GESUNDHEIT Klauenbäder sollen das Klauenhorn und das angrenzende Gewebe reinigen und desinfizieren. Foto: Pasveer Klauenbäder: Wann erlaubt, wann verboten? Eine Strafanzeige gegen 30 Landwirte in RheinlandPfalz hat bundesweit für heftige Diskussionen über den Einsatz von Klauenbädern gesorgt. Was ist erlaubt und wann macht ein Klauenbad Sinn? E ine Strafanzeige gegen 30 Landwirte in Rheinland-Pfalz, die Kupfersulfat und Formaldehyd für Klauenbäder bei Rindern ohne eine Verschreibung durch den Tierarzt bezogen und eingesetzt haben, hat bundesweit eine heftige Diskussion über den Sinn und Unsinn von Klauenbädern losgetreten. In der Praxis herrscht große Unsicherheit: Dürfen Klauenbäder überhaupt noch eingesetzt werden? Wenn ja, welche Produkte? Und sind sie überhaupt sinnvoll? Verschreibungspflicht für viele Produkte Die gesetzliche Lage ist eindeutig: ■ Verschreibungspflicht: Nach dem Tierarzneimittelgesetz dürfen Tierhalter apo- R12 top agrar 6/2006 thekenpflichtige Stoffe für die Anwendung am Tier nur erwerben und einsetzen, wenn sie von einem Tierarzt verschrieben oder durch einen Tierarzt abgegeben wurden. Apothekenpflichtig sind alle Stoffe, die zur Therapie und Linderung von Krankheiten bestimmt sind. Und dazu gehören Formaldehyd, Kupfer- oder Zinksulfat etc. Sie dürfen zum Einsatz als Klauenbad beim Rind also nicht frei über den Klauenpfleger oder den Landhandel bezogen werden. Wer dies dennoch tut, macht sich strafbar. ■ Ausnahme: Kupfer- und Zinksulfat können vom Veterinäramt im Einzelfall von der Apothekenpflicht befreit werden. Bei Formaldehyd schließt die Verordnung eine Befreiungsmöglichkeit von der Apothekenpflicht explizit aus! ■ Nur ein einwandfrei dokumentierter Therapienotstand kann zur Genehmigung von Klauenbädern führen. Dann sind Wartezeiten einzuhalten: für die Milch 7 Tage, für Fleisch 28 Tage. ■ Für antibiotische Klauenbäder gibt es derzeit in Deutschland kein zugelassenes Produkt. In Rheinland-Pfalz wertete der zuständige Referent im Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung, Dr. Dieter Starke, bereits den freien Bezug der Stoffe vom Klauenpfleger oder vom Landhandel in den rinderhaltenden Betrieben als Verstoß gegen das Tierarzneimittelgesetz und damit als Straftat. Und zwar auch, wenn sie nur zur Pflege der Klauen eingesetzt werden. Auch für die Pflege müssten die Produkte über die Apotheke bezogen werden. Die frei verkäuflichen Produkte aus dem Landhandel seien nur zur Desinfektion von Melkständen, nicht aber für die Anwendung am Tier zugelassen. Nicht nur die rechtliche Situation sorgt immer wieder für Diskussionen, inzwischen sind sich auch die Experten über den Sinn der Klauenbäder nicht mehr einig. Lohnen sich Klauenbäder wirklich? Für Klauenbäder ist zum Beispiel Michael Kloo, Geschäftsführer der Klauenpflegergenossenschaft Sachsen: „Das Klauenbad mit Formalin oder Kupfersulfat ist in unseren großen Betrieben eine wichtige und wirksame Maßnahme, um den Infektionsdruck im Griff zu behalten“. In vielen seiner Betriebe sei es nach dem Absetzen des Klauenbades schnell wieder zu Infektionen gekommen. „Wir haben im Moment keine wirksame Alternative dazu“, so Kloo. Klauenspezialist Dr. Stefan Nüske vom Lehr- und Versuchsgut der Tierärztlichen Fakultät der Universität München rät dagegen ganz von den Bädern ab: „Klauen- bäder wirken unzureichend und dienen oft nur der Beruhigung des Gewissens nach dem Motto: Man hat ja etwas für die Klauengesundheit getan. Wesentlich wirksamer ist eine regelmäßige und korrekt durchgeführte Klauenpflege und eine optimale Stallhygiene“, erklärt er. Die praktische Tierärztin Dr. Andrea Fiedler (München) sieht das ähnlich: „Der Einsatz von Klauenbädern steht in der Kaskade der Möglichkeiten zur Prophylaxe von infektiösen Erkrankungen an allerletzter Stelle und muss dann nach den rechtlichen Grundlagen erfolgen.“ Auch Wolfgang Sekul, Klauenspezialist am Bildungszentrum in Aulendorf, bezweifelt die Wirkung der Bäder: „In der Praxis wird die Wirkung der Bäder vielfach überschätzt.“ Was Klauenbäder können und was nicht Klauenbäder sollen in erster Linie das Klauenhorn und das angrenzende Gewebe reinigen und desinfizieren. Damit sollen sie den Infektionsdruck im Stall senken und dabei helfen, infektiöse Erkrankungen wie Mortellaro‘sche Krankheit, Zwischenklauenentzündung und Panaritium zu vermeiden. Auf nicht-infektiöse Erkrankungen haben sie keinen Einfluss. Außerdem sollen sie zur Härtung des Klauenhorns beitragen, was aber nicht in allen Untersuchungen bestätigt werden konnte. Vermutet wird, dass die Einwirkzeit dafür zu kurz ist. Aus Sicht von Klauenspezialist René Pijl, Jever, wäre ein verhärtetes Klauenhorn auch ungünstig: „Der Horn- Übersicht 1: Auswahl zugelassener Klauenbäder und Schäume Inhaltstoff Klauenbäder Formalin Kupfersulfat Zinksulfat Ultra Hoof Clear Podofit Hoofprotect Podotranseptan Foot Mix Desintec Klauenbad Protect Parnex Anti-Germ Deska R Schäume Kovex Foam Wofasteril E 250 + Schäumer Anti-Germ Deska Klauenpflegeschaum Dosierung (%) Preis je kg (T) 2–3 3–5 3–5 0,75 1,72 1,50 6,75 24,77 21,60 1–2 20,50 110,70 20, 60, 120 Liter 8 3,25 93,60 Hypred GmbH, 53332 Bornheim-Sechtem 20 kg 1–3 7,75 55,80 Schippers GmbH, 47647 Kerken 10 kg 0,3 – 1 5,00 12,60 Westfalia Werkzeugco. GmbH, 58082 Hagen 5 kg 0,5 18,00 32,40 Simmer Agri, NL-9073 GN Marrum 21 kg 1–2 4,60 24,84 Desintec, Münster 2 kg direkt auf die Klauen geben 18,50 10, 30, 210 Liter 2–3 3 – 3,50 20 kg k.A. 13 – 17 je Tier und Jahr* k.A. Ecolab Deutschland, 40554 Düsseldorf 25 kg 1,3 10 – 12 je Tier und Jahr* k.A. Kesla Pharma Wolfen, 06803 Greppin 10 kg, 230 kg 5 4,20 – 4,80 19,66 – 22,46 Gerhard Ruff GmbH, 87700 Memmingen Gebindegröße Formaldehyd unterschiedlich Kupfersulfat unterschiedlich Zinksulfat unterschiedlich Kupfer- und Zinkchelate plus Haftstoffe 10 Liter Glutaraldehyd, Aluminiumsulfat, Zinksulfat, Benzalkoniumchlorid Glutaraldehyde, Alkyldimethylbenzylammonium, Kupfer, Zink, Befeuchter Natriumbisulfat, Schichtsilikat, Tenside, Milchsäuren Organische Säuren, Kupfer-, Zinksulfat Peroctansäure, Peroxyessigsäure, Essigsäure, Tenside Pflegende Substanzen, Reinigungsmittel PChlor-M-Cresol Kupfersulfat, Tenside Peroxyessigsäure, Wasserstoffperoxid, organische Säuren, Tenside Peroxyessigsäure, Wasserstoffperoxid, Essigsäure, Wasser (Schäumer; alkal.Reinigungsmittel) Aluminiumsulfat, Natriumlaurylmyristylethersulfat, Glutaral, Kupfersulfat, anionische Tenside 2 Preis je Bad Vertrieb/Hersteller (= 360 l), (T) verschiedene verschiedene verschiedene Brixton Handelsunternehmen GmbH & Co KG, A-4542 Nußbach Menno ChemieVertriebs GmbH, 22850 Norderstedt Gerhard Ruff GmbH, 21,60 – 37,80 87700 Memmingen 133,20 * Kosten für Technik und flüssige Komponenten, k.A. = keine Angaben top agrar 6/2006 R 13 GESUNDHEIT Welche Wirkstoffe eignen sich? Über geeignete Wirkstoffe für Klauenbäder und deren Wirksamkeit liegen zum Teil sehr widersprüchliche Erfahrungen vor. Die gebräuchlichsten Mittel für Klauenbäder sind: ■ Formalin: Eignet sich als Desinfektions- und Pflegemittel. Sinnvoll ist der Einsatz einer 2 bis 5 %igen Lösung, eine höhere Dosierung kann zu Hautschäden führen. Experten empfehlen, Formalin nur einmal im Monat an drei aufeinander folgenden Tagen einzusetzen. In neuen Versuchen aus Holland konnten mit Formalin bei der Mortellaro’schen Erkrankung die besten Heilungsraten erzielt werden. Ein Nachteil von Formalin ist, dass das Horn austrocknet und die Elastizität verloren geht. Formalin wirkt optimal bei ca. 20 °C. Unterhalb von 10 °C muss aufgrund des Kältefehlers die Dosierung erhöht werden, was mit gesundheitlichen Gefahren für das Tier verbunden ist. Formalin steht im Verdacht, Krebs auszulösen. ■ Kupfer- und Zinksulfat: Beide Lösungen eignen sich 10 bis 15 %ig für ein Klauenbad. Gegenüber Formalin sind sie weniger gesundheitsbelastend, stellen aber in der Entsorgung ein Problem schuh stellt das Verbindungsstück zwischen harter Lauffläche und der dünnen und sehr empfindlichen Lederhaut dar. Deshalb sollte er flexibel sein und nachgeben können“. Nicht bei offenen Wunden einsetzen Klauenbäder können keine bestehenden Erkrankungen heilen. Da die Substanzen meist ätzende Wirkung haben, führen sie bei offenen Wunden oft zu massiven Schäden an der Haut und fügen dem Tier dadurch zusätzlich erhebliche Schmerzen zu. Deshalb dürfen sie bei Kühen mit offenen Wunden nicht eingesetzt werden. Denn die Folgen sind nach Ansicht von René Pijl gravierend: ■ Panaritium: Wenn die Tiere mit der krankheitsbedingten geöffneten Lederhaut durch ein Fußbad getrieben werden, wird der Heilungsprozess ausgebremst! ■ Bei der Mortellaro‘schen Krankheit ist die Lederhaut ungeschützt und kann daher von Bakterien und aggressiven Pflegemitteln angegriffen werden. Die Heilung setzt aus, die Haut beginnt zu wuchern, eine neue Epithelschicht wird kaum noch gebildet. ■ Die Klauenfäule greift ebenfalls die R14 top agrar 6/2006 dar. Beide Stoffe trocknen Klauen und Haut aus. Sie werden rissig und spröde, wodurch für Keime neue Eintrittsmöglichkeiten geschaffen werden. ■ Peressigsäure: Die Säure wird 1 bis 2 %ig als Klauenbad eingesetzt. Eine höhere Dosierung führt zu starken Schädigungen an Klauen und Haut. Demgegenüber ist die Entsorgung bei Peressigsäure kein Problem. ■ Industriell gefertigte Klauenbäder: Die Wirkstoffe sind vielfältig: Es gibt Gluteraldehyde, Kupferchelate, Tenside, Mineralsäuren, organische Säuren usw. Sie sollen reinigen und Haut und Horn pflegen. Einige sind gut abbaubar. Wo Kupfer enthalten ist, entsteht allerdings wieder ein Entsorgungsproblem. Neutrale Untersuchungen zu ihrer Wirkung gibt es aber nicht. ■ Klauenschäume: Seit kurzem werden auch Klauenschäume auf Basis von Peressigsäure und Tensiden angeboten, die automatisch vor oder nach dem Melkstand ausgebracht werden. Der Schaum haftet mindestens fünf Minuten an den Klauen und tötet dort Erreger ab. Erste Untersuchungen ergaben, dass die Klauenschäume allerdings dauerhaft eingesetzt werden müssen, um etwas zu bewirken. oberen Hautschichten an. Die Zwischenzehenhaut ist ohnehin schon sehr empfindlich, weil sie unbehaart ist. Auch hier haben Formaldehyd und Kupfersulfat keinen positiven Einfluss, weil das Epithelgewebe offen ist. ■ Bei einem Klauensohlengeschwür ist die Lederhaut ebenso freigelegt und damit ungeschützt. Wird die Haut z. B. durch das Klauenbad gereizt, bildet sich kein neues Epithel (neue Sohle) mehr. Auch hier ist die Wucherung der Haut vorprogrammiert. ■ Beim Weiße-Linie-Defekt ist das Wandhorn von der Lederhaut getrennt. Wird eine ätzende Substanz wie etwa Formalin eingesetzt, dringt sie zwischen die beiden nicht mehr verbundenen Schichten und verzögert die Heilung. Grundregeln für ein Klauenbad Ein Klauenbad zur Vorbeuge infektiöser Klauenerkrankungen in einem gesunden Milchviehbestand macht nach Ansicht der Experten aus fachlicher Sicht nur Sinn, wenn es auch richtig angewandt wird. Werden hier Fehler gemacht, können die Bäder sogar selbst zur Erreger- verbreitung beitragen, so die Experten. Die wichtigsten Grundregeln: ■ Einwirkzeit mind. 30 Sekunden, am besten wäre ein Standbad am Fressgitter. Beim Durchtreibebad muss die Wanne mit dem Klauenbad eine ausreichende Länge (2,5 bis 3 m) haben, so dass jeder Fuss des Tieres zweimal eintauchen kann. ■ Füllhöhe in der Wanne: Mind. 12 cm, damit der Kronensaum ausreichend umspült wird. Noch besser ist, wenn auch die Afterklauen mit in das Bad tauchen. ■ Dosierung: 1 x pro Woche, 2 Melkzeiten ein halbes Jahr lang; ■ Saubere Wirkstofflösung: Klauenbäder wirken nur im sauren pH-Bereich. Nur wenn das Klauenbad sauber bleibt, hält die Wirkung an. Deshalb ist es ratsam, vor dem Klauenbad eine – oder besser zwei – Reinigungswannen mit Wasser aufzustellen. ■ Platzierung: Ein Durchtreibebad wird am besten nach dem Melkstand platziert. Es muss verhindert werden, dass die Tiere daran vorbei laufen können und dass sie die Lösung trinken können. ■ Entsorgung: Zu beachten sind neben den möglichen Schäden an den Klauen auch die Gefahren, die von den eingesetzten Wirkstoffen für die menschliche Gesundheit ausgehen. Formaldehyd und Kupfersulfat sind aber nicht nur ätzend und stehen im Verdacht krebserregend zu sein, sondern sie stellen vor allem auch ein Problem für die Umwelt dar. So müssen gebrauchte Bäder über den Sondermüll entsorgt werden. Hygiene verbessern ■ Zur Vorbeuge sollte der Keimdruck im Stall durch viel frische Luft, viel Tageslicht und niedrige Temperatur gering gehalten werden. Die Tiere sind in der Regel gesünder und verfügen über eine bessere Abwehrbereitschaft. ■ Reinhaltung der Laufflächen und der Liegeboxen. ■ Regelmäßiger Klauenschnitt zweimal im Jahr am besten zwischen dem 60. und 120. Laktationstag. ■ Regelmäßige Kontrolle der Klauen am besten während des Melkens. Fällt eine Anomalie auf, muss sofort reagiert werden. ■ Weidegang ist eine sehr gute Prophylaxemaßnahme. Vor allem bei den infektiösen Erkrankungen ist durch Weidegang eine deutliche Verbesserung festzustellen. Der nachgebende Weideboden beruhigt das Wachstum in der Sohlenfläche, so dass die Größe der Außenklaue proportional zur Innenklaue bleibt. Wenn möglich, sollten die Kühe auch im Winter zwei bis drei Stunden auf die Weide, denn Schnee reinigt die Klauen am besten. S. Lehnert
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