Berücksichtigt man die immer noch größer werdende Bedeutung des

Gemeinschaftskunde - EWG
Antrag auf Erteilung eines Antragformulars
Kompetent im Umgang mit Formularen, Gesetzestexten und Schaubildern
Martin Stengelin
Antrag auf Erteilung eines Antragformulars
Kompetent im Umgang mit Formularen, Gesetzestexten und Schaubildern
Auch im Zeitalter von Fernsehen, Internet und Multimedia wird Politik immer noch in hohem Maße durch
das geschriebene Wort vermittelt. Lesekompetenz ist
also Grundvoraussetzung für jeden, der die politische
Wirklichkeit verstehen und sich sein eigenes Urteil
über diese bilden will. Auch der Kontakt mit Behörden erfordert den kompetenten Umgang mit Formularen, Gesetzestexten und Verordnungen.
In der Praxis des Gemeinschaftskundeunterrichts
wird deshalb auch eine Vielzahl von fachtypischen
Texten, Diagrammen und Ähnlichem eingesetzt. Der
auf Lesekompetenzschulung zielende, intensivere
Umgang mit diesen Medien wird dabei aber eher vernachlässigt.
Eine Unterrichtsbeobachtung
Gemeinschaftskundlehrer L. teilt in der Erarbeitungsphase ein Arbeitsblatt mit einem kürzeren, gut auf
die Altersstufe abgestimmten Text zur Tarifautonomie aus. Mithilfe auf dem Arbeitsblatt vorhandener Erschließungsfragen und einigen Worterklärungen sollen die Schüler in Kleingruppen die wichtigsten im
Text genannten Informationen herausarbeiten.
Im anschließenden Unterrichtsgespräch beteiligen sich aber nur wenige Schüler und auch diese können
nur mit großer Hilfestellung des Lehrers inhaltliche Fragen zum Text beantworten.
Der Lehrer ermahnt seine Schüler aufmerksamer zu lesen, erstellt ein strukturiertes Tafelbild mit den
wichtigsten Aussagen des Textes und die Schüler übernehmen dieses in ihren Ordner. Eigenständiges, aktives Umgehen mit Texten, gezielte kleinschrittige Lesestrategien werden nicht eingeübt und sind bei dieser Art von Unterricht auch nicht notwendig. Die Schüler können sich auf ihren Lehrer verlassen. Er sagt,
was wichtig ist und was gelernt werden muss.
Sicherlich dürfen einzelne Unterrichtsbeobachtungen nicht vorschnell verallgemeinert werden, vieles
spricht aber dafür, dass es sich um ein grundsätzliches Problem handelt. Der Lehrer geht bei der Planung
seines Unterrichts davon aus, dass Realschüler lesen können. Unterrichtsexperimente und die
PISA-Studie haben aber gezeigt, dass auch vielen Realschülern die Kompetenz zum sinnentnehmenden
Lesen fehlt. Im Folgenden sollen daher einige Anregungen gegeben werden, wie insbesondere im Gemeinschaftskundeunterricht mit fachtypischen Medien Lesekompetenz in kleinen Schritten eingeübt werden kann.
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Kompetent im Umgang mit Formularen, Gesetzestexten und Schaubildern
Drei Dimensionen der Lesekompetenz
Der gut informierte, interessierte und kritische Zeitungsleser und damit interventionsfähige Bürger als Ziel
des politischen Unterrichts, lässt sich allein durch ein formal-methodisches Lesekompetenztraining nur
schwer erreichen. Wenn Schüler lernen sollen, kompetent mit Zeitungstexten, Schaubildern, Grafiken, mit
Verordnungen, Gesetzestexten und Formularen umzugehen, muss neben der formal-methodischen Dimension auch eine material-inhaltliche und eine affektiv-motivationale Dimension der Lesekompetenz Berücksichtigung finden.
Affektiv-motivationale Dimension
Wichtig ist es, die methodische Schrittigkeit nicht losgelöst mit beliebigen Materialien zu trainieren, sondern das Lesekompetenztraining in einen fachlich-inhaltlichen Kontext zu stellen. Bei den Schülern muss
ein gezieltes Informationsbedürfnis vorliegen. Die Materialien müssen helfen, offene Fragen zu beantworten und Probleme zu lösen.
Material-inhaltliche-Dimension
Dabei zeigt sich auch, dass ein gewisses inhaltliches Vorwissen benötigt wird, um die neuen Informationen sinnvoll in eine vorhandene kognitive Struktur einzugliedern. Schüler, die völlig ohne Vorwissen zu
den Grundbegriffen, wie Demokratie, Republik, Föderalismus, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit an den
Grundgesetztext Artikel 20 herangehen, werden auch mit einer gut trainierten Lesemethode und Schrittigkeit überfordert sein.
Formal-methodische-Dimension
Hierzu zählt die immer wieder eingeübte, kleinschrittige Vorgehensweise. Diese beinhaltet das Querlesen,
Markierungs- und Strukturierungstechniken, ein fest vorhandenes Repertoire an Erschließungsfragen, die
Recherchekompetenz, um unklare und unbekannte Begriffe durch Nachschlagen zu klären und andere
Dinge, wie sie in der folgenden Tabelle zu finden sind.
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Kompetent im Umgang mit Formularen, Gesetzestexten und Schaubildern
Medienbezogene Schrittigkeit
Unterschiedliche Medien erfordern teilweise eine unterschiedliche Vorgehensweise bei der methodischen
Schrittigkeit. In der folgenden Tabelle wird versucht für fachtypische Medien aus dem EWG/Gemeinschaftskundeunterricht Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten vergleichend darzustellen.
Zeitungsberichte
1. Schritt
Motivation
2. Schritt
Orientieren
3. Schritt
Fragen stellen
Kommentare - Leserbriefe Gesetzestexte Pol. Reden - Flugblätter
Verordnungen
Umgang mit dem Medium in einen sinnvollen Kontext stellen gezieltes Informationsbedürfnis schaffen – Motivation und Interesse wecken
Quer lesen.
Quer lesen.
Quer lesen.
Thema erfassen.
Thema erfassen.
Sachverhalt erfassen.
W-Fragen an den Text stel- W-Fragen an den Text stel- W-Fragen an den Text stellen:
len:
len:
Wer?-Was?– Wann?– Wo?– Wer?-Was?– Wann?– Wo?–
Wie?– Warum?
Wie?– Warum?
Wird Kontroverses dargestellt oder ausgeblendet?
Wie werden beteiligte Personen dargestellt?
An wen wendet sich der
Text?
4. Schritt
Läßt sich die Zeitung einer
Hintergründe zum Autor herQuellenkritik politischen Richtung zuordausfinden.
nen?
Was für ein Interesse vertritt
(konservativ - liberal – linksli- der Autor?
beral ...)
In welcher Situation hat er
Handelt es sich um "Bouleden Text verfasst?
vard" oder "seriöse Presse" Was sind die Grundüberzeugungen des Autors?
5. Schritt
Genaues Lesen und Markie- Genaues Lesen und MarkieLesen
ren
ren
6. Schritt
Unklare Begriffe und TextUnklare Begriffe und TextBegriffe klästellen klären
stellen klären
ren
7. Schritt
Gliedern
8. Schritt
Strukturieren
9. Schritt
Transfer
Text gliedern und Zwischenüberschriften finden
Zusammenfassen:
Schlüssebegriffe und wichtige Kernaussagen herausschreiben, ev. den Inhalt des
Textes in einer Mindmap
oder anderer Struktur darstellen.
Vergleichen des Artikels mit
einer anderen Quelle
Text gliedern und Zwischenüberschriften finden
Zusammenfassen:
Schlüssebegriffe und wichtige Kernaussagen herausschreiben, ev. den Inhalt des
Textes in einer Mindmap
oder anderer Struktur darstellen.
Nachdenken über den eigenen Standpunkt
Was? – Wie? – Warum?
entfällt
Genaues Lesen und Markieren
Unklare Begriffe und Textstellen klären.
Gibt es Kommentare, Interpretationen, richterliche Auslegungen, Grundsatzurteile?
entfällt
Den Inhalt des Textes in einer Mindmap oder anderen
Struktur visualisieren
Anwenden des Gesetzes auf
einen Fall
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Antrag auf Erteilung eines Antragformulars
Kompetent im Umgang mit Formularen, Gesetzestexten und Schaubildern
Formular
Statistik, Tabelle,
Schaubild
Karikatur
Umgang mit dem Medium in einen sinnvollen Kontext stellen gezieltes Informationsbedürfnis schaffen – Motivation und Interesse wecken
Formular im GanÜber- und Unterschriften
Über- und Unter- Erfassen des Thezen überblicken
lesen. Darstellungsziel er- schriften lesen.
menbereichs.
mitteln
Darstellungsziel
Beobachtung und
ermitteln
Beschreibung des
Dargestellten.
3. Schritt
Gibt es wichtige
Darstellungsart bestimWelche BezieWas wird ausgeFragen stelHinweise zu den
men. Legenden, Maßeinhungsstrukturen
sagt?
len
Formularfeldern
heiten und Bezugsgrößen werden dargeWer wird angegrif(ev. Rückseite oder erfassen.
stellt?
fen?
gesondertes HinWer wird angesproweisblatt)
chen?
Symbolverständnis
4. Schritt
Wer erfasst die Da- Datenquelle überprüfen.
Quelle überprüWelche Partei erQuellenkritik ten? Zu welchem
Glaubwürdigkeit bewerten. fen. Glaubwürgreift der Autor?
Zweck sollen die
digkeit bewerten. Welche Ziele verDaten erfasst werLayout hinterfra- folgt er?
den?
gen
5. Schritt
Genaues Durchle- Genaues Lesen der
Genaues Lesen
Erarbeitung des
Lesen
sen der FormularGibt es auffällige Werte?
der Abbildung.
Sachverhalts.
felder und Hinwei- Gibt es Extremwerte?
Bedeutung der
Erarbeitung des Wise. Notieren, welSymbole und Be- derspruchs.
che Daten fehlen.
ziehungs-struktu- Versteckte Aussaren erfassen.
gen aufdecken.
6. Schritt
Recherche nach
Unklare Begriffe klären
Unklare Begriffe
Welches VorverBegriffe kläfehlenden Daten
und Strukturen
ständnis braucht
ren
klären
man?
7. Schritt
Ausfüllen des For- Lassen sich Zahlen oder
Gliedern
mulars.
Bereiche vergleichen oder
entfällt
entfällt
zusammenfassen?
8. Schritt
entfällt
Interpretieren der Daten.
entfällt
entfällt
Strukturieren
Hypothesenformulierung
9. Schritt
entfällt
Verifizierung oder FalsifiVerbalisieren der Eigene StellungnahTransfer
zierung der Aussagen.
Abbildung
me
1. Schritt
Motivation
2. Schritt
Orientieren
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Kompetent im Umgang mit Formularen, Gesetzestexten und Schaubildern
Markieren, Strukturieren und Visualisieren am Beispiel Grundgesetz Artikel 20
Beim Umgang mit Gesetzestexten geht es weniger um das Bilden von Sinnabschnitten oder um das Zusammenfassen, da diese oft schon gut gegliedert und sehr dicht formuliert sind. Wichtiger ist hier das Klären unbekannter Begriffe mithilfe von Zusatzinformationen wie fachspezifische Lexika oder Kommentaren.
Artikel 20
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und
durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum
Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Aufgabenstellung:
1. Überfliege den Grundgesetzartikel 20, um dir einen Überblick zu verschaffen!
2. Auf welche Grundfragen gibt dieser Artikel eine Antwort?
3. Beim zweiten Durchlesen unterstreiche sparsam die wichtigsten Schlüsselbegriffe!
4. Kläre unbekannte oder unklare Begriffe, verwende ein Lexikon oder einen Kommentar zum
Grundgesetz.
5. Visualisiere den Inhalt des Grundgesetzartikels in Form einer Mindmap.
Abb.1
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Antrag auf Erteilung eines Antragformulars
Kompetent im Umgang mit Formularen, Gesetzestexten und Schaubildern
Arbeit mit Texten
Leseinteresse kann nicht einfach angeordnet werden, sondern sollte durch die Einbettung in einen fachlich-inhaltlichen Kontext und damit der Schaffung eines gezielten Informationsbedürfnisses, behutsam angebahnt werden. Durch diese inhaltliche Brücke zwischen der Welt der Politik und der Alltagswelt der
Schüler erfahren diese, wie man für sich einen Nutzen aus Texten und Informationen ziehen kann.
Unterstützt werden kann dies durch abwechslungsreiche Vorgehensweise bei der Arbeit mit Texten im
Unterricht. Hier sollen exemplarisch zwei Möglichkeiten vorgestellt und kurz beschrieben werden.
Jigsaw oder Gruppenpuzzle
Einteilung in Stammgruppen
In der Stammgruppe wählt sich jeder Schüler einen Text aus.
Expertengruppen
Schüler mit den gleichen Texten setzen sich
zusammen und erarbeiten den gemeinsamen Text nach der bekannten Schrittigkeit.
Dabei Helfen sich die Schüler gegenseitig,
stellen sich Fragen zum Text, erarbeiten
eine gemeinsame Struktur und Visualisierung. Dabei überlegen sie sich, wie sie den
Inhalt an ihre Stammgruppenmitglieder weitergeben können.
Vermittlung in den Stammgruppen
Die Experten gehen nun wieder in ihre
Stammgruppen. Nacheinander vermitteln sie
den Inhalt ihres Textes. Dabei sollen offene
Fragen geklärt und diskutiert werden.
Evaluation
In dieser Phase wird überprüft, ob jeder
Schüler den Zusammenhang verstanden
hat. Dies kann z. B. ein Test, eine Präsentation oder ein Kurzaufsatz sein sein
Kugellager
Texterarbeitung
Jeweils zwei Schüler im Tandem erarbeiten
sich einen Text nach der bekannten Schrittigkeit.
Doppelstuhlkreis
Die Schüler setzen sich nun in einem Doppelstuhlkreis paarweise gegenüber, so dass ein
Innen- und ein Außenkreis ensteht.
Innenkreis berichtet
Nun erzählen die Schüler des Innenkreises
frei über den Inhalt ihres Textes. Ihre Partner
des Außenkreises hören zu. Anschließend
rückt der Innenkreis zwei Stühle weiter. Es
entstehen neue Gesprächspaare.
Außenkreis berichtet
Nun werden die Schüler des Außenkreises
aktiv und berichten über ihren Text. Anschließend rückt der Außenkreis zwei Stühle weiter.
Es entstehen wieder neue Gesprächspaare.
Die Zahl der Drehbewegungen bestimmt der
Lehrende
Literatur:
Frech, S. / Kuhn, H.-W. / Massing, P. (Hrsg.): Methodentraining für den Politikunterricht. Schwalbach/Ts.:
Wochenschau Verlag 2004.
Mickel, W.W. (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag 1999
Klippert, Heinz: Methodentraining - Übungsbausteine für den Unterricht. Weinheim.: Beltz 2002
Weißeno, Georg: Über den Umgang mit Texten im Politikunterricht, Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag 1993