Es gibt nichts Besseres, als zu siegen

N° 12 – 2015 | EXCELLENCE
Das Magazin für Geist, Geld & Gesellschaft
Deutsche Asset & Wealth Management
»Es gibt
nichts
Besseres,
als zu
siegen«
N° 12 – 2 015
Das Magazin für Geist, Geld & Gesellschaft
BERNHARD LANGER
über Excellence im Sport
Deutsche Asset
& Wealth Management
W E RT E / N ° 12 – 2015
INHALT
Excellence
N° 12 – 2015
Geist
Geld
Gesellschaft
WERTE Regional
6/
MENSCHEN
ÜBER EXCELLENCE
20 /
MAKE IN INDIA
10 /
WEG IN DIE ZUKUNFT
36 – 50 /
Wie Premierminister
Narendra Modi das riesige
Land in die Zukunft führt.
WERTE-Reportage aus
Gurgaon, dem Zentrum der
aufstrebenden indischen
Mittelschicht.
Von Alexander Gerst und
Kevin Fehling bis Philipp Klais,
Ingmar Hoerr und Umasan.
24 /
»JAMMER NICHT RUM,
FANG EINFACH AN«
WERTE-Gespräch mit dem
Werber Guido Heffels über
den Erfolgsfaktor Excellence
und den Wert der Werbung.
26 /
ZEIT FÜR EXCELLENCE
Wie sich die Hamburger
ZEIT-Stiftung für Bildung, Kultur
und mehr Gerechtigkeit in der
Gesellschaft einsetzt.
Was haben
Manuel Neuer und
Pascal Schmidt
gemein?
30 /
»GEMEINSAM STARK«
WERTE-Gespräch mit Familie
Riegel über seltene Krankheiten, Zusammenhalt in der Not
und gemeinsames Glück.
Die Antwort lesen
Sie auf Seite 70
56 /
»ES GIBT NICHTS
BESSERES, ALS ZU SIEGEN«
WERTE-Gespräch mit Bernhard Langer über Excellence im
Golfsport, Demut, Erfolg und
wahre Vorbilder.
23 /
SPRUNG NACH VORN
Elke Speidel-Walz, Chief Economist Emerging Markets, über
Reformerfolge und Chancen
für Investoren in Indien.
34 /
STRATEGIEN & MÄRKTE
Asoka Wöhrmann, Chief Investment Officer Deutsche Asset &
Wealth Management, über den
Wettstreit der Giganten China
und Indien.
52 /
DIGITALE SICHERHEIT
Gefahren durch Hackerangriffe,
wirtschaftliche Folgen und wie
man sich gegen Cyberspionage
wappnen kann.
74 /
GOLDENES HANDWERK
Die internationale Erfolgsgeschichte der Pforzheimer
Schmuckfamilie Scheufele.
78 /
GROSSE ERGEBNISSE
BEI GERINGEM RISIKO
Klaus Kaldemorgen, Fondsmanager des Jahres, über
Excellence und klare Worte
in der Fondsanlage.
4
Foto: Stefan von Stengel für Golf Magazin (Titel); Paul Ripke
62 /
KOLLEGE ROBOTER
Die nächste Stufe der menschlichen Evolution – wie Rechner
und Roboter unser Leben
verändern werden.
68 /
SIEGESZUG
DER INFONAUTEN
Acht Menschen der digitalen
Elite im Porträt und der wachsende Erfolg von »Influencer
Marketing«.
70 /
DIE FUSSBALL-ELITE
VON MORGEN
»Eine Gegend
wie ein fester
Händedruck«
Ostwestfalen-Lippe gilt als
europäisches ExcellenceCluster, ist Weltspitze bei
Maschinenbau und »Industrie
4.0«. Und zwischen Bielefeld,
Gütersloh, Paderborn, Münster
und Osnabrück gibt es kaum
eine Branche, die nicht mit
mindestens einem Hidden
Champion glänzen kann.
WERTE präsentiert Menschen, Institutionen und
Unternehmen, die die Region
auszeichnen. Ein vierseitiger
Excellence-Folder zeigt die
wirtschaftliche Kraft und Vielfalt der ländlichen Region.
WERTE-Reportage aus einer
Eliteschule des Sports – wie
Bildung und Engagement Excellence im Fußball fördern.
80 /
EXCELLENCE BEI DER
DEUTSCHEN BANK
Euromoney 2015, Digitalisierung, Sport-Stipendien – fünf
Beispiele für Excellence bei
der Deutschen Bank.
WERTE NO 12
Bernhard Langer, Deutschlands
erfolgreichster Golfspieler aller
Zeiten, bei der European Seniors
Tour 2014 in Vorbeck. Das
Werte-Gespräch mit ihm lesen
Sie ab Seite 56.
5
W E R T E / N ° 112
2 – 22015
015
500 MIO.
Neu-Delhi
Gurgaon
INDIEN
Die Mittelschicht in
Indien wächst rasant
– auf 500 Millionen
Menschen bis 2025.
Die Konsumausgaben
sollen sich bis dahin
mehr als verdreifachen.
Die Boston Consulting
Group prognostiziert
einen Anstieg auf rund
3,6 Billionen US-Dollar.
Beliebt bei der aufstrebenden Mittelschicht ist
Gurgaon im Speckgürtel
Neu-Delhis. Architektur
und Infrastruktur künden
hier vom Weg Indiens
in die Zukunft.
MODERN
TIMES
Indiens Weg in die Zukunft
10
L ÄNDERREPORT
ESSAY / RUBRI/K IXXX
NDI EN
TEXT MICHAEL RADUNSKI
FOTOS FLORIAN LANG
Gurgaon steht beispielhaft für das
aufstrebende Indien. Die Stadt wächst rasant,
ist innovativ, weltoffen und Zentrum der
neuen wohlhabenden Mittelschicht.
11
W E RT E / N ° 12 – 2015
L ÄNDERREPORT / IND IE N
W
Biergarten
Manager Sameer (links) und Braumeister Praveen bieten in der 7 Degrees
Brewery auf 12 500 Quadratmetern
deutsche Bier- und Wurstspezialitäten.
Treffpunkt
Zur Mittagszeit wird die Privatbrauerei zum Ziel der IT-Manager aus den
umliegenden Bürotürmen.
Tradition und Moderne
Im Park der Luxusanlage Garden
City treffen sich die Bewohnerinnen
zum gemeinschaftlichen Yoga.
12
— »Was wir hier sehen, ist die Zukunft Indiens«, sagt Michael
Wekezer. Der Nürnberger Wirtschaftsberater sitzt in seinem
Büro im 12. Stock der Cyber City und blickt über Gurgaon.
»Millennium City« wird sie von vielen Indern genannt. Gurgaon gilt als Symbol für das moderne Indien. Wekezer kann
das durchaus nachvollziehen. »Wir haben hier einfach alles.«
Riesige Einkaufszentren mit internationalen Topmarken wie
Chanel oder Louis Vuitton. Sieben saftig-grüne Golfanlagen
schlängeln sich durch den staubigen Sandboden der Stadt, die
unzähligen Luxuswohnviertel tragen Namen wie Hamilton
Court, Garden City oder Nirvana. Hier hat die indische Oberund Mittelschicht ihr neues Domizil gefunden. Dazwischen ragen die Glasfassaden der Bürotürme in den indischen Himmel.
Es gibt kaum ein internationales Unternehmen von Rang und
Namen, das sich noch nicht in Gurgaon niedergelassen hat, sei
es Google, Microsoft, Dell, IBM, Nokia, KPMG oder PricewaterhouseCoopers. Und neben den deutschen Konzernen SAP
und Siemens haben hier auch etliche Mittelständler Gurgaon
als ihren »place to be« ausgemacht.
In den 1980er Jahren war Gurgaon nur ein Dorf vor den
Toren Neu-Delhis. 32 Kilometer liegen zwischen den beiden Orten – damals waren es Welten. Auf der einen Seite die
Hauptstadt der größten Demokratie der Welt, mehr als 1400
Quadratkilometer groß. Schon damals lebten in der indischen
Metropole rund sechs Millionen Menschen. Politiker und Beamte lenkten in den riesigen Ministerien die Geschicke des
Landes, im von den britischen Kolonialherren erbauten Shashtri Bhawan residierte der indische Präsident. »Gurgaon war der
rückständigste Ort im ganzen Bundesstaat Haryana«, erzählt
Vikas Gupta. Damals lebten hier fast ausschließlich Bauern,
die auf ihren kargen Feldern Senf, Weizen und Kartoffeln anbauten. Das nächste moderne Gebäude war gut 16 Kilometer
entfernt: der Indira Gandhi International Airport. Vikas Gupta
ist seit vier Monaten als Commissioner Municipal Corporation
Gurgaon für die städtische Entwicklung der Stadt verantwortlich. Der 39 Jahre alte Beamte sitzt an seinem Schreibtisch, vor
ihm liegt ausgebreitet eine Karte von Gurgaon. »Hier überall,
wo nun Einkaufszentren, Golfplätze und Apartments stehen,
war nichts. Nur Felder und ein paar Häuser.«
Doch dann setzte etwas ein, das der Wirtschaftsberater
Wekezer als »Explosion« bezeichnet und Gupta als »Entwick-
13
XXxxxxxxxx
Ut voluptum accatis etur
sam, quam, qui consequis et
ut utatur moluptu rehente
W E RT E / N ° 12 – 2015
ESSAY / RUBRI K XXX
Fitness Avenue
Einmal in der Woche
gehören die Straßen der
Stadt den Menschen.
Einkaufserlebnis
Ein Verkäufer präsentiert
sein riesiges Angebot an
Seidenstoffen für maßgeschneiderte Sari.
»Prognosen und
Erwartungen werden
hier immer weit
früher erreicht – und
noch übertroffen.«
VIKAS GUPTA, Municipal Corporation Gurgaon
14
lung revolutionären Ausmaßes« umschreibt: Aus rückständigem Ackerland wurde eine glitzernde Metropole für mehr als
1,5 Millionen Menschen. Einer Studie der Wirtschaftsberatung McKinsey zufolge weist Gurgaon das höchste Pro-KopfEinkommen Indiens aus. »Wir alle sind von der Entwicklung
überwältigt«, sagt Vikas Gupta. »Alle Prognosen und Erwartungen werden hier immer weit früher erreicht und meist
noch übertroffen.« Und ein Ende scheint nicht in Sicht. »Only
the sky is the limit« – nur der Himmel kann dem Fortschritt
Gurgaons Grenzen setzen.
»Die Entwicklung der Stadt belegt Indiens Fähigkeit, etwas
Außergewöhnliches auf die Beine zu stellen«, sagt Wekezer.
Der Wirtschaftsberater lebt seit zwei Jahren in Indien, vor
knapp einem Jahr hat er ein Büro in der Cyber City Gurgaons bezogen. Schaut er aus den riesigen Fenstern, blickt er
auf »das moderne Indien«. Fast lautlos schweben die Waggons
der »Rapid MetroRail Gurgaon« auf der knapp fünf Kilometer langen Strecke und verbinden die wohlhabenden Bezirke
Gurgaons miteinander. Der Bau kostete knapp 11 Milliarden
Rupien (etwa 170 Millionen Dollar) und ist Indiens erste vollkommen privat finanzierte Metrolinie. Selbst die Namen der
sechs Stationen wurden versteigert, und so pendeln täglich
32 000 Geschäftsleute zwischen den »Vodafone Belvedere Towers« und der »IndusInd Bank Cyber City«. Direkt hinter der
Station befindet sich das Indiens größtes Einkaufszentrum mit
300 Geschäften und Restaurants, die mit internationalen Delikatessen locken. Bis vor kurzem konnte man im Burger-Laden
»Johnny Rockets« sogar Büffelfleisch essen. Doch das hat die
Regierung inzwischen per Gesetz untersagt. Man misstraute
der Deklarierung – und Kühe sind für gläubige Hindus noch
immer heilig.
Vor allem Ausländer und die indische Ober- und Mittelschicht finden an Einrichtungen wie der Ambience Mall Gefallen. Allein im vergangenen Jahr kamen 14 Millionen Besucher.
»Es ist nicht nur ein Ort zum Einkaufen«, sagt Geschäftsführer
Vijav Aima. »Wir wollen, dass die Menschen hier ihre Freizeit verbringen.« Entsprechend vielfältig ist das Angebot in
der mehr als 80 000 Quadratmeter großen Mall: Im Spa kann
man sich ayurvedisch massieren lassen, im PVR die neuesten
Kinofilme anschauen, bei BMW sich ein neues Auto kaufen,
während die Kinder auf einem klimatisierten Spielplatz toben.
Wem das alles nicht reicht, der kann bei Außentemperaturen
von knapp unter 50 Grad im Sommer im sechsten Stock auf
Indiens erster Eislaufbahn Schlittschuh fahren – allerdings
erst nach zehn Uhr, da hier zuvor die indische Eishockeynationalmannschaft trainiert.
»Viele verbringen ihr gesamtes Wochenende bei uns«,
freut sich Vijav Aima. »Familien kommen mit Großeltern und
Kindern, um sich hier verwöhnen zu lassen. Einige putzen sich
eigens dafür heraus, ziehen teure Kleider an, die sie sonst nicht
tragen.« Auch Michael Wekezer ist begeistert. »Ich mag Indien. Aber wenn ich genug habe von Lärm, Stromausfällen und
defekten Wasserleitungen, fahre ich in die Ambience Mall. Für
uns Europäer herrscht dort ein Stück Normalität.«
Neha Yadav
liebt italiensche Mode und ihr iPhone.
Die PR-Beraterin bringt indische Stars
und westliche Marken zusammen.
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ESSAY / RUBRI K XXX
Elektroautos stehen
Besuchern für den einen
Kilometer langen Weg
durch die Konsumlandschaft
zur Verfügung.
Pizza wie in Italien – Student
Mithun jongliert mit dem Teig
und finanziert sich damit privaten Schauspielunterricht.
14 Millionen Besucher strömen jedes
Jahr durch Indiens größtes Einkaufszentrum. 46 000 Quadratmeter nimmt
hier allein der »Food Court« ein.
Disco on Ice im sechsten Stock. Auf
Indiens erster Eislaufbahn trainiert
auch die Eishockeynationalmannschaft.
Ausflug in die Ambience
Mall. Familien verbringen
ganze Tage hier, shoppen im
Designeroutlet für Kinder,
essen, spielen.
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W E RT E / N ° 12 – 2015
Sichere Wohnviertel
Praneeta Rajput bringt ihren
vierjährigen Sohn zur Schule.
Vater Nitendra gibt ihm abends
Unterricht an der E-Gitarre.
»Fließend Wasser,
Strom rund um
die Uhr und Sicherheit machen Gurgaon
lebenswert.«
NITENDRA RAJPUT, IBM-Manager
18
Sechs Kilometer von der Ambience Mall entfernt befindet
sich der Hamilton Court, eine Luxuswohnanlage aus sechs
Blöcken, je 25 Stockwerke hoch. Hier wohnt Nitendra Rajput
mit seiner Frau Praneeta und dem vierjährigen Samvit. Davor
lebte die Familie in Neu-Delhi, wo Nitendra als Manager bei
IBM arbeitet. In Gurgaon ist es ruhiger und sicherer, die Wohnungen sind größer, die Mieten niedriger, sagt Nitendra. Mit
seinen 4200 Quadratmetern Fläche zählt der Hamilton Court
zu den kleineren Wohnsiedlungen Gurgaons. Dennoch lässt
das Angebot, das Nitendra und seiner Familie zur Verfügung
steht, kaum Wünsche offen: Es gibt Basketball- und Tennisplätze, Badmintonfelder, eine Bücherei, ein Schwimmbad
und vieles mehr. Wenn Nitendra abends nach Hause kommt,
schaut er seinem Sohn beim Tennisunterricht zu, dann folgt
Posaunenunterricht, bevor Samvit – ganz indisch – noch ein
paar Bälle Cricket schlägt. Doch spricht man Nitendra auf die
Vorzüge der Wohnkolonie an, nennt er noch andere Aspekte:
fließend warmes Wasser, 24 Stunden Strom, eine regelmäßige
Müllabfuhr und Sicherheitspersonal, das am Eingang kontrolliert, wer den Hamilton Court betreten möchte.
Gurgaon ist zum Anziehungspunkt für Indiens Ober- und
Mittelschicht geworden. Sie arbeitet in den verglasten Bürotürmen internationaler Konzerne, wohnt in Luxussiedlungen
und amüsiert sich in vollklimatisierten Vergnügungspalästen.
Sie verfügt über das nötige Kleingeld, um öffentliche Dienstleistungen privat organisieren zu lassen. Wann immer man
aber die Einkaufszentren oder Wohnviertel verlässt, treten
L ÄNDERREPORT / I NDI EN
Gurgaons Probleme zutage: Schlaglöcher durchfressen öffentliche Straßen, Gehwege gibt es nur selten, am Rand türmen
sich leere Plastikflaschen, Tüten und sonstiger Müll.
»Alles, was von privater Hand organisiert wird, funktioniert. Was hingegen öffentlich bereitgestellt werden sollte, ist
in einem katastrophalen Zustand«, klagt Latika Thukral. Die
49 Jahre alte Inderin lebt seit 18 Jahren in Gurgaon und ist
schockiert vom Zustand mancher Straßenzüge. »Wir müssen
uns selbst einbringen und Lösungen suchen.« Als Managerin
reiste sie früher oft ins Ausland. »Wenn ich dann zurück nach
Indien gekommen bin, habe ich mich gefragt, warum wir das
nicht auch hinbekommen.« Bis zu jenem Tag im Jahr 2009, als
sie sich entschloss, eine zweite Karriere zu starten: Sie kündigte ihren gutbezahlten Job und gründete »I am Gurgaon«, die
erste Bürgerinitiative der Stadt. »Gurgaons Entwicklung vollzieht sich rasant. Entweder wir engagieren uns, oder das Land
und die Chancen sind weg.« Dank Latika Thukral und ihren
Mitstreitern gibt es nun jeden Sonntag in Gurgaon ein »Raahgiri« – einige Straßenzüge werden dann komplett für den Verkehr gesperrt, und bis zu 10 000 Menschen nutzen den neuen
Freiraum: Sie fahren Fahrrad, gehen spazieren, joggen, spielen
Badminton, breiten Yogamatten auf dem Boden aus oder bemalen mit bunten Farben den grauen Asphalt. »In dieser Zeit
holen wir uns die Straßen zurück«, sagt Thukral. Darüber hinaus plant sie zurzeit einen Park mit heimischen Pflanzen und
Bäumen. »Es soll ein Platz zum Entspannen werden.«
Gurgaon benötige dringend Initiativen wie »I am Gurgaon«, bestätigt Peter Hilliges. Aus Sicht des Direktors der
deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau in Indien besteht
die Stadt aus vielen privat organisierten Inseln. Der öffentliche
Raum dazwischen sei teilweise in schlechtem Zustand. Einige nennen die Stadt deshalb schon spöttisch »United States of
Gurgaon«. Was in Amerika einzelne Bundesstaaten betrifft,
sind in Gurgaon Geschäftsbezirke oder Wohnkolonien.
»Trotzdem ist Gurgaon für die Urbanisierung Indiens sehr
wichtig«, sagt Hilliges. Indiens Millionenstädte wie Neu-Delhi,
Bangalore oder Mumbai seien inzwischen mit den Anforderungen einer modernen Großstadt vollkommen überfordert,
weiß der Experte. Satellitenstädte wie Gurgaon könnten aus
Sicht des KfW-Direktors die Lösung sein. »Allerdings braucht
es dafür eine gezielte Städteplanung und deren Umsetzung.«
Die Gründung der Municipal Corporation Gurgaon sei ein
erster Schritt in diese Richtung gewesen. Nun müsse man die
entwickelten Konzepte auch umsetzen, um drängende Probleme beim öffentlichen Nahverkehr, bei der Stromversorgung,
der Abwasserwirtschaft und der Müllentsorgung zu lösen. Ansonsten hat Hilliges eine Befürchtung: Wenn jeder Sektor und
jeder Privatanbieter in Gurgaon eigene Lösungen entwickle,
führe das zwangsläufig zu einer Spaltung der Gesellschaft in
eine Gruppe derer, die sich private Dienste leisten können, und
in diejenigen, die vor den Shoppingmalls und Wohnkolonien
betteln müssen.
Auch hier bietet Gurgaon einen Blick auf Indiens Weg in
die Zukunft.
Zukunft im Blick
Wirtschaftsberater Michael Wekezer
schwärmt von Gurgaons Fortschritt,
mahnt aber auch zur Vorsicht.
Heilige Kühe
Tiere im Straßenbild zeugen davon, dass
die Millionenstadt Gurgaon vor kurzem
noch ein rückständiges Dorf war.
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W E R T E / N ° 12 – 2015
LÄ NDERREPORT / I NDI EN
16,1 Mrd.
sind jünger als 35 Jahre. Mehr als eine Million Menschen
drängen jeden Monat neu auf den Arbeitsmarkt. Sie wollen
Arbeit, Sicherheit und die Aussicht auf eine bessere Zukunft.
Gelingt dies nicht, könnte Indiens junge Bevölkerung mit der
hochgelobten »demographischen Dividende« schnell zum
demographischen Sprengsatz werden.
Das bilaterale Handelsvolumen
zwischen Deutschland und
Indien betrug in den Jahren
2013/14 ca. 16,1 Milliarden
Euro.
28 000
7,2 %
Bosch erwirtschaftet in Indien mit
seinen etwa 28 000 Mitarbeitern einen
Umsatz von 1,2 Milliarden Euro.
Der Internationale Währungsfonds erwartet
für Indien 2015 ein Wachstum von 7,2 Prozent.
Make
in India
Unter diesem Slogan
führ t Premier minister
Narendra Modi Indien
in die Zukunft.
TEXT MICHAEL RADUNSKI
— Christine Lagarde ist bekannt für ihre klaren Worte, sei
es gegenüber den Vereinigten Staaten oder jüngst gegenüber
dem europäischen Krisenstaat Griechenland. Als die Chefin
des Internationalen Währungsfonds Mitte März nach Indien
reiste, war man also auf harsche Kritik gefasst. Schließlich liegt
das Land im aktuellen Weltbank-Ranking zur Unternehmerfreundlichkeit von Staaten derzeit auf Platz 142 von 189 Ländern – und damit noch hinter Sierra Leone oder dem Jemen
und nur knapp vor dem Gazastreifen. Gut 50 Plätze weiter
vorne rangiert China, Deutschland steht auf Rang 13. Beim
Durchsetzen von Verträgen landet Indien sogar nur auf Platz
186 – ein Unternehmer braucht im Schnitt 27 Tage, um in
Delhi ein Geschäft zu eröffnen; im Stadtstaat Singapur gelingt
dies in nur zweieinhalb Tagen.
— Doch Lagardes Rede in Delhi fiel anders aus: »Indien ist
der Silberstreif am düsteren Horizont der globalen Wirtschaftssituation«, sagte die IWF-Chefin. Die Wirtschaft des
Subkontinents könne im laufenden Jahr um 7,2 Prozent wachsen – und damit den großen Rivalen China überholen. Die
internationale Agentur Fitch Ratings sieht das ähnlich. »Indien
ist das einzige BRIC-Land, in dem sich das Wachstum derart
beschleunigen wird, bis zu acht Prozent im Fiskaljahr 2016
und 8,3 Prozent im Fiskaljahr 2017«, heißt es im aktuellen
Bericht »Global Economic Outlook«.
— Es sind Prognosen, Wetten auf die Zukunft. Doch um diese einlösen zu können, muss die indische Regierung eine wahre Mammutaufgabe erledigen: das Steuersystem vereinfachen,
die ausufernde Bürokratie abbauen, Korruption bekämpfen
und die teils katastrophale Infrastruktur verbessern.
20
— Für all das ruhen die Hoffnungen auf einem Mann: Narendra Modi. Vor gut einem Jahr wurde der Spitzenpolitiker der
Bharatiya Janata Party (BJP) zum neuen Premierminister Indiens gewählt. In seiner Eindeutigkeit war es ein historisches
Ergebnis: Modis BJP errang 282 von 543 Sitzen im indischen
Unterhaus. Damit verfügt erstmals seit 1984 eine Partei über
eine absolute Mehrheit. Modi habe dadurch eine einmalige
Chance, sagt Rajeswari Rajagopalan vom Forschungsinstitut Observer Research Foundation in Delhi. »Erstmals seit
dreißig Jahren haben wir eine Regierung, die nicht unter dem
Zwang einer Koalition handeln muss.« Modi könne nun das
Land von Grund auf reformieren.
— Kritiker sehen in Modi jedoch nicht den großen Wirtschaftsreformer, sondern vielmehr einen Hindu-Nationalisten:
Der ehemalige Teeverkäufer begann seine politische Karriere
bei der rechtsextremen Organisation Rashtriya Swayamsevak
Sangh (RSS). Ginge es nach dem RSS, sollten sich Minderheiten wie Muslime, Sikhs und Christen in Indien einem
Hindu-Leitbild unterordnen. In Modis Zeit als Ministerpräsident des Bundesstaats Gujarat kam es zwischen Hindus und
Muslimen zu den schwersten Ausschreitungen in der jüngeren
indischen Geschichte.
— Doch Modi scheint sich gewandelt zu haben. Im Wahlkampf 2014 hat er sich das Image des Wirtschaftsreformers
und Modernisierers zugelegt. Sein Mantra lautet seitdem
»Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung«. Davon, so hält er
seinen Kritikern entgegen, würden alle Inder profitieren –
egal ob Hindus, Muslime oder Christen. Vor allem den jungen
Indern muss Modi eine Perspektive bieten: Fast zwei Drittel
— Narendra Modi wirbt deshalb intensiv um ausländische
Investitionen. Auf der Hannover Messe, der größten Industrieausstellung der Welt, mühte er sich mit der Kampagne
»Make in India« zögerliche Investoren zu überzeugen. »Make
in India« steht dabei für alles, was Indien herbeisehnt: mehr
Arbeitsplätze, weniger Investitionshürden, Aufbau der Industrie und Investitionen aus dem Ausland.
— Aus Sicht des deutschen Wirtschaftsberaters Michael Wekezer ist das ein Schritt in die richtige Richtung. »Die neue
Regierung hat erkannt, dass ausländische Investitionen keine
Bedrohung, sondern eine Chance für alle sind.« Allerdings
müsse man Indien Zeit geben, meint der in Gurgaon ansässige Anwalt der Nürnberger Beratungsgesellschaft Rödl &
Partner. Allein in Gurgaon haben sich bereits knapp hundert
deutsche Firmen angesiedelt, von Adidas über Bertelsmann
bis hin zu BMW, Fresenius, SAP und Siemens.
— Für Indien ist Deutschland schon heute der wichtigste
Handelspartner in Europa. Umgekehrt besteht hingegen
noch Luft nach oben: Hier liegt Indien lediglich auf Rang 25.
Das bilaterale Handelsvolumen betrug 2013/2014 insgesamt
16,1 Milliarden Euro. Aufgrund der großen Nachfrage nach
deutschen Investitionsgütern wie Maschinen, Metallwaren,
Chemie, Automobilen und Automobilteilen kam es zu einem
deutschen Handelsüberschuss von rund 3,4 Milliarden Euro
(2012/13). Der deutsche Autozulieferer und Technikkonzern
Bosch ist von den Chancen überzeugt. »Wir sehen Indien
nach einigen Jahren der Stagnation wieder sehr positiv«, sagt
Indien-Chef Steffen Berns. Indien sei ein attraktiver, stabiler
Wachstumsmarkt. Allein aus der lokalen Nachfrage ergebe
sich ein erhebliches Potenzial. 2013 machte Bosch in Indien
1,2 Milliarden Euro Umsatz. Der Konzern betreibt hier elf
Produktions- und sieben Entwicklungsstandorte und beschäftigt mehr als 28 000 Menschen in Indien.
— Manch ein indischer Politiker und Unternehmer wähnt
das Land schon als dritte Supermacht neben Amerika und
China. Vor allem im Hinblick auf China positioniert man
sich selbstbewusst als Alternativmodell zur chinesischen
Erziehungsdiktatur mit ihrem Einparteienstaat: Indien sei die
größte Demokratie der Welt mit einer freien Presse und
einer unabhängigen Justiz. Man biete innovatives Privatunternehmertum im Gegensatz zu Chinas Staatskapitalismus.
— In den Technologiezentren Bangalore und Hyderabad
sitzen mit Infosys und Wipro IT-Firmen, die bereits zur internationalen Spitzenklasse gehören. Vishal Sikka ist Vorstandsvorsitzender von Infosys, sein Unternehmen machte 2014
einen Umsatz von 8,25 Milliarden Dollar. Angesprochen auf
Narendra Modi reagiert Sikka begeistert. »Der Premierminister hat eine klare Vision von Innovation. Smart Cities und
21
W E R T E / N ° 12 – 2015
LÄ NDERREPORT / I NDI EN
1
smarte Infrastruktur sind für ihn Herzensangelegenheiten.«
Entsprechend sicherte Sikka unlängst zu, 250 Millionen Dollar
in Softwareentwicklung und -service zu investieren. Auch
im Bereich Hardware mischt Indien auf der internationalen
Bühne kräftig mit: Laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI ist Indien der größte Waffenimporteur
der Welt. Knapp 15 Prozent der weltweiten Rüstungseinkäufe
zwischen 2010 und 2014 wurden von Indien getätigt. »Indiens Importe sind inzwischen dreimal größer als die seiner
regionalen Rivalen China und Pakistan«, heißt es im aktuellen
SIPRI-Bericht. Im vorangegangenen Zeitraum 2005 bis 2009
lagen Indiens Rüstungseinkäufe noch 23 Prozent unter denen
Chinas. Zudem ist Indien Nuklearmacht und baut sein Arsenal
an Sprengköpfen kontinuierlich aus.
Indiens
Weg
nach oben
— Im vergangenen Jahr gelang ein weiterer Prestigeerfolg,
als das unbemannte Raumfahrzeug Mangalyaan wie geplant
in den Orbit des Planeten Mars eintrat. »Das ist ein Symbol
dafür, wozu wir fähig sind«, kommentierte Premierminister
Modi das Ereignis. »Die Vorzeichen sprachen allesamt gegen
uns. Doch wir haben das Unmögliche möglich gemacht.«
Indien trat damit einem erlesenen Club bei: Bislang gelang es
lediglich den Vereinigten Staaten, der damaligen Sowjetunion
und der Europäischen Weltraumorganisation ESA, zum Mars
zu fliegen. Für die Inder ist allerdings vor allem eines wichtig: Sie waren noch vor Japan und China dort. Die Japaner
scheiterten 1999, die Chinesen zuletzt 2012. Auch in der
internationalen Politik hat Indien Großes vor: In der Gruppe
der G4-Staaten strebt man an der Seite von Deutschland,
Brasilien und Japan einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat an.
— Doch es gibt auch die andere Seite Indiens: Jedes dritte
unterernährte Kind der Erde lebt hier. Gut zwei Drittel der
Inder müssen mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. Nur jeder Zweite hat Zugang zu einer Toilette, und
mehr als 25 Prozent können weder lesen noch schreiben.
Millionen Menschen auf dem Subkontinent leiden Hunger. Im
aktuellen Welthunger-Index liegt Indien auf Platz 55 von 76
Ländern, die Welthungerhilfe stuft die Lage als »ernst« ein.
Eine Fahrt aufs Land ist wie eine Reise in die Vergangenheit:
Noch immer arbeiten knapp 50 Prozent der Inder in der
Landwirtschaft, unter teils erbärmlichen Bedingungen und
fernab jeglicher Technisierung. In keinem Land der Welt bringt
das Wirtschaftswachstum so wenig für die Armen wie in
Indien, warnt Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen.
— Der Staat versucht mit umfassenden Programmen gegenzusteuern und die Ärmsten der Armen zu unterstützen:
Mitglieder armer Familien haben gesetzlich Anspruch auf
100 Tage bezahlte Arbeit im Jahr zu einem Tageslohn von
100 Rupien (ungefähr 1,40 Euro) – und in den Schulen auf
dem Land wird kostenloses Mittagessen verteilt. Doch viele
dieser Programme existieren leider nur auf dem Papier.
Häufig verschwindet das Geld, noch bevor es die wirklich
Bedürftigen erreicht.
— Auch die Stellung der Frau ist in vielen Teilen Indiens ein
großes Problem, nicht erst seit der brutalen Vergewaltigung
22
2
(1) Aufbruch in neue Sphären: Erfolgreicher
Start der indischen Mars Orbiter Mission.
Die Technik stammt aus Bangalore.
(2) Angela Merkel empfängt Narendra Modi
im April mit militärischen Ehren, der Premier
verspricht ein »noch wirtschaftsfreundlicheres Umfeld« in Indien zu schaffen.
einer jungen Studentin Ende 2012 in Delhi. Hinzu kommen
dramatische Umweltprobleme: Indiens Flüsse, so heilig sie
auch sein mögen, sind völlig verschmutzt. Delhi gilt derzeit
als Smoghauptstadt der Welt. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO ist die Luftverschmutzung in
der indischen Hauptstadt im Durchschnitt 16-mal höher als
der zumutbare WHO-Grenzwert. Das sei für Kleinkinder, als
würden sie jeden Tag zwei Zigaretten rauchen.
— Atomsprengköpfe und hungernde Familien, IT-Knotenpunkte und Analphabetismus, Marsmission und Smoghauptstadt – Indien ist ein Land voller Gegensätze, voller Chancen
und Herausforderungen. Der ehemalige UN-Untergeneralsekretär Shashi Tharoor bringt es auf den Punkt: »Indien hält
mit seinen Erfolgen und seinem Scheitern Lektionen für die
gesamte Menschheit bereit.«
Dr. Elke Speidel-Walz
über erste wichtige
Reformerfolge, die nächsten
Schritte und Chancen
für deutsche Investoren.
— Seit einem knappen Jahr ist eine Regierung in Neu-Delhi im
Amt, von der Großes erwartet wird: eine robustere Wirtschaftspolitik, weniger Investitionshürden, eine Eindämmung
der Inflation, geringere Staatsverschuldung und niedrigere
Leistungsbilanzdefizite, um die Abhängigkeit von Kapitalgebern
und Finanzmärkten zu reduzieren. Und die Regierung solle ausreichend Beschäftigung schaffen für die hohe Zahl junge Inder,
die in den nächsten Jahren auf den Arbeitsmarkt drängen wird.
— Trotz vieler Kritik am Tempo der Reformen ist Indien nach
einer Dekade des wirtschaftlichen Stillstands auf gutem Wege,
sein Potenzial besser auszuschöpfen. Einiges wurde bereits
erreicht. Die Rückführung der Inflationsrate und – noch wichtiger – der langfristigen Inflationserwartungen ist ein Erfolg der
Zentralbank, die zusammen mit der Regierung für eine neue
Wirtschaftspolitik einsteht. Der Fall des Ölpreises hat geholfen,
aber der Rückenwind wurde genutzt, um teure Energiesubventionen zu kürzen und damit dem Haushaltsbudget Mittel für
wachstumsfördernde Maßnahmen zu verschaffen.
— Hohe Infrastrukturinvestitionen im Eisenbahnbereich sind
jetzt möglich. Die Regierung hat bereits damit begonnen, die
stark ineffizienten Staatsmonopole aufzubrechen. Ein Schlüssel
ist die staatliche Eisenbahn, die mit einer Aufspaltung der Geschäftseinheiten und der Beteiligung ausländischer Investoren
vor ihrer größten Reform steht. Der Bergbausektor wird dank
neuer Gesetze für privates Engagement geöffnet. Und im März
wurde ein Gesetz verabschiedet, das de facto die Voraussetzung für eine Privatisierung des zweitgrößten Staatskonzerns,
Coal India, schafft.
Fotos: DIPP; Corbis(2); Deutsche Bank
— Auch die Fiskalreformen kommen voran. Zwar sah die im
Februar verabschiedete Budgetplanung weniger Rückführung
des Haushaltsdefizits als erwartet vor, dafür wurden langfristig effizienz- und wachstumsfördernde Budgetreformen
beschlossen. Der Großteil des Steueraufkommens geht nun
direkt an die Bundesstaaten. Diese können jetzt selbst über die
Verwendung der Mittel entscheiden, im Tausch gegen strikte
Ausgabelimits und eine zentralisierte Steuererhebung. Die neu
eingeführte autonome Gestaltung der Staatsausgaben dürfte
zu einem Wettbewerb der Bundesländer untereinander führen
und Anreize für eine wirtschaftlich sinnvolle Verwendung der
Finanzmittel liefern. Ein Fokus der Reformen liegt auf der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der indischen Industrie.
— Aufgrund der rasch wachsenden jungen Bevölkerung und
der entsprechend dringend notwendigen Schaffung neuer
Arbeitsplätze muss die indische Regierung den Industriesektor
wettbewerbsfähiger machen. Ein Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik ist deswegen die »Make in India«-Initiative. Ziel ist es,
den Anteil Indiens an den Weltexporten in den nächsten fünf
Jahren von knapp zwei auf 3,5 Prozent zu erhöhen. Um dies
zu erreichen, liegt der Fokus auf Deregulierung und Liberalisierung, Freihandelsabkommen mit anderen Regionen und einer
Diversifikation der Exportstruktur.
— Die steigende Bedeutung Indiens als Investitions- und
Produktionsstandort für deutsche Unternehmen zeigte sich
auch auf der Hannover Messe: Vor allem Unternehmen der
Bereiche Biotechnologie, Energie, IT und Gesundheit haben
Chancen. Auch die geplanten Infrastrukturprojekte der neuen
Regierung machen Hoffnung auf deutsche Beteiligung: So sollen
in 50 indischen Städten Straßenbahnen gebaut werden, hinzu
kommen Strecken für Hochgeschwindigkeitszüge. Deutschland
ist bislang nur der achtgrößte Investor in Indien – die Wirtschaftsbeziehungen sind also noch lange nicht ausgeschöpft.
Fazit: Die neue Regierung hat bereits Erfolge erzielt. Weitere Reformen dürften aber noch anstehen. Die indische
Wirtschaft ist auf dem besten Wege, in den nächsten fünf
Jahren eine Wachstumsrate von sieben bis acht Prozent per
anno zu erreichen und damit dann zu den am schnellsten
wachsenden Ländern der Welt zu gehören. Dieses Wachstumstempo dürfte auch der rasch wachsenden Bevölkerung
Wohlstandssteigerungen bescheren.
DR. ELKE SPEIDEL-WALZ
Chief Economist Emerging Markets
Tel: +49 (0)69 91031741
E-Mail: [email protected]
23
WERTE-GES PRÄCH / FAMI LI E R I EGEL
WERTE -Gespräch mit Hans-Jürgen, Dorett, Hans-Michael
und Melanie Riegel über Excellence in der Medizin
und der Wir tschaft sowie über Familienwer te und Glück.
GESPRÄCH ERNA LACKNER
FOTO KONRAD R. MÜLLER
»Melanie Riegel, Ihre Heilung war der
Anlass für die Gründung der Stiftung
Lichterzellen. Sie strahlen heute
geradezu vor Lebensfreude – hat
die Erkrankung im Rückblick für Sie
auch Gutes gebracht?«
Melanie Riegel: Ja, sehr viel! Klar, es waren schwere Zeiten,
die Ungewissheit, die Lebensbedrohung, Chemo, immunsuppressive Therapien, Transplantation, das Abwarten. Nach
dieser Auszeit lebe ich heute intensiver, habe einen Blick entwickelt für das kleine Glück. Man wird im Alltag aufmerksamer, braucht nicht immer den nächsten Kauf, den nächsten
Termin, damit man glücklich ist. Es ist alles geschenkte Zeit,
wir nehmen die schönen Sachen, die uns umgeben, oft gar
nicht wahr.
Michael, Sie waren der Knochenmarkspender. Ihre Bilanz?
Hans-Michael Riegel: Ich kenne keinen Menschen, der glücklicher ist als Melanie heute, und sie teilt dieses Glück auch mit
anderen. Und ja, auch ich habe einen Reifeprozess durchlebt,
bin mir heute bewusst, dass es ein Glück ist, auf der Erde sein
zu dürfen.
FAMILIE RIEGEL
Hans-Jürgen und Dorett,
ihre Kinder Hans-Michael
und Melanie Riegel.
30
Herr Riegel, eine schwere Erkrankung ist für alle in der Familie
eine Herausforderung?
Hans-Jürgen Riegel: Die Perspektiven verschieben sich komplett. Alles war im Fluss, jeder wusste, was er zu machen hat,
kümmerte sich um Business oder Uni, und dann kommen die
Nachrichten, mir geht es nicht gut, ich bin schon beim Treppensteigen so schwach. Wir haben das zunächst auf den Arbeitseinsatz im Studium geschoben, aber dann mit den roten
Pünktchen auf der Haut ging Melanie doch zum Arzt, und das
Blutbild passte hinten und vorne nicht. Schließlich die erste
Diagnose in Frankreich: PNH, Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie. Wir haben uns zuerst noch freudig angeschaut,
endlich wussten wir, was es ist, und glaubten, mit etwas Medizin ist alles wieder im Lot! Aber beim Googeln im Internet
wurde es dramatisch: Unsere Tochter habe mit der Diagnose
dieser genetischen Blutkrankheit nur noch eine gewisse Anzahl von Jahren zu leben. Damit war alles anders. Der Zusammenhalt der Familie war dann ein Gewinn. Jeder von uns hat
das erfüllt, was er am besten kann.
Was war das?
Hans-Jürgen Riegel: Mein Part war die Recherche, ich habe
Meinungen eingeholt, Ärzte und Zentren gesucht. Schließlich sind wir in Aachen gelandet, bei Dr. Panse und Professor
Brümmendorf im Universitätsklinikum. Sie waren erst mal
sehr menschlich und für einen da, schon das hat mir gefallen!
Ich habe alles abgescannt, was medizinisch möglich ist. Meine
Frau war für den Herzenspart zuständig, sie hat uns alle immer wieder positiv gestimmt.
Bei den heutigen Möglichkeiten der Medizin – mit Gentherapien oder Knochenmarkspenden –, ist es gut, wenn man Geschwister hat?
Melanie Riegel: Ja, stimmt! Die Chance für eine passende Knochenmarkspende liegt bei eins zu vier.
31
W E RT E / N ° 12 – 2015
»Anderen zuhören,
gegenseitiger Respekt –
das sind alltägliche Werte,
die ich in unserer
Gesellschaft vermisse.«
HANS-JÜRGEN RIEGEL
Hans-Michael Riegel: Wenn Melanie nicht erkrankt wäre, hätte ich nie daran gedacht, Knochenmarkspender zu werden. So
geht es wahrscheinlich vielen Leuten, man hat nicht im Kopf,
sich typisieren zu lassen oder Blut zu spenden. Dabei kostet
es nichts. Jeder investiert bei der Knochenmarkentnahme nur
einen Tag – und kann dadurch ein Menschenleben retten.
Sensibilisieren Krankheiten, generiert Leid so etwas wie eine
soziale Ader?
Melanie Riegel: Auf jeden Fall! Wir haben in der Familie dafür
auch davor ein Auge gehabt, aber wenn man das selbst erlebt,
versteht man kranke Menschen viel direkter, weiß genauer,
wie man ihnen Gutes tun kann. Auch Worte können heilen!
Und wenn Patienten auch noch das gleiche Leiden haben,
schweißt das schon sehr zusammen.
Aus der sozialen Verbundenheit heraus hat sich schließlich die
Stiftung ergeben?
Hans-Jürgen Riegel: Wir hatten in allen Phasen sehr viel Glück.
Dass die seltene Krankheit früh diagnostiziert wurde, dass
wir zu den Ärzten in Aachen kamen, dass Hans-Michael als
Spender passte, dass das Transplantationsinstitut in Marseille
hervorragend arbeitete, dass das Knochenmark gut angenommen wurde. Wir haben damals geschworen, uns bedanken zu
wollen. Schließlich wurde es eine gemeinnützige Stiftung, ein
Familienprojekt zusammen mit den Ärzten in Aachen und einer weiteren, überaus engagierten Patientin.
Neben der Forschung zu den Blutkrankheiten PNH und AA
(Aplastische Anämie) wollen Sie auch die Information darüber
befördern. Hilft das Reden über die Krankheit?
Melanie Riegel: Ja, denn die Problematik bei diesen seltenen
Erkrankungen liegt auch in der Unsichtbarkeit. Das Umfeld
hat kein Verständnis dafür, weil man ja nichts sieht, die Krankheit gar nicht kennt. Auch ich habe an der Uni vergeblich um
Nachsicht gebeten. Jetzt, durch die Öffentlichkeitsarbeit der
Stiftung, bekommen wir immer wieder E-Mails, in denen
steht: Endlich haben meine Freunde Verständnis, endlich hat
meine Krankheit Berechtigung!
32
Hans-Jürgen Riegel: Auch Ärzte kennen die Krankheit oft
nicht. Unsere Stiftung berichtet möglichst viel über die
Krankheit, damit auch Ärzte diesen Reflex haben: Moment,
das könnte PNH/AA sein!
Was ist für Sie ein guter Arzt?
Melanie Riegel: Dass er dem Patienten zuhört, ist wichtig. Er
soll mir die Krankheit erklären können und mir das Gefühl
geben, an meiner Seite zu stehen. Es ist oft nur ein Satz, der
alles verändern kann. Ärzte haben oft wenig Zeit – aber im
Prinzip ist diese Zeit nie verloren.
Dorett Riegel: Der Arzt muss zu Beginn wenigstens einmal
viel Zeit haben. Damit bekommt der Patient ein Gefühl für
das Ganze, für den Weg, der bevorsteht.
Melanie Riegel: Der Arzt ist so etwas wie ein Kooperationspartner. Der Patient sitzt im Schiff, der Arzt begleitet ihn vom
Beiboot aus. Und er gibt einem auch Tipps, medizinische Werte selbst zu überwachen, damit man zu Hause nicht immer so
hilflos und unsicher ist. So viel Unabhängigkeit wie möglich
ist für den Patienten ein Weg zurück zur Normalität.
Es gibt 6000 seltene Krankheiten. Die Pharmaindustrie forscht
vorrangig im Bereich weitverbreiteter Krankheiten. Ist das
ethisch richtig?
Hans-Jürgen Riegel: Eine ketzerische Frage. Da sind zwei Seelen in meiner Brust. Natürlich stehen seltene Krankheiten
hintenan, denn die Pharmaindustrie muss sich ja selbst ernähren. Deswegen habe ich auch Verständnis dafür, dass sie
sich Märkte sucht, wo Geld verdient werden kann – das dann
in die Wissenschaft gehen kann. Wenn die Pharmaindustrie
sozial tätig sein soll, müssten wir sie auch sozial stützen und
mit einem Obolus oder Geldpäckchen versehen für Krankheiten, die nur kleine Gruppen bedienen.
Ein solches Päckchen schnüren Sie nun?
Hans-Jürgen Riegel: Wir arbeiten daran. Wir wollen Spenden
einsammeln, um Initiativen zu setzen. Im Moment steht das
Projekt der Telomerlängenmessung1 im Vordergrund, das helfen soll, Patienten Leidenszeiten durch unnütze Medikamente
zu ersparen – und damit auch den Krankenkassen Kosten.
Melanie, Sie verdanken der modernen westlichen Medizin Ihr
Leben. Dennoch beschäftigen Sie sich jetzt mit der traditionellen chinesischen Medizin. Warum?
Melanie Riegel: Kräutermischungen und eine spezielle Ernährung haben mich auf meinem Krankheitsweg zeitweise energetisch gestärkt. Die Chinesen haben dieses über Jahrtausende entstandene Pflanzenwissen, und es ist schade, dass man
dieses Wissen bis heute hier wenig nutzt. Das Beste wäre, die
ganze Bandbreite der Medizin auszuschöpfen.
Herr Riegel, warum sind Sie 1988 nach Frankreich gegangen?
Hans-Jürgen Riegel: Da hatte ich keine große Wahl, das ist von
1
Die Telomerlängenmessung ist eine spezielle Blutuntersuchung zur Identifizierung von Patienten,
die auf eine immunsupressive Therapie mit ATG und Cyclosporin nicht ansprechen.
WERTE-GES PRÄCH / FAMI LI E R I EGEL
unserer höchsten Geschäftsleitung, meinem Vater und meinem Onkel, so entschieden worden. Der Vorstandsvorsitzende von Haribo in Frankreich ging in den Ruhestand. Ich war
jung, habe es als Herausforderung angesehen, und mit meiner
Frau ging es mit dem Auto nach Frankreich, im September
1988. Es war eine prima Zeit, die wir in Südfrankreich hatten.
Lebt Gott in Frankreich?
Hans-Jürgen Riegel: Inzwischen hat sich unser Lebensmittelpunkt wieder ins Rheinland verlagert, aber ich genieße die Besuche in der zweiten Heimat. Frankreich war bereichernd, kulinarisch habe ich eine Vorliebe für strengen Käse entwickelt,
dazu die Liebe zum entsprechenden Wein. Der Sonnenschein,
das Meer, das Festival d’Aix, alles wunderschön – aber ich
muss auch sagen: Der liebe Gott könnte ebenfalls am Rhein
leben, hier am Siebengebirge, mit viel Natur und nahe zu den
Städten Köln und Bonn. Auch den Menschenschlag finde ich
vergleichbar, Rheinländer und Südfranzosen lachen gern, es
sind freudige Völkchen.
Und die Frage an den Unternehmer: Wo ist Excellence in
Frankreich, wo Kompetenz in Deutschland?
Hans-Jürgen Riegel: Unternehmerisch betrachtet, ist Frankreich ein eher unschöner Standort. 1988 gingen Frankreich
und Deutschland wirtschaftlich noch im Gleichschritt, mittlerweile hat sich eine erhebliche Schere entwickelt. Die steuerlichen Bedingungen sind hemmend, insbesondere für kleine und junge Unternehmen haben sich die Voraussetzungen
verschlechtert, auch was Personal und soziale Dinge angeht.
Frankreich ist nach wie vor ein streikfreudiges Land; aber das
hat auch in Deutschland zugenommen. Schade. Von unserem
Familienunternehmen her kenne ich das kaum. Tatsächlich ist
es doch das Beste, mit der Arbeitnehmerschaft Hand in Hand
zu arbeiten. Ich bin ein großer Verfechter von Familienunternehmen, wie sie die deutsche Wirtschaft prägen.
Was zeichnet Familienunternehmen aus?
Hans-Jürgen Riegel: Dass sich Familien mit einbringen können,
dass der Unternehmer eine gewisse Nähe zu den Mitarbeitern
hat, dass es kurze Entscheidungswege gibt, dass man kooperativ zusammenarbeitet, dass nicht konzernartig verwaltet wird
und man für jeden Bleistift, der herausgegeben wird, eine Unterschrift abzugeben hat, dass man pragmatisch arbeitet – all
das sind für mich Attribute eines Familienunternehmens.
Ihr Großvater, der das Bonner Süßwarenunternehmen gründete, hat den Goldbären schon 1924 erfunden, auch den Slogan
»Haribo macht Kinder froh«. Was ist das Erfolgsgeheimnis?
Hans-Jürgen Riegel: Ich bin fest davon überzeugt, dass es diese
Beständigkeit an Qualität zu einem vernünftigen Preis ist, die
Haribo so groß gemacht hat. Diese Philosophie hatte schon
der Großvater. Vater und Onkel pflegten sie weiter, und das
macht auch das heutige Management.
Herr Riegel, was würden Sie als ein europäischer Bundeskanzler wirtschaftspolitisch schaffen?
Hans-Jürgen Riegel: Die Voraussetzungen, um die Wirtschaft
am Laufen zu halten. Nur in diesem Fall haben wir Beschäftigung und das steuerliche Aufkommen für einen ausgeglichenen Haushalt. Gott sei Dank sind wir derzeit in Deutschland auf einem guten Weg. Steuerliche starke Belastungen
bremsen oftmals einen Teil der Wirtschaft ab, man muss da
räsonabel bleiben. Ich würde das Steuersystem möglichst einfach gestalten wollen. Ob man wieder zurück zum Zehntel,
zum Zehent wie im Mittelalter kommt, weiß ich nicht – das
wird wohl nicht mehr reichen. Ein anderes wichtiges Anliegen
wäre mir: viel Transparenz zu schaffen.
Was bedeutet Ihnen allen der Wert Dankbarkeit?
Melanie Riegel: Dankbarkeit ist etwas Schönes. Und eine
enorm wichtige Einstellung. Man kann für so vieles dankbar
sein – dass man eine Familie hat, eine funktionierende Ehe,
Freunde und dass man jeden Tag neu erleben kann.
Dorett Riegel: Die Dankbarkeit im Detail gehört zu den Werten, die einem von klein auf vermittelt werden sollen und die
man weitergeben soll an die nächste Generation. Dankbarkeit
ist ein Bewusstsein, das das Leben sehr viel reicher macht.
Hans-Jürgen Riegel: Ich möchte auch noch einen Wert nennen, der in unserer Gesellschaft mehr zählen sollte: Dies ist
der gegenseitige Respekt. Dazu gehört, dass man jemanden
anlächelt, auch mal »Guten Morgen!« oder »Auf Wiedersehen!« sagt, kleine Worte. Anderen zuhören, sich selbst einmal
kritisch prüfen. Das sind alltägliche Werte, die ich in unserer Ellenbogengesellschaft oft vermisse. Es gibt immer mehr
Menschen, die das Einfache nicht mehr beherzigen. Wenn wir
das ändern könnten, würden die Leute wieder ein bisschen
herzlicher und netter miteinander umgehen.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
FAMILIE RIEGEL UND DIE
STIFTUNG LICHTERZELLEN
Die im Jahr 2013 gegründete Stiftung entstand, nachdem
Melanie Riegel an den äußerst seltenen Krankheiten
Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)
und Aplastische Anämie (AA) erkrankte. Dabei stellte die
Familie schnell fest, dass auch viele Ärzte die Krankheit
und ihren Verlauf nicht kannten. Die Stiftung
Lichterzellen will PNH/AA bekannter machen, Ärzte
sensibilisieren, die Forschung finanziell unterstützen und
Patienten zur Seite stehen. www.lichterzellen.de
33
W E R T E / N ° 12 – 2015
Brahma, hinduistischer Gott der
Schöpfung, hält den Wachstumsmotor
Indiens ohne Pause am Laufen.
STRATEG IEN & MÄRKTE / DR. ASOK A WÖH RMANN
Die Welt blickt auf
die Entwicklung
Chinas und Indiens.
Asoka Wöhrmann
bewer tet den Konkurrenzkampf der
Giganten aus
Investmentsicht.
— China und Indien gleichen einem
zweieiigen Zwillingspaar. Primärmerkmale wie Größe und Entwicklungsstadium stimmen weitgehend überein,
Sekundärmerkmale wie Charakter
und Konstitution weisen Unterschiede
auf. Aus Investorensicht gefallen uns
derzeit beide Länder. Allerdings hat
dies im Falle Chinas weniger mit den
Fundamentaldaten zu tun. Vielmehr
erfreut Peking den Markt mit Zinsund Reservesatzsenkungen und heizt
zudem das Feuer durch die stärkere
Vernetzung seiner Börsen an. Damit
könnte zumindest ein Teil der Euphorie
der Shanghaier Anleger – sie zahlen für
Industrie- und Konsumwerte im Schnitt
ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von
40 – auf die konservativeren Aktionäre
der Hongkonger Börse überschwappen.
Nach Immobilien- und Schattenbankenblase droht nun also in Chinas Innerem
wieder eine Aktienblase. Indiens Aktienrally hingegen fußt unserer Meinung
nach auf einem strukturell nachhaltigeren Wirtschaftswachstum.
»Chindia«
und der Wettlauf
der Giganten
ILLUSTRATION JELKA LERCHE
34
— Zurück zu den Gemeinsamkeiten:
Beide Länder werden aufgrund ihrer
langfristigen Wachstumsperspektiven
seit Jahren von jedem Vermögensberater als Portfoliobeimischung empfohlen.
Nicht zu Unrecht. Seit 1979 hat sich
der indische Sensex verzweihundertzwanzigfacht, der Hongkonger
Hangseng sich rund verfünfzigfacht,
und die A-Aktien der Börse Shanghai
haben sich seit Indexgründung 1992
fast verfünfzehnfacht. Zugegeben,
inflations- und/oder währungsbereinigt
sehen diese Zahlen weniger imposant
aus. Allein in den vergangenen drei
Jahren hat Indiens Währung rund ein
Viertel an Wert verloren. Und natürlich
hat es an den Börsen zwischendurch auch
mal richtig gekracht. Investoren mit einem
kurzfristigen Ansatz hatten also bereits
genügend Gelegenheit, sich hier ordentlich
die Finger zu verbrennen. Droht dies nun
nach vierjähriger Rally erneut?
— Unbenommen kurzfristiger Korrekturen
veranschaulichen folgende Kennzahlen die
Attraktivität der Länder aus Aktionärssicht:
In Indien entspricht die Marktkapitalisierung
21 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in
China 42 Prozent. Misst man das BIP nicht
nach offiziellem Wechselkurs, sondern nach
Kaufkraftparität, sind es 76 und 72 Prozent.
In den USA liegt der Quotient jedoch bei
satten 140 Prozent. Ob diese 140 Prozent ein gesunder Maßstab sind oder eine
Überbewertung implizieren, mag jeder
selbst entscheiden. Eindeutiger sieht es bei
der Marktkapitalisierung pro Einwohner aus:
In Indien sind es 1250 Dollar pro Kopf, in
China 5500 Dollar und in den USA 75 000
Dollar. Hier steckt, im wahrsten Sinne, die
Phantasie dieser beiden Länder. Zwar kann
es noch Jahre oder Jahrzehnte dauern,
diese Lücken zu schließen, aber das Jahr
2015 wird seinen Beitrag dazu schon mal
liefern. Wir schätzen für die USA ein BIPWachstum von 3,2 Prozent, für Indien 7,5
Prozent und für China 6,8 Prozent. Damit
wird Indien zum ersten Mal seit langer Zeit
China beim Wachstum überflügeln.
— Hier kreuzen sich nicht nur die Wachstumsraten, sondern auch Unterschiede und
Gemeinsamkeiten. Einerseits hinkt Indien
China beim Aufbau der Infrastruktur und Industrie teils um Jahrzehnte hinterher. Während China von 1999 bis 2014 im Schnitt
43,5 Prozent des BIP investierte, waren es
in Indien 31,9 Prozent. Dafür hätte China
gern Indiens höheren Privatkonsumanteil
(57 Prozent vom BIP versus 37 Prozent),
möchte es sich doch von seinem »Investieren-um-zu-exportieren-Modell« langsam
verabschieden. Indiens geringe Investitionstätigkeit führt auch dazu, dass es noch
Pulver zu verschießen hat: Mit 120 Prozent
vom BIP ist Indien nur etwa halb so hoch
verschuldet wie China. Alarmierender noch
als das absolute Schuldenniveau Chinas ist
die Geschwindigkeit, mit der dieses aufgebaut wurde, da diese Dynamik bereits viele
Länder ins Straucheln brachte: Seit dem Jahr
2000 hat sich der Schuldenanteil am BIP
fast verdoppelt. In Indien hingegen wuchs
er nur um rund ein Viertel. Damit ergibt
sich ein ähnliches Bild wie beim Vergleich
Foto: xxxxxxxxx
von BIP-Wachstum und Investitionsquote:
Indien setzt seine Mittel effizienter ein. Das
muss es aber auch, da es anders als China
seit Jahren mit einem Leistungsbilanzdefizit
kämpft, also auf ausländische Geldspritzen
angewiesen ist. Diese Gelder dürften allerdings auch künftig reichlich fließen. Dem seit
Mai 2014 amtierenden Ministerpräsidenten
Narendra Modi sind dank seines Reformprogramms die Sympathien internationaler
Investoren sicher. Ob Land-, Steuer- oder
Arbeitsmarktreform, der Kampf gegen
Korruption oder das Infrastrukturprogramm: Modi packt vieles an, was Indien
seit Jahrzehnten hindert, sein Potenzial
auszuschöpfen. Sicher wird er dabei auch
Rückschläge erleiden und auf Widerstand
bisheriger Systemprofiteure stoßen. Doch
er kann auf den Rückhalt eines Großteils
der Bevölkerung und des Auslands setzen.
Zudem profitiert Modi vom Rückenwind
des billigen Öls und dem geldpolitischen
Spielraum (der Leitzins liegt derzeit bei
7,5 Prozent). Indiens wichtigstes Ass bleibt
allerdings seine Bevölkerungsstruktur: Fast
die Hälfte der Inder ist jünger als 24 Jahre.
In China, das seit 2011 mit einem Rückgang
der erwerbsfähigen Bevölkerung kämpft,
sind es 32 Prozent. Vor diesem Hintergrund
wirken Chinas Wachstumszahlen umso
erstaunlicher. Nicht nur wächst das Land
seit einem Vierteljahrhundert mit acht
bis 14 Prozent pro Jahr, darüber hinaus
vermögen es Pekings weise Lenker auch
stets, das Wachstum mit hoher Präzision
Monate im Voraus festzustellen. Die Skepsis
diesbezüglich ist bekannt. Es reicht ein Blick
auf die Quartalsergebnisse der notierten
Unternehmen, um am Zahlenwerk zu zwei-
feln. Solange China mit über acht Prozent
wuchs, konnte man darüber schmunzeln.
Doch dieses Jahr könnte das Wachstum
unter sieben Prozent bleiben, und dass
es mittelfristig Richtung fünf Prozent geht,
sollte man nicht ausschließen. Geschönte
Zahlen dürften dann im In- und Ausland mit
weniger Gleichmut aufgenommen werden.
Die Frage, wie Chinas Bevölkerung reagiert,
wenn die wirtschaftspolitische Neuausrichtung zu höherer Arbeitslosigkeit oder
geringeren Lohnsteigerungen führt, dürfte
auch Pekings Machthaber umtreiben.
— Womit wir beim größten Unterschied
wären: Während Indien die größte Demokratie der Welt ist, behauptet sich China
als größte Nicht-Demokratie. Das mögen
viele Investoren mit erstaunlicher Nonchalance ignorieren und damit Gefahren
ausblenden, die sich daraus ergeben, dass
China keine freien Wahlen, unabhängigen
Gerichte, keine Meinungsfreiheit kennt. Ob
das Volk seine staatstragende Ruhe behält,
wenn der zu verteilende Kuchen kleiner
wird und Probleme wie Umweltverschmutzung, fehlende soziale Sicherungssysteme
und hoher Verschuldungsgrad unbewältigt
bleiben, ist fraglich. Es wäre zweifelsohne zu
wünschen, dass die kommunistische Avantgarde das schafft. Allein schon, weil China
im vergangenen Jahr dreizehn Prozent zum
globalen GDP beigetragen hat. Ein Prozent
weniger Wachstum hier müsste der Zwilling
Indien mit fünf Prozent mehr Wachstum
kompensieren. Aber zugegeben, seit Deng
Xiaopings Reform im Jahr 1978 haben
Pekings Funktionäre ja schon überraschend
viel hinbekommen.
DR. ASOKA
WÖHRMANN
Chief Investment Officer,
Deutsche Asset &
Wealth Management
Tel.: +49 (0)69 9101-8500
35
W E R T E / N ° 12 – 2015
WERTE-G ESPRÄCH / B ERNH ARD LANGER
EINE GOLFRUNDE MIT BERNHARD LANGER
»Es gibt
nichts
Besseres,
als zu
siegen«
Bernhard Langer ist
der beste deutsche Golfer
aller Zeiten. WERTE-Autor
Hans Borcher t begab
sich mit ihm auf eine Runde
über 18 Löcher –
jedem widmete er ein
Thema. So entstand ein
exklusives Gespräch
über Excellence im Spor t,
Demut, Erfolg, Familie
und wahre Vorbilder.
56
Foto: Stefan von Stengel für Golf Magazin
57
W E RT E / N ° 12 – 2015
Der Augusta National Golf
Club ist eine der anspruchsvollsten Anlagen der USA und
jährlicher Austragungsort der
US-Masters. Bernhard Langer
ist der einzige Deutsche, der
je die US-Masters gewonnen hat, und das auch gleich
zweimal – 1985 und 1993. Die
Löcher des Clubs tragen die
Namen von Pflanzen, zum Beispiel Tea Olive, Magnolia oder
Flowering Crabapple.
USA
Georgia
1.
Tea Olive: 445 Yards / Par 4
Demut
»Dazu eine Geschichte, sie erklärt alles: Ich weiß noch, als ich
das erste Mal ein großes Turnier angeführt habe. Damals war
ich neunzehn Jahre alt und habe vor den letzten neun Löchern
mit zwei Schlägen geführt. Ich stand also auf dem Abschlag
von Bahn 10 und überlegte, was ich bei der Preisverleihung
sagen würde, denn eine Rede hatte ich nie zuvor gehalten.
Und dann überlegte ich, was ich mit dem vielen Geld des Siegerschecks wohl machen würde. Nur drei Löcher später lag
ich nicht mehr in Führung. Es war eine Lektion fürs Leben.
Sie lautet: Beim Golf kann man es sich gar nicht leisten, von
sich selbst so eingenommen zu sein, dass man glaubt: ›Ich bin
der Allerbeste, der Allergrößte, und ich schlage jeden an jedem
Tag.‹ Das gab es nie, wird es auch nie geben, und wann immer
du abzuheben drohst, wird das Spiel dich wieder auf die Erde
zurückbringen. Es lehrt dich, eigene Stärken und Schwächen
zu erkennen, sie zu akzeptieren, daran zu arbeiten und einzig
den Moment zu leben: Konzentriere dich auf das, was gerade
das Wichtigste ist, und das ist immer der nächste Schlag.«
2.
Pink Dogwood: 575 Yards / Par 5
Spielerische Klasse
»Vierzig Jahre sind eine lange Zeit, und natürlich war ich zu
Beginn meiner Profilaufbahn nicht gleich in der Weltspitze.
Den Ansporn aber, mich dort zu etablieren und zu halten, hatte
58
WERTE-G ESPRÄCH / B ERNH ARD LANGER
ich immer. Rückblickend schätze ich mich glücklich, das über
Jahrzehnte hinweg und bis auf den heutigen Tag geschafft zu
haben. Die Summe aller Erfolge ist Teil meiner Persönlichkeit,
die ich auf den Platz bringe, ist meine Selbstsicherheit und das
Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Der Gedanke ›Du
kannst es!‹ verlässt mich so gut wie nie. Und doch gibt es Momente des Zweifels. Das ist eben Golf: Es geht um Millimeter.
Beim Anstellen des Schlägerblatts, beim Einlochen des Balls.
Es sind nur Nuancen, aber sie sind entscheidend. Obwohl ich
über einen großen Erfahrungsschatz verfüge – sowohl in der
Spieltechnik mit all ihren möglichen Schlagvarianten und unterschiedlichen Wettkampfsituationen als auch den Anforderungen im mentalen Bereich –, gelingt Höchstleistung nicht
an jedem Loch oder bei jedem Schlag. Ebenso wenig übrigens
wie Platz 1 bei jedem Turnier. Zwei Masters-Siege und fast
hundert Titel weltweit sind sicher eine herausragende Bilanz,
dennoch habe ich nie die British Open gewonnen, nicht die
US-Open, auch nicht die PGA-Championship. Und wer nun
fragt, hast du alles erreicht, dem sage ich: Alles erreicht man
nie. Es gibt immer noch mehr, was man erreichen könnte.«
3.
Flowering Peach: 350 Yards / Par 4
Dieser Wesenszug wurde mir neben manch anderer Fähigkeit
in die Wiege gelegt und erscheint mir als göttliches Geschenk.
Jedem Menschen werden bestimmte Gaben zuteil, und es liegt
an ihm, sie zu entwickeln – das ist meine Überzeugung als
Christ. Talent nutzt wenig, wenn man sich auf die faule Haut
legt und denkt: Du brauchst nicht viel tun. Die Bibel sagt: ›Du
musst arbeiten.‹ So habe ich es immer gehalten und glaube,
ich habe dabei mein Potenzial weitestgehend ausgeschöpft.
Ehrgeiz also: Ja! Unbedingtes Wollen: Ganz sicher!«
4.
Flowering Crabapple: 240 Yards / Par 3
ich sofort die Schwierigkeiten in der Naturschönheit. Mein
Blick registriert Bunker und Wasserhindernisse, er schätzt die
Länge der Bahn ab und speichert die Tücken, die Hindernisse
der Anlage. Immer verbunden übrigens mit der Frage: Warum
hat der Architekt dieses oder jenes Loch wohl so geplant, und
wie stelle ich mich als Spieler darauf ein. Ein weiterer Aspekt
ist das Spiel selbst. Es gibt darin Momente reinster physischer
und psychischer Harmonie. Sie sind rar, aber es gibt sie. Dann
hat man einen Lauf, ist – wie wir sagen – ›in the zone‹. Das
Gefühl ist schwer zu erklären: Nichts stört, nichts lenkt ab,
man ist absolut konzentriert. Alle Bewegungen sind nahezu
perfekt, man denkt so positiv, man schlägt, man puttet so gut,
ist so ganz bei sich und überzeugt von seinem Spiel. 18 Schläge unter Par – das kann dabei herauskommen. Es war mein
Ergebnis bei der Senior Open Championship auf dem walisischen Linkskurs von Royal Portcrawl 2014 nach Runden von
65, 66, 68 und 67. Ein Sieg wie wenige zuvor, denn dass man
einhundertfünfzig andere Starter mit dreizehn Schlägen hinter sich lässt, das kommt wirklich ganz selten vor.«
Disziplin
»Immer und manchmal zu viel. Heute setzt mir mein Körper
Grenzen. Er würde das, was ich ihm in jungen Jahren abgefordert habe, nicht mehr verkraften. Jedenfalls nicht, fünf Stunden Bälle zu schlagen. Es gibt Abnutzungserscheinungen, das
gilt es zu akzeptieren, und ich für meinen Teil musste das erst
lernen. Heute trainiere ich gezielt und intensiv, aber nicht so
ausufernd wie früher. Insofern gehe ich fürsorglicher mit mir
um und bin, mit Ausnahme meiner Aufwärmroutine vor Turnierrunden, flexibler. 75 Minuten Vorbereitung sind Pflicht,
und womöglich kann man nach meiner Taktung die Uhr stellen. Im Fitnesstrailer gehört Radfahren dazu, es folgen Übungen mit leichten Gewichten und mit Bändern, um die Muskulatur zu lockern, danach geht es auf die Driving Range.«
5.
Magnolia: 455 Yards / Par 4
Juniper: 180 Yards / Par 3
6.
Perfektion
»Ist eine Utopie. Absolute Perfektion gibt es im Golfspiel
nicht. Das wäre aus meiner Sicht eine Runde mit 36 Schlägen.
Das Beste aber, was je gespielt wurde, war eine 58.«
7.
Pampas: 450 Yards / Par 4
Ehrgeiz
Spielfreude
Erfolg
»Etwas einfach nur so zu tun, liegt mir nicht. Ich will immer
mein Bestes geben, und natürlich trifft das besonders auf das
Golfspiel zu. Es ist mein Beruf, ich verbringe damit die meiste
Zeit, betreibe einen enormen Aufwand und erwarte deshalb,
dass etwas Gutes dabei herauskommt. Aber Golf ist nicht alles,
und bei der Erledigung anderer Dinge habe ich den gleichen
Anspruch an mich selbst. Egal, was von mir erwartet wird, ich
versuche es so ernsthaft und gut zu machen, wie ich nur kann.
»Würde mir das Spiel keinen Spaß machen, ich hätte längst
die Schläger in die Ecke gestellt. Aber Golf ist ein toller Sport,
und ich genieße den Wettkampf mit meinen Kollegen auf den
schönsten Plätzen der Welt. Einem Nichtgolfer gleich sehe
und bewundere ich durchaus die Natur. Die uralten Bäume, die
Teiche, die Farbenpracht der Blumenblüten – eben alles, was
den landschaftlichen Reiz eines Platzes ausmacht. Wiederum,
und nun mit den Augen des professionellen Spielers, erkenne
»Für alle Sportler und speziell für Golfer gilt: Wir trainieren
nicht, um der Zwanzigste oder Fünfzigste zu werden – wir
trainieren, um zu gewinnen. Und ich glaube: Jeder, der einmal
gewonnen hat, der will immer wieder gewinnen. Es gibt nichts
Befriedigenderes, als zu siegen, und es gibt auch nicht ›zu viel
Erfolg‹. Im Gegenteil: Erfolg fördert das Selbstvertrauen, und
mehr Selbstvertrauen bringt wiederum Erfolg. Das ist wie ein
positiver Kreislauf.«
Fotos: PA; Getty Images (5)
59
8.
W E RT E / N ° 12 – 2015
10.
Yellow Jasmine: 570 Yards / Par 5
Konkurrenz
»Im Endeffekt spielt man Golf gegen den Platz, um ein möglichst gutes Ergebnis zu erreichen. Und nicht gegen eine Person. Am Ende eines Turniers kristallisiert sich allerdings heraus, dass noch zwei, drei oder vier andere Spieler die Chance
haben zu gewinnen, und dann wird es mehr zum Wettkampf
zwischen Personen. Im Laufe meiner langen Karriere habe ich
natürlich viele Konkurrenten gehabt, großartige Spieler darunter wie Severiano Ballesteros, Nick Faldo, Sandy Lyle oder
Ian Woosnam. Unabhängig vom Namen gab es dabei immer
Menschen, mit denen habe ich mich auf der gemeinsamen
Runde wohler gefühlt als mit anderen, und das lag häufig an
ihrer positiven Ausstrahlung. Man ist Mensch, keine Maschine, insofern kann das Spiel eines unmittelbaren Konkurrenten
Ansporn sein oder auch Irritation. Aber ob ich ihn mag oder
nicht, ist am Ende unwichtig, dafür ist man zu abgeklärt und
will eigentlich nur das bestmögliche Ergebnis erzielen.«
9.
Camellia: 495 Yards / Par 4
Selbstvertrauen
»Ohne Selbstvertrauen gibt es kein erfolgreiches Golf. Wiederum wird das Selbstvertrauen gern erschüttert. Ein schlechter
Schwung, ein misslungener Putt – schon schwindet es. Was
hilft – und das muss man lernen –, ist Vergessen. Vergessen
können ist so etwas wie die Kunst konstant erfolgreichen
Spiels. In diesem Sinne stimmt der Satz, Golf finde zwischen
den Ohren, also im Kopf, statt. Natürlich nicht nur. Wenn ich
– nur als Beispiel – mit meinem Bruder spiele, dann mag er
mental der beste und ich zugleich der schlechteste Spieler sein.
Dennoch werde ich gewinnen, denn ich bin der bessere Golfer. Aber wenn zwei Akteure von der Technik her ähnlich sind
und die gleichen Möglichkeiten haben, dann entscheidet die
mentale Stärke und damit eben das Selbstvertrauen.«
11.
Carolina Cherry: 460 Yards / Par 4
Wandel
»Golf gestern und heute – das ist wie Schwarz und Weiß. Es
hat sich tatsächlich total geändert, auf Profi-Ebene wie bei den
Amateuren. Golf ist heute global, das war es zu meinen Anfangszeiten noch nicht. Dann das Material. Es beginnt bei den
mittlerweile fünfteiligen Bällen. Man sieht es nicht, aber es
sind regelrechte Hightechgeschosse. Dann die Schläger. Wir
spielen mittlerweile mit hohlen Driverköpfen, mit leichteren,
längeren Schäften – es lässt sich damit mehr Geschwindigkeit
auf die Kugel bringen, und die Distanzen, die damit geschlagen werden, sind phänomenal. Manche erreichen 300 Meter
im Flug. Dazu reizen Profis jedes Thema aus – von der Fitness
bis zum Mentalcoaching. Im Ergebnis genügt dem modernen
Golf mit seinen athletisch ausgebildeten Spielern manch einer
der legendären, ehrwürdig alten Plätze nicht mehr. Sie lassen
sich einfach nicht beliebig verlängern. Es ist wie mit einem
Schwert – es hat zwei Seiten. Da sind Leute, die sagen, wir
müssen den Ball und die Längen kontrollieren, und dann gibt
es andere, die behaupten, dann macht es weniger Spaß. Aus
meiner Sicht ist Länge ein Phänomen des Golfspiels. Länge
ist bewundernswert, und genau das wollen die Leute sehen.«
60
13.
WERTE-G ESPRÄCH / B ERNH ARD LANGER
Azalea: 510 Yards / Par 5
Frühe Jahre
»Eine Karriere, wie sie hinter mir liegt, habe ich mir nie zu
erträumen gewagt. Ich weiß noch, wie ich als erster Deutscher
auf die Tour nach Amerika kam und nicht den Hauch einer
Ahnung hatte, wie gut die Konkurrenz dort spielt. Meine
Schwächen im kurzen Spiel waren offensichtlich, und darauf
habe ich mich konzentriert. So fing das an, Schritt für Schritt.
Bald merkte ich, du gehörst zu den Besseren, kannst einer
der Besten werden. Es ist wie bei einer Leiter. Man klettert
Sprosse für Sprosse hoch, steckt sich Ziele, erreicht sie, steckt
sich neue und ist, wie in meinem Fall, irgendwann die Nummer 1 der Weltrangliste. Dabei verändert sich über die Jahre vieles. Mein Schwung und meine Schwunggedanken sind
heute gänzlich andere, ich spiele auch aggressiver. ›Golf‹, sagt
Jack Nicklaus1, ›ist ein prozentuales Spiel.‹ Gemeint ist: Jeder
Schlag ist die Abwägung von Risiken und Chancen, und in der
Urteilssicherheit liegt sicher ein Unterschied zwischen dem
jungen und dem reifen Bernhard Langer.«
14.
White Dogwood: 505 Yards / Par 4
Chinese Fir: 440 Yards / Par 4
Vorbildfunktion
Glaube
»Ich denke, Gott hat mir sehr viel mitgegeben, und der Glaube
an ihn hat Vorrang in meinem Leben. Für alles, was ich heute
bin und was ich aus mir machen durfte, bin ich dankbar und
betrachte das als sein Geschenk.«
12.
15.
Werte
»Es zählen Begriffe wie Vertrauen, Integrität, Wahrheit, Verlässlichkeit, Fairness und Harmonie – materielle Dinge gehören nicht dazu. Auch wenn ich in meinem Leben viel Geld
verdient habe, so weiß ich: Ich wäre ebenso glücklich mit kleinerem Auto, kleinerem Haus und ohne all die Annehmlichkeiten, die der Wohlstand mit sich bringt.«
Fotos: Corbis; Getty Images (4)
16.
Redbud: 170 Yards / Par 3
Lebenslektion
»Wer meinen Weg einschlagen will, der muss wissen: Es wird
hart. Die Konkurrenz ist groß, und man sollte schon zu den
Besseren gehören, um überhaupt eine Chance zu haben. Golfprofi zu sein macht keinen Spaß, wenn man die Nummer 500
der Welt ist. Das sage ich jedenfalls meinen Kindern.«
17.
»Vorbilder sind wichtig. Für mich als Profi sehe ich darin
durchaus eine Verpflichtung. Sowohl im Umgang mit anderen
Menschen wie auch dem eigenen Erfolg. Tadelloses Benehmen auf und neben dem Platz – man ist mit vielen Dingen ein
Beispiel. Auch mit der Dankbarkeit für all jene, die einem geholfen haben. Mein langjähriger Trainer Willi Hofmann steht
an erster Stelle, natürlich meine Frau, auch Sponsoren. Sie alle
haben mich weitergebracht. Ich selbst habe immer Gary Player2 bewundert. Er ist etwa genauso groß wie ich, hat hart an
sich gearbeitet und musste viele Schwierigkeiten überwinden.
Für mich ist er der Inbegriff eines tadellosen Sportmannes.«
Golden Bell: 155 Yards / Par 3
war meine Stabilität, und so habe ich es mir auch für meine Familie gewünscht. Mittlerweile bin ich über dreißig Jahre
glücklich verheiratet, wir haben vier Kinder, und neben meinem Glauben an Gott ist mir die Familie das Wichtigste – noch
vor dem Golfspiel. Darin besteht das Glück meiner späten Jahre: Ich kann loslassen, mal ein Turnier absagen, mich um Privates kümmern. Florida ist längst unser Zuhause. Aber wenn
der Begriff Heimat fällt, dann gehen meine Gedanken zurück
nach Anhausen. Dort bin ich aufgewachsen, und insofern spielt
Deutschland für mich noch immer eine große Rolle.«
Firethorn: 530 Yards / Par 5
Familie
Nandina: 440 Yards / Par 4
Nächste Generation
»Wir werden viel jüngere Topspieler erleben, und sie werden
nicht unbedingt aus Europa oder Amerika kommen. Bei den
Proetten ist es schon so, dort dominieren die Koreanerinnen. Die
Weltrangliste wird von Lydia Ko angeführt. Sie wurde in Seoul
geboren und ist achtzehn Jahre alt. Wer die Golfbegeisterung in
großen Teilen Asiens vor Augen hat und weiß, wie Golfsport dort
gefördert wird, kann sich ausrechnen, dass Gleiches bei den Herren geschehen wird. Egal, ob es noch zehn Jahre dauert, aber der
nächste Tiger Woods kommt gewiss aus Fernost.«
18.
Holly: 465 Yards / Par 4
Schlussgedanke
»Menschliche Beziehungen sind das Wichtigste im Leben,
und das fängt bei der Familie an. Ich habe in meiner Kindheit
viel Liebe erfahren. Ob erfolgreich oder nicht – mein Zuhause
»Immer und an jedem Tag: Ich möchte der beste Bernhard
Langer sein, der Bernhard Langer sein kann.«
Jack Nicklaus gehörte von den 1960ern bis in die späten 1980er Jahre zu den besten Golfern der Welt.
Der Südafrikaner mit dem Spitznamen »Schwarzer Ritter« zählt zu den besten Golfsportlern aller Zeiten.
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1
2
W E RT E / N ° 12 – 2015
ESSAY / EXCELLENCE EVOLUT I ON
Kollege Roboter!
Der Mensch hat sich im Laufe seiner
Entwicklungsgeschichte herausragende technische
Fähigkeiten angeeignet – nun ist er dabei, sie auf die Spitze
zu treiben: Er lernt Maschinen zu bauen, die Kopien seiner
selbst sind. Die Schritte zur Realisierung
dieser Vision sind faszinierend.
TEXT DR. HORST GÜNTHEROTH
Bewegen
Techniker begutachten einen Roboter mit
dem schlichten Namen »HRP-2«. Das
zweibeinige Wesen aus Kunststoff, Metall
und Elektronik ist 153,9 Zentimeter groß,
wiegt 58 Kilogramm und wurde von der
japanischen Firma Kawada Industries
gebaut. 30 Gelenke verschaffen »HRP-2«
große Beweglichkeit. Er kann in unebenem
Gelände gehen, selbständig aufstehen und
lässig tänzelnd auf einem Bein zu balancieren – dagegen wirken seine menschlichen
Betrachter ziemlich steif.
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W E RT E / N ° 12 – 2015
ESSAY / EXCELLENCE EVOLUT I ON
Lernen
»Curi« wurde vom Georgia
Institute of Technology in
Atlanta im US-Bundesstaat
Georgia entwickelt. Dank
seiner innovativen Software
kann der niedlich aussehende Roboter mit den blau
leuchtenden Ohren nahezu
alle Aufgaben im Haushalt
erlernen und sie später
selbständig erledigen. Zudem
verhält sich »Curi« ähnlich
wie ein Mensch, so mag man
ihn im Nu – eine Voraussetzung für das harmonische
Zusammenleben mit ihm.
Fühlen
Die künstliche Hand, die
diese Glühbirne hält, ist ein
Meisterwerk der Shadow
Robot Company in
London. Das Unternehmen
produziert Komponenten
für Roboter. Mit ihren 40
künstlichen Muskeln, 24
Gelenken und 129
Sensoren, die die Stellung
der Finger und ihre Kräfte
messen und kontrollieren,
ähnelt die technische
Version der menschlichen
Hand in ihrer Funktion
verblüffend. Die synthetische Hand kann kräftig
zupacken aber auch
äußerst sanft berühren.
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W E RT E / N ° 12 – 2015
WERTE-G ESPRÄCH / K LAUS K ALDEMORGEN
»Herausragende
Ergebnisse bei
geringem Risiko
– das ist für mich
Excellence.«
den kenne ich aus Gesprächen, aber auch aus Statistiken der
Bundesbank. Der größte Teil der deutschen Anleger hält heute
nicht viel von Aktieninvestments. Das gilt auch für Aktienfonds. Obwohl sich in Zeiten niedriger Zinsen mit diesen
Papieren die höchsten Renditen erzielen lassen, ist ihnen das
Risiko zu hoch. Diese Bedenken muss ich berücksichtigen und
das Portfolio so zusammenstellen, dass ich einerseits das Risiko gering halte, aber andererseits auch befriedigende Ergebnisse erziele. Das Wichtigste ist, dass der Kunde weiß, was wir
tun und warum. Am Ende des Tages muss es uns gelingen,
ihn zufriedenzustellen. Das erreichen wir nur, wenn wir unser
Geschäft so transparent wie möglich betreiben und die Kunden an unseren Überlegungen teilhaben lassen. Der Schlüssel
ist die Kommunikation unserer Ziele, der Chancen und Risiken. Man darf sich nicht in Floskeln und Fachbegriffe flüchten,
die die Kunden nicht verstehen.
Klaus Kaldemorgen über
Erfahrungen, Strategien und klare
Worte in der Fondsanlage.
Stellen Sie Unterschiede im Risikoverhalten fest? Haben Investoren mit kleinerem Anlagevermögen andere Erwartungen?
Vermögende Kunden sind oft auch risikoscheu, haben aber
den Vorteil, dass sie in ihren Portfolios Risiken besser diversifizieren und dadurch minimieren können. Eine Fondsanlage
hat für vermögende Investoren aber auch praktische Vorteile.
Die Alternative wären Investments in Einzelwerten. Allein
die Belege über diese Transaktionen würden am Jahresende
mindestens einen großen DIN-A4-Ordner füllen, die müsste
der Investor dann mit seinem Steuerberater durchgehen. Für
vielbeschäftigte Unternehmer wäre diese umfangreiche Dokumentation eine erhebliche Belastung. Von der Fondsgesellschaft bekommen sie eine Abrechnung pro Jahr.
TEXT CHRISTIANE OPPERMANN
— Was verbinden Sie mit dem Begriff Excellence, wie definieren Sie eine Vermögensanlage, die dieses Attribut verdient?
Auf den ersten Blick verstehe ich darunter Investments, die
sehr gute, herausragende Ergebnisse bringen. Allerdings geht
es dabei nicht um ein Spitzenergebnis zu einem bestimmten
Zeitpunkt allein, sondern auch um die langfristige Betrachtung. Eine Vermögensanlage muss gemessen an den Ansprüchen und Erwartungen des Kunden auch über einen langen
Zeitraum einen herausragenden Ertrag bringen.
Woran messen Sie herausragende Ergebnisse?
Üblicherweise werden Vergleiche zu ähnlichen Produkten
gezogen und die besten in den jeweiligen Sparten als Maßstab oder die Entwicklung von Marktkennziffern wie etwa des
DAX als Bewertungsmaßstab herangezogen. Hinzu kommt,
dass Multi-Asset-Anlagen nicht ganz einfach zu vergleichen
sind, weil sie aus mehreren Assetklassen zusammengestellt
werden. Dieses Benchmarking reicht mir grundsätzlich nicht.
Wenn in schlechten Jahren alle Fonds einer Kategorie oder
der gesamte Aktienmarkt im Minus sind, könnte die Orientierung an den Besten immer noch bedeuten, dass ein Fonds,
der geringere Verluste erzielt und damit über der Benchmark
liegt, zum Spitzenreiter wird. Mein Bestreben ist es, immer –
auch in schlechten Zeiten – ein positives Ergebnis zu erzielen.
Als Manager eines Fonds mit einem Volumen von 2,7 Milliarden Euro müssen Sie die Erwartungen vieler Anleger erfüllen.
Kennen Sie die Wünsche Ihrer Kunden?
Meine Kunden sind sehr heterogen. Sehr vermögende Investoren gehören genauso dazu wie eine große Anzahl von
Anlegern mit kleineren Investments. Die Wünsche der Kun-
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ZUR PERSON
KLAUS KALDEMORGEN
Der Essener wurde 1953 geboren und hat Volkswirtschaft
studiert, bevor er 1982 zur DWS ging. Durch den Vermögensbildungsfonds I wurde er Ende der 1990er Jahre zum
bekanntesten Fondsmanager Deutschlands. 2011 gab er seinen
Posten in der Geschäftsführung der DWS auf, um sich wieder
auf das Fondsmanagement zu konzentrieren. Seitdem erzielt er
mit dem Mischfonds DWS Concept Kaldemorgen bei
geringen Schwankungen stabile Renditen. Für »herausragende
Leistungen in der Finanzwirtschaft« wurde Kaldemorgen
im Februar als Fondsmanager des Jahres 2015 ausgezeichnet.
Ertrag und Risiko sind die beiden Seiten derselben Medaille.
Excellence in der Vermögensberatung bedeutet also nicht
zwingend, dass die höchsten Erträge erzielt werden?
Wie erfolgreich eine Anlagestrategie ist, weiß man ganz genau immer erst im Nachhinein. Mein Grundsatz ist, mit einem dem Kunden angemessenen Risiko einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen. Das gesamte Paket muss stimmen, das
Ergebnis den Erwartungen der Investoren entsprechen.
Außerdem sollten die Ergebnisse planbar sein, hohe Kursschwankungen sind von vielen Kunden nicht gewünscht. Ertrag und Risiko müssen passen, Service und Kommunikation
stimmen. Jeder Kunde muss sich mit den Investments identifizieren können. Das gelingt nur mit einem hohen Maß an
Transparenz.
Ich will die Anleger nicht umerziehen, Ihnen aber verständlich machen, was möglich ist. Der Aktienanteil von zehn Prozent in einem deutschen Durchschnittsportfolio ist gerade in
der aktuellen Niedrigzinsphase viel zu gering. Deshalb gelten
deutsche Anleger zurzeit als Verlierer im Anlagemarkt. Selbst
bei unseren europäischen Nachbarn haben sehr viele Investoren von den Kursgewinnen am Aktienmarkt und bei Immobilien profitiert.
Fotos: Stefan Gröpper
Sie sind der einzige Fondsinitiator einer deutschen Großbank,
der einen Fonds unter seinem Namen aufgelegt hat. Welche
Vorteile bietet das?
In Großbankenbereich bin ich wohl der einzige. Aber es gibt
viele inhabergeführte Fondsgesellschaften, deren Produkte
den Namen des Initiators tragen, wie etwa bei Flossbach von
Storch oder Carmigniac. Die Grundüberlegung für die Nutzung meines Namens war, dass Anleger mit einer Person mehr
verbinden können als mit einer anonymen Bezeichnung. Insgesamt erlaubt mir diese Konstruktion mehr Freiheit. Wenn
ich schon mit meinem Namen zeichne, dann muss ich auch die
Freiheit haben, meinen eigenen Investmentstil einzubringen.
Das heißt natürlich nicht, dass ich mich nicht an die Rahmenbedingungen des Hauses halte, denn ich bin ja auch Teil der
Deutschen Bank.
Müssen Sie sich an den hausinternen Benchmarks messen?
Meine Benchmark ist die Beachtung des Risikos für den Anleger. Mit einem für ihn erträglichen Risiko ein gutes Ergebnis
zu erzielen, kann gerade in dieser Zeit, wenn der Zins bei null
Prozent liegt, sehr anspruchsvoll sein. Da muss man vielleicht
mal gegen den Strom schwimmen.
Wie stellen Sie Ihren Fonds zusammen?
Wir verfolgen zunächst einen holistischen Ansatz. Die Basis
sind Informationen aus vielen Bereichen – Politik, Wirtschaft,
Unternehmen, Branchen, Märkte. Ein Fondsmanager muss an
vielen Dingen interessiert sein und sich den Blick für das große Ganze bewahren. Die Nachrichten sind heute für alle zeitgleich verfügbar. Vor 30 Jahren war das noch anders. Da gab es
noch Zeitverschiebungen, die die Märkte in unterschiedlichem
Maße beeinflussen konnten, allerdings war auch das Transaktionstempo langsamer. Heute können Unterschiede durch die
Bewertung und die eigene Einschätzung entstehen. Allerdings
darf man auch den Herdentrieb an den Kapitalmärkten nicht
unterschätzen. Wenn sich ein Trend abzeichnet und sich eine
»Meinung« gebildet hat, sind viele sehr schnell bereit, sie zu
übernehmen. Die Kunst ist es dann, die Stimmung vorher zu
antizipieren und entsprechend zu handeln.
Welchen Anteil am Erfolg hat Ihre langjährige Erfahrung?
Die darf man nicht überbewerten. Sicher gibt es Situationen,
die sich wiederholen, der grundsätzliche Mechanismus von
Zinserhöhungen ist im Kern immer gleich, die Attraktivität
der Aktienanlagen nimmt ab. Aber die Situation ist stets anders, weil beispielsweise Rahmenbedingungen – die politische
und wirtschaftliche Entwicklung, Entdeckungen in Forschung
und Wissenschaft oder die gesellschaftliche Stimmung – andere sind. Meine Erfahrung hat sicherlich dazu geführt, dass
ich heute viel konservativer vorgehe und versuche, die Risiken für meine Kunden so gut wie möglich zu begrenzen. Vielleicht ist es auch ein Privileg des Alters, dass man weniger risikofreudig agiert und seine Positionen sorgfältiger absichert.
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