ein Lied zu singen, absolut verboten ist

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„Ich hatte mir überlegt,
als kleine Zugabe noch
ein Lied zu singen,
nicht wissend, dass dies
absolut verboten ist“
Im Interview mit der Schauspielerin Annett Renneberg
An manchen Tagen liegt Venedig am Schweriner See.
An diesem Tag sollten wir Glück haben. MEERraum
verabredet mit Annett Renneberg, und die Landeshauptstadt zeigt sich passend dazu von ihrer
sommerlich-schönsten Seite. Alles kommt so, wie es
kommen soll. Das erfahren wir später. Die Schauspielerin ist hochschwanger, bestens gelaunt und
begleitet uns sogar auf einen kleinen Spaziergang
an das vollkommen friedliche Seeufer, das zusammen mit „Signorina Elettra“ eine Ahnung vom
fernen Venedig vermittelt. Zuvor sprachen wir über
Donna Leons berühmte Krimiverilmungen, kleinere
Gefahren im echten Leben, Berliner Baustellen,
Theaterlegenden und die Liebe zum Land.
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Ich habe mich auf diesem Baustellengelände tatsächlich verlaufen und kam
in ein Vorsprechen für ältere Kinder, das
Wort Casting gab es damals noch nicht.
Ich war zunächst ganz irritiert, aber der
Regisseur und der Regieassistent sagten
dann, bleib mal hier. Und am Ende erhielt ich nach mehreren Vorsprechen die
Hauptrolle in diesem Fernsehilm. Mein
Bruder hat es leider knapp verfehlt, ein
Junge aus seiner Klasse bekam den Part.
Wann haben Sie zuletzt Akkordeon
gespielt?
Vor über einem Jahr, muss ich gestehen.
Das ist leider schon sehr lange her, was
auch daran liegt, dass mein kleiner Sohn
ein bisschen Angst vor der Lautstärke hat.
Deshalb spiele ich eher Klavier. Hinzu
kommt noch, dass das Akkordeon eher
sperrig ist. Ich habe das ja lange gelernt,
aber schon früher darunter gelitten, dass
es nicht ein Instrument ist, an das man
sich einfach dransetzt. Da sind die Lederriemen, außerdem musste man als
Kind festgebunden werden, um keine
schlechte Haltung anzunehmen. Ich habe
die Kinder beneidet, die ihre Geige in die
Hand nehmen und losiedeln konnten.
Auch war das Klavier immer mein Trauminstrument, und jetzt im Erwachsenenleben zeigt sich leider, dass ich das Akkordeon viel zu selten zur Hand nehme.
Ein zweites folgenschweres Ereignis scheint das Zusammentreffen
mit Peter Zadek zu sein, der Sie
1999 bei den Wiener Festwochen
als Ophelia in „Hamlet“ besetzte. War es eher Verplichtung oder
Glück, mit einer solchen Regielegende zu arbeiten?
Das war auch ein besonderes Zusammenkommen. Er hatte damals, weil er
nicht schlafen konnte, zufällig im Nachtprogramm einen Film von mir gesehen
und daraufhin meine Agentin angerufen,
weil er mein Gesicht noch nicht kannte.
Er brauchte eigentlich eine Ophelia, wollte aber, weil ich noch so jung war, erst
einmal testen, ob ich vor einem großen
Publikum nicht schreiend weglaufe. Dann
hat mich Peter Zadek mit auf die größte
Opernbühne Europas genommen, was ja
eine schöne Logik ist. Tatsächlich war das
am Anfang auch schwierig, und ich bin
von den Technikern in Salzburg manchmal nicht so nett behandelt worden. Ich
war oft zu leise, bekam dann einen Mikroport, das fanden sie wohl nicht so gut. Er
hat mich dabei aber ganz toll beschützt.
Bei den Proben zu „Mahagonny“ hat er
mir schließlich die Besetzung als Ophelia
angeboten. Mit dieser Rolle bin ich später
durch ganz Europa gereist.
Könnte man sagen, dass Ihre Schauspielkarriere auf einem Baustellengelände in Berlin begann?
Absolut ja. Das war 1991, der Hackesche
Markt befand sich gerade im Umbau.
Und dort fand das Vorsprechen für einen
Kinderilm statt, zu dem mein Bruder eingeladen war. Er ist vier Jahre jünger als
ich und ich sollte ihn abholen, weil wir
danach Schuhe kaufen gehen wollten.
Welche Erinnerungen haben Sie
an ihn?
Ich vermisse ihn sehr, wie ganz viele
meiner Kollegen. Er fehlt in der Theaterlandschaft. Er unterschied sich sehr
von den anderen alten Regielegenden.
Claus Peymann zum Beispiel, an dessen
Berliner Ensemble ich unter Zadek lange
gearbeitet hatte, beschrieben Kollegen
eher als cholerisch, als jemanden, der
herumschrie und Angst verbreitete, was
Peter nie gemacht hat. Unter Angst kann
eigentlich kein Mensch etwas Kreatives
zustande bringen. Er war zwar gefürchtet für seine sehr ins Herz und ins Mark
treffende Kritik, aber sie war eigentlich
immer konstruktiv. Wir haben uns, glaube
ich, auf eine Art sehr geliebt. Er war eine
Großvaterigur für mich. Er fehlt uns allen,
mit seinem Kopf, seinem Herzen, als kreativer Macher. Und als jemand, der etwas
erzählen will.
Zu Ihrem Repertoire gehören unter
anderem Texte von Shakespeare,
Ibsen, Goethe, Schiller, Hölderlin,
Brecht, Kafka, Kempowski und sogar persische Literatur. Was kann
uns die Sprache solcher Dichter
heute noch geben, was gibt sie Ihnen?
Eine ganze Menge. So hatte ich mich, als
diese Anfrage kam, mit persischer Lyrik
noch gar nicht befasst. Ich wusste zwar,
weil ich Goethe gerne lese, wer Hais ist,
kannte aber Saadi noch nicht, einen im
Iran eigentlich viel bekannteren Dichter.
Diese Lyrik war für mich eine ganz tolle
Entdeckung. Das ist das Schöne an unserem Beruf, dass man sein Repertoire ständig erweitert und immer neue Bausteine
dazu kommen. Dass man entdeckt, wie
vielfältig die Welt ist und welche großartige Kunst es gibt.
Lief bei der Lesung in Schiraz alles
nach Protokoll?
Das war eine der absurdesten Lesungen,
die ich jemals erlebt habe und hat mich
sehr an die DDR erinnert, nur noch mit
einigen Extras on top. Die Temperatur
lag bei 38 Grad, ich sollte um 17:00 Uhr
anfangen und musste natürlich auch
verhüllt sein. Es war also sehr warm. Zunächst wurde ich von meinem Lesepartner, er hatte die persischen, ich die deutschen Texte, nicht begrüßt. Vielleicht hat
er einen schlechten Tag, dachte ich. Dann
folgten langatmige Reden, der Schweiß
rann. Es kam ein Musikquintett von Männern mit Rauschebärten, die spielten wieder eine halbe Stunde. 19:45 Uhr wurde
ich schließlich auf die Bühne gerufen,
mit von Süßigkeiten verklebtem Mund,
Wasser gab es nicht dazu. Ich hatte mir
überlegt, als kleine Zugabe noch ein Lied
zu singen, nicht wissend, dass dies absolut verboten ist. Frauen dürfen im Iran
öffentlich keine Lieder singen, denn das
verführt die Männer noch stärker als ein
unbedeckter Kopf. Warum es allerdings
keine Scheuklappen für Männer gibt und
sich immer die Frauen verhüllen müssen,
das ist eine andere Frage.
Wie konnte der Eklat noch verhindert werden?
Nur weil wir dort so lange warten mussten, lüsterte ich zufällig dem Veranstalter
zu: Ich weiß nicht, ob ich nachher noch
singen kann. Er wurde ganz bleich und
klärte mich auf (Lacht). Zu guter Letzt
musste ich während des einstündigen
Vorlesens in meinem engen Kleid dann
auch noch knien, das war so vorgesehen
und die Mikrofone waren entsprechend
eingestellt. Ich kam mit eingeschlafenen
Beinen davon und sorgte dafür, dass ich
bei den folgenden Terminen stehen durfte.
Und die Reaktionen des Publikums?
Die Begegnungen waren großartig. Gerade auch die Frauen waren dankbar und
so begeistert, dass Europäer dorthin kom-
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men. Ein ganz tolles Land mit sehr warmherzigen, gastfreundlichen Menschen.
Es ist schade, dass sie politisch so klein
gehalten werden. Wir sind 2009 drei Tage
nach der verpatzten Wahl dorthin gelogen und sahen brennende Busse und
Schlägereinheiten, die mit Gummiknüppeln durch Teheran rannten. Und es roch
nach Feuer die ganze Nacht. Die grüne
Revolution hätte ganz leicht in einen
Krieg kippen können.
„Ich bin ein ganz normaler Zuschauer und vergesse… auch komplett,
wie ein Film gemacht wird“ – ein
Zitat von Ihnen. Welche Illusionen
über die Branche kann man verlieren, wenn man Filme dreht?
Dass alle eine große Familie sind. Natürlich herrscht Konkurrenz. Und ich inde,
dass der deutsche Fernsehilm heute
leider nur noch wenige kreative Köpfe
im Hintergrund hat. Das ist eine Illusion,
die viele meiner Kollegen und ich verloren haben, was auch ein wenig traurig
macht. Ganz oft geht es nur noch um
Quote, wenig um Risiko, Mut und darum,
etwas Neues auszuprobieren. Wir bleiben
beim Altbewährten und erzählen uns gegenseitig, dass die Leute das auch sehen
wollen. Leider sitzen dort ganz oft altbackene TV-Redakteure, die teilweise nach
Haarfarbe entscheiden. Was ich da schon
alles mitbekommen habe…
Meist werden auf der Theaterbühne Lebenswege und Revolutionen
durchgespielt. Manchmal ist auch
das Theater selbst Gegenstand des
Kampfes, wie gerade in Rostock,
wo Sie schon einen Kafka-Abend
gestaltet haben. Wie inden Sie es,
dass Politiker so über die Abwicklung von Sparten und Intendanten
entscheiden?
Ich halte das für einen ungeheuren Vorgang, was dort passiert ist. In Berlin wird
an der Volksbühne gerade etwas Ähnliches versucht, aber in Rostock ist es noch
viel schlimmer. Diese Leute wollen einfach nicht verstehen, dass Kultur etwas
unheimlich Wichtiges ist. Die einseitige
Beurteilung nach ausschließlich nichtkreativen Maßstäben wird ihnen irgend-
wann wieder auf die Füße fallen. Und
dann wundern sich Politiker immer, dass
bestimmte Werte verloren gehen oder
Pisa-Studien so schlecht ausfallen. Es
gibt diesen Spruch: Jedes Kind, das einen
Geigenkasten in der Hand hat, hat keine
Hand frei für einen Stein.
Sie sind bei Lesungen schon mehrfach mit Donna Leon aufgetreten, in
deren Krimi-Verilmungen Sie die Signorina Elettra spielen. Zitat Donna
Leon: „Annett hat Humor, wir sind
wie Laurel und Hardy, wie Max und
Moritz“. Hat jemand jemals etwas
noch Schöneres zu Ihnen gesagt?
Natürlich, mein Mann. Donna und ich haben uns wirklich gefunden und es wird
jedes Jahr lustiger. Sie ist ein Weltstar,
aber eigentlich ganz unkompliziert. Naja,
meistens (Schmunzelt). Wir haben großen
Spaß zusammen.
Es ist eine allgemeine Lebenserfahrung, dass fast jeder Mensch
mehrere Gesichter bzw. Seiten hat.
Welche Geheimnisse hätten Sie zu
verbergen?
Jetzt geht es ans Eingemachte. Im Privatleben schaffe ich es zum Beispiel nicht, so
gelassen zu sein wie im Beruf. Ich bin oft
nicht so geduldig, wie ich es gerne wäre.
Wenn zu vieles auf mich einströmt, komme ich recht schnell aus der Balance und
das gefällt mir nicht. Auch beim Streiten
gibt es zu Hause oft die italienische Variante, aber ich arbeite daran (Lacht).
Stimmt es, dass Sie für Ihr Haus auf
dem Land Ziegelsteine abgeklopft
und mit dem Trecker Bäume umgesetzt haben?
Ja klar, das war toll! Ich bedaure manchmal, dass ich heute eher in die Rolle der
Hausfrau gerückt und für die Kinder sowie Innenräume zuständig bin. Und die
tollen schweren Arbeiten, die wir uns
in der Renovierungszeit geteilt haben,
macht mein Mann jetzt allein oder mit
anderen Männern. Das gefällt mir nicht
immer.
Was verbindet Sie in kurzen Worten
mit der Landschaft Mecklenburg-
Vorpommerns und wie hat Sie das
Aufwachsen in Berlin geprägt?
Heimat. Weite. Stille. Das satte Grün und
die tolle Luft. Ich bin hier heimisch geworden und möchte auch nicht wieder
weg. Ich bin ja in Berlin aufgewachsen
und habe das auch nie in Frage gestellt,
mir aber schon als kleines Mädchen gewünscht, entweder Prinzessin oder Bauerstochter auf dem Land zu sein. Ich war
immer hin- und hergerissen. Mein Leben
jetzt - Schauspielerin und Leben auf dem
Land - ist die eigentliche Essenz dieser
beiden Wünsche.
Gibt es einen Lieblingsstrand oder
-Badeort an der Ostsee?
Mit meinen Eltern habe ich jeden Sommer an der Ostsee in Prerow verbracht,
was unheimlich prägend war. Seit ich
erwachsen bin, ist mein Lieblingsort Hiddensee.
Ihr Lebensmotto lautet „Alles kommt
so, wie es kommen soll“, wie Sie
in einem Interview verraten haben.
Welches ist unser Beitrag dafür?
Nicht vergessen, über den Tellerrand zu
schauen und den Egoismus so gering wie
möglich halten. Empathie und Toleranz
sind ganz wichtige Aspekte. Und wenn
ich darüber hinaus eine bestimmte Filmrolle nicht bekomme oder als ich mein
ursprüngliches Wunschstudium Gesang
nicht antreten konnte, trauere ich diesen
Dingen nicht lange nach. Irgendwo öffnet sich eine andere Tür.
· 1978 in Rudolstadt/Thüringen geboren,
aufgewachsen in Ostberlin
· Mit 13 Jahren erste TV-Hauptrolle
Interview: Ricky Laatz
Fotos: Peter-Paul Reinmuth
· Zusammenarbeit mit dem Theaterregisseur Peter Zadek
· Seit 1999 Rolle der Signorina Elettra
in „Commissario Brunetti“ nach den
Romanen Donna Leons
· Weitere Film- & Fernsehrollen: „Erbsen
auf halb 6“, „Kolle“, „Der letzte Zeuge“,
„Tatort“, „Rahel – Eine preussische
Affäre“,„Kommissar Stolberg“
· 2002 Verleihung der
Lilli-Palmer-Gedächtniskamera
· Lebt mit ihrer Familie in einem Haus
auf dem mecklenburgischen Land