Panagopoulos Familien-Kelterei Lühn in Bürgel GUTSCHEIN-PRINZIP Aus dem Gewicht der Lieferung bestimmt Alexander Lühn die Saftmenge, die der Kunde zum günstigen Preis erhält. Abholen kann er den Saft ganz nach seinem Bedarf. Um Einlass in das Bürgeler Apfelwein-Paradies zu bekommen, heißt es: dreimal kurz klingeln. Kelterei und Apfelweinverkauf befinden sich in der Hanauer Straße 59 in 63075 Offenbach. Tel. 0 69/86 71 17 30, www.kelterei-luehn.de 1 · 2015 meine gute Landküche 111
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