Von Tabarz nach Erbil Bericht: Stephan Kloss „Eine Million, zwei

Von Tabarz nach Erbil | Manuskript
Von Tabarz nach Erbil
Bericht: Stephan Kloss
„Eine Million, zwei Million, drei Million, vier Million, fünf Million Dinar. Das entspricht
ungefähr 4.300 Euro. Das geht jetzt gleich drauf für Wasser. Das sind 60.000 Flaschen
Wasser“.
Wir sind zu Besuch im „Deutschen Hof“ in Erbil. Das Restaurant betreibt der Thüringer
Gunter Völker. Er lebt seit zehn Jahren in der kurdischen Hauptstadt.
„Das ist noch aus alten Zeiten?
Ja, da habe ich noch gedient.“
Mit den fünf Millionen will der gelernte Koch in die kurdischen Berge fahren, Wasser kaufen
und es vertriebenen Jesiden bringen – als Spende.
Gunter Völker, Thüringer Unternehmer in Erbil
„Angefangen hat das Ganze mit dieser Wasser-Challenge, als die sich das Eiswasser über
den Kopf geschüttet haben wie die Blöden in der ganzen Welt.
Die Ice-Bucket-Challenge, die Eiskübelherausforderung, war eine Spendenaktion 2014, die
auf eine seltene Nervenkrankheit aufmerksam machen sollte. Sie verbreitete sich weltweit
im Netz ein kurzfristiger Aufreger.
Die Leute hier verrecken in den Camps weil sie kein Wasser haben und überall fühlen sie
sich ganz toll, weil sie sich Eiswasser über die Köpfe schütten … und das war meine IceBucket-Challenge, den ersten LKW zu packen und in die Camps zu bringen.“
Gunter Völker stammt aus Tabarz. 12 Jahre diente er in der Bundeswehr. Danach eröffnete
er 2002 ein Restaurant ausgerechnet im afghanischen Kabul. Als es dort zu gefährlich wurde,
kam Völker 2006 nach Erbil, in den Nordirak.
Die Fahrt geht Richtung Syrien. Wir sind in Dohuk angekommen. Die Front zum sogenannten
Islamischen Staat ist nur 40 Kilometer entfernt. Mit den Geldbündeln hat Völker bei einem
Großhändler 60.000 Flaschen Wasser gekauft.
In diesem Rohbau hausen acht jesidische Familien, sie flohen alle zusammen aus einem Dorf.
Wildes Flüchtlingslager, nennt Gunter Völker so etwas. Über die Flüchtlingspolitik in Europa
ärgert sich der Thüringer. Aus seiner Sicht sollte man den Vertriebenen hier vor Ort helfen.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
1
Von Tabarz nach Erbil | Manuskript
Damit niemand seine Würde und seine Wurzeln verliere. Alle Jesiden, mit denen wir hier
sprechen, wollen im Nordirak ausharren.
„Nein, wir wollen auf keinen Fall nach Europa. Wir gehen nach Hause sobald es geht. Dort
haben wir alles: Arbeit und Freiheit. Lieber hier sterben als im fremden Europa.“
Ortswechsel. Am Rande der kurdischen Provinzhauptstadt Erbil. Hier wird ebenfalls
geholfen. Aber militärisch. Ausbilder der Bundeswehr trainieren kurdische Kämpfer, die
Peshmergas. Auf dem Lehrplan heute: Häuserkampf.
„ ... also läuft hier niemand alleine hier hoch, sondern unter größter Eigensicherung
versuchen wir jetzt langsam die Treppe hochzugehen.“
Der Ausbildungschef Hauptmann Clemens kommt aus Salzwedel in Sachsen-Anhalt. Sein
Gesicht sollen wir nicht zeigen - aus Sicherheitsgründen, bittet die Bundeswehr.
„Von Leichten zum Schweren ... und denkt immer dran, langsam wird gut, und gut wird
schnell.“
Rund 9.000 Peshmergas sollen im Jahr vor Ort ausgebildet werden. Fünf Wochen dauert ein
Kurs. Macht bei 130.000 kurdischen Kämpfern 14 Jahre Ausbildungszeit.
Hauptmann Clemens, Bundeswehrausbilder
„ ... alleine durch das Anschauen eines Filmes oder Videos, Stichwort Youtube, wird man
nicht automatisch auch ein guter Kämpfer. Das bedarf doch viel Feinarbeit, viel, viel
Training. Und so etwas passiert nicht über Nacht.“
Gunther Völker hält den Bundeswehr-Einsatz für sinnvoll. Man sollte ihn sogar ausweiten,
sagt er. Zu Hause finden sich zwischen Pyramide und Schwibbogen Erinnerungen an die
eigene Armeezeit. Er war in Afghanistan, davor auf dem Balkan.
„Das ist eine ganz tolle hier, 6 Einsätze in Folge habe ich damals gemacht. Da mussten die
extra eine 6 herstellen lassen, weil sie die noch nicht hatten ...
... guck mal, war ich nicht mal ein hübscher Kerl, wo ich noch jung und knusprig war.“
Vor der Bundeswehr diente Völker in der NVA, die sozialistische Zeit hat er fotographisch
verewigt.
Wir sind mit ihm zum nächsten Camp unterwegs. Sein Fahrer, ein Peshmerga in Zivil,
übersetzt und regelt Probleme. Nicht immer geht es beim Wasserverteilen friedlich zu.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
2
Von Tabarz nach Erbil | Manuskript
„ … wir haben eine eingreifende Situation mal gehabt, da hat er dann in die Luft
geschossen, weil da hat einer aus einem anderen Camp versucht zwei Päckchen Wasser zu
holen. Und da wollten die den erschlagen, die anderen. So hart war der Kampf hier.“
Die Jesiden verteilen die Wasserflaschen nach Liste. Seit 2014 hilft Gunter Völker auf diese
Weise. Bislang konnte er 146-tausend Euro Spendengeld dafür sammeln. Auch hier hören
wir, dass die Jesiden lieber ausharren wollen.
„Ich gehe in meine Stadt zurück. Dort habe ich Haus und Arbeit. Die Kinder gehen dann
dort zur Schule. Warum sollte ich nach Europa gehen? Was soll ich da machen? Meine
Heimat hier ist doch wie Gold.“
„Jetzt sind sie ungefähr 70 Kilometer von ihrer Heimatstadt weg. Von Shengal. Wenn
Shengal frei wird, die wollen zurück. Die haben dort alles.“
Viele jesidische Dorfgemeinschaften sind schon zusammen geflohen, mit der Hoffnung, eines
Tages in die Heimat zurück zu können. Dass der Westen hier nicht nachhaltiger hilft, ärgert
Völker. Schließlich könne man von Wasser bis Baumaterial alles hier kaufen. Nach 60.000
verteilten Wasserflaschen und 500 Autokilometern ist der Tabarzer feierabendreif.
Gunter Völker, Thüringer Unternehmer in Erbil
„Jetzt fahren wir noch nach Hause und gucken was so da so im Laden läuft und vielleicht
heute Abend noch ein gemütliches Bier am Kamin, um den ganzen Tag zu wieder
verarbeiten, um das alles bisschen runterzufahren. Auch wenn ich das schon seit zwei
Jahren mache, bleibt jedesmal, emotional bleibt immer was hängen.“
Spät abends. Der Thüringer ist zurück in seinem Deutschen Hof.
„Na Jungs, alles klar?“
Gekocht wird meistens original thüringisch, es wird auch ausgebildet. Vertriebene Christen
und Jesiden arbeiten hier. Gerade sind die Schnitzel dran.
Es wird alles noch wie früher gemacht. Da kommt mir natürlich meine Ausbildung in der
DDR zugute, wo es eben nicht alles gab, und wo es eben nicht alles fertig gab.“
Letzter Akt für heute: Gunter Völker verbucht das ausgegebene Spendengeld.
„Manchmal ist es gar nicht viel was man tun muss um zu helfen, manchmal ist es einfach
nur, seinen Arsch vom Sofa zu nehmen und was zu tun.“
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
3